Essay von Rainer Zitelmann
Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung nter dem Eindruck des Zusammenbruchs der sozialistischen Systeme Ende der 80er-Jahre war für viele Menschen weltweit die Überlegenheit der Marktwirtschaft offensichtlich. Dennoch haben sich latent oder offen antikapitalistische Ressentiments gehalten, die seit der Finanzkrise 2008 wieder erheblich an Zustimmung gewonnen haben. Politik, Medien und Intellektuelle sind sich in der Deutung dieser Krise weitgehend einig: Der Markt oder der Kapitalismus habe versagt, wir bräuchten deshalb mehr Staat. Dieses Buch entstand aus Sorge darüber, dass wir vergessen, was die Basis unseres wirtschaftlichen Wohlstandes ist. Das Wort »Kapitalismus« weckt bei den meisten Menschen negative Assoziationen. Dies war auch schon vor der Finanzkrise so, aber inzwischen sind Verfechter einer konsequent marktwirtschaftlichen Orientierung immer mehr in die Defensive geraten und werden als »Marktradikale« denunziert. Es gibt in der modernen Zeit grundsätzlich zwei Möglichkeiten, eine Wirtschaft zu organisieren: Im ersten Fall gibt es kein Privateigentum an Produktionsmitteln sowie Grund und Boden, sondern nur Staatseigentum. In Planungsbehörden wird festgelegt, was in welcher Menge produziert wird. Im zweiten Fall ist das Privateigentum garantiert und die Unternehmer produzieren im Rahmen einer rechtlichen Ordnung jene Güter, von denen sie glauben, dass die Konsumenten sie brauchen. Preise geben ihnen die Informationen darüber, ob sie mit ihrer Annahme richtiglagen, also ob sie das Richtige in der richtigen Menge produziert haben.
Das erste System nennt man Sozialismus, das zweite Marktwirtschaft oder Kapitalismus. Ich verwende beide Begriffe synonym, spreche aber vom »Kapitalismus«, weil sich heute auch Gegner der Marktwirtschaft verbal zu ihr bekennen, in Wahrheit aber Mischsysteme meinen, die sie als »soziale« oder »ökologische« Marktwirtschaft bezeichnen. Tatsächlich existiert in der Realität keines dieser Systeme – Kapitalismus oder Sozialismus – in Reinkultur. Selbst in sozialistischen Staaten wie der DDR oder sogar in Nordkorea gab oder gibt es neben dem Staats- auch Privateigentum und neben dem alles dominierenden Plan Elemente von Marktwirtschaft, legal oder illegal. Ohne diese Marktelemente hätte die Wirtschaft in diesen Ländern noch schlechter oder gar nicht mehr funktioniert. Zwar gibt es in sozialistischen Staaten dem Namen nach auch »Preise«, doch diese haben eine ganz andere Funktion als in einer Marktwirtschaft. Letztlich haben diese Pseudopreise mehr Ähnlichkeit mit Steuern, wie der Ökonom Zhang Weiying bemerkt. In den kapitalistischen Ländern existiert neben dem Privat- auch Staatseigentum und der Staat greift regulierend in die Wirtschaft ein oder verteilt durch Steuern die erzielten Erträge um, indem er den Reichen Geld wegnimmt und dies an die Mittelschicht oder die Ärmeren verteilt. Das kann extreme Ausmaße annehmen, wie etwa in den 70er- und 80er-Jahren in Schweden. Am Beispiel von Großbritannien werden wir sehen, wie schlecht eine Wirtschaft funktioniert, wenn der staatliche Anteil zu groß wird, und dass eine Voraussetzung für mehr Wohlstand ist, den Staat wieder in seine Schranken zu verweisen.
Der »reine Kapitalismus« existiert in keinem der Länder, die in diesem Buch dargestellt werden. Entscheidend ist, wie stark die Rolle des Staates ist und wie viel Freiheit dem Unternehmer eingeräumt wird. Die These des Buches: Wird der Kapitalismusanteil in einer Wirtschaft erhöht, so wie das etwa in den letzten Jahrzehnten in China geschah, dann führt das in der Regel zu mehr Wachstum und der Mehrheit der Menschen geht es damit besser. Der Kapitalismus ist, anders als der Sozialismus, kein von Intellektuellen erdachtes System, sondern eine Wirtschaftsordnung, die sich evolutionär entwickelt hat, ohne dass es dafür eines zentralen, lenkenden Planes oder einer Theorie bedurfte. Eines der wichtigsten Erkenntnisse, die Friedrich August von Hayek hervorgehoben hat, lautet, der Ursprung von funktionierenden Institutionen liege »nicht in Erfindung oder Planung, sondern im Überleben der Erfolgreichen«, wobei »die Auswahl durch Nachahmung der erfolgreichen Institutionen und Bräuche« erfolge.
»Der Markt hat versagt, wir brauchen mehr Staat!« Das behaupten seit dem Ausbruch der Finanzkrise vor zehn Jahren Politik, Medien und Intellektuelle. Rainer Zitelmann vertritt die Gegenthese: Mehr Kapitalismus tut den Menschen gut.
Foto: Archiv
U
DDr. Rainer Zitelmann, geboren 1957 in Frankfurt am Main, ist Historiker, Autor und Unternehmer. Nach seiner Tätigkeit an der Freien Universität Berlin war er u.a. Ressortleiter bei der Tageszeitung »Die Welt«. Er hat zahlreiche Bücher geschrieben und herausgegeben, die internationale Beachtung fanden. rainer-zitelmann.de FAZIT APRIL 2018 /// 39