Fazit 112

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Ist dies schon Tollheit, hat es doch Methode.

Polonius an Prinz Hamlet aus Hamlet von William Shakespeare

Alleingang mit Musik

Wolfgang Dobrowsky mal vier

Nestroy ist immer gut. Wie gut sich sein Stück »Frühere Verhältnisse« für die aktuellen Verhältnisse adaptieren lässt und wie man ein Vierpersonenstück alleine bewältigt, beweist aktuell eine Steinbauer-Dobrowsky-Produktion im Atelier Jungwirth. Von Katharina Kocher-Lichem

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80 /// FAZIT MAI 2015

Nestroys Frühere Verhältnisse ein Alleingang mit Musik Atelier Jungwirth Opernring 12, 8010 Graz Termine im April und Mai, Beginnzeit jeweils 19.30 Uhr Karten im ZKB, Abendkassa und telefonisch unter 0676 3378065 steinbauer-dobrowsky.info Fotos: Herbert Schranz

ohann Nestroy, der 1862 in Graz gestorben ist, war Opernsänger, Schauspieler und Stückeschreiber – kurz ein Vollblutbühnenmensch. Wie Wolfgang Dobrowsky, der zwar kein Opernsänger ist, aber Vollblutschauspieler und auch Stückeschreiber, wenn auch nicht ganz in dem Sinn wie Nestroy. Dobrowsky hat seinen eigenen Nestroy geschaffen, hat den Einakter »Frühere Verhältnisse« – eines der letzten Stücke von Nestroy – für sich zurechtgeschrieben und vierteilt sich nun an vierzehn Abenden im zum Bühnenraum adaptierten Atelier Jungwirth. Er spielt alle vier Figuren des Stücks selbst, switcht zwischen den Rollen in immenser Geschwindigkeit und hat für jeden Charakter einen eigenen Jargon. Der Holzhändler, Herr von Scheitermann, kann seine ungarische Herkunft nicht leugnen, Josephine, seine Frau und ein Professorentöchterl näselt weinerlich dahin, Hausknecht Anton Muffl kommt im Falco‘schen Schnöselwienerisch daher und Peppi Amsel, die Köchin, ist wie man bei uns so schön sagt »a gscherte« Steirerin. Der zurechtgeschnitzte Nestroytext ist mit vielen aktuellen Bezügen aufgemixt und wird dem bei der Premiere zahlreich erschienenen Publikum quasi als Probe, bei der der Regisseur das Stück einmal so spielt, wie es perfekt wäre, präsentiert. Kein Schauspieler kann etwas falsch machen, der Regisseur ist sich sozusagen

selbst der beste Interpret. Und das wäre er auch wirklich, wäre Wolfgang Dobrowsky bei der Premiere nicht so nervös gewesen und hätte es zwischendurch nicht an Wortdeutlichkeit gemangelt. Dem Tempo und so mancher Jargonformulierungsfalle hat er den einen oder anderen Wortwitz geopfert, der beim Publikum einfach nicht mehr angekommen und überhört worden ist. Dass das Atelier Jungwirth ein perfektes Fotostudio, aber eben kein Bühnenraum ist, macht die Situation nicht einfacher. Das Akustikthema belastet auch die Musikdarbietung von Reinhard Ziegerhofer, der das Stück insgesamt und die Couplets insbesondere musikdramatisch mit Kontrabass, Gitarre akustisch und elektrisch begleitet und teilweise auch selbst singt. Dorothee Steinbauer führt Regie, hält das Werk zusammen und schafft den runden Bogen. Im Großen und Ganzen kann man das Experiment als gelungen und sehr unterhaltsam betrachten, ein neuer Ort wird dem interessierten Theaterpublikum zugänglich gemacht, der Erfolg des Premierenabends macht die folgenden Aufführungen sicher entspannter. Die Zeitlosigkeit Nestroys so virtuos von einem Schauspieler vorgeführt zu bekommen, macht den Abend einzigartig und ist in jedem Fall den Besuch wert. n


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