Essay von Friedhelm Frischenschlager
Liberale versus illiberale Demokratie Stimmt unser Wertekompass noch?
sterreich und Europa befinden sich in einer politisch schwierigen und gefährlichen Phase. Die Pandemie belastet Gesellschaft und Politik gleicherweise – dazu gehen Zigtausende auf die Straße und werfen den Regierenden diktatorisches Verhalten vor. »Ibiza«, Aufstieg und Fall von Sebastian Kurz und die »Chats« lassen viele neben Korruption auch Tendenzen zu autokratischen Strukturen befürchten. Wenn wir uns um Österreichs politische Kultur, Demokratie und Rechtstaatlichkeit sorgen, kann dies nur im globalen und vor allem europäischen Kontext geschehen: Global stehen die Werte des »Westens« dem Autkokratismus der alten Supermacht Rußland und der neuen China gegenüber. In der Europäischen Union erleben wir die Auseinandersetzung um die »Illiberale Demokratie« sowie einen EU-gefährdenden »Mein-Land-Zuerst«-Nationalismus. Unsere nach dem 2. Weltkrieg installierte und nur begrenzt wirksam gewordene Werteordnung gerät unter Druck. Es gilt sie zu verteidigen und weiterzuentwickeln. Dazu einige Gedanken. Ein neuer kalter Krieg um Werte? Nach 1989 schienen weltweit Frieden, Demokratie, Herrschaft des Rechts, Menschenrechte und Wohlstand auf gutem Weg zu sein. Doch anstatt diese »Friedensdividende« zu genießen, verfiel die Welt in alte Muster der Macht- und Prestigekämpfe zwischen den Supermächten, der Androhung und des Einsatzes von Gewalt. Etwa im Irak, Syrien, Libyen, Ukraine, um nur einige zu nennen. Selbst innerhalb der Nato reiben sich die Türkei und Griechenland militärisch. Zeitgleich findet ein »Systemwettbewerb« statt, ob autokratische oder demokratische Systeme zum Beispiel mit der Pandemie besser fertig werden. Die Konflikte gehen jedoch tiefer. Autokratische Systeme wie China oder Rußland und zahlreiche Diktaturen sehen ihr Regime durch universelle Werte bedroht. Sie unterdrücken nicht nur im eigenen Land demokratische Bewegungen, sondern stützen autokratische Syteme weltweit, politisch, wirtschaftlich und militärisch, wie in Syrien, Kasachstan, Belarus oder in Europa besonders in Serbien und Ungarn. Nicht zu vergessen, auch nationalistisch-populistische Rechtsparteien in EU-Staaten werden unterstützt.Der »Westen« wiederum, hier besonders die USA, interveniert militärisch in Konflikten gegen unliebsame Regime, scheitert aber letzlich, wie im Irak oder in Afghanistan, und stößt sich dabei nicht, menschenverachtende Systeme wie Saudiarabien als Verbündete zu akzeptieren, frei nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. »Grassroot-Movements«, in denen sich Menschen gegen Diktatoren erheben enden entweder in einem Blutbad oder in der Beutungslosigkeit, letzlich mit dem Sieg der Autokraten, oft mit Hilfe von außen. Die nach dem Zerfall der Sowjetunion gewonnene Souveränität der Nachfolgestaaten stellt Putin wieder in Frage, indem er sie als sicherheitspolitische Einflusszone beansprucht. Dieser globale Supermächtenationalismus heizt regionale, nationalistisch-fundamentalistisch motivierte Konflikte weiter an. (Militär)Diktaturen nehmen zu. Länder mit voll entwickelter Demokratie sind heute global eine relativ kleine Minderheit. Es stellt sich die Frage: Stimmt der mit »1989« scheinbar siegreiche »westliche« Wertekanon noch? All diese negativen Entwicklungen spielen sich vor einem an sich global konsentierten politischen Rahmen ab: dem Völkerrecht, der Charta der Vereinten Nationen und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Darauf beruhen auch die EU und die Verfassungen vieler Staaten. Doch reale Politik läuft in unterschiedlichem Ausmaß auf allen politischen Ebenen völlig anders ab. Da die Chance für Frieden, Wohlstand, Fortschritt auf einem Mindestmaß an politischem Pluralismus, demokratischem Wettbewerb und einer offenen Gesellschaft beruht, muss für alle Wertorientierten die Stärkung des internationalen Rechts, des UN-Systems, der OSZE und aller anderen Instrumente zur globalen Konfliktbewältigung, Abrüstung und Multilateralismus als Priorität gelten. Vor allem in Europa muss Klarheit darüber herrschen, was auf dem Spiel steht, wenn die ideellen Grundlagen unseres politischen, gesellschaftlichen Lebens weiter erodieren.
Demokratiediskurs Wir wollen uns in den nächsten Monaten auf die »Suche nach der poltischen Kultur« machen und damit einen positiven Beitrag zum poltischen Klima in Österreich zumindest versuchen. Friedhelm Frischenschlager eröffnet mit seinem Text diesen neuen Schwerpunkt in der Themensetzung der Fazitessays.
Foto: Franz Johann Morgenbesser
Ö
Dr. Friedhelm Frischenschlager, geboren 1943 in Salzburg, ist Politiker und Jurist. Er war für die FPÖ Abgeordneter zum Nationalrat und von 1983 bis 1986 Verteidigungsminister in der SP-FP-Koalitionsregierung. 1993 hat er das Liberale Forum mitgegründet und war 1996 bis 1999 Mitglied des Europäischen Parlaments. Seit 2015 sitzt er für die Neos in der Bundesheerkommission des Parlaments und seit 2017 ist er Vizepräsident der Europäischen Bewegung Österreich. FAZIT MÄRZ 2022 /// 39