Ausgabe 3/2014
sie war das Argument für die Abrüstung. Und EU-Helsinki Headline Goal, GASP, ESPV, EVP und sonstige Initiativen richteten sich eher gegen die NATO als gegen einen potentiellen Aggressor. Vor einigen Jahren war im Europäischen Forum Alpbach die Warnung ausgesprochen worden. „Wenn Europa keine militärischen Potentiale aufbaut, werden sich andere nehmen, was ihnen ihrer Ansicht nach zusteht.“ (Unter den 500 Akademikern waren keine Politiker anzutreffen.) Nun gefährdet der innereuropäische Streit immer mehr auch die NATO. / 1994 konnte die NATO ihre BalkanOperationen noch mit Hilfe der USA (Hilfe bei Ersatzteilen und Luft-BodenMunition) abwickeln. 1999 war die Situation schon extrem kritisch und es gab Warnungen vor einem operationellen Stillstand bei Luftkriegshandlungen. Bei der Libyen-Operation 2011 benötigten einige NATO-Staaten sechs Wochen, um eine Handvoll F-16 nach Aviano zu verlegen, und nach zwei weiteren Wochen war man bei der Luft-Boden-Munition am Ende. Was als kurzer Einsatz gedacht war, erforderte dann sechs Monate gegen eine – militärisch nicht mehr handlungsfähige – viertklassige Macht. / Das Verfassen von „Sicherheitsdoktrinen“ ist eine Modeerscheinung, mehr nicht. Da kann man auch einiges an Begriffen hineinschreiben, etwa den Schutz der Menschenrechte, allerdings gibt es allein um Europa ein Dutzend Regionen, in denen beides nicht gilt, und es erhebt sich umgehend die Frage, warum dann Staaten, die solche Zielsetzungen lautstark zum Thema ihrer „Strategie“ machen, nicht Truppen nach Syrien, Somalia, Kongo, Mali etc. entsenden, um solche verkündeten Prinzipien durchzusetzen? Oder sind solche Papiere gar nicht ernst gemeint? Warum dann der jahrelange Aufwand, die paar Seiten zu verfassen? Und ehrlich: Wenn ein Staat seine Sicherheit in die Hände von Europarat, OSZE und UN-Sicherheitsrat legt, sind das nicht auch handfeste Beweise einer fortgeschrittenen Selbstaufgabe? Man muss zur Kenntnis nehmen, dass viele Staaten in Europa beinahe bankrott sind; Forderungen nach mehr Geld für das Militär sind lobenswert, aber genau dies ist kaum realisierbar. Viele Staaten in Europa werden nun 20 Jahre lang Schulden abzahlen, aber im Hintergrund
Offizier DER
drohen die nächsten Krisen, Verarmung, gewaltsame Umverteilungen, Gleichmacherei, Justizkollaps, die demographische Zeitbombe, Stellvertreter-Auseinandersetzungen in den europäischen Kapitalen, kultureller Niedergang. Die hohe Staatsverschuldung der meisten europäischen Staaten macht sogar weitere Einschnitte zwingend, so etwa in Frankreich und Italien. Und dann wird die Bundesrepublik Deutschland, reflexartig als Ausdruck historischer Schuldgefühle, trotz Budgetüberschüsse die Bundeswehr weiter reduzieren. London und Paris können sich auf ihre Atomwaffen zurückziehen und die Atlantikanrainer auf die NATO und die USA, aber der Rest befindet sich in einer Lage, die nicht unähnlich jener von 1930 ist.
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zu erkennen waren. Man wäre „lieber rot als tot“ und auch Verteidigung sei ein „aggressiver friedensgefährdender Akt“. Damals konnten sich die NATO und Helmut Schmid über solche Verdrehungen hinwegsetzen, aber wie ist das heute? / Das eigene Militär ist – so die Erkenntnis – in der „idealen Demokratie des 21. Jahrhunderts“ ein Fremdkörper, wird für den „ewigen Frieden“ ebenso zur Gefahr wie ein potentieller Aggressor. Das Militär wird nur mehr über nichtmilitärische Randaufgaben gerechtfertigt, etwa als Sonderpolizei oder Reserve-Feuerwehr. Die in vielen EU-Staaten vorhandenen Streitkräfte sind „Low Cost“-Sozialorganisationen, denen man „interkulturelle Kompetenz“ antrainiert. Militärische Kernthemen wie der Kampf der Verbundenen Waffen oder Handlungsfähigkeit im Luftraum, wurden oft aus dem Aufgabenspektrum gestrichen. Billig-Auswege, wie „Pooling“ und „Sharing“, sind Symptome dieses Niederganges. / Heute wollen Regierungen ihren Bürgern nicht einmal den Militärdienst zumuten, verlassen sich auf Freiwillige und hoffen auf die Wehrbereitschaft von Frauen. In der „schönen neuen Welt“ der europäischen Demokratien machen Gebildete Alternativdienst, für den Wehrdienst wird die „Lower Class“ umworben. Man spricht von „Sicherheit“, aber meint damit den Wohlfahrtsstaat, Arbeitsplatzsicherheit, Pensionssicherheit, „sichere“ Lebensmittel etc.; das Militär kommt dabei nicht vor. Nur, vor internen Unruhen haben alle Angst, doch dieser Friede ist, trotz steigender Steuern und „Brot und Spiele“, jeden Tag weniger absicherbar. Das schafft immer mehr Überwachung, / Die Abgaben-/Steuerquote beträgt in vielen Staaten Europas mehr als 55 %. Aber der steuerzahlende Bürger hätte einen Anspruch auf Schutz durch den Staat, erlebt aber hier dessen Zurückweichen und erfährt, dass es in Deutschland 250,000 Wohnungseinbrüche im Jahr gibt – er für seine Sicherheit selber zuständig ist, heißt, Schutz ist nun keine Aufgabe der Polizei oder der Justiz. Die Summe dieser Entwicklungen ist ein Pendeln zwischen Anarchie und Nordkorea. Der Ruf nach einem „starken Mann“ in vielen Teilen Europas ist daher kein Zufall. Äußere Sicherheit lebte von „zehn Jahren Vorwarnzeit“, nur die gab es nie;
ZUR PERSON Mag. phil. Friedrich Korkisch, PhD, 1958 Bundesheer, Luftstreitkräfte, Kommando der Luftstreitkräfte, Nachrichtendienst, BMLV/ Luftabteilung/Generalstabsgruppe B, Referent Luftkriegswesen; zuletzt MinRat, Oberst dhmfD. Mitglied der Delegation zur KSZE/OSCC, im NATO Air Defense Committee, Lehrer an den Generalstabslehrgängen und LVAk.
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