Hawaii 08

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Nr. 8 / MÆrz 2013

Hawaii. Inszenierte Wirklichkeiten.

Theater für morgen

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»Es gibt zu wenige Leute, die die Grenzen der Institutionen austesten.« Matthias von Hartz hat als einer der wenigen Theatermacherinnen und -macher der Republik Anfang der Nuller Jahre begonnen, Theaterhäuser interdisziplinär zu nutzen: als Orte, an denen eine Art Crossover von Theater- und Musikperformance, Bildender Kunst und politischer Versammlung stattfinden kann. Christoph Twickel hat mit ihm darüber gesprochen, wie es weitergehen könnte in der deutschen Theaterlandschaft.

Christoph Twickel Zur Jahrtausendwende hast du das Regieführen aufgegeben zugunsten einer eher kuratorischen Tätigkeit. Stand dahinter eine Idee einer Theaterzukunft jenseits des Repertoiretheaters?

Steht das deutsche Theatersystem da so schlecht da? Der postdramatische Themenabend, das interventionistische Theater, René Pollesch oder Volker Lösch – das gibt es bei uns ja längst.

Matthias von Hartz Das war für mich ein inhaltlicher Schritt. Ich wusste: Bestimmte Themen lassen sich nicht in Stücken umsetzen, man muss dafür andere Formen finden. Gerade letzte Woche habe ich im Londoner Royal Court Theatre, eine der drei besten Bühnen der Stadt, »If You Don’t Let Us Dream, We Don’t Let You Sleep« von Anders Lustgarten gesehen, ein Aktivist und Autor. Das war ein Stück über Austerität und Finanzkrise. Ich saß da in einer Mischung aus Depression und Schockstarre, denn selbst wenn inhaltlich lauter richtige Sätze gesagt werden – wenn es zwischen zwei Schauspielern verhandelt wird, von denen der eine mit blauem Hemd und Hosenträgern den Broker spielt und der andere den Aktivisten, wird es sofort zur Vorabendserie. Man schämt sich. Das geht eben nicht. Andere Themen brauchen andere Formen, eine andere Rahmung, andere Mitwirkende.

In Deutschland liegt man irgendwo zwischen England, das eine vollständig postdramatikfreie Zone ist und Belgien, wo die Theater, etwa beim Performatik-Festival in Brüssel, ganz selbstverständlich mit bildenden Künstlern arbeiten. In Berlin schafft man es z.B. bisher noch, komplett zu ignorieren was an internationaler Kunstszene vorhanden ist – einfach, weil die nicht in das deutsche Theatersystem reinpasst. Man hat ein Ensemble, ein Repertoire – was soll man jetzt mit den Künstlern? Das gilt auch für andere Bereiche: Was ist z.B. mit den vielen migrantisch geprägten Menschen, die unser schönes Stadttheater kaum besuchen? Theater ist eine lokale, kommunale Instanz, die sich dem widmen muss, was um es herum geschieht.

Aber sind die Erwartungen nicht sehr lokal geprägt? In einer Kleinstadt wie Bautzen will das mittelständische Bürgertum vielleicht die knallbunte Emilia Galotti-Inszenierung sehen, während in Hamburg oder Berlin zunehmend postdramatisch gearbeitet wird. Womöglich wird sich die Theaterlandschaft eher auseinanderentwickeln: Hier die Entwicklung neuer Theaterformate, dort ein Verharren in Konventionen? Es gibt das Gegenbeispiel – das Stadttheater Moers, das kleinste in Deutschland, wo sie vor ein paar Jahren gesagt haben: Wir sind weder in der Lage, das aufrechtzuerhalten, was wir bisher gemacht haben, noch interessiert uns das weiter. Die haben ein Jahr lang ein großes Projekt zum Thema Demenz gemacht, wo sie mit diversen Institutionen gearbeitet haben. Das ist immer sinnvoller als die nächste Emilia Galotti-Inszenierung.


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Hawaii 08 by Astrid Goerke - Issuu