3 minute read

Das muss mal gesagt werden

»ES GEHT BERGAUF«

Aus dem Leben: im Gespräch mit Asphalt-Verkäuferin Maria (54).

Advertisement

Hallo Maria, du verkaufst seit 2018 in Göttingen die Straßenzeitung, wie war das letzte Jahr für dich?

Es ging. Einige meiner Stammkunden sind letztes Jahr verstorben und da war ich sehr traurig. Das ist wie eine kleine Familie für mich. Ich fühle da immer sehr mit.

Dein Verkaufsplatz ist deine Familie, deine Heimat?

(lacht.) Nicht ganz, aber ein wenig schon. Ich fühle mich an meinem Platz willkommen und zu Hause. Ich bin ja gebürtig aus Rumänien, das ist meine Heimat. Geboren bin ich auf einem Bauernhof in Dâmbovița, nahe der Provinzhauptstadt Tîrgoviște in Rumänien, der Hauptstadt der Walachei. Zur Schule kam ich nach Sibiu, das ehemalige Hermannstadt und habe danach 17 Jahre als Bäckerin in drei Schichten in einer Fabrik gearbeitet. Da habe ich Brot und Bretzel gebacken. Das war eine gute Stelle.

In der Zeit hast du auch deine eigene Familie gegründet?

Ja, ich habe früh geheiratet, wie es Tradition ist bei uns, und habe einen Sohn geboren. Da war ich sehr glücklich und es ging bergauf.

Aber dein Glück währte nicht sehr lange?

Leider nicht. Als mein Sohn fünf Jahre alt war, ist mein Mann plötzlich an einem Herzinfarkt gestorben. Das hat mein Herz gebrochen und ich habe nie wieder geheiratet oder einen anderen Mann gehabt. Nach seinem Tod habe ich das Kind alleine durchbringen müssen. Das war hart. Ich war eine Alleinerziehende und es war die Zeit nach Ceaucescu.

Es sollte noch schlimmer kommen …

Bei der Arbeit erlitt ich 2005 einen Prä-Infarkt am Herzen. Danach konnte ich nicht mehr dort arbeiten, aber ich musste jeden Monat Geld für Miete und Essen verdienen. Es gab in Rumänien keine sozialen Hilfen.

Wie ging es dann wieder bergauf?

Ein Bekannter hat mir geraten, nach Deutschland zu gehen. Da hatte ich zwar erst nur eine Putzstelle bei Studenten, aber das war mir egal, ich konnte meinem Sohn Geld senden nach Rumänien. Kurz darauf habe ich eine richtige Stelle gefunden bei einem Gebäudereiniger in Geismar. Das war immer nur ein befristeter Vertrag, dann ein paar Monate Pause und ein neuer Vertrag für ein Jahr. Immer wieder. Später habe ich mit der Hilfe dieses Chefs einen festen Vertrag in der Gastronomie bekommen. Da habe ich mich sehr wohl gefühlt und wurde sogar gelobt. Das war eine sehr schöne Zeit. Da hatte ich auch ein gutes Auskommen. Jetzt ist die Gastronomiefirma pleite und ich musste soziale Hilfen beantragen.

Bist du damals zur Straßenzeitung gekommen?

Ja, gesundheitlich ging es mir danach nicht so gut, mein Herz hat mich ein wenig im Stich gelassen und ich habe meine Arbeit vermisst. Dann kam auch noch eine Thrombose dazu und im März 2020 kam Corona. Da gingen die Probleme richtig los.

Welche Probleme?

Ich war ja nicht krank, aber alle Menschen, auch meine Kunden, sollten zu Hause bleiben. Aber im Hagenweg 20 ist das keine gute Option. Ich hatte dort Angst zu leben und Drogensüchtige als Nachbarn. Es hatten alle sozialen Einrichtungen zu, auch das Jobcenter.

Du hast es jetzt aber geschafft aus dem prekären Hagenweg 20 auszuziehen?

Ja, mit ganz viel Hilfe und Glück. Das hat mir gesundheitlich sehr gutgetan. Jetzt kann ich nachts wieder einschlafen und in Ruhe durchschlafen. Das ist mein ganz persönlicher Luxus. Es ist eine ganz normale Wohnung und ich bin sehr glücklich darüber. Da ist auch ein alter Kloster Park in der Nähe, da gehe ich gerne Spazieren und verbringe meine freien Tage. Mir fehlt die Gesellschaft. Ich bin ja auf einem Bauernhof groß geworden und wir hatten immer viele Tiere. Es ist hier ganz schön einsam, aber ich werde mir vielleicht ein Haustier anschaffen. Aber das muss ich mir erst noch gut überlegen. Vielleicht nächstes Jahr eine Katze. Dann bin ich nicht mehr alleine.

Du hast erzählt, dass du jetzt auch wieder kochen kannst?

In der neuen Wohnung habe ich wieder einen Herd. Da koche ich gerne. Für meinen Übersetzter Stefan habe ich schon gekocht, er sagt mir immer, ich soll mehr essen, weil er findet, ich bin zu dünn. Genau wie mein Hausarzt. Ich koche sehr, sehr gerne und habe auch schon einige Male schöne rumänische Menüs für meine Freunde gekocht. Mein absolutes Lieblingsgericht sind Sarmale, das kennen die Deutschen als Kohlrouladen. Die mache ich immer, wenn Feiertage sind und wir mit der Familie zusammenkommen.

Wie geht es deinem Sohn, deiner Familie heute?

Mein Sohn ist jetzt 35 Jahre alt und arbeitet als Taxifahrer in Sibiu. Er hat erst vor zehn Monaten geheiratet, aber wann und ob ich noch Oma werde, da lasse ich mich überraschen.

This article is from: