Alles Kultur »freie Gleiche« sein können. Das Leben ist komplizierter. (Das Abenteuer »absoluter Freiheit« – die freilich auch niemals wirklich »absolut« ist – kann wohl von einzelnen Menschen gewagt werden, als Modell für alle Menschen ist es aber untauglich.) 7. Menschen haben nie aufgehört, auch im Rahmen von Mythen ihr Leben zu organisieren. Aller Wert ist in gewisser Hinsicht »mythisch«. (Nicht die Vernunft selbst, der Logos, soll »mythisch« genannt werden, sehr wohl aber der – absolute oder relative – Wert, den wir einer bestimmten Konzeption von Vernunft – und Selbst – zuschreiben.) 8. Ohne partikulare Kollektividentitäten (das sind Kollektividentitäten unterhalb der Ebene der »Menschheit«) existiert kein Mensch. Noch derjenige der sich »nur als Individuum« und »nur als Mensch« definiert, fühlt sich denjenigen zugehörig, die sich auch nur so definieren – in Abgrenzung zu jenen anderen, die sich nicht nur so definieren. Noch das isolierteste Individuum bestimmt sich durch Allgemeinbegriffe, die es ja nicht selbst erschaffen hat, sondern die als Produkt der Geschichte der Menschheit oder eines Teils der Menschheit entstanden, man könnte auch sagen: gewachsen sind. 9. Es gibt ein Balanceproblem von Rationalität und Gefühl. (Vielleicht ist der Mensch überhaupt ein Balanceproblem.) In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach dem angemessenen Zorn, nach Thymos und Wut. Dass es gefährlich ist, die Massen oder »das Volk« zu mobilisieren, steht außer Frage. Doch wie will gewinnen, wer nichts wagt ...? Auch die Männlichkeit des Mannes präsentiert sich uns heute als ein Problem – so wie sämtliche »Herrentugenden«, die um Stolz und Großartigkeit kreisen. Ohne eine nicht-egalitaristische Tugendethik ist das Problem des Ethischen nicht erschöpfend behandelt. 10. Die Bewegung der »Neuen Rechten«, die sich negativ und positiv auf das Ereignis 68 bezieht, ja sich negativ und positiv darauf beziehen muss, wird keine »Revolution« herbeiführen, sie wird aber auch nicht folgenlos bleiben. Sie ist zu einem
großen Teil eine Reaktion auf linksliberale Exzesse. Rechts und links sind nur in Relation zueinander zu verstehen. Es wäre ein Wunder, gäbe es keine rechte Reaktion auf das endlose linke Fortschreiten ... Der Mainstream wird weiterfließen, aber ihm wird sicherlich von rechts in Zukunft mehr Wasser zugeführt werden. Diesbezüglich zitiert Thomas Wagner sehr passend Götz Kubitschek, der sagt: Die Elite wird ergänzt werden. 11. Die Identitätsfrage (Wer bin ich? Nicht zu denken ohne: Wer sind wir? Siehe oben.) stellt sich uns Europäern heute – nicht nur, aber auch aufgrund der islamischen Masseneinwanderung, verstärkt seit 2015 – in besonderer Schärfe. n
Evamaria Salcher fesselt das Publikum als ehemalige F-16-Pilotin, die von der US Air Force nach einer ungewollten Schwangerschaft dazu gezwungen wird, Terroristen zu bekämpfen.
Am Boden
In den Krieg fahren wie in den Schichtbetrieb. Georg Brant am Grazer Schauspielhaus
Von Andreas Pankarter
M
it »Am Boden« von George Brant zeigt das Grazer Schauspielhaus die Geschichte einer ehemaligen F-16-Kampfpilotin, die nahe Las Vegas, von einem klimatisierten Anhänger aus, eine tödliche Kampfdrohne steuert, mit der sie in Afghanistan Terroristen zur Strecke bringt. Eine ungewollte Schwangerschaft hatte ihre Pilotenkarriere beendet. Das Stück zeigt die Auswirkungen des klinisch sauberen – Tausende Kilometer weit entfernten stattfindenden – Tötens mittels Joystick und Monitor auf die Psyche der einst stolzen Militärfliegerin. Je tiefer die Hemmschwelle sinkt, die der Beruf erfordert, desto belastender wird die familiäre Alltagsroutine der jungen Mutter. Anfangs ist sie mit sich und ihrer Tätigkeit noch vollkommen im Reinen, doch die Belastungen nehmen so lange zu, bis sie scheitert. Im Monolog von George Brant zeigt Evamaria Salcher unglaublich fesselnd, wie der Beruf des Soldaten mit der Mutterrol-
le in Konflikt gerät. Während »Am Boden« von anderen Häusern mit aufwendigen Videoinstallationen inszeniert wurde, begeistert Regisseur Franz-Xaver Mayr im kleinen Haus Drei des Grazer Schauspielhauses mit wenigen Licht-, Musik- und Toneffekten und einer minimalen Bühne aus vier Quadratmetern weißem Boden und einer weißen Rückwand. Obwohl sich die Protagonistin in den gut 70 Minuten kaum bewegt, überzeugt die Inszenierung der österreichischen Erstaufführung in allen Belangen. Ein spannender Monolog über die inneren Widersprüche einer patriotisch indoktrinierten Frau, zwischen beruflichem Ehrgeiz und familiärer Fürsorge. n »Am Boden«
Von George Brant. Deutsch von Henning Bochert. Regie von Franz-Xaver Mayr. Weitere Vorstellungen am 28. 11., am 1./15./21. 12. und am 19./23./31. 1, jeweils um 20.30 Uhr im Grazer Schauspielhaus, Haus Drei schauspielhaus-graz.com
FAZIT DEZEMBER 2017 /// 81