3 minute read

«Tischrede» in Waldenburg überzeugte von A bis Z

Waldenburg «Der Zivilisationsbruch kam erst mit Putins Angriffskrieg»

WILLI WENGER

Die im November 2013 als damalige Kanzelreden und ab 2017 als «Tischreden» lancierte Vortragsreihe ist am vergangenen Freitag nach der Covid-Pause im Leue in Waldenburg fortgesetzt worden Mehr als nur erfolgreich Redner Roger Harr aus Niederdorf beleuchtete die Sicherheitslage in Europa und er nannte dabei die Situation «gnadenlos» beim Namen Seine Klarheit wie seine Offenheit kam dabei beim Publikum an Es quittierte die überzeugenden Aussagen des einstigen Oberstleutnants im Generalstab der Luftwaffe mit Applaus Es nahm unter anderem zur Kenntnis, dass in den letzten Jahren eine Reihe von Wendepunkten passiert sind die alle grundlegende Veränderungen andeuteten «Doch zum Zivilisationsbruch kam es erst mit Putins Angriffskrieg in der Ukraine ab dem 24 Februar des vergangenen Jahres», kommentierte Zahnarzt Harr im voll besetzten «Leue»-Saal Harr hielt im Vergleich zur Zeit des Reformators Martin Luthers fest, dass auch heute die Themen vielfältig seien «Nur eben andere » Er nannte den Klimawandel, den Energiemangel, Pandemien, Inflation, Terrors, Islamisierung, Naturkatastrophen, Fachkräftemangel oder die Angst, abgehängt zu werden in einer immer komplizierteren Welt Auch heute spüre man eine Gereiztheit in der Gesellschaft Das sei alles andere als gut «Denn dort, wo Angst vorherrscht, sind Menschen anfällig für ganz einfache Parolen, für Sehnsucht nach starker Führung und das gefährdet die Demokratie » Hoffnung und Fehler Harr wurde in der Vergangenheit um mehrere Illusionen ärmer So im Nachgang beim Übergang vom Kalten Krieg zu einer europäischen Sicherheitsordnung, wo man (noch) hoffte, ein Europa so zu gestalten, ohne Krieg mit Grenzen, welche durch Verträge gesichert sind «Diese Hoffnung ruhte für mich auf der Schlussakte von Helsinki und Vereinbarungen wie die Charta von Paris 1990 und der Nato-Russland-Akte mit der Russland die Nato-Erweiterung akzeptierte und dafür Zugeständnisse erhielt » Aber das sei letztlich ein Trugschluss gewesen Man habe (sehr) viele Fehler gemacht, nach 1999 In Europa hätten vor allem Deutschland und die Schweiz im Lichte von Friedensdividenden nicht nur übertrieben, sondern in hohem Masse leichtfertig gehandelt So wurden nach Auffassung von Harr Armeen – die Schweizerische hätte im Londoner Wembley Stadion Platz – in sträflicher Weise abgebaut «Sogar das Kämpfen wurde aus dem Aufgabenkatalog der Soldaten gestrichen In der Schweiz fehlte es allen Politikern an Mut im Klartext zu sagen dass Krieg führen die Existenzberechtigung der Armee ist »

Abhängigkeiten von Russland und von China

Dass gleichzeitig in unglaublicher Weise strategische Abhängigkeiten von Russland und China fixiert wurden, bezeichnete Harr als naiv und als Beleg des Fehlens jeglichen strategischen Dankens «Am Schlimmsten jedoch war das Einlullen der Bevölkerung mit der irrigen und historisch widerlegten Hoffnung, alle Krisen und Konflikte könnten friedlich gelöst werden Man glaubte gegen alle Warnungen auch im Umgang mit Autokraten an das Prinzip Wandel durch Handel und übersah deren gegensätzliche Ziele und vermied Kontroversen und kritischen Dialog » Zum Ukrainekrieg sagte Harr, dass es aus der Luft gegriffen sei, dass Russland gedemütigt worden sei Das Gegenteil sei wahr «Russland wurden Zugeständnisse gemacht wie beispielsweise die Beschränkungen für Nato-Truppen in den neuen Nato-Bündnisländern ab 1999 oder die Aufnahme Russlands in die G8

In diesem Krieg herrscht unermessliches Leid Die Opfer sind beträchtlich Auf jeder Seite sterben Hunderte von Soldaten jeden Tag und es gibt kaum noch grosse Geländegewinne Aber: Ein grosser Teil der russischen Bevölkerung unterstütze den Krieg immer noch Die Bevölkerung sei autoritätsgläubig und leidensfähig Nichtsdestotrotz: Der Ukraine müsse weiterhin geholfen werden gerade jetzt durch Waffenlieferungen, später dann im Wiederaufbau und auf dem Weg in eine rechtsstaatliche Demokratie Harr sagte aber auch, dass die Ukraine vor dem Angriffskrieg in der «Korruptions-Hitparade» einen Spitzenplatz eingenommen habe

Wohlergehen nur in Freiheit Wohlergehen gebe es nur in Freiheit, so Harr weiter Es müsse aufgezeigt werden, dass wir uns in einer existenziellen Krise befinden, dass wir in einer Welt voller Unsicherheit und Ungewissheit leben Die lähmende Abhängigkeit müsse deshalb mit Nachdruck vermieden werden wie auch ein Rückfall in die nationale Eigenständigkeit Es gelte im Inneren kritische Infrastruktur zu schützen und zu modernisieren, die Krankenund Energieversorgung anzupassen und die Energiewende durch schnelle Nutzung erneuerbarer Energie unumkehrbar zu machen Am Schluss wiederholte Harr dass Freiheit ohne Wenn und Aber bewahrt werden müsse «Wir müssen sie schützen, das ist Aufgabe der Politik » Alle seien gefordert, die Politik dabei zu unterstützen «Wir müssen für den Schutz der Freiheit überzeugen und eintreten und müssen vor allem unsere Jugend animieren, es weiter tun zu müssen »

Die nächsten Tischreden der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Waldenburg-St Peter unter Pfarrer Torsten Amling finden jeweils um 20 15 Uhr wiederum im Saal des Restaurants «Leue» in Waldenburg statt Freitag, 3 Februar, Felix E Müller: «Überall ist Weltuntergang» Freitag, 24 März: Carl Bossard: «Die vielen Reformen gefährden die Schule» Eintritt frei, Konsumation auf eigene Rechnung