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Die gelbe Bastion

Er ist eine analoge Bastion im Internetzeitalter, ein Buch, ein Nachschlagewerk, mehr als ein Kilo schwer. Obwohl es ein Leichtes wäre, den Computer zu benutzen, steht oder liegt er immer noch hunderttausendfach griffbereit in deutschen Büros auf ungezählten Schreibtischen und behauptet sich in strahlendem Gelb: Der Duden, genauer gesagt der Duden 1 – Die deutsche Rechtschreibung. Vor wenigen Wochen ist wieder eine neue Auflage erschienen. Es ist die mittlerweile 28. Neuausgabe, seit Konrad Duden im Jahre 1880 sein erstes Wörterbuch auf den Markt brachte. Gerade 187 Seiten hatte der Erstling und war zu einem Kampfpreis von damals einer Mark zu haben. Vielleicht begründete das ja seinen Erfolg. Wenn er auch nicht mehr ein Monopol darauf hat, ist der Duden doch bis heute DIE Instanz für richtiges Schreiben in Deutschland. Und Konrad Duden hat es geschafft, dass 90% der deutschen Bevölkerung seinen Namen kennen. Damit kann er es im Ranking mit jeder lebenden Popikone aufnehmen.

Dudenredaktion (Hrsg.) Duden - Die deutsche Rechtschreibung 28,- Euro Nur drei Jahre hat es gedauert, bis die Duden-Redaktion sich entschlossen hat, ihr Flaggschiff in neuer und erweiterter Ausgabe herauszubringen. Das hat natürlich seinen Grund: Die Neuausgabe hat 148.000 Stichwörter auf 1.296 Seiten und ist um 3.000 Wörter gegenüber 2017 gewachsen. Es hat sich aber auch mächtig was getan in der deutschen Sprache: »Fridays for Future«, »Mikroplastik«, »Gendersternchen«, »Videobeweis« sind Wörter, die den Weg in den kollektiven Sprachgebrauch neu gefunden haben. Es gibt weitere Hinweise, die die Aktualität des Dudens belegen: Wörter wie »bienenfrendlich«, »genderneutral« oder »Pflegeroboter« kannte und nutzte bis vor kurzem niemand. Die Hochzeit der Neubearbeitung scheint mit der Corona-Pandemie einhergegangen zu sein. Schlagen Sie die Vokabeln nach, Sie werden alle finden. Die »Ansteckungskette«, die »Atemschutzmaske«, »Covid 19«, »rückverfolgbar« und natürlich fehlt »Social Distancing« ebenso wenig. »Alltagsrassismus«, »Brexiteer«, »Craftbeer« – Sprache ist ein Abbild der Gesellschaft mit all ihren spannenden Entwicklungen und Abgründen. Kann man über neuaufgenommene Wörter wie »Influencer«, »Katzenvideo« und »Zwinkersmiley« noch leise in sich hineinlächeln und darüber nachdenken, wie manche Lebenswelten heute aussehen, gefriert das Lachen schnell bei »Hasskommentar«, »Alltagsrassismus« oder »Schummelsoftware«. Dabei sind manche Wörter so aktuell, dass sie von meinem Rechner noch gar nicht erkannt werden und die Autokorrektur Alarm schlägt.

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Sehr umsichtig hat man sich auch von Wörtern verabschiedet, die im deutschen Sprachgebrauch keine Rolle mehr spielen. Es ist wirklich gut so, dass es den »Bäckerjungen« genauso wenig mehr gibt wie das »Lehrmädchen«, dass »beweiben« als Synonym für Eheanbahnung ausgedient hat und der »Hackenporsche«, der »Wolfsrachen«, die »Vorführdame«, der »Zehrpfennig« abdanken mussten.

die gelbe bastion

Die Leiterin der Duden-Redaktion, Kathrin Kunkel-Razum, erklärt in einem Interview, nach welchen Kriterien entschieden wird, ob Wörter neu aufgenommen werden oder eben entfernt werden.

Das wichtigste Instrument sei der Dudenkorpus. »Das ist eine riesige elektronische Textsammlung, die derzeit rund 5,6 Milliarden Wortformen umfasst.« Taucht ein neues Wort immer häufiger in dieser Datenbank auf, hätte es gute Chancen, in einem der nächsten Duden aufgenommen zu werden. Aber auch »LeserInnen« machten auf neue Begriffe aufmerksam. Und sicherlich geht die Dudenredaktion ebenfalls mit offenen Ohren und Augen durch die (Sprach-)welt.

Auf die Frage, welches ihre Lieblingswörter in den Neuaufnahmen sind, sagt die Chefredakteurin: »Wie soll man da auswählen? Bei ›aufploppen‹ hört man geradezu den Plopp. ›Bartöl‹ finde ich wegen der dahinterliegenden Ausdifferenzierung der Kosmetikwelt spannend. ›Ceviche‹ esse ich gern, die ›Durchimpfungsrate‹ klingt furchtbar bürokratisch, sie ist aber wichtig für unser aller Gesundheit, über die Menge an ›Erklärvideos‹ staune ich, aber vielleicht ist mein Lieblingswort diesmal der ›Gänsehautmoment‹.«

Es macht Spaß, in diesem gelben Klotz zu blättern, schnell verliert man die Zeit aus dem Blick. Das mit 44 Zeichen längste deutsche Wort, das dort verzeichnet ist, lautet zum Beispiel »Aufmerksamskeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung«. Gewaltig! Es ist aber ein Nichts im Vergleich zu dem Namen eines 3.000-Seelen-Nestes auf der walisischen Halbinsel Anglesey: »Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch«. 62 Buchstaben hat dieses Kaff und sein Ortseingangsschild ist wahrscheinlich das meist fotografierteste in ganz Europa. Dagegen ist doch die deutsche Sprache, von der Mark Twain behauptete, sie ließe sich eigentlich nicht erlernen, eine einfache Angelegenheit. Das nicht zusammengesetzte Wort mit der meisten Aneinanderreihung von Konsonanten (nämlich gerade mal acht) heißt »Borschtsch« und die Wörter mit den meisten aufeinanderfolgenden Vokalen sind solche wie »zweieiig«, »Donauauen« oder »Treueid«. Schaue ich auf den nicht aussprechbaren walisischen Ortsnamen, ist das alles kein Hexenwerk.

Es gibt auch nur gerade einmal 50 deutsche Wörter, die mit allen Artikeln verwendet werden können; das wohl bekannteste ist der, die oder das »Joghurt«.

Wobei mir in diesem Zusammenhang der Uraltwitz einfällt vom neuen Lehrer, der die Namen seiner Zöglinge erfahren möchte.

Ich bin der Achim, sagt der erste. Das heißt Joachim, verbessert der Lehrer Ich bin der Hannes, sagt der zweite Das heißt Johannes, verbessert der Lehrer Der dritte Schüler begreift schnell die Regel und sagt: ich bin der Jokurt!

In Zweifelsfällen also immer mal im Duden nachschlagen, es hilft. Im Jahre 1996, nach der großen Rechtschreibreform, fiel die Monopolstellung des Duden und er bekam mächtige Konkurrenz, zum Beispiel aus dem Hause Bertelsmann. Aber keine Werbemaßnahme, kein Kampfpreis, nichts konnte den Duden von seinem Thron stoßen. Das hat sich bis heute nicht geändert.

Thomas Schmitz