Fazit 161

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Essay von Caspar Einem

Anmerkungen zum Zustand der SPÖ V

or fünfzig Jahren gewann die SPÖ (ausgedrückt in Prozent) das dritte Mal nach 1945 die Nationalratswahl und Bruno Kreisky konnte erstmals die Regierung bilden. Bei den folgenden Nationalratswahlen bauten Kreisky und die SPÖ diese Mehrheit noch dreimal weiter aus. Auch danach erreichte die SPÖ noch neun Mal – unterbrochen bloß durch den Wahlsieg von Wolfgang Schüssels ÖVP 2002 – die jeweilige relative Mehrheit. 2017 erreichte dann Sebastian Kurz mit seiner türkisen Wahlbewegung, der alten ÖVP in neuem Gewand, die relative Mehrheit und konnte diesen Erfolg 2019 noch deutlich ausbauen. Ab 1990 nahm die FPÖ unter Jörg Haider den beiden zuvor unangefochtenen Platzhirschen bei den Nationalratswahlen spürbar Stimmen ab und schaffte den 1999 prozentuellen Gleichstand mit der ÖVP (je 26,9%). Seither setzt sich der Nationalrat im Grunde aus drei gleich starken Mittelparteien und ein bzw. zwei oder drei kleineren Parteien zusammen (Grüne; Liberales Forum; BZÖ; Liste Frank Stronach; NEOS; Liste Pilz). Die SPÖ verlor auf Bundesebene ab 1983 kontinuierlich – mit Ausnahme der Jahre 1995, 2002 und 2017 – Stimmen und erreichte 2019 nur noch 21,18%. Stark ist die SPÖ nur in den Bundesländern Burgenland (49,9% 2020), Kärnten (47,9% 2018) und in Wien (39,6% 2015). Alle drei gelten als rote Bundesländer – Kärnten bloß mit der Unterbrechung durch Haider mit der FPÖ und später mit dem BZÖ. Die übrigen Bundesländer galten und gelten als schwarz. Dennoch konnte die SPÖ noch in zwei weiteren Bundesländern in den letzten Jahren ebenfalls die Mehrheit erringen (Salzburg 2004 und 2009 und Steiermark 2005, 2010 und 2015), fiel aber in der Folge teilweise auf weniger als die Hälfte der Stimmen zurück (Salzburg auf 20,0%; Steiermark auf 23,0%). Heute zeigen Umfragen zur Attraktivität der SPÖ auf Bundesebene nur noch 16–21% und Wien steht vor der Landtagswahl im Herbst. An Herausforderungen mangelt es nicht: ÖVP und GRÜNE könnten vom Rückenwind auf Bundesebene profitieren, die FPÖ kommt doppelt unter Druck, wird auch kumulativ mit der Liste Strache wohl ihren Stimmanteil von zuletzt 30,8% nicht halten können. Die NEOS legen höchstens geringfügig zu. Falls die türkise ÖVP von zuletzt 9% auf prognostizierte 18 bis 20% zulegen sollte und die GRÜNEN von ihren 11,8% auf etwa 13 bis 14%, dann ist der Bürgermeister der SPÖ gefährdet. Fällt aber das »Rote Wien«, dann fehlt der SPÖ auf Bundesebene das Rückgrat.

Das besondere Verhältnis zwischen SPÖ und FPÖ Ab etwa 1990 war auffällig, dass die Erfolge der FPÖ in den folgenden drei Nationalratswahlen vor allem in Wahlkreisen – bzw. in Wien in Bezirken – möglich waren, in denen zuvor die SPÖ bei weitem stärkste Partei war – also in den sogenannten Arbeiterbezirken [1] . In Wahlkreisen bzw. Bezirken mit vergleichbaren Ergebnissen von SPÖ und ÖVP – den sogenannten bürgerlichen Bezirken – konnte die FPÖ nicht in gleichem Maße reüssieren. Erstaunlich übrigens, dass die Grünen in Wien nie über 14,6% hinaus gekommen sind, obwohl das eine echte Stadtpartei ist. Was war es, dass die FPÖ in die Lage versetzt hat plötzlich nicht mehr nur die zuvor üblichen einstelligen Ergebnisse zu erzielen, sondern auf 22,5% /1991), ja bis 30,8% (2015) zu springen – einzige Ausnahme 2005, als die Spaltung in FPÖ und BZÖ zu 14,8% führte? Meine Hypothesen sind folgende: Durch den Aufstieg weiter Gruppen von ursprünglichen SPÖ-Wählern aus der Arbeiterschaft in die untere Mittelschicht ging auch ein Teil der Identifikation mit der SPÖ verloren. Die Aufsteiger versuchten, sich neu zu orientieren, sich in der neuen sozialen Umgebung zurechtzufinden. Das ging besonders in diesen Milieus mit einiger Verunsicherung einher. Darüber hinaus wurde diese Verunsicherung aber auch noch durch den Umstand verschärft, dass mit dem Ende des Kommunismus in Österreichs östlichen Nachbarstaaten die Grenzen aufgingen und einerseits nicht unbedeutende Migration begann, die einerseits Ängste vor steigender Kriminalität aufkommen ließ und die die Bedingungen am Arbeitsmarkt besonders für die gering Qualifi-

Der ehemalige Minister Caspar Einem mit einer Analyse zum Zustand der SPÖ. Und einigen Perspektiven für seine Partei.

Foto: Michael Thurm

I. Zum Zustand der SPÖ

Dr. Caspar Einem war von 1995–2000 Innen-, Wissenschafts- und Verkehrsminister für die SPÖ. Er ist Vizepräsident des Europäischen Forums Alpbach und des Kuratoriums des Instituts für Höhere Studien (IHS) sowie Präsident des Österreichischen Instituts für Internationale Politik (OIIP). FAZIT APRIL 2020 /// 39


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