Fazit 132

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Essay von Marco Gallina

Patriotismus und Katholizismus: Unvereinbar geeint? D

er Diskurs in Deutschland und Europa reicht heutzutage ins Absurde. Das beginnt mit der Liebe für Terroristen und Gruppierungen, die sich die Aufgabe machen, für einen besonders zu beten; und es reicht bis tief hinein in gewisse Kreise, die jede Gewaltanwendung als unchristlich empfinden. Ich halte solche Urteile immer für anmaßend; denn das bedeutet, dass die Malteser, welche die gesamte Frühe Neuzeit hindurch die Korsaren im Mittelmeer bekämpften und deren christliche Galeerensklaven befreiten, schlechtere Christen gewesen sein müssen als eben unsere feinen Gut-Christen, die eben nur, weil es solche Männer mal gab, heute in Frieden leben können.

Marco Gallina ist Historiker. Er lebt in Bonn und betreibt das »Löwenblog«. Zu finden unter marcogallina.de

Im Angesicht der Bedrohung durch »braune Rattenfänger« (Bonner Stadtdechant dixit) erscheint mittlerweile nicht nur jede Gewaltanwendung, sondern auch patriotische Gefühlswendung als unchristlich. Im Prozess der Universalismen scheint nunmehr auch das Evangelium offene Grenzen zu predigen. Jede Abgrenzung oder Abschottung gilt als unbarmherzig, der Ruf nach dem Nationalstaat erscheint als neufaschistische Bedrohung. Es wäre in dieser Hinsicht nicht nur wieder einmal wichtig, auf Echthros und Polemios hinzuweisen (das Thema verfolgt mich mittlerweile alltäglich), sondern auch auf den simplen Fakt, dass die frühen Christen erst einmal untereinander zusammenhielten, und gerade das Johannesevangelium vor Abgrenzungen strotzt: insbesondere zwischen der frühen Christengemeinde und den Juden, zwischen dem auserwählten Volk und allen außerhalb davon. Im Griechischen Original wird das oftmals mit Parallelismen wie »die Jünger« und »die Juden aber« offensichtlich. Nur so als kleiner Anfangsgedanke, zusammen mit der Anmerkung, dass Jesus auch nicht immer der stoisch-lächelnde Typ war. Mir wäre jedenfalls neu, dass die, welche den Vater beleidigen, eine diplomatische Behandlung verdienen. Tempel, Händler und so. Wieder stelle ich diesem Beitrag voran: ich bin kein Theologe. Aber ich bin Historiker genug, um diese These weiterzuführen. Insbesondere, da ich persönlich davon überzeugt bin, dass das Christentum Ausgangspunkt eines Proto-Nationalismus ist, an dem sich später die Aufklärung und das 19. Jahrhundert für ihre eigenen Ideologien weitreichend bedient haben. Um es ganz deutlich auszudrücken: die Identifikationsstiftung als Volk hing in Europa so inhärent mit dem Christentum zusammen, dass sich beides nur wenig trennen lässt. Volksidentität auch in dem Sinne, dass es außerhalb der Eliten um sich griff. Ich mache mich damit ziemlich angreifbar, da in weiten Teilen meines Fachs jegliche Identität als »Volk« außerhalb der Eliten nahezu kategorisch vor den napoleonischen Umwälzungen ausgeschlossen wird. Das habe ich auch größtenteils geglaubt. Meine persönlichen Forschungen und die Quellen, die ich kenne, haben aber das, was mir an der Universität und an der Schule jahrelang eingehämmert wurde, erheblich ins Wanken gebracht. Insbesondere meine Beschäftigung mit der Republik Venedig und den italienischen Kommunen. Ich werfe dem interessierten Publikum eine Frage in die Runde: wie viele Republiken gab es außerhalb Europas im Mittelalter und der Frühen Neuzeit vor dem Zeitalter des globalen, europäischen Kolonialismus? Mit Republiken meine ich von einer wie auch immer gearteten Versammlung gewählte Minister, Vorsitzende oder Amtsträger (auf Zeit oder lebenslänglich), die möglichst nicht aus ein und derselben Familie stammen. Das trifft, nach allem, was ich bisher erschlossen habe, nur auf die europäischen Republiken zu; mögen es die italienischen Kommunen, die deutschen Reichsstädte, die Eidgenossenschaft, die Vereinigten Provinzen (Niederlande), oder selbstbestimmte Mittelmeerhäfen sein (bspw. Ragusa/Dubrovnik).* Man könnte die aztekischen Städtebünde ansprechen, doch handelte es sich dabei im engeren Sinne eher um Konföderationen mit einem gewählten Monarchen, der in seiner Funktion jedoch absolut regierte. Üblicherweise besitzen klassische Republiken Mechanismen, um die Herrschaft des jeweiligen Vorsitzenden

FAZIT MAI 2017 /// 39


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