Fazit 165

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Interview

»Aus der Not eine Tugend machen« Interview mit dem Botschafter der Volksrepublik China in Österreich Li Xiaosi Von Peter Sichrovsky

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uf Anfrage um ein Interview mit dem Botschafter der Volksrepublik China in Österreich, S.E. Li Xiaosi, ersuchte die Botschaft, aufgrund der derzeitigen Corona-Situation die Fragen schriftlich vorzulegen, erklärte sich jedoch zu einem persönlichen Gespräch zu einem späteren Zeitpunkt bereit. Hier sind die Antworten der Botschaft, die Anfang Juni schriftlich übermittelt wurden.

Wie beurteilen Sie die jetzige Situation in der VR China bezüglich der Covid-19-Pandemie? Ist die Verbreitung unter Kontrolle oder fürchten die Behörden eine sogenannte zweite Welle? Nach monatelangen Bemühungen hat China die Covid-19-Pandemie jetzt unter Kontrolle gebracht. Der Notstand zur Epidemiebekämpfung ist vorbei. Die Zahl der Neuinfektionen pro Tag liegt seit Ende März auf einem einstelligen Niveau und es gibt zurzeit landesweit weniger als 200 Erkrankte. Wir treiben auf dieser Basis die Wiederaufnahme der Arbeit, der Produktion und des Schulbetriebs geordnet voran und kehren zum normalen Leben allmählich zurück. Zugleich bleiben wir wachsam, achten auf die mögliche zweite Welle und tun unser Bestes, um uns vor importierten Fällen aus dem Ausland und dem Wiederauftreten der Infektion im Inland zu schützen. Wir lesen in Europa immer nur von Wuhan, gibt es regionale Unterschiede, gab es Gebiete, die völlig verschont blieben? In Wuhan wurden die ersten Covid-19-Fälle gemeldet und die Stadt wurde von der Epidemie am härtesten betroffen. Um das Virus einzudämmen, hat die chinesische Regierung das ganze Land mobilisiert und umfangreiche und strenge Präventionsund Kontrollmaßnahmen getroffen. Jetzt gehören fast alle Städte einschließlich Wuhan in der Provinz Hubei zu den Regionen mit geringem Risiko. In anderen Gebieten Chinas sind Covid-19-Fälle nur vereinzelt aufgetreten. Die meisten Provinzen und Städte meldeten in den letzten Tagen gar keine Neu-Infektion. Rückblickend auf den Beginn der Krise: Hätte es andere Maßnahmen gegeben, um eine weltweite Verbreitung zu verhindern? China hat als erstes Land die WHO über das Covid-19-Virus informiert, das bedeutet aber nicht, dass das Virus aus Wuhan stammt. Bei der Ursprungsfrage gibt es in wissenschaftlichen Kreisen noch kein eindeutiges Ergebnis. Der größte Konsens besteht darin, dass das Virus natürlichen Ursprungs ist. Seit dem Ausbruch

16 /// FAZIT AUGUST 2020

der Epidemie hat sich China stets offen, transparent und verantwortungsvoll verhalten und die einheimische Bevölkerung sowie die Weltöffentlichkeit auf dem Laufenden gehalten. Am 27. Dezember 2019 meldete eine Ärztin erstmals Fälle einer bisher unbekannten Lungenkrankheit. Vier Tage später teilte China der WHO den ungeklärten Ausbruch von Lungenentzündungen in Wuhan mit. Seit 3. Januar 2020 unterrichtet China die WHO, andere Länder, sowie Hongkong, Macao und Taiwan ungefragt und zeitnah über die Lage der Epidemie. Am 12. Jänner teilte China die genetischen Daten des neuartigen Coronavirus mit der WHO und veröffentlichte dessen fünf vollständige Gensequenzen in der Datenbank »Global Initiative on Sharing All Influenza Data«. Ab 23. Jänner wurde die Millionenmetropole Wuhan 76 Tage lang abgeriegelt. China hat die Informationen zur Epidemie umgehend mitgeteilt und in kürzester Zeit die strengsten Maßnahmen ergriffen, wodurch für den Rest der Welt mindestens sechs Wochen Zeit zur Vorbereitung gewonnen wurden. Wie beurteilen Sie den Einfluss auf die Wirtschaftsentwicklung in der VR China? Die Epidemie hat der Wirtschaftsentwicklung Chinas und der Welt erheblich zugesetzt. Im ersten Quartal ging das BIP in China gegenüber dem Vorjahr um 6,8 Prozent zurück. Zugleich ist aber zu beachten, dass China als erstes Land aus der Krise herauskam und den Schritt zur Normalisierung der Produktion nahm. Ab Mitte April haben gut 99 Prozent der großen Unternehmen und über 80 Prozent der KMU die Produktion wieder aufgenommen. Die Epidemie hat die Digitalisierung des Konsums und der Industrie angekurbelt. Zusammenfassend bleibt der stabile, auf Dauer gute Entwicklungstrend der chinesischen Wirtschaft unverändert. Wir sind zuversichtlich, einen doppelten Sieg, sowohl bei der Pandemiebekämpfung als auch bei der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Weiterentwicklung, zu erringen und das strategische Ziel des Aufbaus einer Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand bzw. der Armutsüberwindung zu verwirklichen. Hat die Coronakrise die Beziehungen zu Österreich beeinflusst und wenn ja, inwiefern? Die Pandemie übt unvermeidlich große Auswirkungen auf die Zusammenarbeit beim Wirtschafts- und Personalaustausch zwischen China und Österreich aus. Aber die gute Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern machen aus der Not


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