Essay von Christoph Giesa
Die neuen Rechten. Keine Nazis und trotzdem brandgefährlich D
ie Stimmung in Deutschland im Jahr 2015 ist angespannt: Nach den »Spaziergängen« der »Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« (Pegida) seit Herbst 2014 in Dresden und anderen Städten sowie den anhaltenden Diskussionen darüber scheint es in Teilen der Gesellschaft – und zwar ausdrücklich nicht nur an ihren Rändern – zunehmend salonfähig geworden zu sein, fremdenfeindliche Haltungen offen zu vertreten. Unter dem Schutzmantel der freien Meinungsäußerung wird im sächsischen Heidenau und andernorts inzwischen mit bösartigsten Parolen gegen die Unterbringung von Geflüchteten demonstriert, während sich der Hass im Internet ohnehin ungezügelt Bahn bricht.
Vieles, was von neurechter Seite zu vernehmen ist, hört sich zunächst nicht nach rechter Ideologie an.
Dennoch ist die Einordnung nicht einfach: Denn das entsprechende Gedankengut gedeiht nicht nur auf den Straßen strukturschwacher Regionen oder in einschlägigen Onlineforen, und es wird auch keineswegs nur von Leuten verbreitet, die sich selbst als rechtsradikal bezeichnen würden. Aber womit hat man es dann zu tun? Die Antwort ist in einer Bewegung zu suchen, die nicht nur andere Vorbilder hat, sondern auch andere Strategien verfolgt als Rechtsextremisten mit Sympathien für Hitler und den Nationalsozialismus. Zugleich hängt sie aber einem Gedankengut an, das alles ist, was die liberale Gesellschaft, in der wir leben, nicht sein will: autoritär, antidemokratisch, antiwestlich, fremdenfeindlich und homophob. Die Rede ist von der »Neuen Rechten«. Einordnung und Erscheinungsformen
Eine wichtige geistige Grundlage für die neurechten Bewegungen bildet das Denken und Wirken mehrerer rechter Intellektueller aus der Weimarer Zeit, die unter dem Begriff »Konservative Revolution« subsumiert werden und in den 1920er Jahren gegen die junge Demokratie agitierten. Einige ihrer bekanntesten Vertreter waren Arthur Moeller van den Bruck, Oswald Spengler, Edgar Julius Jung und Carl Schmitt. Zu ihren Stärken gehörte die Fähigkeit, in der Regel radikales Denken und bürgerliche Erscheinung zusammenzubringen. So waren die Protagonisten damals in der Mitte der Gesellschaft verankert, bewegten sich in Salons und Lesezirkeln, publizierten in durchaus auflagenstarken Zeitungen und Zeitschriften, sowohl im extremen Spektrum als auch im konservativen, teilweise sogar im Gewerkschaftsmilieu. Einige von ihnen gerieten später in Konflikt mit den Nazis, manche verloren dabei sogar ihr Leben. Trotzdem gilt etwa Arthur Moeller van den Brucks Buch »Das Dritte Reich« von 1923 bis heute als eines der einflussreichsten Werke für den Aufbau des Nationalsozialismus.
Die Orientierung an den Protagonisten der Konservativen Revolution hat für die heutigen Nachahmer einen großen Vorteil: Viele Behauptungen und Forderungen, die man von neurechter Seite vernimmt, hören sich zunächst nicht nach rechter oder faschistischer Ideologie an. Das ist natürlich gewollt – wer sich heute zu Hitlers Ideen oder Goebbels’ Demagogie bekennt, ist morgen geächtet. Trotzdem: Mit einer Mischung aus einer Analyse, die das Politische entmenschlicht, einem Zynismus gegenüber Minderheiten, einer Verachtung für die »weibische« Demokratie und der Begeisterung für eine Ästhetik
Foto: christophgiesa.de
Eine wichtige Vorläuferbewegung entstand Anfang der 1970er Jahre in Frankreich unter dem Namen »Nouvelle Droite« und wurde maßgeblich von dem Publizisten Alain de Benoist geprägt. Inzwischen haben sich auch in Deutschland Strukturen herausgebildet, die es ihren Vertretern ermöglichen, in etablierte Organisationen wie Parteien und Medienhäuser hineinzuwirken. Um das gesamte Phänomen besser beleuchten zu können und nicht an der etwas engen wissenschaftlichen Definition haltzumachen, werde ich im weiteren Verlauf dieses Textes »neue Rechte« bewusst klein schreiben.
Christoph Giesa, geboren 1980 in Nürnberg, ist Publizist. Nach dem Abitur in Idar-Oberstein absolvierte er ein Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Er ist Autor mehrerer Bücher, zuletzt erschien 2015 »Gefährliche Bürger - Die neue Rechte greift nach der Mitte« im Hanser Verlag. Christoph Giesa lebt in Hamburg. christophgiesa.de FAZIT OKTOBER 2016 /// 45