Fazit 103

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Essay von Leopold Neuhold

Fußball. Unser neuer Gott? W

ird der Gott Fußball vom Thron gestürzt? Demonstrationen gegen die Fußball-WM, wie sie derzeit gehäuft in Brasilien stattfinden, belegen, dass Fußball nicht unumstritten ist, dass Fußball selbst bei den fußballbegeisterten Brasilianern nicht als Rechtfertigung für alles gelten kann. Schulen, Wohnmöglichkeiten werden anstelle von im Vergleich sündteuren Fußballstadien gefordert, der Fußball, der früher der Vergebung der Sünden diente, wird nun selbst zum Sündenbock. Natürlich wird die »Copa do Mundo« von verschiedensten Berufsgruppen dazu genutzt, ihre Interessen durch Streiks zur Durchsetzung zu bringen – Busfahrer, Lehrer, Bauarbeiter gehen auf die Straße, um die durch die WM geschaffene Aufmerksamkeit zu nutzen – ein Zeichen dafür, dass die Interessen des Fußballs mit anderen Interessen abgeglichen werden sollen. Das Interesse des Fußballs ist nicht mehr unantastbar von anderen Interessen abgehoben.

Es ist ja nicht so, dass die Brasilianer nicht weiterhin fußballvernarrt sind, Fußball ist weiterhin Hoffnungszeichen für Menschen, das über das Elend der Favelas hinausreicht und hinausführt.

Nicht nur wegen dieser enormen Zuschauerzahl, die größer ist als die der gesamten Einwohnerschaft von Genf oder etwa Linz, – das Maracanã-Stadion, in dem legendäre Fußballspiele der brasilianischen Nationalmannschaft, der Seleçao, und des Fußballklubs Flamenco ausgetragen wurden, ist ein legendärer Ort, aber ist es denn auch ein heiliger bzw. war es ein solcher? Das auf eine Besucherkapazität von 76.525 Plätze reduzierte, für die Fußball-WM 2014 umgebaute Stadion – der Umbau war und ist nicht unumstritten, weil damit auch eine Beschränkung der Zugänglichkeit für Personen, die weniger verdienen, verbunden und etwas von der »Legende« genommen ist – wird der Austragung von Spielen der WM 2014 dienen und ist auch für die Eröffnungs- und Schlussfeier der Olympischen Spiele 2016 vorgesehen, aber wird es jemals wieder das alte Flair ausstrahlen? Damit wird auch das neue Stadion ein Ort sein, der durch Ereignisse respektive durch Großevents, wie sie heute benannt werden, etwas Besonderes wird und in der Abgrenzung zum Alltag eine gewisse »Heiligung«, sprich Eingrenzung, erfährt, etwas, das für viele Kritiker andererseits Ausgrenzung bedeutet. Schon die Eintrittspreise bei WM-Spielen sind eher exklusiv denn inklusiv.

Die Menschen wollen nicht einem Gott dienen, der das Gesicht der Dollarnote und der FIFA trägt und der auf den Unterschieden aufbaut. Es ist sozusagen nicht mehr der Fußball, das schöne Spiel, »jogo bonito«, was eigentlich aber von joga bonito kommt, was schön spielen bedeutet. Es sind nicht mehr die eigenen Heroen, die im Mittelpunkt stehen, sondern ein kommerzialisierter Fußball, der nicht mehr durch die Grenze, die Nebelschicht und Dunstglocke des Geldes und der Ausgrenzung nach unten zu den Herzen der Menschen zu dringen vermag. Es wird nicht mehr das Leben vieler getroffen, sondern nur der Geldbeutel, nicht mehr der Alltag wird auf den Sehnsuchtsort hin vermittelt, sondern ein abgegrenzter Ort bleibt in sich.

Foto: Gerd Neuhold

Das Interesse welchen Fußballs? Es ist ja nicht so, dass die Brasilianer nicht weiterhin fußballvernarrt sind, Fußball ist weiterhin Hoffnungszeichen für Menschen, das über das Elend der Favelas hinausreicht und hinausführt. Aber das ist offensichtlich nicht mehr der Fußball, wie er sich in WM und FIFA darstellt. Dieser Gott hat als selbst ernannter Gott sich von den Menschen entfernt, er vermag nicht mehr ihre Sehnsüchte zu binden, er steht nicht im, sondern gegen das Volk, das Herz dieses Gottes schlägt in den FIFA-Zentralen, in Europa, in der Schweiz, aber nicht in Brasilien. Solches zeigt sich an den zum Großteil neu errichteten Stadien. Das legendäre Maracanã-Stadion, das als Wallfahrtsort galt, das das Spiel mit der größten Zahl an Zuschauern ausrichtete, ist durch den Umbau mit der starken Reduktion von Zuschauerplätzen ein inszenierter Wallfahrtsort für »die da oben« geworden, ein Zeichen für Ausschluss, nicht Einschluss. Dieses Stadion in Rio de Janeiro wird im großen Buch der Fußball-Rekorde als »das größte je gebaute Fußball-Stadion« geführt. Beim WM-Endspiel 1950 Brasilien gegen Uruguay wurde die höchste Besucherzahl registriert: 199.854.

Dr. Leopold Neuhold, 1954 geboren, ist seit 2001 Vorstand des Instituts für Ethik und Gesellschaftslehre an der Karl-Franzens Universität Graz und wurde 2003 zum Universitätsprofessor für Ethik und Gesellschaftslehre berufen. In zahlreichen Publikationen und Büchern beschäftigt er sich schwerpunktmäßig mit der katholischen Soziallehre, ethischen Aspekten der modernen Gesellschaft und dem damit verbundenen Wertewandel in unserer heutigen Zeit. Fazit Juni 2014 /// 47


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