175 JAHRE
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az | Mittwoch, 9. November 2011
AZ MEDIEN
ZEHNDER WANNER PRESSE
Der dreissigjährige Zeitungskrieg im Aargau Brugg Das «Aargauer Tagblatt» und das «Badener Tagblatt» schenkten sich bis zu ihrer Fusion nichts VON HANS-PETER WIDMER*
DIE GRÜNDERVÄTER der aargauischen Tagespresse, Samuel Landolt aus Aarau und Josef Zehnder aus Baden, kamen sich – im Gegensatz zu ihren Nachfahren – bei der Herausgabe des «Aargauer Tagblattes» (1847) und der «Neuen Eidgenössischen Zeitung» (1848; ab 1861 «Badener Tagblatt») noch nicht in die Quere. Das änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Regionalismus blühte auf und Regionalzeitungen schritten als Bannerträger voran. Als zum Beispiel die Firma Brown Boveri 1960 von Baden auf das Birrfeld expandierte, zogen Angestellte und «Badener Tagblatt»-Leser in die Nähe des neuen Arbeitsortes. Das «BT» fasste dadurch im Gebiet des kleinen «Brugger Tagblattes» Fuss. Ein Konkurrenzkampf auf Biegen und Brechen und ein 30-jähriger Zeitungskrieg begannen. Ich erlebte und überstand ihn als Redaktor an der Front.
vor. In schierer Notwehr stellte die Effingerhof AG als Herausgeberin des «Brugger Tagblattes» 1964 einen zweiten Redaktor an. Rasch zählte das «Bruggerli» zu den bisherigen 3200 etwa 400 Abonnenten mehr, aber das machte den Braten nicht fett. Die kleine Zeitung schrieb seit Jahren Defizite, die das solide Druckereiunternehmen Effingerhof freilich verkraftet hätte. Aber dem Verlag fehlten der Wille und die Perspektive, durch den Ausbau der eigenen Zeitung der Konkurrenz zu begegnen. AM SPÄTNACHMITTAG des 8. September 1969 rief mich EffingerhofDirektor Bruno Kretzdorn in sein Büro. Er eröffnete mir, der Verwaltungsrat habe das «Brugger Tagblatt» auf den 1. Oktober zur engen Zusammenarbeit für 25 Jahre an das «Aargauer Tagblatt» verpachtet. Ich solle dies am nächsten Tag veröffentlichen. Für mich als Leiter der Zwei-Mann-Redaktion war die Mitteilung ebenso neu wie für die Leserschaft des «Brugger Tagblattes». Die Beklemmung hielt sich trotz offener Fragen in Grenzen. Der Wandel kam nicht völlig überraschend. Wenn schon, erschien der Wechsel zum «AT» angenehmer, weil die häufigen Sticheleien und
Dem Verlag fehlten der Wille und die Perspektive, der Konkurrenz zu begegnen.
IN IHREN NEUEN EXPANSIONSGEBIETEN Brugg, Freiamt und Fricktal kamen sich die beiden grössten Tagblätter in die Quere. Am härtesten umkämpft war die Region Brugg. Von Osten stiess das «Badener Tagblatt», von Westen das «Aargauer Tagblatt»
Bissigkeiten des «BT» unter die Haut gegangen waren. DIE REAKTION AUS BADEN fiel heftig aus. «Euses Blättli wird zur Tarnkappe», betitelte das «BT» seinen Kommentar. Dahinter durfte man Otto Wanner persönlich vermuten. «Es ist doch offensichtlich, dass inskünftig den Brugger Lesern Aarauer Kost vorgesetzt wird», schrieb der überrumpelte «BT»-Verleger. Nicht nur das: Mit dem rechtsfreisinnigen «Aargauer Tagblatt» wolle man die Information konformer machen und die freie, parteipolitisch unabhängige Diskussion noch stärker kanalisieren. «AT»-Chefredaktor Kurt Lareida konterte scharf: «Wir sind weder von der freisinnigen Partei abhängig noch ihr verpflichtet. Verpflichtet sind wir unserer eigenen liberalen Überzeugung, und wir sind – im Gegensatz zu unseren Kollegen beim ‹Badener Tagblatt› – keinem allmächtigen BesitzerVerleger unterstellt, der nicht nur die Meinung, sondern auch seine Redaktoren manipuliert.»
des «so genannten Brugger Tagblattes» (diese Bezeichnung wurde «BT»Standard) sei «weit unter 4000, wenn nicht auf unter 3000 abgesunken». Das bestritt man auf der Gegenseite. «Wer lügt?», fragte die «BT»-Lokalredaktion Brugg in heiligem Zorn und rief nach einer neutralen Instanz zur Überprüfung der Abonnentenzahlen. Halb aus Frust, halb aus Angriffslust erklärte ich in einer 13-zeiligen Glosse das «BT» zur meistverschenkten statt meistabonnierten Zeitung. Die Replik aus Baden war 190 Zeilen lang und enthielt zum zweiten Mal den Vorschlag, eine neutrale Instanz müsse klären, wer mehr Zeitungen gratis abgebe. Auch diese «Offerte» liess uns kalt. – «Kläglicher Rückzug», warf uns das «BT» acht Tage später an den Kopf.
In einer 13-zeiligen Glosse erklärte ich das «BT» zur meistverschenkten Zeitung.
DER KAMPF UM LESER wurde ausdauernd geführt. Schon nach 14 Tagen erklärte sich das «Badener Tagblatt» zur grössten Lokalzeitung in der Region Brugg. Denn die Auflage
OHNE AUFTRAG verglich der Leser Eduard Hochstrasser eine Woche lang den Brugger Regionalteil in den beiden Tagblättern. Im «Brugger Tagblatt» zählte er 35,5 Spalten, mit mehr politischem und aktuellem Stoff, beim «Badener Tagblatt» 27,5 Spalten, mit mehr kulturellen und wirtschaftlichen Nachrichten. Das «Badener Tagblatt» war progressiver. Dagegen war das «Aargauer-Brugger Tagblatt» der Konkurrenz aus Baden im nächtlichen Zeitungsdruck um ein paar Jahre
DAS SAGEN PROMINENTE «Wenn ich einen Tag lang Chefredaktor wäre, würde ich die az wieder auf einen bürgerlichen Kurs trimmen, denn linkslastige Medien gibt es mehr als genug in der Schweiz!» Ueli Giezendanner, SVP-Nationalrat und Ständeratskandidat, Rothrist
voraus. «Man merkt die Nachtarbeit», frotzelte 1972 der damalige «BT»-Redaktor Hans Güntert, «das ‹AT› kommt morgens müde daher.» In der bewegten 1968er-Zeit und danach war das «BT» ein sensiblerer Seismograf für veränderte gesellschaftliche Strömungen. Es legte in den 1990er-Jahren deutlich zu und zog bis zur Fusion und zum Ende des 30-jährigen Zeitungskriegs auflagemässig mit dem «Aargauer Tagblatt» fast gleich. *Hans-Peter Widmer war von 1964 bis 2003 Redaktor beim «Brugger Tagblatt», beim «Aargauer Tagblatt» und bei der «Aargauer Zeitung».