Fazit 167

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Essay von Christopher Drexler

Kultur, Europa und die Steiermark Kultur und Europa. Der gesellschaftspolitische Wert

E

ines der bekanntesten, Jean Monnet – dem Ideengeber für die Montanunion – zugeschriebenen Zitate, lautet: »Wenn ich nochmals mit dem Aufbau Europas beginnen könnte, dann würde ich mit der Kultur beginnen.« Vermutlich hat Monnet diesen Satz wohl nie gesagt, denn einerseits gibt es keine verlässliche Quelle für dieses Zitat, andererseits widerspricht diese Haltung der eigentlichen Grundidee, wie sie Robert Schuman in seiner Europarede am 9. Mai 1950 vorgestellt hat. Er sprach davon, dass Europa nicht mit einem Schlage hergestellt werden könne und nicht durch einfache Zusammenfassung. Es müsse durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen. Europa müsse daher von »unten« wachsen, durch gemeinsame Aktivitäten und ersichtlichen Mehrwert von Kooperation. Wenn dies gelänge, würde das nächste Thema der Zusammenarbeit von selbst kommen und dann das übernächste. Aus diesem Grund war es unerlässlich, sowohl bei der Montanunion als auch bei der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1958 mit der Wirtschaft zu beginnen – nirgends wird der konkrete Mehrwert deutlicher, gerade im Nachkriegseuropa.

Die Kultur ist das zentrale verbindende Element zwischen den Völkern Europas. Christopher Drexler beschreibt in seinem Text den Weg der Steiermark zu einem relevanten Player in der internationalen Kulturarbeit.

Kultur hatte darin zunächst keinen Platz, schlicht, weil es für die Zielrichtung der ersten Jahre der europäischen Integration – einen rasch erkennbaren Mehrwert für die Mitglieder zu schaffen – nicht geeignet war.

Foto: Marija Kanizaj

Heute, fast 70 Jahre nach der Europarede von Schuman ist die EU einerseits das erfolgreichste friedliche Integrationsprojekt der Geschichte; andererseits ist die EU aber auch in einer womöglich existentiellen Krise. Eine der großen Herausforderungen für Gegenwart und Zukunft der EU ist die wachsende Kluft zwischen dem »Projekt EU« und der Bevölkerung. Es gibt eine Integration der Volkswirtschaften, aber keine Integration der Völker. Die EU muss aber eine Union nicht nur der Staaten, sondern auch der Bürgerinnen und Bürger sein, will sie eine Zukunft haben. Ein Gemeinschaftsgefühl braucht jedoch ein gemeinsames Narrativ, ein verbindendes Element nach innen (das in Wahrheit mitunter ein abgrenzendes nach außen ist). Die Union befragt in Eurobarometerumfragen regelmäßig die europäische Bevölkerung; eine der Fragen ist dabei »Was erzeugt am stärksten ein Gefühl der Gemeinschaft unter den Bürgern der EU?«, die häufigste Antwort mit 31 Prozent lautet Kultur, vor Geschichte und Werten. In Österreich wurde Kultur sogar in 34 Prozent als wichtigstes Element für eine Gemeinschaft angesehen. Es ist also die Kultur, die von den Menschen in Europa als zentrales verbindendes Element zwischen den Völkern Europas gesehen wird. Kultur ist daher heute kein europäisches Nebenfach mehr, sondern ein zentraler Schauplatz europäischer Integration. Kultur- und Europaarbeit bewusst zu verbinden bedeutet, die zentrale Rolle der Kultur für Schaffung einer Gemeinschaft in Europa zu erkennen und aktiv zu nutzen. Kultur und Europa. Der Wert der Europäischen Kulturarbeit Die Europäische Union ist bestrebt, das gemeinsame kulturelle Erbe Europas zu bewahren sowie Kunst und Kreativwirtschaft in Europa zu fördern. Spezielle Initiativen wie das »Europäische Jahr des Kulturerbes« sollen diese lebendige und vielfältige Kultur allen zugänglich machen. Viele Bereiche der EU-Politik, beispielsweise Bildung, Forschung, Sozialpolitik, Regionalentwicklung und Außenbeziehungen, haben kulturelle Komponenten. Kulturschaffen und ‑förderung in der interaktiven und globalisierten Welt von heute gehen auch mit Medien und digitalen Technologien Hand in Hand. Die EU fördert die kulturpolitische Zusammenarbeit zwischen den nationalen Regierungen und mit internationalen Organisationen.

Mag. Christopher Drexler, geboren 1971 in Graz, ist seit 2014 als Landesrat Mitglied der Steirischen Landesregierung. Aktuell für die Ressorts Kultur, Europa, Sport und Personal. FAZIT NOVEMBER 2020 /// 39


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