Fazit 91

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GEDANKEN ZUM MANAGEMENT

VON MARYAM LAURA MOAZEDI

Teil 3 Als ein global auftretendes und universell dem Menschen eigenes Charakteristikum gilt das Bestreben, das Gesicht zu wahren. WissenschafterInnen gehen noch einen Schritt weiter und sprechen von einem regelrechten Bedürfnis, das Gesicht und somit das Image, die „soziale Außenseite“, aufrechtzuhalten. Das erklärt womöglich einen Anteil an Irritation bei unseren Begegnungen miteinander, denn jede Begegnung stellt unser Gesicht auf die Probe. Als gelungene Interaktion gilt, wenn es beiden Seiten gelingt, das Gesicht zu wahren – das eigene, aber auch das des anderen. Unmittelbar damit verbunden sind Selbstachtung und die Achtung des anderen. Verlust und Wiederherstellung Dass uns eine optimale Interaktion im zwischenmenschlichen Bereich nicht immer gelingen will, zeigen die unterschiedlichsten Alltagssituationen, die weniger glücklich verlaufen. Konflikte werden mitunter von Gesichtsverlust begleitet, wir sorgen in kritischen Situationen dafür, dass unser Gegenüber alles andere als gut dasteht, und zuweilen entblößen wir die Person. Und diese reagiert auf den erlebten Gesichtsverlust mit einer Bandbreite an Strategien zur Wiederherstellung ihres Gesichts. Eine häufig eingesetzte Strategie ist, mit verbaler oder physischer Aggression zu reagieren, um das 54

FA Z I T

verlorene Gesicht wieder herzustellen. Die Methoden und Möglichkeiten reichen von Aggression bis zu Humor, dem Abschieben von Verantwortung durch beispielsweise Ausreden und Rechtfertigungen, bei denen der Schweregrad der Problemstellung heruntergespielt wird. Stella Ting-Toomey, Kommunikationswissenschafterin an der California State University, beschreibt in ihrer „Face Negotiation Theory“ drei Hauptkategorien von Gesichtsarbeit: Dominanz (z. B. durch Verteidigung und Aggression), Vermeidung (z. B. durch Nachgeben, Hilfesuche bei Dritten) und Integration (z. B. durch Entschuldigung, Kompromiss, Problemlösung und Gespräche unter vier Augen). Ein interessantes und faszinierendes Detail bei dem Einsatz dieser unterschiedlichen Strategien ist die Intention. Während dominante Strategien meist eingesetzt werden, um das eigene Gesicht zu wahren, erlauben vermeidende und integrierende Strategien die Berücksichtigung des anderen und seiner Gesichtsbedürfnisse. Mit anderen Worten: Wer aggressiv reagiert, schützt sich selbst, wer vermeidend oder integrierend reagiert, schützt den Anderen und/oder die gesamte Interaktion. Das Gesicht im interkulturellen Kontext Geraten wir im Alltag bereits öfter als gewollt in Situationen, in denen es gilt, Ge-

sichtsarbeit zu leisten, gewinnt die „ImagePolitur“ bei interkulturellen Begegnungen an zusätzlicher Komplexität. Laut Rothman ist der kulturell bedingt unterschiedliche Zugang zur Gesichtsarbeit oft Ursprung interkultureller Konflikte. Es scheint wenig verwunderlich, dass „das Gesicht“ in vertiefenden interkulturellen Studien ein gängiges Thema ist, denn zum einen wird davon ausgegangen, dass Gesichtsarbeit in allen Kulturen geleistet wird, somit ein übergreifend beobachtbares Phänomen ist. Zum anderen variieren Verständnis, Zugänge und vor allem die Wertesysteme, die wiederum die Thematik vielschichtiger machen. Unsere sogenannte westliche Welt gilt aufgrund ihrer Wertesysteme im Allgemeinen als individualistisch orientiert. Der niederländische Psychologe Geert Hofstede definiert Individualismus als die Haltung, die Beziehung des Individuums zum Kollektiv und stellt Individualismus dem Kollektivismus gegenüber. In individualistisch orientierten Kulturen hat das Ich Vorrang vor dem Wir – sämtliche Implikationen eingeschlossen: Aufgaben gehen vor Beziehungen, Arbeitsverhältnisse sind ein Vertrag und werden nach Anreiz und Beiträgen bewertet, Kommunikation erfolgt explizit, somit sind Meinungsäußerungen offen und direkt. Kollektivismus bildet das Gegenstück dazu: Beziehungen gehen vor AufgaAPRIL 2013


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