Fazit 175

Page 39

Essay von Götz Schrage

Schützt die Städte und stoppt die Hippies! Eine textliche Verzweiflung

G

uten Tag. Mein Name ist Götz Schrage. Ich nehme an, Sie haben noch nie von mir gehört oder gelesen. Für die Zukunft brauchen Sie sich meinen Namen auch nicht merken. Alles was Sie wissen sollten, ich fahre ein Auto, das ich mir nicht leisten kann. Alleine in der Stadt brauche ich mehr als 18 Liter Super auf hundert Kilometer. Das bedeutet, ich muss wirklich jeden Job annehmen und deshalb schreibe ich hier diesen wohl verstörenden Text. Hoffe auf Ihr Verständnis und falls Sie einen besseren Job für mich haben, ich kann zum Beispiel sehr gut mit Hunden, wenden Sie sich bitte an den Herausgeber dieses Magazins. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Bitte gehen Sie jetzt weiter, oder blättern Sie weiter, es gibt nichts zu sehen und wenig zu lesen. Das kann ich Ihnen schriftlich geben, beziehungsweise habe ich das gerade getan.

Für Götz Schrage hat nur die Stadt ewiges Leben und braucht dazu Licht und Lärm sowie pulsierenden Verkehr. Eine recht außergewöhnliche Liebeserklärung an das Urbane.

Jedenfalls, wenn Sie in einer Gegend wohnen, in denen es ein wenig wie Bukarest im November aussieht und beruhigt sind, weil Sie einen dieser angeblich unbefristeten Mietverträge haben, sollten Sie stets die Augen offen halten. Zum Beispiel, wenn Sie Andre Heller mit ein paar interessanten Freunden durch Ihre Gasse flanieren sehen – achten Sie bitte auch noch darauf, ob Heller ein interessiertes Gesicht macht – können Sie anfangen, sich Sorgen zu machen. Und spätestens, wenn im Haus gegenüber ein veganer Eissalon öffnet, und der Bezirksvorsteher persönlich vorbeikommt, um zwei Bäume zu pflanzen, sind Sie endgültig verloren. Man wird Ihnen versuchen weiszumachen, die Bäume wären gut fürs Klima und würden eine bessere Luft machen. Das mag prinzipiell stimmen, aber die bessere Luft ist nicht für Sie, die ist dann für Ihre Nachmieter – das Innenarchitektenehepaar – und Sie wohnen mit viel Glück dann tatsächlich in Bukarest oder alternativ auf einem winterfesten Campingplatz im nördlichen Waldviertel. Schmierige Privatdetektive haben das Ausmieten übernommen. Kaum wanken Sie früh morgens von Ihrem Stammwirt nach Hause, wird Ihr Wohnbedarf gerichtlich angezweifelt und dann heißt es Koffer packen. Die schöne neue Welt wird es geben, aber nicht für Sie. Pech

Foto: Selbstportrait

Ein Essay zur Gentrifizierung soll es werden. Blöd halt, wenn man den Begriff nur von der Distanz kennt. Natürlich habe ich das schon mal gehört und ist soweit mir erinnerlich irgendwas mit Yuppies und was sie anrichten, wenn sie sich in deiner Nachbarschaft ansiedeln. Dafür weiß ich, was ein Essay können sollte. Wenig Inhalt so geschraubt und ausufernd formulieren, dass man Tiefe vortäuscht, wo oft nur Leere ist. Apropos, kürzlich hörte ich Andre Heller etwas wirklich Gescheites sagen. Nicht vorgetäuscht interessant, sondern tatsächlich. »Ein jeder Ort wird interessant, wenn sich interessante Leute anfangen für diesen Ort zu interessieren.« Natürlich hat er das nicht zu mir persönlich gesagt. So wichtig bin ich nicht, sondern mehr zu meiner Chefin. Nichts mit Hunden, sondern mehr mit Sachen tragen und so. Wie gesagt, ich bin da gar nicht heikel. Jedenfalls habe ich darüber nachgedacht, was Heller gesagt hat und seitdem bin ich mir nicht sicher, ob das eine gute Nachricht für die Bewohner dieser Orte sind, für die sich plötzlich interessante Leute anfangen zu interessieren. Und dann habe ich was im Kaffeehaus gehört. Der schmerbäuchige Makler mit den beschrifteten Hemden, dessen grelle Freundinnen meist viel zu jung für ihn zu sein scheinen, und der trotzdem, oder deswegen, immer noch bei seiner Mutter wohnt. Jedenfalls der Makler hat sich mit einem anderen Makler getroffen, auch ein hässlicher Typ, aber mit normalen Hemden ohne Schriftzug immerhin. »Dreimal verkaufen die Hütte und spätestens wenn in der Nachbarschaft ein Bioladen aufsperrt, wird brutal ausgemietet und parifiziert.« Das hört sich auch nicht gut an für die Leute, die da wohnen. Vielleicht freuen die sich zuerst über den geräucherten Tofu in der Nahversorgung. Und dann freuen sie sich, weil sie hören, dass es endlich ernsthafte Planungen für einen Aufzug gibt. Wäre schon schön, wenn auch das Stiegenhaus saniert würde. Nun, das wird alles passieren. Aber es gibt eben ein »aber«, nur das ahnt niemand von denen, weil die nicht so viel Zeit haben wie ich, im Kaffeehaus zu sitzen, um den Gesprächen am Nachbartisch zuzuhören. Götz Schrage, geboren 1960 in Bochum, war Musiker, Fotograf und Berufsspieler. Er gehörte als Keyboarder der Band »Blümchen Blau« an. Schrage lebt in Wien und schreibt seit Jahrzehnten – nach eingenen Angaben – erfolglose Kolumnen, sitzt meist im Kaffeehaus und geht mit seinem Hund spazieren. Er ist passionierter Autofahrer und regelmäßig in Therapie. Leider, so Schrage, bisher ebenso erfolglos. schrage.at FAZIT AUGUST 2021 /// 39


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.