The Gap 128

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Christina Steinbrecher

Rudolf Greger

GP Designpartners

TKI / IG Kultur Tirol

»In der Wachstumsphase« — Der Begriff »Industrie« impliziert, dass die Kreativwirtschaft ebenso effizient ist wie die klassische Industrie. Dass ihre Akteure Einzelpersonen und kleine Unternehmen sind, steht dabei nicht im Widerspruch dazu, von einer »Industrie« im weitesten Sinn zu sprechen. Adornos Begriff einer »Kulturindustrie« sollte als Synonym fĂŒr Formen der Effizienzsteigerung und Rationalisierung stehen, aber auch fĂŒr andere Systeme, mit denen heute die Verbreitung, Rezeption und Verwertung von Kunst gestĂ€rkt wird. Denn die ProduktionsumstĂ€nde in der Kunstindustrie hĂ€ngen von zwei wesentlichen Faktoren ab: Globale Netzwerke und exponentielle Wachstumsraten in allen TĂ€tigkeitsbereichen. Kunstmarkt und Ausstellungen werden fĂŒr den Tourismus immer wichtiger, zeigen die Statistiken: 2010 fanden weltweit 154 Messen fĂŒr moderne und zeitgenössische Kunst statt. Alleine die sechs Kunstmessen in Österreich kommen zusammen auf 87.500 Besucher. Die Biennalen, Triennalen und Kunstmessen 2010 haben ĂŒber neun Millionen Menschen besucht. Diese Zahlen wirken sich nicht nur auf alle Zulieferindustrien, sondern auch auf BeschĂ€ftigungszahlen positiv aus. E-Commerce und Online-Auktionen verzeichneten einen durchschnittlichen Zuwachs von 5,2% in den letzten zehn Jahren. Dieses rasante Wachstum und der Bedarf an Information in noch unerschlossenen MĂ€rkten stellen Prozesse des Kunstbetriebs und seine Akteure vor neue Herausforderungen. Möglichst umfangreiches Wissen um und Bewusstsein fĂŒr eine adĂ€quate Verwendung von Bildmaterial und Copyright muss erst entwickelt werden. Fragen, die auch auf dem zeitgleich stattfindenden Art Industry Forum im Zentrum stehen werden. 

»Nichts.« — Die Creative Industry ist ein Faktum. Die Frage ist, wer weiß davon, wem ist es bewusst und was fange ich mit diesem Bewusstsein an. Viele jammern bloß: die Kreativen ĂŒber GeringschĂ€tzung und Ausverkauf, die Kunden der Kreativen ĂŒber vermeintlichen Mangel an ProfessionalitĂ€t, SelbstĂŒberschĂ€tzung und nicht nachvollziehbarer Preisfindung. Dazu gesellen sich die sich VordrĂ€ngenden, die Interessen der Kreativen zu vertreten gierenden staatlichen Institutionen, die in den Creative Industries eine noch auszuschöpfende WĂ€hlerschaft entdeckt haben (nach Tony Blair vor 15 Jahren) und diese mit einer unĂŒberschaubaren Menge an Förderungen an den Staat binden wollen. Dabei ist es eine Frage der SelbsteinschĂ€tzung. Die Zeit der Kreativen, ihre FĂ€higkeit zu synthetisieren, ihre Ideen sind wertvolles Kapital. Das wurde in vielen Jahren aufgebaut. Die Tatsache des minimalen Maschinen- und Materialeinsatzes – letztlich genĂŒgen Papier und Bleistift, um das Ergebnis der Überlegungen zugĂ€ngig zu machen – und die Möglichkeit, eigene BedĂŒrfnisse einzuschrĂ€nken, darf nicht dazu verleiten, die erbrachte Leistung (KreativitĂ€t, Inspiration, Innovation) gering zu bewerten, also sehr gĂŒnstig bis gratis zu arbeiten / einzukaufen. Der oft verspĂŒrte Marktdruck, der auch zum Nachgeben verfĂŒhrt, ist eine Projektion. Ohne Creative gĂ€be es schon lange keine Classic Industries mehr im Westen. International ist gut zu erkennen, wo die Innovation ihren Ausgangspunkt hat (vgl. Designed in California, Produced in China). Gute Arbeit rechtfertigt guten Preis. Insbesondere dann, wenn sie dringend benötigt wird, weil sie vom klassischen Unternehmer nicht erbracht werden kann (siehe RechtsanwĂ€lte, Ärzte, sogar Unternehmensberater schaffen es). Die Creative Industry ist gut aufgestellt and ready. Nutzen wir das! 

»KĂŒnstler ≠ Creatives« — Die Arbeit der freien, zeitgenössischen Kunst- und Kulturszene ist weitgehend nicht den Creative Industries zuordenbar. Dass aber genau das immer wieder versucht wird, ist problematisch. Denn bis auf seltene Ausnahmen funktioniert diese KreativitĂ€t nicht nach herkömmlichen Marktlogiken, die mit Wirtschaftlichkeit, Nutzen, »Sellability« und oft auch mit MehrheitsfĂ€higkeit zu tun haben. Das ist einerseits gut: fĂŒr die Gesellschaft, da so sichergestellt wird, dass es Verstörendes, Qu(e)eres, SingulĂ€res und NichtMarktfĂ€higes gibt, das den Alltag bereichert und zur Auseinandersetzung herausfordert. Gerade die Arbeitsweisen der freien Kulturszene können auch Gegenmodelle zur neoliberalen Verwertungslogik darstellen. Andererseits schlecht: da die Entlohnung von Kunst- und Kulturschaffenden dadurch von oft prekĂ€ren Jobs und der staatlichen Förderpolitik abhĂ€ngig ist. Diese wiederum ist hĂ€ufig intransparent und einem konservativen, reprĂ€sentativen Kunst- und Kulturbegriff geschuldet. FĂŒr mich stellt sich daher die Frage: »Was fehlt diesen â€șCreativesâ€č um ungehindert ihrer Arbeit nachgehen zu können?« Zuallererst eine generelle Aufwertung – durch Regierungspolitik, Medien etc. – und eine Erhöhung der entsprechenden Förderbudgets. Eine Förderpolitik, die explizit die Arbeit der Kulturschaffenden unterstĂŒtzt, samt notwendiger Infrastruktur, und nicht etwa Wirtschafts- und Tourismusförderung auf Umwegen betreibt. Ein Sozialversicherungssystem fĂŒr Kreative, das realitĂ€tsnah und leistbar ist. Und natĂŒrlich die Anerkennung von Kulturarbeit als Arbeit, das heißt: adĂ€quate Bezahlung und verbindliche Standards der Entlohnung, die von Kulturverwaltung und -politik sowie von Kunst- / Kultureinrichtungen einzuhalten sind. 

Kuratorin, Vienna Fair

» Ohne Creative gÀbe es schon lange keine Classic Industries mehr im Westen.« (Rudolf Greger)

Christina Steinbrecher, 29, ist Kuratorin und seit heuer mit Vita Zaman kĂŒnstlerische Leiterin der Vienna Fair The New Contemporary, der grĂ¶ĂŸten österreichischen Messe fĂŒr zeitgenössische Kunst (20.–23. September). www.viennafair.com

Anita Moser

Anita Moser, 45, ist GeschĂ€ftsfĂŒhrerin der TKI – Tiroler Kulturinitiativen / IG Kultur Tirol www.tki.at. Die TKI ist die Interessenvertretung der freien Kulturinitiativen Tirols mit ĂŒber 100 Mitgliedern.

Rudolf Greger ist Service Designer und Industrial Designer. Mit Christoph Pauschitz hat er vor 20 Jahren GP Designpartners gegrĂŒndet. gp.co.at

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