te die Entscheidung zur „Option“ gefällt sein – gehen oder bleiben? Gerüchte verbreiteten sich wie Lauffeuer: Wer bleibt, wird nach Sizilien umgesiedelt oder muss ein „braver italienischer Staatsbürger werden“, beschreibt Eva Pfanzelter die damalige Stimmung.
„Giovinezza – Hosenfetza“. Re-
gina Dodner, geborene Stockner, wurde 1926 in St. Andrä geboren. Im Buch „Option und Gedächtnis“ blickt sie in die Zeit des Faschismus zurück: „Überhaupt ist alles verboten gewesen, alles! Singen durften wir auf
normal. Wenn man die Wohnung verlässt, ist man auf der Straße. Wir hatten dort natürlich auch italienische Spielkinder, sodass es für uns kein besonderes Problem war. Wir wurden auch in keiner Weise beanstandet, weil wir deutschsprachig waren.“ Hermann Gassers Vater hat sich 1939 dazu entschieden, die Heimat zu verlassen. Die Umsiedler aus Südtirol waren im Deutschen Reich gern gesehene Arbeitskräfte und Soldaten, da die deutschen Männer ja an den verschiedenen Fronten verteilt waren. Auch wirtschaftlich hatte die Umsiedlung einen
hat sich ihre Familie dazu entschieden, zu optieren. „Die Großbauern haben etwas gehabt, die sind nicht weg. Gegangen sind die kleinen Bauern“, erinnert sie sich. Maria Sigmunds Mutter hat auch darauf gedrängt umzusiedeln, da bereits zwei ihrer Kinder diesen Schritt getan hatten, „aber der Vater hat immer zurückgehalten, der hat immer gesagt: ‚Mamele, tien mer net so schnell giehn!’ Und: ‚Wir können zum Schluss auch noch gehen. Tun wir nur noch im Landl bleiben. Es kommt schon noch etwas.’ Und so sind wir geblieben.“
„Wir haben statt ‚Giovinezza’ ‚Hosenfetza’ gesungen. Das ist nicht aufgefallen, sonst wären unsere Eltern eingesperrt worden“_ Regina Dodner
in die Michaelstube im Domcafé zum Leseabend mit Eva Pfanzelter geladen – ein Abend voller Erinnerungen, Geschichten und gefühlsschweren Seufzern aus dem Publikum. Eine Lösung für das „Südtirolproblem“, das seit dem Ende des Ersten Weltkrieges besteht, sollte die Option 1939 sein. „Hitler wollte dem Duce keinen Stein in den Weg legen und versicherte, dass es kein Problem sei, die Südtiroler in Deutschland anzusiedeln“, erklärte Eva Pfanzelter beim Leseabend. Adolf Hitler war sich bereits 1926 sicher, dass Südtirol dem deutsch-italienischen Verständnis im Wege stehen werde. „Im Juni 1939 hat Heinrich Himmler in Berlin in nur zwei Stunden ein Abkommen durchgebracht, das das Südtirolproblem für beide Diktaturen endgültig lösen sollte“, so Pfanzelter. Zwei Stunden, die viele Familien bis in die Grundfesten erschüttern würde – mit der Forderung einer schwerwiegenden Entscheidung: Sollen wir in unserer Heimat bleiben – jedoch unter italienischer Führung – oder ins Deutsche Reich auswandern? Bis zum 31. Dezember 1939 muss-
Deutsch auch nicht. Alles nur italienisch.“ Lieder wie „Fischia il sasso“, „Salve o popolo d’eroi“ oder das Lied „Giovinezza“: „Wir haben statt ‚Giovinezza’ ‚Hosenfetza’ gesungen. Das ist nicht aufgefallen, sonst wären unsere Eltern eingesperrt worden.“ Die Italienisierung und Entnationalisierung der Deutschsprachigen in Südtirol ging basierend auf einem 1923 von Ettore Tolomei verfassten Maßnahmenkatalog vonstatten: Deutsche Ortsnamen wurden durch italienische ersetzt, in Vereinen und Schulen wurde die deutsche Sprache durch die italienische sukzessive abgelöst, und in der Verwaltung und vor Gericht war als Amtssprache nur mehr Italienisch erlaubt. Bleiben oder gehen – diese schwerwiegende Entscheidung hat damals auch Kinder stark beeinflusst. „Meine Freundin Paula und ich haben immer zusammen Milch hinuntergetragen, und heimwärts haben wir politisiert. Also mit 13 Jahren haben wir schon angefangen zu politisieren, wegen dem Wählen“, erinnert sich Regina Dodner. „Den ganzen Weg hinauf haben wir gestritten, ich und die Paula, diskutiert halt. Daheim ist von nichts anderem geredet worden, außer vom Krieg. Oder nachher vom Wählen. Es hat kein anderes Thema mehr gegeben.“
Katzen und rote Rüben. Pater
Hermann Gasser wurde 1932 in Brixen geboren. Er erinnert sich im Buch „Option und Gedächtnis“ folgendermaßen an seine Kindheit: „Wir Kinder lebten ja sehr viel auf der Straße, in einer Stadt wie Brixen war das damals
positiven Nebeneffekt für das Deutsche Reich: Italien musste nämlich Ablösungssummen für die unbeweglichen Güter der Südtiroler bezahlen. Hermann Gasser kam mit seiner Familie nach Rann an der Save, heute Brežice, an der slowakisch-kroatischen Grenze. „Die Einwohner wurden zum größten Teil von der SS vertrieben. Innerhalb von zwei Stunden mussten die alles liegen und stehen lassen“, beschreibt Gasser. „Die SS haben die Inhaber verjagt, auf die brutalste Weise. Das war schon geschehen, als wir hinkamen. Es lag alles noch da: Teller und so.“ Später lieferte eine Spedition die Möbel aus Südtirol nach. In einer Ortschaft in der Nähe von Brežice bekam der elfjährige Hermann Gasser vier Höfe übertragen. „Vier Höfe! Die gehörten mir. Die Ortschaft hieß auf Slowenisch Cirnik, sie wurde meinetwegen umgetauft in Tirolerberg.“ Hermann Gasser besuchte dort zusammen mit Kindern aus anderen Ländern die Volksschule. Dass nicht alles eitel Wonne war, zeigen auch die folgenden Beschreibungen von Gasser: „Zu essen hatten wir nur tote Katzen und rote Rüben. Sonst war ja nichts da, wir mussten die erste Zeit auf diese Weise überleben. Nicht sehr weit von unseren Häusern ging der Stacheldraht vorbei. Da lagen auch manchmal Tote. Wir haben sie auf dem Schulweg zwar gerochen, aber wir durften nicht hin, sonst hätten die Partisanen geschossen.“
„Tien mer net so schnell giehn!“
Maria Sigmund ist 1923 in Brixen geboren. Bis zum Stichtag 1939
Wie viele Südtiroler ab 1939 für die Auswanderung gestimmt haben, „wissen wir eigentlich bis heute nicht“, bedauert Buchautorin Eva Pfanzelter. „Offizielle Endzahlen hat es tatsächlich nie gegeben. Die Vermutungen gehen dahin, dass an die 86 Prozent der Südtiroler für die Auswanderung gestimmt haben, an die 207.000 Personen in etwa.“ 1943 im September war die Option mit dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht definitiv zu Ende. Wer bis dahin nicht gegangen war, ist auch nicht mehr gegangen. Nach 1945 sind etwa 20.000 bis 30.000 Auswanderer in ihre alte Heimat zurückgekehrt.
veronika.kerschbaumer@brixner.info Leserbrief an: echo@brixner.info
info Eva Pfanzelter, geboren 1969 in Bozen, Studium in Innsbruck, Salzburg, Charleston (USA). Seit 1996 Lehre und Forschung am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck mit den Forschungsschwerpunkten Regionalgeschichte, Erinnerung und Geschichtspolitik, Europäische Geschichte nach 1945 und Digital Humanities. Das Buch „Option und Gedächtnis. Erinnerungsorte der Südtiroler Umsiedlung 1939“ ist im Raetia Verlag erschienen. Das Interviewprojekt zum Buch ist unter www. optionunderinnerung.org zu finden. 21