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Meditation

MIT MARIA VON MAGDALA AUFSTEHEN

Maria von Magdala war zusammen mit den Jüngern und anderen Frauen den Weg mit Jesus gegangen. Jetzt, am ersten Tag der Woche will sie sein Grab besuchen. Sie ist traurig, denn jetzt ist alles vorbei. Es geht nicht mehr weiter. Mit dieser Botschaft wird der anbrechende Tag Maria von Magdala geweckt haben, wenn sie überhaupt schlafen konnte.

Unser Schlaf wird gelegentlich als der kleine Bruder des Todes bezeichnet. Doch ich denke, dass wir in unserem Erwachen und Aufstehen fast noch näher und tiefer als dies beim Einschlafen der Fall ist, an das uns heran tasten, was Tod meint. Da spüren wir sehr gut, welche Kräfte uns am kommenden Tag unten halten, aufreiben, krumm machen werden. Da spüren wir gut, wer oder was da schon aus unserem Leben vor dem Tod eine Art Tod machen will. Die Botschaft des Todes heisst: Du, es geht nicht mehr weiter. Maria von Magdala steht auf, obwohl alles dafür spricht, dass der schwere Stein noch immer vor dem Grab liegt und alles noch ganz genau gleich traurig und hoffnungslos ist wie am Vortag. Sie steht auf, ganz früh, noch im Dunkel, und ihr Herz voll zerbrochener Träume, voller Trauer, voller Einsamkeit. Im Gegenteil: Offensichtlich fügt der Tag ihrem bisherigen Leid noch einmal ganz viel neues Leid hinzu. In welcher Verzweiflung und mit wieviel Tränen wird sie den Leib ihres Herrn gesucht haben…! Wie unendlich klein muss ein Mensch sich fühlen, inmitten dieses immensen Kräftespiels zwischen Leben und Tod. Wie unendlich stark sind in einer solchen Stunde die Gefühle der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins. Doch Maria von Magdala steht auf an diesem Ostermorgen, und sie, die kleine, einsame Gestalt im Dunkel wird zur grossen Botschafterin der Auferstehung. Sie wird dafür sorgen, dass nun auch die Jünger den Mut finden, aufzustehen.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass neben den zeitlosen, allgemeinmenschlichen Sorgen und Leiden unsere Gegenwart mit ihren schwierigen offenen Fragen und ungelösten Problemen dem Tod neu und verstärkt Hand bieten wird, Menschen die Hoffnung zu nehmen. Und es wäre schwärmerisch weltfremd, von der menschlichen Gemeinschaft zu erwarten, dass sie mit einem triumphalen Halleluja auf diese Herausforderung antworten wird. In der Not jubeln ist den zweiten Schritt vor dem ersten tun. Doch lasst uns den ersten Schritt tun.

Lasst uns weiterhin einstehen für das Leben und das göttliche Projekt Mensch. Lasst uns jeden Morgen mit Maria von Magdala neu aufstehen, auch wenn noch Dunkel herrscht und wenig Hoffnung greifbar ist. Lasst uns mit Maria dafür offenbleiben, dass Gott wirkt, auch und vielleicht gerade dort, wo niemand es erwartet – auch und vielleicht gerade zu einer Zeit, in der es kein Mensch auch nur zu erträumen wagt.

Dr. theol. Jean-Marc Chanton, Kaplan

Kirchenfenster in der Kapelle PéryReuchenette mit dem Motiv: Auferstehung.

Foto: Niklaus Baschung

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