SAISON (September 2015)

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49 KOMMENTARE SAISON

Gesundheit und Planwirtschaft

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in renommiertes Rehabilitationszentrum in Osttirol will erweitern und darf nicht, weil sich der Hauptverband der Sozialversicherungen bei einer Bedarfserhebung dagegen ausspricht. Ein ebenso renommiertes, von ausländischen Gästen frequentiertes Gesundheitszentrum in der Nähe von Innsbruck möchte als weiteres diagnostisches Angebot ein Schlaflabor einrichten. Das Ansuchen, das Tausende von Euro kostet, wird durch eine Entscheidung der Tiroler Landesregierung abgelehnt. Auf einen Einspruch hin wird seit einem halben Jahr nicht einmal reagiert. Ein Großprojekt chinesischer Investoren (Oh Schreck!), die in einem ehemaligen Kurort mit schwächelndem Angebot ein

Sind sich eigentlich all jene, die gegen diese medizinischen Angebote Sturm laufen, der Tatsache bewusst, dass damit präventiv Tausende von hochwertigen Arbeitsplätzen verhindert werden? Antiaging-Zentrum mit Stammzellentherapie errichten wollen, scheitert, angeblich wegen Unvereinbarkeiten mit dem Grundverkehrsgesetz. Die Gesundheit ist einer unserer höchsten Werte und in Tirol auf hohem Niveau gesichert. Danke! Dies bedeutet jedoch auch, dass es hier um viel Geld, Einfluss, Macht, Pfründe und in der Folge um einen fast unüberblickbaren Wust an Gesetzen geht,

Die Himbeer-Lektion

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VO N A LO I S S C H Ö P F

deren Aufgabe darin besteht, von berechtigter Vorsicht bis zu totaler Stagnation für Ordnung im Lande zu sorgen. Entsprechend planwirtschaftlich fallen Behördenverfahren aus, die jedem drohen, der außerhalb des staatlichen Monopols aktiv werden möchte. Dass dabei vergessen wird, wie sehr Tirol mit seiner attraktiven Bergwelt und seiner zivilisierten Naturlandschaft zwischen den Metropolen Süddeutschlands und Norditaliens der ideale Boden für einen Wirtschaftszweig wäre, der unter dem Begriff „Gesundheitstourismus“ eine große Zukunft noch vor sich hat, ist unverantwortlich. Sind sich eigentlich all jene, die offenbar mit blankem Entsetzen gegen an den Gesetzen des freien Marktes orientierte medizinische Angebote Sturm laufen, der Tatsache bewusst, dass damit präventiv Tausende von hochwertigen Arbeitsplätzen verhindert werden? Dass sie einen Wirtschaftszweig, von dem Tirol bisher lebte, die Überlebenschancen schmälern? Und dass sie zuletzt sogar zu Fehlinvestitionen verleiten, die der Marke Tirol ein Image des Unseriösen verpassen? Dadurch nämlich, dass auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen aufbauende, private medizinische Einrichtungen per Gesetz mehr oder weniger verhindert werden, wird, um die Nachfrage doch irgendwie zu befriedigen, auf halbseidene Wellness und Esoterik ausgewichen, und der Tourismus wird somit zum Opfer einer weitgehend fragwürdigen Heublumenphilosophie. Und das hat er nicht verdient! × Alois Schöpf lebt als Journalist und Schriftsteller in Lans.

VON ERNS T MOLDEN

eine Tochter, unsere Jüngste, hat es mit den Tieren. Das liebe ich besonders an ihr, vielleicht, weil ich es auch mit den Tieren habe. Als kleiner Bub stritt ich sogar mit meiner geliebten Omi, die Seniorenclub schauen wollte, während ich die parallel im „Zweier“ laufende Tiersendung zu sehen begehrte. Meistens setzte sie sich durch, aber das nährte nur meine Leidenschaft. Jetzt ist Hochsommer, wir sind im Tiroler Dorf. Über die große Heuwiese gleich hinter unserem Haus zog ich vor 35 Jahren. Mit einem Netz, immerzu nach Schlangen, Schleichen, Echsen, Fröschen suchend. Heuer im Sommer zieht die Tochter über die Wiese, jetzt zehnjährig, aufgeschossen wie ein junger Baum, mit langen wilden Haaren. Auf der Wiese trifft sie Katzen, die sie schon kennt, die ihr zugehen, denen sie Namen wie Caramelle oder Cherry gibt, obwohl sie zuhause auf ihrem Hof wahrscheinlich Miez heißen. Ich gehe mit der Tochter mit. Ich versuche, die Katzen, die ihr zugehen, nicht zu erschrecken. Ich erzähle ihr, wie ich vor 35 Jahren eine tote Spitzmaus fand und sie mit dem Stiel meines Netzes anstieß. Da kam ein Hund aus dem hohen Gras und biss mich, denn die Spitzmaus war seine Beute. Die Tochter hört zu. Soll ich dir noch was zeigen? Sie nickt. Aber da sind Brennnesseln, sage ich. – Egal, sagt sie. Wir verlassen die Wiese, gehen durch Haselstauden und dichtes, farniges Unterholz zum Bach hinunter. Als Nächstes kommen schon die Brennnesseln, die Tochter verzieht keine Miene. Dann müssen wir klettern, und schließlich sind wir am Ufer des kleinen rastlosen Wasserlaufs. Barfuß gehen wir auf die andere Seite, und

da steht er, der größte Himbeerstrauch im ganzen Land, wie schon vor 35 Jahren. Wir kommen genau zur richtigen Zeit. Die Himbeeren sind so reif, dass man nur ein Zweigerl anzustreifen braucht und sie fallen einem in die hohle Hand. Wir essen Himbeeren, bis wir keine Lust mehr haben. Als wir beim Haus ankommen, haben wir rote Münder, Vampire, voll mit dem süßen Blut des Waldes.

Wir kommen genau zur richtigen Zeit. Die Himbeeren sind so reif, dass man nur ein Zweigerl anzustreifen braucht und sie fallen einem in die hohle Hand. Dann kommt das Gewitter, und wir müssen beim Haus bleiben. Mir fällt noch etwas ein. Ich hole Spielkarten, suche die richtigen Zwanzig hervor und bringe meiner Tochter das Schnapsen bei. Das kann man stundenlang spielen, sage ich, wenn es draußen schiach ist. Beim ersten Bummerl helfe ich meinem Mädchen und gewinne trotzdem. Beim zweiten Bummerl helfe ich ihr kaum noch und gewinne knapp. Das dritte Bummerl spiele ich ganz normal, aber sie besiegt mich: Vierzig und genug, sagt sie grinsend, himbeerverschmiert. Ich behaupte: Der gelungene Sommer in den Bergen hat wenige Zutaten, aber die paar, die müssen sein. × Ernst Molden, 47, lebt als Liedermacher und Schriftsteller in Wien. Für seine Alben und Bücher wurde er mehrfach ausgezeichnet. Mit dem Nino aus Wien veröffentlichte er soeben das Album UNSER ÖSTERREICH (monkeymusic).


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