Fazit 132

Page 81

Alles Kultur Rezension

Ein wenig anders Von Peter K. Wagner

E

s mag wenig kreativ sein, Texte mit Zitaten berühmter Persönlichkeiten zu beginnen, aber immerhin steht hier eine Ein wenig Leben von Hanya Yanagihara, Warnung. Also Augen auf und durch: »Die Hanser Berlin, 960 Seiten, ca. 28 Euro Freundschaft ist viel tragischer als die Liebe – sie dauert länger.« So in etwa, entsprungen einer freien Übersetzung ohne genauder auch Isaac und Amirs Kollegin Jory eres Studium eines Oxfordschen Wörterteilnehmen, stellt sich schon bald die buchs, lautet ein Satz, der von Oscar Wilde Frage: Wie hältst du’s mit der Religion? überliefert ist. Ursprung der Eskalation bilden die IslaAußerdem wird es jetzt auch noch automophobie, aber auch die Naivität, mit der biographisch. Denn ich weiß es, als wäre westliche Intellektuelle den Gefahren des es gestern gewesen, was passierte, als ich Islam begegnen. Das Stück bedient also dem Zitat auf einer Sprachreise in Irland die Vorurteile beider Seiten – die der Islaerstmals begegnete. Ich hatte es als mein mophoben und die der Fans der WillkomLieblingszitat aus einer Vielzahl von mehr menskultur. oder weniger nachvollziehbaren LebensAls Amir von Isaac als ein sich selbst weisheiten als Favoriten auserkoren und hassender Karrierist, der seine Wurzeln in einer offenen Diskussionsrunde beverleugnet, in die Enge getrieben wird, gründen müssen, warum es mir gefällt. reagiert er verhängnisvoll. Der Moslem, »Ich glaube, es stimmt«, hatte ich gesagt. der immer noch in seinen Knochen steckt, Eine meiner Schulkolleginnen kicherte, habe einen Hauch von Stolz verspürt, als als sie mich die schmale Argumentation die Zwillingstürme einstürzten. Das sei aufsagen hörte. Gar nicht aus böser Abein Gefühl, vor dem es ihn zwar ekle, das sicht, es war wohl vielmehr ehrliche Skeper aber nicht unter Kontrolle habe. sis. Sie wollte wahrscheinlich sagen: »Was Fabian Krüger schaffte es, als Amir voll zu wissen wir, mit unseren gerade einmal überzeugen. Er brilliert mit der Darstel17 Jahren, denn schon über Freundschaft lung der Vielschichtigkeit dieses Charakund Liebe?« Ich halte das im Nachhinein ters. Nicholas Ofczarek gibt den weltoffebetrachtet für einen der intellektuellsten nen, jüdischen Museumskurator Isaac, der Momente meiner Schulzeit, weil ich jetzt, Emily groß herausbringen will. Ofczarek da ich fast doppelt so alt bin, glaube, ein spielt den Isaac ziemlich extrovertiert. Die bisschen mehr darüber zu wissen, was herablassende Arroganz, die er dem Chadiese beiden großen Worte bedeuten. rakter verleiht, macht ihn glaubwürdig. Oje, jetzt wurde es auch noch sentimental. Katharina Lorenz gibt Amirs Ehefrau, die Ganz ohne Warnung. Aber gut, hier wird Künstlerin Emily. Sie bedient dabei ebenso eben über das Leben sinniert. Über »Ein die gängigen Klischees wie auch Isabelle wenig Leben«, um genau zu sein. Das ist Redfern, die als karrieregeile Anwaltskolder Titel des Werkes von Hanya Yanagihlegin von Amir genau das darstellt, was ara; geborene Hawaiianerin und Redaksich der Zuseher unter einer New Yorker teurin beim Stilmagazin »T« der »New Junganwältin vorstellt. n

York Times«. Nun sei noch erwähnt, dass der Urheber dieser Zeilen üblicherweise keine Romane kauft, in Vorbereitung auf einen Urlaub aber über ebendieses Buch stolperte und ihn gerade die erschlagende Aussicht von 960 Seiten Fiktion einen Kauf tätigen ließ. Eine Abneigung Romanen gegenüber hegt genannter Urheber übrigens deshalb, weil gemeine Teilzeitgeschichtenerzähler für Arme, also Redakteure zum Beispiel, Romane, obendrein übersetzte, nur schwer verdauen können, weil sie eine Mischung aus Neid und Wut aufsteigen lassen. Neid, weil Teilzeitengeschichtenerzähler für Arme gerne auch so gute, erfundene Geschichten erzählen würden. Und Wut, weil Teilzeitengeschichtenerzähler für Arme sich insgeheim eigentlich vielmehr als unentdeckte Romanpoeten wahrnehmen und sich sicher sind, mindestens ebenso stumpfsinnige Belanglosigkeiten erdenken zu können. Aber, nun ja, hier verhält sich alles ein wenig anders. »Ein wenig Leben« ist voller Klugheiten und führt abwechselnd zu Lebensfreude und Lebensmüdigkeit. Und das, obwohl eigentlich nur die Geschichte von vier Freunden erzählt wird, die sich von Jugendtagen an bis ins Erwachsenwerden hinein – und vielleicht sogar darüber hinaus – begleiten. Vielleicht tun sie das. Wir besprechen hier immerhin gerade ein 960 Seiten starkes Opus magnum. Und der Wortakrobat an der Tastatur ist nur ein potentieller Romanverweigerer ante diem, dem noch ein paar Hundert Seiten fehlen. So viel steht für ihn fest: Er mag mittlerweile mehr über Freundschaft und Liebe wissen, aber selbst die weiseste ehemalige Schulkollegin wird dieser Tage noch nicht mit Hanya Yanagihara mithalten können. n FAZIT MAI 2017 /// 81

Fotos: Neue Pinakothek München, Georg Soulek/Burgtheater, Hanser-Verlag

Unser Redakteur hat ausnahmsweise einen Bestsellerroman gelesen. Eine persönliche Rezension mit allerhand Warnungen.


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.