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Wie robust ist unsere Psyche?

Forschung an Fohlen für Autisten Untersuchungen an „Dummy-Fohlen“ könnten neue Erkenntnisse bei der Entstehung von Autismus liefern Sonja dries

rei bis fünf Prozent der neugeborenen Fohlen weisen ein so genanntes D Fehlanpassungssyndrom auf. Diese „Dum-

my-Fohlen“ sind nach der Geburt desorientiert, haben keinen Trinkreflex und erkennen oft ihre eigene Mutter nicht. Lange wurde als Ursache Sauerstoffmangel während der Geburt vermutet. Da sich die Fohlen jedoch nach einem gewissen Zeitraum oft wieder komplett von dem Syndrom erholen, begann John Madigan, Professor für Veterinärmedizin an der UC Davis in Kalifornien und Experte für neonatale Medizin, genauere Untersuchungen. Schnell fokussierte er seine Forschung auf eine Gruppe neuroaktiver Steroide, Hormone, die während der Trächtigkeit vom Fohlen produziert werden, um sich im Mutterleib ruhig zu verhalten. Sie wirken wie ein Beruhigungsmittel, da zu viel Bewegung des Fohlens die Mutterstute in Gefahr bringen würde. Nach der Geburt muss das Fohlen aber sofort zu vollem Bewusstsein kommen, um in kürzester Zeit vor potenziellen Angreifern flüchten zu können. In der Zeit

John Madigan, University of California, Davis

„Eine Sache haben alle Autisten gemein: ihre Distanziertheit gegenüber der Umwelt.“ Is a a c P e ss a h , UC D a v i s

zwischen dem Eintritt in den Geburtskanal und der tatsächlichen Geburt wird also eine Art biochemischer Schalter umgelegt. Madigans These war es, dass der Druck, der während der Geburt ausgeübt wird, das Signal für das Fohlen ist, die Ausschüttung der neuroaktiven Steroide zu stoppen und „aufzuwachen“. Madigan und sein Forschungsteam konnten nachweisen, dass neuroaktive Steroide im Blut der Fohlen mit Fehlanpassungssyndrom auch nach der Geburt weiter nachweisbar waren, ihr Pegel teilweise sogar stieg. Auch gesunde Fohlen, denen die Hormone infundiert wurden, wiesen kurzfristig die Symptome des Syndroms auf. Gestützt auf diese Ergebnisse, entwickelte Madigan eine Methode, bei der er ein Seil mehrmals um den Oberkörper des Fohlens schlingt und dann Druck auf das Tier ausübt. Das Fohlen legt sich nach kurzer Zeit hin und scheint zu schlafen. Nach ungefähr zwanzig Minuten wird der Druck gelöst und das Fohlen erwacht. In vielen Fällen standen die Tiere auf und begannen sofort bei der Mutter zu trinken.

Auf diese Ergebnisse wurde auch Isaac Pessah, Professor für Molekularbiologie und Fakultätsmitglied am UC Davis Mind Institute, einem internationalen Forschungszentrum mit Spezialisierung auf neurologische Entwicklungsstörungen, aufmerksam. „Es gibt tausende potenzielle Gründe für Autismus, aber die eine Sache, die alle Autisten gemein haben, ist ihre Distanziertheit gegenüber der Umwelt“, sagt Pessah, der hier die Verbindung zu den Dummy-Fohlen sieht. Ihn fasziniert die Vorstellung, dass Madigans Konzept des gestörten Übergangs von einem quasi sedierten zu einem wachen Zustand des Fohlens in Zusammenhang mit Autismus stehen könnte. Eine neu gebildete komparative Forschungsgruppe, bestehend aus Veterinären, Ärzten, Epidemiologen und Grundlagenforschern, führt nun weitere Untersuchungen in diesem Bereich durch. Eine Studie stellte bereits einen erhöhten Level an Neurosteroiden bei Kindern mit Autismus fest. Die Theorie, dass der neuroaktive Steroidhaushalt des Kindes Hinweise auf Autismus liefern kann, wird nun weiter geprüft.

Was erhöht das Demenzrisiko? Wie sich ein Gehirn im Wachstum entwickelt, gibt Aufschluss über pathologische Prozesse im Alter ie überwindet man Barrieren, die gar W nicht sichtbar sind? Wissenschafter vom Institut für Palliative Care und Orga-

nisationsEthik der Uni Klagenfurt haben dazu gemeinsam mit der Selbsthilfegruppe Alzheimer Austria und der Apothekerkammer ein Projekt gestartet: Demenzfreundliche Apotheke“. 18 Apotheken in Wien und Niederösterreich beteiligen sich daran. 120.000 Personen in Österreich leiden an Demenz, weltweit mehr als 47 Millionen. Bis zum Jahr 2050 wird sich die Zahl verdreifachen. Auf einer WHO-Konferenz im März in Genf wurden erstmals weltweite Maßnahmen gegen Demenz beschlossen; 100 Millionen US-Dollar werden für die Forschung bereitgestellt. „Durch die höhere Lebenserwartung steigt das Demenzrisiko“, erklärt Gabor Kovacs von der MedUni Wien. „Allerdings zeigen Studien, dass sich die Zunahme in westeuropäischen Ländern verlangsamt. Der Lebensstil der Bevölkerung wie die Behandlung der Risikofaktoren, etwa kardiovaskuläre Erkrankungen oder Diabetes, haben sich in den letzten Jahren verbessert.“ Gabor Kovacs war der Koordinator des eben beendeten EU-Projekts DEVELAGE. Es erforschte molekulare Wege, die bei der

„Unsere Aufgabe bestand darin, in menschlichen Gehirngeweben einen Auslöser für die Verklumpung der Proteine zu finden.“ Gabor Kovacs, MedUni Wien

Gehirnentwicklung wie bei der Gehirnalterung eine Rolle spielen. Neben der Med Uni Wien waren sieben weitere europäische Forschungsinstitutionen beteiligt. „Unsere Aufgabe bestand darin, in menschlichen Gehirngeweben einen Auslöser für die Verklumpung der Proteine zu finden. Wir interessieren uns speziell dafür, warum einige alte Menschen völlig gesund sind, während andere Demenzerkrankungen entwickeln. Welche genetischen schützenden Faktoren haben erstere, die Erkrankte nicht haben? Ziel war auch, die Rolle der Proteine, die für Demenzerkrankungen wichtig sind, in Entwicklungshirnen zu beurteilen“, erklärt Gabor Kovacs.

Ein Faktor ist die Sirtuin-Expression, die Herstellung einer Proteinfamilie namens Sirtuin. „Vor allem das Sirtuin-1Protein wurde in den Modellorganismen als lebensverlängernd beschrieben“, so Kovacs. „Wir haben uns diese Proteinfamilie angesehen und konnten zeigen, dass nicht alle Mitglieder der Sirtuin-Proteinfamilie bei Alzheimer in verminderter Form hergestellt werden. Unsere Versuche ergaben, dass nicht nur die Menge des Sirtuins, sondern auch seine genaue Lokalisierung in der Zelle wichtig ist, um diese vor dem Untergang zu schützen und so das Zellleben zu verlängern.“ Erste humangenetische Studien hätten die Ergebnisse bestätigt.

der häufigsten Ursache für Demenz, gibt es zwei Betrachtungsebenen: die klinische und die neuropathologische (mikroskopische). Laut mikroskopischen Untersuchungen ist die Erkrankung durch zwei Merkmale charakterisiert: durch die Ablagerung von Proteinen, und durch den Verlust von Nervenzellen in bestimmten Gehirnregionen. Die sich ablagernden Proteine kommen in

allen Zellen vor und erfüllen wichtige Aufgaben. Das Amyloid-beta-Protein lagert sich hauptsächlich außerhalb der Zelle ab; das zweite Protein, Tau, innerhalb der Zellen. Durch einen bisher unbekannten Mechanismus verändern sich diese Proteine und verklumpen. Die verklumpten Proteine verhindern, dass die Nervenzellen ihre Aufgaben erfüllen können und führen zum Untergang der Nervenzellen.

:: Bei Morbus Alzheimer,

Fotos: biolution GmbH, UC Davis, Joe Proudman

Sabine Edith Braun


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