Fazit 147

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Essay von Peter Sichrovsky

Meine Jahre mit Jörg Haider ährend irgendeiner Redaktionskonferenz der neu gegründeten österreichischen Tageszeitung »Der Standard« kam es zu einer Auseinandersetzung über den Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider. Der damals verantwortliche Chefredakteur forderte ein Interviewverbot in – wie er es nannte – »seiner Zeitung« auf der Grundlage der Aussagen von Jörg Haider und meinte, für Menschen mit solchen Überzeugungen sei in dieser Zeitung kein Platz. Ich weiß nicht mehr, welche seiner Aussagen damals gemeint war, vielleicht war es die »ordentliche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich« oder seine Begrüßung von ehemaligen SS-Männern, auf jeden Fall sollten wir Journalisten nur das Notwendigste über ihn berichten und nicht mit ihm sprechen. Aus New York kommend, mit wenig Erfahrung mit heimatlichem Journalismus, versuchte ich einzuwenden, dass es ja in der Zeitung nicht um unsere Sympathie ginge, sondern um Information für unsere Leser, und Haider ein Thema in Österreich sei, das man nicht einfach ignorieren könne, wurde jedoch als alpenländischer Anfänger belehrt, das sei eben hier anders, hier würde man noch Stellung beziehen mit der Auswahl von Interviews, und ich würde hier nicht bei der New York Times arbeiten – bei der ich übrigens nie gearbeitet hatte. Nun mag es vielleicht Grundlage meiner gestörten Persönlichkeit sein, dass alles, was von Autoritäten als »nicht-kosher« erklärt wird, meine besondere Aufmerksamkeit erregt – wie die Bemerkung unseres Deutschlehrers, er würde Franz Kafka einfach nicht verstehen, was für uns Zwölfjährige bedeutete, der Schriftsteller sei eben nichts wert, allerdings zur Folge hatte, dass ich die nächsten Jahre nichts anders las als Kafka. Mit Zustimmung des Herausgebers machte ich mich deshalb auf den Weg nach Kärnten, um über diesen »boykottierten« Politiker eine Reportage zu schreiben. Ich buchte einen Flug nach Klagenfurt, fuhr zum Flughafen und stellte mich beim Einchecken an, als mir eine Gruppe Männer auffiel, die laut lachend vor mir in der Reihe stand. Mitten unter ihnen Jörg Haider. Sie scherzten mit anderen Passagieren, und einige gingen auf Haider zu und wollten mit ihm persönlich sprechen. Er schüttelte ihnen die Hand, schlug manchen auf die Schulter, als würde er sie seit Jahren kennen, und als er einer Frau sagte, er könne sich an sie erinnern, als sie ihn am letzten Parteitag angesprochen hatte, war diese außer sich vor Begeisterung und umarmte ihn. Das soll der »Teufel« der österreichischen Innenpolitik sein, dachte ich mir. Ich stand in der Reihe der Wartenden und beobachtete das heitere Treiben ohne mich einzumischen oder etwas zu sagen, als Haider auf mich zukam und mich fragte: »Und sie, wohin sind sie unterwegs?« »Zu Ihnen« antwortete ich. Er lachte. Ich erklärte ihm, dass ich von der Zeitung Der Standard käme, mit dem Auftrag einer Reportage über Kärnten nach Klagenfurt unterwegs sei und natürlich gerne ein Interview mit ihm machen würde. Er ging nicht weiter darauf ein, weil die Flugbegleiterin die Wartenden aufforderte, den Bus zu besteigen, der uns zum Flugzeug brachte. Mein Platz war weit hinten, er saß mit seiner Gruppe in den vorderen Reihen des Flugzeugs, das eigentlich viel zu groß für den Flug nach Klagenfurt und nur wenig besetzt war. Kurz nach dem Start stand er auf, kam zu den rückwärtigen Reihen und setzte sich neben mich. »Ich kenne die meisten Journalisten, aber Sie habe ich noch nie gesehen«, sagte er, und ich erzählte ihm, wo ich die letzten Jahre verbracht hätte und wie ich zum Standard kam. Beschrieb ihm kurz die Jahre in New York von 1984 bis 1986, wo ich als freier Schriftsteller gelebt und an »Schuldig geboren« gearbeitet hatte, meine Zeit als Chefredakteur der »Männer Vogue« in München, und dass ich 1988 nach Wien zur Gründung des Standards gekommen wäre. Ich erwähnte mit keinem Wort meine familiäre Situation oder meine Religion. Dochte er ahnte sehr bald, dass ich nicht der übliche Reporter des innenpolitischen Ressorts einer österreichischen Tageszeitung sei. Er begann, mir konkrete Fragen zu stellen, alle ganz zufällig und scheinbar unbeabsichtigt. Mir gefiel es, wie er versuchte, mehr Informationen über mich heraus zu bekommen, und spielte mit bei dem

Journalist und Schriftsteller Peter Sichrovsky erinnert sich an seine Jahre in der Politik. Und liefert damit ein interessantes Stück Zeitgeschichte aus der Sicht eines jedenfalls ungewöhnlichen ehemaligen FPÖ-Mandatars.

Foto: Keith Claunch

W

Mag. Peter Sichrovsky, geboren 1947 in Wien, ist Journalist, Schriftsteller und ehemaliger Politiker. Er hat Pharmazie und Chemie an der Universität Wien studiert und arbeitete in der Pharmaindustrie. Danach war er als Journalist für Profil, Spiegel und die Süddeutsche Zeitung tätig. Von 1988 bis 1991 gehörte er zum Gründungsteam des Standard. Politisch war er von 1996 bis 2004 für die FPÖ Mitglied des Europäischen Parlaments. FAZIT NOVEMBER 2018 /// 39


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