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Buchgewordener EM-Spoiler
schrittene Grenzen – in der Kunst. Wenn von Grenzen der Kunst die Rede sein soll, so müssen dies Grenzen des Dürfens sein, mithin rechtliche oder moralisch-ethische Grenzen. Solche Grenzen existieren zweifellos, sie entspringen jedoch einer ganz anderen Perspektive, nicht der ästhetischen Perspektive. Sie werden von außen an ein Kunstwerk herangetragen und mitunter gegen ästhetische Ansprüche durchgesetzt. Das ist vollkommen legitim, ja notwendig. Man sollte sich nur im Klaren darüber sein, dass hier stets eine – rechtliche oder moralische – Sichtweise gegen eine andere – ästhetische – Sichtweise durchgesetzt wird. Ein Kunstwerk kann also unter verschiedenen Gesichtspunkten bewertet werden: Aus ästhetischer Perspektive fungieren ästhetische Erwägungen als letzter Maßstab; ethische und andere Aspekte sind zwar nicht auszublenden, vielmehr sogar in die Betrachtung zu integrieren, sie sind jedoch letztlich nur von untergeordneter Bedeutung. Umgekehrt bilden, wenn ein Kunstwerk aus rechtlicher oder moralischer Perspektive beurteilt werden soll, gewisse rechtliche oder moralische Kriterien die letzte Instanz, welcher ästhetische Fragen systematisch unterzuordnen sind. Es gibt hier keine endgültige Versöhnung, nur hin und wieder einen wie immer gearteten Kompromiss. n
Von Peter K. Wagner
S
chon interessant. Da kommt der österreichische Fußball erstmals seit langer Zeit wieder in der heimischen Öffentlichkeit an, weil eine EM-Qualifikation überragend bestritten wurde. Aber anstatt sich der medialen Jubeltraube anzuschließen und wie die Hubert Patterers dieser Welt den Lieblingsbäcker von Teamchef Marcel Koller zu besuchen, nominierte der Leykam-Verlag den Fußballexperten und Autor Wolfgang Kühnelt. Und ließ ihn ein Buch zusammenstellen, das kompakt schildert, warum der frühe Jubler zumeist nicht ins Achtelfinale aufsteigt. Und das ist eigentlich nicht nur interessant, sondern nach dem vorzeitigen Ausscheiden von David Alaba und Co. sogar genial. In Form von sieben Todsünden weiß der Autor nachzuzeichnen, wie und woran der österreichische Fußball gestern, heute und – hoffentlich nicht, aber in welchem Leben hat sich Geschichte noch nicht wiederholt? – morgen scheitert. Ohne die Kapitel zwischen den Übertiteln »Hochmut«, »Ausschweifung« oder »Zorn« vorwegzunehmen, sei verraten: »Nachspielzeit« zwinkert oft, ist aber nie platt und war Spoiler für die Europameisterschaft in Frankreich. Und nun ist es gleichsam fundierte Analyse für die Tage und Wochen nach den bitteren Niederlagen gegen Ungarn und Island. Und gerade, weil es im Buch – oder nennen wir es aufgrund der Lesezeit von einer Fußballhalbzeit Büchlein – ganz am Anfang steht, sei
hier doch noch ein kleiner Vorgeschmack vermittelt. Bereits auf Seite sieben findet sich folgendes Zitat von Martin Blumenau, seines Zeichens österreichischer Fußballblogger vom Dienst bei FM4: »[In Österreich herrscht] eine klassische Kultur des Verschleißens. Des Nichtverwertens von aufgelegten Bällen, des fehlenden Nachdrucks, einer vorschnellen Selbstzufriedenheit.« Spoiler eben. n
Nachspielzeit Die sieben Todsünden des österreichischen Fußballs Von Wolfgang Kühnelt 68 Seiten, Leykam, 7,50 Euro streitschriften.at
FAZIT JULI 2016 /// 81
Fotos: Kongressbibliothek der Vereinigten Staaten, Kulturinstitut Graz (2), Verlag Leykam
der Kunst
Wolfgang Kühnelt hat vor der Europameisterschaft in Frankreich ein Buch über den österreichischen Fußball geschrieben. Es zeichnet die sieben Todsünden des heimischen Kicks nach. Und ist eine mehr als runde Sache.