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heureka
Aus Wissenschaft und Forschung Astrophysik
Brief aus Brüssel
Wir sind Weltraum!
Emily Walton
sonja dries
S
ie sind nur sieben Kilogramm schwer und haben eine Kantenlänge von zwanzig Zentimetern, dennoch tragen die beiden ersten Satelliten Österreich Großes zur Grundlagenwissenschaft bei. Seit ihrem Start in Indien im Februar letzten Jahres kreisen die zwei Nano-Satelliten BRITE-AUSTRIA und UniBRITE mit 28.000 km pro Stunde in 790 km Höhe um die Erde. Der Begriff Nano ist dabei auf die Masse bezogen. Ein bis zehn Kilogramm wiegen diese Flugkörper. Lange stand die Frage im Raum, ob Spitzenforschung mit so kleinen Satelliten überhaupt möglich sei – das bekannte Weltraumteleskop Hubble wiegt über elf Tonnen. Doch nachdem anfangs meistens Studenten mit Nano-Satelliten arbeiteten, die sehr einfach gehalten waren, wurden die Geräte mittlerweile auf höchstem Niveau entwickelt. Das Ziel der BRITE-Mission (Bright Target Explorer), zu der noch je zwei Satelliten aus Kanada und Polen gehören, ist, mehr über den Aufbau bestimmter Sterne herauszufinden. Die Satelliten messen ihre Helligkeitsvariationen über einen Zeitraum von jeweils sechs Monaten. So erkennen die Forscher, ob die Sterne rotieren, pulsieren oder von anderen Sternen oder sogar Planeten bedeckt werden. Die sogenannte Astroseismologie erlaubt damit Rückschlüsse auf das Innere der Sterne, ohne es je gesehen zu haben. Rainer Kuschnig,
Instrument Scientist und Mitglied des BRITE Executive Science Teams, zeigt sich mit den bisherigen Ergebnissen sehr zufrieden. Pro Tag sendet jeder der Satelliten Daten in der Größe von 20 bis 40 Megabyte an die Bodenstationen in Graz, Toronto und Warschau. Taucht ein Satellit in Reichweite einer der Stationen auf, wird eine Parabol-Antenne auf ihn gerichtet, um die Daten aufzunehmen. Während die Sternbilder Orion und Centaurus bereits untersucht worden sind, wurde Mitte September Perseus als neues Beobachtungsfeld anvisiert. „Es gibt fast jede Woche eine Kollisionswarnung“ Rainer Kuschnig, Instrument Scientist
Die beiden österreichischen Satelliten wurden an der Universität Wien und der TU Graz gebaut. Drei Wochen dauerte alleine der letztendliche Zusammenbau der komplexen Systeme. Sie besitzen ein Teleskop mit 3 Zentimeter Durchmesser und eine Digitalkamera, die mit ihrem großen Abbildungsfeld sogar den ganzen Orion abdecken kann. Die Energie, welche die Satelliten verbrauchen, wird durch Solarzellen erzeugt und in einem Akku gespeichert. Nach dem Zusammenbau wurden die Flugkörper verschiedenen Tests unterzogen, bei denen die
Verhältnisse im Weltraum oder auch die Vibration beim Start einer Rakete simuliert wurden. Das Budget für Österreichs erste Weltraummission, das unter anderem von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft und dem Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie getragen wurde, betrug zwei Millionen Euro, inklusive Start. Dieser fand in Indien statt, weil dort zu einem passenden Zeitpunkt ein größeres Objekt ins All geschossen wurde. Die BRITE Mission konnte sich mit ihrem kleinen Satelliten gut anhängen. Neben den wissenschaftlichen Ergebnissen hatte die Mission auch Einfluss auf die österreichische Politik: Ein Weltraumgesetz wurde Ende 2011 eigens beschlossen, um den Start zu ermöglichen, und im Ministerium wurde eine Weltraum-Agenda eingerichtet. Erst diesen Sommer hatte die BRITE Mission die Aufmerksamkeit der Medien auf sich gezogen, als UniBRITE nur knapp einer Kollision mit einem chinesischen Satellitenteil entgangen war. Gerade elf Kilometer trennten diese beiden Objekte. Instrument Scientist Rainer Kuschnig hat bezüglich solcher Ereignisse jedoch schon eine gewisse Gelassenheit entwickelt: „Es gibt fast jede Woche eine Kollisionswarnung. Bei Entfernungen über hundert Kilometer fange ich noch nicht einmal an, mir Stress zu machen.“
UniBRITE von der Universität Wien ist einer von sechs Nanosatelliten, der am 25. Februar 2013 seine Mission ins All startete
stunden nachholen: Bei Veranstaltungen und in Ausstellungen im ganzen Land wird an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor hundert Jahren erinnert. Damals wurde das kleine, neutrale Belgien vom großen Nachbarn Deutschland besetzt. Auch kann man sich über Belgiens Leiden während des Zweiten Weltkriegs informieren. Wie schon zuvor geriet das Land wieder unter deutsche Zwangsherrschaft. Vor wenigen Wochen erst, im September, wurde in Brüssel im Beisein von Veteranen der 70. Jahrestag der Befreiung Belgiens durch die Alliierten gefeiert. Man muss schon etwas tiefer graben, um zu einem anderen dunklen Kapitel der belgischen Geschichte vorzudringen, das zwar länger zurückliegt, dessen Aufarbeitung aber erst (viel zu) langsam beginnt: Die Kolonialisierung des Kongo im ausgehenden 19. Jahrhundert. Wer in Brüssel lebt, hat zumindest einen Bezugspunkt: Matongé, ein Viertel, das von kongolesischen Einwanderern geprägt ist und sogar nach einem Stadtteil von Kongos Hauptstadt Kinshasa benannt ist. Das Brüsseler Matongé ist bunt, charmant heruntergekommen und bei jungen Belgiern ebenso beliebt wie bei den Expats. Die afrikanischen Geschäfte verkaufen Obst, Gemüse und Gewürze, die man nirgendwo sonst in Brüssel in dieser Qualität und um diesen Preis bekommt, und in den vielen Bars und Restaurants kann man an einem Abend eine kulinarische Weltreise machen. So beliebt das Multi-Kulti-Viertel auch ist, so wenig wissen selbst die meisten Belgier über die Kolonialgeschichte ihres Landes. In einer neu eröffneten Ausstellung im Belvue-Museum sieht man seit ein paar Wochen die sprichwörtlichen Lichter der Reihe nach aufgehen: Dass König Leopold das rohstoffreiche Land zunächst als seinen Privatbesitz deklarierte und damit zum größten Kolonialherren der Welt wurde, bringt viele zum Nachdenken. Joseph Conrads Roman „Heart of Darkness“ spielt in dieser Leidenszeit des Kongo. Wie brutal die Kolonialisierung durch Leopold vorangetrieben wurde und dass das offizielle Belgien dies jahrzehntelang in seiner staatlichen Propaganda leugnete – das erfahren viele Menschen hier zum ersten Mal. Der Titel der Ausstellung ist eine klare Ansage, die gut als Motto für die überfällige Aufarbeitung dienen könnte: „Unser Euer Kongo – Die belgische Propaganda unverhüllt.“
Foto: Univer sität Wien, privat
Würde Österreich titeln. Aber statt Journalisten sind immerhin zwei heimische Satelliten im All
m heurigen Jahr der zahlreichen Gedenken kann man auch – und Igerade – in Belgien einige Geschichts-