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Aus Wissenschaft und Forschung Archäologie

Biologie

Brief aus Brüssel

Rettung für „kleine Puppen“

Auch in der Biologie beeinflusst der Raum, wie schnell die Zeit vergeht

Emily Walton

Sonja Dries

A

ls die Bewohner des Valcamonica Tals in Norditalien vor 6.000 Jahren Bilder von Reitern, Kämpfern und Hirschen in den weichen Kalkstein ritzten, konnten sie sich wohl kaum vorstellen, dass ihre Darstellungen Jahrtausende später mithilfe von Drohnen, 3D-Scannern und Algorithmen archiviert und analysiert würden. Wissenschafter rund um das von der EU finanzierte Projekt „3D ­Pitoti“ haben sich genau das zur Aufgabe gemacht. Federführend sind dabei neben den Universitäten Cambridge und Nottingham auch die FH St. Pölten und die TU Graz. Bis zu 300.000 Felsgravuren bilden die größte Fundstelle für Petroglyphen in Europa. Die nach dem regionalen Begriff für „kleine Puppen“ Pitoti genannten Kunstwerke verschwinden langsam und werden nun in einer bisher einzigartigen Verarbeitungskette digitalisiert. Mitarbeiter der TU Graz bilden das ganze Tal momentan mittels eines neuen Multi-Scale Ansatzes ab. Ein 3D-Scanner erfasst die einzelnen Figuren mit einer Zielgenauigkeit von 0,1 Millimeter. Mit Drohnen und aus Flugzeugen wird der Rest des Tals aufgenommen. Die gesammelten Daten werden zu einem Gesamtbild verbunden. Die FH St. Pölten ist für die darauffolgende Analyse zuständig. „2.500 Pitoti wurden zunächst händisch mit

Jochen Stadler

Filzstift auf eine Folie übertragen und kategorisiert“, wie Markus Seidl, einer der Projektleiter von der FH, erklärt. Ein extra entwickeltes „MachineLearning“-Verfahren machte es dann möglich, die Daten in einen Computer einzuspeisen, der die restlichen Pitoti automatisch erkennen und kategorisieren kann. Auch der Pecking-Stil wird analysiert, um Rückschlüsse auf die Produktion der Bilder zu ziehen. Neben Akquise und Analyse der Daten steht als dritter Teil der digitalen Verarbeitung die Präsentation der Ergebnisse im Vordergrund. Davon profitiert einerseits die Wissenschaft – Forscher können die Pitoti künftig „2.500 Pitoti wurden zuerst händisch mit Filzstift auf eine Folie übertragen und kategorisiert.“ Markus Seidl, FH St. Pölten

unter Laborbedingungen untersuchen, ohne vor Ort sein zu müssen. Andererseits soll das UNESCO-Welterbe auch einem breiten Publikum durch eine Ausstellung mit Multimedia-Installationen, Touchscreens und Animationen zugänglich gemacht werden. Denn wie lange die Pitoti noch im Original zu sehen sein werden, kann man auch dank neuester Technik nicht sicher voraussagen.

Eine der Pitoti, der uralten Felsritzzeichnungen im Valcamonica-Tal

icht nur in der Physik, sondern auch in der Biologie beeinflusst N der Raum, wie rasch die Zeit vergeht,

berechneten Forscher um den österreichischen Biomathematiker ­Martin Nowak von der Harvard Universität. Wie schnell bio-molekulare Uhren ticken, kann man von der Zahl der genetischen Veränderungen ablesen, die für das betroffene Lebewesen weder einen Vorteil oder Nachteil bringen, aber an seine Nachkommen vererbt werden. Bisher glaubte man, dass sich solche „neutralen Mutationen“ mit einer konstanten Rate ansammeln, weil man kein Phänomen entdecken konnte, das die Tickgeschwindigkeit dieser biologischen Uhr beeinflusst. „Wir haben aber die Beobachtung gemacht, dass diese als konstant angesehene molekulare Uhr durch die Bevölkerungsstruktur einerseits beschleunigt und andererseits verlangsamt werden kann“, erläutert Nowak. Die molekularen Uhren würden sehr wohl unterschiedlich schnell ticken, je nachdem, wie der Lebensraum einer Bevölkerung räumlich angeordnet ist. Ist etwa eine Vogelart auf kleine Inseln verteilt, könnte eine Insel „Twitter-Netzwerke sind meist so strukturiert, dass sie die Verbreitung von Neuerungen hemmen.“ Martin Nowak, Uni Havard

viel mehr Futter bieten als die anderen. Wenn sich die Tiere dort deswegen rasant vermehren, sammeln sich Genveränderungen schneller an, als würden alle Vögel gemeinsam auf einer großen Insel leben. Die biologische Uhr tickt also auf diesem kleinen Eiland schneller als anderenorts. Je nachdem, wie Lebewesen einer Art räumlich verteilt sind, kann also ihre Evolution beschleunigt oder verlangsamt werden, berichten die Forscher im Fachjournal PLOS Computational Biology. Mit denselben Formeln untersuchten Nowak und Kollegen auch Twitter-Netzwerke. Sie testeten, ob ihre Strukturen unterstützen, dass sich neue Ideen rasch herumsprechen. Das Ergebnis: Von 900 Twitter-Netzwerken war die überwiegende Mehrheit so strukturiert, dass sie die Verbreitung von Neuerungen hemmen.

beim Geld spielt. Im großen Stil, wenn etwa EZB-Chef Mario Draghi mit Blankoscheck-Ankündigung die Märkte beruhigt: „Wir werden tun, was wir tun müssen, um den Euro zu retten. Und glauben Sie mir, es wird reichen.“ An der Grenze zur Satire bewegt sich die Eurozone, wenn Griechenland seine Geschäftsbücher noch immer nach derselben Methode denselben Kontrolleuren vorlegen muss, aber wochenlang darum ringt, dass diese nicht mehr „Troika“, sondern „die Institutionen“ heißen. Das bringt Griechenland zwar keinen Euro, rettet aber ein Wahlversprechen, nämlich dass die Regierung nicht mehr mit der „Troika“ zusammenarbeiten würde. Als Realsatire erscheint auch der Streit zweier EU-Nachbarstaaten darüber, was der eine von ihnen auf der Rückseite einer neuen 2-Euro-Münze zeigen darf. Belgien wollte anlässlich des 200. Jahrestages der Schlacht von Waterloo (das Schlachtfeld liegt nur eine kurze Autofahrt außerhalb Brüssels) eine 2-Euro-Gedenkmünze in Umlauf bringen. Darauf sollte, so der Plan, der „Löwenhügel“ zu sehen sein. Das ist ein großes Denkmal. Es markiert zumindest mutmaßlich jene Stelle des Schlachtfeldes, an der der Prinz von Oranien im Kampf gegen Napoleon verwundet worden ist. 180.000 Stück der „2er“ sollen, das sagen zumindest die belgischen Behörden, schon geprägt worden sein, als unlängst die französische Regierung ihren Unmut über das Projekt kundtat. Die Kurzfassung: Frankreich will nicht an des Kaisers letzte Schlacht vor zwei Jahrhunderten erinnert werden – und überhaupt: Schickt sich das, auf der gemeinsamen Währung der historischen Niederlage eines Landes zu gedenken? Eben. Die belgische Regierung hat das Design der Gedenkmünze zurückgezogen. Denn eine (dem Vernehmen nach eher aussichtslose) Kampfabstimmung darüber unter allen EuroStaaten war die Sache dann wohl doch nicht wert. Stattdessen soll es eine andere 2er-Sonderserie geben. Und das Waterloo-Löwenhügel-­Design? Es soll auf reine Sammlermünzen geprägt werden, mit denen nicht bezahlt werden kann. Wer selbst schon einmal in Waterloo war, wird sich über den Wirbel und seine „salomonische“ Lösung womöglich wundern. Denn am Fuße des Löwenhügels steht ein Automat. Wer möchte, kann von diesem eine Gedenkmünze prägen lassen. Aber doppelt hält bekanntlich besser.

Fotos: M ar k us Seidl/FH S t. Pölt en, Filip An toni M alinowsk i & C ar lo Pisani

Mit einer neuen Technik werden Jahrtausende alte Felsgravuren, die Pitoti in Valcamonica digitalisiert

n den Jahren der Eurokrise hat man Iwelche immer wieder beobachten können, Rolle die Psychologie auch


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