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71/72 – Die Saison der Träumer

„Mit den zahlreichen teils ganzseitigen farbigen Abbildungen auf 488 Seiten im Großformat fast wie ein Besuch der Schatzkammer und der Basilika.“

Schatzkammer und Basilika St. Ludgerus

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Der Bestandskatalog mit der einzigartigen Schatzkunst, Skulpturen und Gemälden aufbewahrt in der Schatzkammer und in der Basilika. Herausgegeben von Daniela Krupp und Andrea Wegener.

Format 30 x 21 cm, Festeinband ISBN 3-9816594-9-X 49,95 EUR Meine Fußballerkarriere begann zwischen Kuhfladen und Maulwurfshügeln auf einer holprigen Wiese 1971 während einer Jugendfreizeit in Ballum auf Ameland. Schon allein das Betreten des Fußballplatzes war ein Abenteuer, mussten doch alle Kicker ein Holzgatter überwinden und darauf hoffen, dass der Bauer mal wieder beide Augen zudrückte und uns spielen ließ. Er tat es immer. Ich kann mich erinnern, dass der Ball schwer zu kontrollieren war und immer wieder wegsprang. Außerdem wurde nach gefühlt jedem zweiten Torschuss laut geflucht, weil das Leder aus dem angrenzenden Entwässerungskanal gefischt werden musste. Was heißt überhaupt Leder? Ich glaube, die damals übliche Bezeichnung Flautsche war sicherlich angebrachter und aus Leder waren unsere Bälle noch lange nicht immer. Aber Tore fielen reichlicher als heute. Wir spielten nämlich immer bis zehn oder bis zwanzig oder bis es anfing dunkel zu werden und wir den Ball nicht mehr richtig sehen konnten. Meine Kickerlaufbahn endete schnell. Ich war einfach zu klein und zu langsam. Aber mein Interesse am Fußball war generell geweckt und so bekam ich mit meinen elf Jahren am Rande den Bundesliga-Bestechungsskandal mit, der ganz Fußball-Deutschland damals erschütterte.

Bernd-M. Beyer, heute 71 Jahre alt, hat diesem ganz besonderen Sportjahr eine außergewöhnliche Biografie gewidmet. Sie beginnt mit dem 6. Juni 1971, dem Tag, an dem die ersten Informationen durchsickerten, etliche Bundesligaspiele seien erkauft worden, und endet mit der »schlimmsten Nacht der Bundesrepublik« im September 1972, an dem so viele israelische Olympiateilnehmer in München von einer palästinensischen Terrorgruppe ermordet worden waren.

Dazwischen liegt ein ganzes Jahr, das die noch junge Bundesrepublik verändern sollte – sportlich wie gesellschaftlich. Es ist das Jahr, in dem Deutschland mit Zauberfußball Europameister wird. Das Jahr, in dem es erste deutsche Annäherungen an den Osten gibt. Der damalige Bundeskanzler Willy Brandt erhält dafür den Friedensnobelpreis und wird im Land von vielen als Verräter tituliert. Auch einem Literaten ergeht es kaum besser: Heinrich Böll bekommt den Literaturnobelpreis, was der Springerpresse gerade einmal eine Randnotiz wert ist. Es ist das Jahr der Fußballer einer neuen selbstbewussten Generation. Plötzlich spielt Geld eine wesentliche Rolle – nicht nur bei Netzer, Beckenbauer, Müller und Co.

Zwei ganz unterschiedliche »Helden« führen durch die 350 Seiten des Buches. Zum einen das Fußballgenie Reinhard (Stan) Libuda, zum anderen der Polit-Rocksänger Rio Reiser. »Beide sind Träumer ganz unterschiedlicher Art«, sagt Beyer in einem Buchmarkt-Interview. »Libuda träumt von der Geborgenheit der Zechenhaussiedlung, in der er aufwuchs, und von einer heilen Fußballwelt. Rio verfolgt den Traum einer besseren, gerechteren Welt ...« Beide werden scheitern.

Für mich ist das Buch eines der spannendsten Sachbücher des Jahres!

Thomas Schmitz

Bernd-M. Beyer 71/72 - Die Saison der Träumer Die Werkstatt, 22.- Euro