Fazit 129

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Ich werde nicht mit Österreich diskutieren, deren Parlament fasst Beschlüsse gegen uns, die Medien berichten schlecht über uns. Mevlüt Cavusoglu, Außenminister der Türkei

Fotos: ÖVP online, SPÖ

ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner fordert eine neue ÖVP-Strategie, welche die FPÖ als wichtigsten Gegner definiert.

SPÖ-ÖVP-Koalition – Durchdienen scheint angesagt Eigentlich war der »Pensionistenhunderter« ein deutliches Zeichen dafür, dass demnächst eine Nationalratswahl ins Haus steht. Doch die Wiederholung des zweiten Durchgangs der Bundespräsidentenwahl, bei der Alexander Van der Bellen überraschend deutlich gewonnen hat, hat wieder einmal gezeigt, was die Österreicher von Politikern halten, die sie ohne Not zur Urne rufen; nicht genug jedenfalls, um sie eine Wahl gewinnen zu lassen. Und auch die aktuellen Meinungsumfragen, die für die FPÖ einen Riesenvorsprung ausweisen, dämpfen bei Rot und Schwarz die Lust auf eine Wahlvorverlegung. Je nach Institut liegt die FPÖ bei der Sonntagsfrage nämlich aktuell bei 33 bis 35 Prozent, die SPÖ zwischen 25 und 27 und die ÖVP gar nur bei 18 bis 22 Prozent. Und selbst wenn die Zustimmung für Bundeskanzler Christian Kern bei der Kanzlerfrage derzeit beinahe doppelt so hoch ist wie jene für Heinz-Christian Strache und Reinhold Mitterlehner, kann sich die SPÖ alles andere als sicher sein, wieder als Erster aus der Wahl hervorzugehen. Schließlich hat die ÖVP mit Sebastian Kurz eine Art Supertrumpf in der Hand, dessen Popularitätswerte weiterhin ungezügelt nach oben schießen. Doch wer so schnell so hoch steigt wie Kurz, kann auch schnell sehr tief fallen. Da reicht womöglich schon ein verpatzter TV-

16 /// FAZIT JÄNNER 2017

Talk-Show-Auftritt oder ein Türkei-Bashing zu viel, um die Stimmungslage völlig zu ändern. Reinhold Mitterlehner würde gerne als Spitzenkandidat in die Wahl gehen. Ihm bleibt fast nichts anderes übrig, als auf Zeit zu spielen. Denn aus heutiger Sicht wird es für ihn nicht einfach, seine eigene Partei von sich als besseren Kanzlerkandidaten zu überzeugen. Daher wird die Regierung weitermachen und einige jener Inhalte aufgreifen, die in der Coverstory dieser Fazit-Ausgabe behandelt werden, um sich eine Reformagenda für die verbleibenden eineinhalb Jahre zu geben.

Die ÖVP erkennt in der FPÖ ihren Hauptgegner ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner will seine Partei in Zukunft stärker von den Freiheitlichen abgrenzen und so an Profil und an Wählern gewinnen. Ob er endlich erkannt hat, dass es im Mitte-Links-Bereich des Politspektrums für die VP nicht viel zu holen gibt? Wenn ja, müsste Mitterlehner die Partei inhaltlich so ausrichten, dass sie auch für jene wieder wählbar wird, die sich von der ÖVP zu den Nichtwählern oder gar zur FPÖ verabschiedet haben, weil das wertkonservative Profil der Partei verlorengegangen ist. Die vielen Van-der-Bellen-Unterstützer unter den ÖVP-Funktionären könnten unter Mitterlehners Plänen jedoch auch das

Gegenteil verstehen, nämlich eine Ausgrenzung der FPÖ anstelle einer pointierten Auseinandersetzung und inhaltlichen Abgrenzung. Falls der ÖVP die politische Zuspitzung auf die Frage »Wir oder die FPÖ« tatsächlich gelingt, könnte sie verhindern, dass die nächsten eineinhalb Jahre nicht nur als Zweikampf zwischen der SPÖ und den Freiheitlichen wahrgenommen werden, zwischen denen – wie schon bei der Wiener Landtagswahl – alle anderen Parteien aufgerieben werden. Der steirische ÖVP-Landesrat Christopher Drexler kann in diesem Zusammenhang nichts mit der »peinlichen schwarzblauen Wichtigtuerei aus der zweiten und dritten Reihe« anfangen. Damit meint er wohl seinen steirischen Landsmann VP-Klubchef Reinhold Lopatka, der sich zuletzt – offenbar wie schon nach der steirischen Landtagswahl 2015 wieder ungefragt – als Verbindungsmann zwischen ÖVP und FPÖ ins Spiel brachte. Dass die SPÖ derzeit laut über die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit der FPÖ nachdenkt, kommt dieser neuen ÖVP-Strategie natürlich entgegen. Schließlich werden jene Wähler, die unbedingt eine Regierungsbeteiligung der FPÖ verhindern wollen, ihren Stimmzettel nicht mehr so einfach bei der SPÖ ankreuzen können. Die SPÖ versucht, die Debatte über Rotblau kleinzuhalten Eine Diskussion über eine rotblaue Zusammenarbeit auf Bundesebene sollte aus Sicht der SPÖ eigentlich so unnötig wie ein Kropf sein. Dem Wiener Bürgermeister Michael Häupl ist das klar. Er hält daher eine rot-blaue Koalition auf Bundesebene für völlig ausgeschlossen. Doch in den Ländern sehen das viele Spitzenfunktionäre offenbar völlig anders. Denn Michael Häupl ist als heimlicher SPÖ-Chef nicht mehr unumstritten. Daher sind die sozialdemokratischen Annäherungsversuche an die Freiheitlichen, die von Bundeskanzler Christian Kern mit einer Ö1-Radio-Diskussion gemeinsam mit Heinz-Christian


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