Fazit 159

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Essay von Peter Sichrovsky

Die Diktatur des Mittelmaßes Über Macht und Verhinderung er Maler Neo Rauch, dessen Werke am internationalen Kunstmarkt Preise von mehreren Millionen Euro erreichen und von dem selbst Brat Pitt ein Bild gekauft hatte, reagierte auf die wiederholten Versuche, ihn als »Rechten Maler« zu denunzieren, und damit auf dem Kunstmarkt einen Boykott seiner Ausstellungen zu erreichen, mit seiner ganz persönlichen Ausdrucksweise und schickte der Wochenzeitung »Die Zeit« ein selbst gemaltes Bild. Darauf ist ein Mann erkennbar mit reduziertem Backenbart, rasierter Oberlippe, Hemd und ärmelloser Weste, der mit nacktem Hintern auf einem Nachttopf sitzt und mit der Bräune seines Stuhlgangs einzelne, nicht leicht erkennbare Figuren malt, außer einer einzigen, die offensichtlich den Arm zum »Heil Hitler Gruß« hebt. Der mit eher plakativen, manchmal an den sozialistischen Realismus erinnernden Bildern, die man in allen namhaften Museen der Welt findet, bekannt gewordene Maler ergriff das Mittel der Karikatur, um sich gegen diese Vorwürfe zu wehren – und es gelang ihm besser und überzeugender als alle bisherigen Verteidigungsreden. Der Maler wehrte sich mit einem Bild – das er »Die Anbräuner« nannte – mit seinen eigenen Mitteln der Kommunikation und blamierte und verhöhnte seine Gegner. Sein Talent bot ihm die Möglichkeit, auf die absurden Angriffe entsprechend zu reagieren. Die meisten haben allerdings weder das Talent, noch die Öffentlichkeit eines Neo Rauch, um sich zu wehren. Die Debatte, wer »rechts« sei, dominiert mehr und mehr den intellektuellen Diskurs. Dabei geht es nicht mehr nur um politische Ansichten. In der Kunst- und Literaturkritik hat die stilistische Bewertung und nicht nur der Inhalt eines Bildes, einer Statue oder eines literarischen Werkes das Niveau einer politischen Platzierung erreicht. In der Malerei zum Beispiel geht es auch um bestimmte Maltechniken, um die Darstellung von Männern, sogar Gesichtsfarben und Größe der Nasen, in der Kritiker ein verdächtiges »Rechtsdenken« entdecken.

Vertreibung aus dem Kulturbetrieb Die Abschiebung der Künstler, Intellektuellen, Schriftsteller, Wissenschaftler und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in den Graubereich der Rechten bedeutet sofortige Isolierung im Kunst- und Kulturbetrieb und auf den akademischen Bühnen. Künstler, Wissenschaftler und Vortragende werden von Ausstellungen und Veranstaltungen ausgeladen, Bücher von verdächtigen Autoren in Buchhandlungen aus dem Sortiment entfernt, und als Preisträger der oft lukrativen Kulturpreise kommen sie überhaupt nicht in Frage. Eine selbsternannte Moralpolizei, die weit in den Alltag der gesellschaftlichen Prozesse eingreift, wie auch in die Programmgestaltung der Museen und Theater, Universitäten und privaten Organisationen bestimmt mehr und mehr die Enge oder Weite der Akzeptanz, die Kriterien sind fließend und können praktisch täglich neu definiert werden. Vor ein paar Monaten wurde ein Künstler von der »Leipziger Jahresausstellung« ausgeladen, weil er gewisse Sympathien für die AfD äußerte. Es kann das Gesamtwerk sein, aber auch nur Inhalt, Stil und Technik eines einzelnen Werkes, und es kann eine politische Positionierung des Werk-Schaffenden sein; als ob sein ganzes Leben genauestens untersucht werde, ob sich nicht irgendwo versteckt »rechte Reste« entdecken lassen, um ihn auszugrenzen. Was ursprünglich als Debatte zwischen linkem und konservativem Kunstverständnis begann, der akademischen Diskussion über wissenschaftliche Interpretationen und Theorien und sicherlich eine gewisse Berechtigung hatte, um Sexismus, Rassismus, Diskriminierung und Antisemitismus in Kunst und Wissenschaft zu entdecken und zur Diskussion zu stellen, veränderte sich nicht von der konservativen in eine moderne Interpretation, sondern scheint in einer kleinbürgerlichen Spießigkeit zu ersticken. Wenn Linke heute aufmarschieren und versuchen, »rechtes Gedankengut« aus Universitäten und dem Kulturbetrieben zu entfernen, agieren sie wie eine Direktorin eines Mädcheninternats, die am Eingang steht und die Länge der Röcke der Mädchen kontrolliert. Es gibt diese neu entdecke Anständigkeit, die situationsbezogen jedes Mal neu definiert

Peter Sichrovsky über den immer öfter unter linkem Diktat stehenden Diskurs im Kunst- und Kulturbetrieb und an den Universitäten.

Foto: Keith Claunch

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Mag. Peter Sichrovsky, geboren 1947 in Wien, ist Journalist, Schriftsteller, Manager und ehemaliger Politiker. Er hat Pharmazie und Chemie an der Universität Wien studiert und arbeitete in der Pharmaindustrie. Danach war er als Journalist für Profil, Spiegel und die Süddeutsche Zeitung tätig. 1988 gehörte er zum Gründungsteam des Standard. 1996 bis 2004 war er Mitglied des Europäischen Parlaments. 2006 bis 2016 war er im internationalen Management als CEO eines Energiekonzerns in Singapur und Manila tätig. FAZIT JÄNNER 2020 /// 39


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