Fazit 131

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Essay von Günter Riegler

Die böse BWL. Sackgasse, Irrweg oder Karriereturbo? V

or 30 Jahren – also in den Achtzigern – galt die Matura an einer Handelsakademie als Karriereturbo. Wer darüber hinaus ein Studium der Betriebswirtschaftslehre (BWL) an einer Universität absolviert hatte, war entweder bereits Generaldirektor oder kurz davor. Vieles ist inzwischen passiert – Weltfinanz- und Bankenkrise, Digitalisierung, Aufstieg und Abstieg mancher Brics-Staaten, Negativzinsen und vieles mehr. Die Hochschulen haben sich ebenso verändert, wie die Bevölkerungsentwicklung. Es häuft sich Kritik an der Wirtschaftswissenschaft – diese würde mit den modernen Entwicklungen nicht Schritt halten, und an den Hochschulen würde zu viel Kapitalismus und zu wenig an alternativen Konzepten unterrichtet. Das BWL- und das VWL-Studium (Volkswirtschaftslehre) gleiche einer Gehirnwäsche und vermittle falsche Versprechen. Die Frage lautet: ist ein BWL-Studium noch ein Versprechen für einen Elitepartnerlebensentwurf oder eine Sackgasse? Unterrichten wir die richtige, oder eine falsche und böse BWL?

»Je weniger Bedürfnisse ihr habt, desto freier seid ihr Immanuel Kant« Facebook-Posting »Fangen wir gleich mal mit geheizter Wohnung, und warmer Dusche an …« Antwort auf dieses Posting

Nicht erst seit dem Erscheinen eines BWL-kritischen Buches im Jahr 2016 (Axel Gloger, Betriebswirtschaftsleere – Wem nützt die BWL noch? [1]) stellt sich die Frage, ob das, was unseren Schülern und Wirtschaftsstudierenden vermittelt wird, einerseits noch stimmt und andererseits für ein berufliches Fortkommen gebraucht wird. In einem Spiegel-Interview (erschienen am 13. Mai 2014 [2]) fordert eine Netzwerkerin für »Plurale Ökonomik« eine Umstrukturierung der Lehrpläne und kritisiert die Lehrpläne von VWL als »kapitalistisch, einseitig und realitätsfern«. Effiziente Märkte, quantitative Methoden und rational entscheidende WirtschaftsteilnehmerInnen seien realitätsferne Annahmen, die spätestens durch die Krisen der letzten Jahrzehnte »ad absurdum geführt« worden seien. Gleicher Tenor in der BWL - auch hier lautet die Kritik, es werde ein Wirtschaftswissen »für Großkonzerne« unterrichtet, das »in den Neunzehnsechzigerjahren stecken geblieben« sei, auch hier lautet der Vorwurf, es herrsche eine »Überbetonung von Zahlendenken« sowie eine »Übernutzung von Planung, Budgetierung und Kontrolle« vor. Phantasie, Kreativität und Unternehmertum würden unterdrückt, die Tugenden des »German Mittelstand« seien in den Lehrplänen nicht repräsentiert und es werde zu wenig »gesunder Menschenverstand« und Querschnittswissen unterrichtet. Managerausbildung sei Gehirnwäsche, heißt es [3]. Die »Traumfabrik« sei eine »Produktionsstätte enttäuschter Erwartungen«, die beiden Studien BWL und VWL seien in die Jahre gekommen und das »gepaukte Wissen« sei nicht mehr aktuell und nicht mehr zeitgemäß – denn wer »ein selbstfahrendes Auto« habe, brauche »keinen Stadtplan im Handschuhfach«. Schaden wir unseren Kindern, machen wir sie zu fehlprogrammierten Zombies, wenn wir ihnen ein BWL- oder VWL-Studium empfehlen? Oder haben unsere Kinder das Lernen nicht gelernt, aus Angst, sie könnten nach zwei Schularbeiten in einer Woche ins Burnout abdriften? Ein Blick auf das Mengengerüst – wer studiert BWL und VWL? Von welchem Mengengerüst reden wir – wieviele junge Menschen werden derzeit mit Wirtschaftswissen versorgt, oder, wie es die Kritiker sagen würden, indoktriniert? Das »Statistische Taschenbuch« 2016 des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) weist aus, dass in den Jahren 2011 bis 2015 jährlich rund 45.000 Schüler die Matura absolviert haben, davon rund 23.000 in Berufsbildenden Höheren Schulen und davon wiederum rund 12.000 pro Jahr an Kaufmännisch/ Wirtschaftlichen Schulen. Rund 9.000 dieser MaturantInnen an HAK und HBLA sind üb-

Foto: Teresa Rothwangl

Sind Wirtschaftsfakultäten Zuchtstätten eines realitätsfernen Kapitalismus?

Dr. Günter Riegler, geboren 1966, ist Geschäftsführer der Fachhochschule Joanneum und war davor viele Jahre lang Lehrbeauftragter für Finanz- und Rechnungswesen. Er ist im erlernten Beruf Wirtschaftsprüfer und Steuerberater und ist Verfasser zahlreicher wissenschaftlicher Artikel auf dem Gebiet des Steuer-, des Bilanzrechtes sowie des Public Management. Einen Tag vor Drucklegung dieser Ausgabe wurde bekannt, dass Günter Riegler von der Grazer ÖVP als Kandidat zum Finanzstadtrat aufgestellt wurde. FAZIT APRIL 2017 /// 37


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