Fazit 149

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Religion ist die Hoffnung, daß der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik nicht das letzte Wort über die Wirklichkeit ist. Robert Spaemann, deutscher Philosoph, 1927–2018

Und wieder mal Tirana … des Kulturaustausches wegen

Wer dieser Tage mit dem Flughafenbus nach Tirana hineinfährt, wird von plappernden Studentenstimmen begleitet. Albaniens Hauptstadt rangiert mittlerweile ganz oben auf der To-do-Liste weltgewandter junger Globetrotter aus aller Herren Länder.

Von Michael Petrowitsch

Fotos: Klett-Cotta, Robert Pichler (3)

D

as von Wien ausgerufene österreichisch-albanische Kulturjahr 2018 tat sein Übriges und so gaben sich Kulturschaffende beider Herren Länder über das ganze Jahr verteilt die Hoteltürklinken in die Hand. Im Sinne des Mottos »Gemeinsames Neuentdecken« lag der Fokus nicht nur auf den historischen Verbindungspunkten zwischen Österreich und Albanien, sondern versuchte man auch die »gegenwärtige starke Freundschaft« der beiden Länder zu forcieren, wie es von offizieller Seite hieß. Jedenfalls: Etwa die Fotoausstellung »Flashback. Albania in the 90s« des Grazers Robert Pichler ist nur ein Highlight unter 100 Veranstaltungen. Der gelernte Historiker Pichler thematisiert in seinen Arbeiten aus den 1990er Jahren die turbulente Übergangsphase vom Kommunismus zur Demokratie in Albanien. Eine Neuadaption wird im Jänner 2019 im Nationalmuseum in Tirana eröffnet. Frappierend wohl ist der starke Wandel eines europäischen Landstriches in den letzten zwei Jahrzehnten. Unbedarft und staunend fuhr man einst mit dem VW-Bus über holprige Straßen nach Gijrokaster, Berat und Tirana um a) die Schönheit der Architektur, b) die Freundlichkeit der Menschen und c) so etwas wie Authentizität (oder was man dafür hielt) zu genie80 /// FAZIT JÄNNER 2019

ßen. Es war ein wohltuendes Eintauchen in eine Welt, die einige Autostunden von Österreich entfernt einen anderen Planeten vorführte, während etwas nördlicher die Jugoslawienkriege tobten. Nach der intensiven Demokratiebewegung in den 90er Jahren startete in den beginnenden 2000er-Jahren vor allem unter der Federführung von Edi Rama, damals Bürgermeister, heute Ministerpräsident, eine starke Internationalisierung. Rama selbst hatte als Künstler in Paris gelebt und verband bzw. verbindet seine künstlerische Karriere geschickt mit der politischen. Bunte Hauswände Nachdem er das Amt des Bürgermeisters übernommen hatte, ließ er zur Verschönerung des Stadtbildes den Müll aus den Straßen wegschaffen und graue Hauswände bunt streichen. Ob es nun kunsthistorisch maßgeblich und relevant ist, sei dahingestellt. Er machte jedenfalls Schlagzeilen für ein offenes Albanien und wurde für sein Projekt von der UNO ausgezeichnet. Natürlich sprachen die Kritiker von einer rein äußerlichen Behübschung, mit der die vielen Probleme des Landes nicht gelöst worden seien und bis heute nicht sind. Bei einem Durchschnittsgehalt von 400 Euro lässt auch der Taxifahrer kein gutes Haar an der Politik und träumt das Leben seiner Verwandtschaft, die rund um die Welt verteilt ist. Kritische Stimmen

werden auch lauter, wenn man mit Künstlern der jüngeren Generation spricht. Ein permanenter Aufreger in der Stadt ist der mehrmalige Umbau des Skanderbegplatzes, dem imposanten Zentrum. Und Aufreger sind zudem auch die Subventionen in Millionenhöhe etwa aus Kuweit oder der Türkei für einen Moscheenbau direkt im Zentrum. Dies in einem Land, in dem die Ausübung von Religion wenig ausgeprägt ist, da die »Partei der Arbeit« Albanien einst zum atheistischen Staat erklärt hatte. Nach wie vor hat die Mehrheit kein


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