6020 Stadtmagazin (Mai 2022)

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© FLORIANMATTHIAS

„Die Vier-Tage-Woche ist ein Stressmedikament, die magische Tablette gegen Burnout und ein Mitarbeiter-Bindungsmagnet.“ Florian Gapp und Matthias Triendl, Digitalagentur florianmatthias

sucht er trotzdem für die Zeit nach der Vaterkarenz: „Ich habe Umweltsoziologie studiert und würde gerne politische Kampagnenarbeit in 20 Stunden machen. Ich bin ein Team-Player und flexibel.“ FLEXIBILITÄT GEHT VOR. Flexibilität ist das Stichwort für eine Innsbrucker WG, die lieber anonym bleiben möchte. Alle Namen wurden daher von der Redaktion geändert. Sie sind zu viert, alle um die 30 und haben – außer einer, die beim Gespräch gerade auf Reisen ist – Zeit, Mittwochmittag ein entspanntes Gespräch am sonnigen Balkon zu führen. Was sie verbindet, ist die Liebe zu den Bergen und das Verlangen, Zeit für sie zu haben. Sie haben keine Kinder, kommen aus Deutschland und können pro Kopf von zirka 1.000 Euro im Monat leben. Henry war vor seiner jetzigen TeilzeitAnstellung, Vollzeit im Finanzbereich tätig. „Ich habe Überstunden gemacht, hatte viel Verantwortung und war immer nahe dem Burnout.“ Alle im Betrieb waren ausgelaugt, das Arbeitsklima schlecht. Eigentlich wollte er klassisch Karriere machen und in der Hierarchie aufsteigen. Dann beantragte er nach langem Hadern doch eine Bildungskarenz, in der er sich überlegen konnte, wie er künftig arbeiten will, und in der er endlich Zeit für seine handwerklichen Projekte und das Bergsteigen fand. Aktuell ist er in Teilzeit in einem Start-up-Unternehmen beschäftigt, wo ihn seine Kolleg:innen endlich auch inspirieren. Sein Mitbewohner Andreas hat sich für die Selbstständigkeit entschieden. Während er als Fotograf für eine Firma arbeitete, machte er nebenher seine ei30

genen Projekte. „Aber die Projekte in der Arbeit und meine Aufträge überlappten sich oft. Irgendwann habe ich nur mehr genörgelt.“ Anfang des Jahres kündigte er. „Jetzt arbeite ich vielleicht manchmal mehr, aber ich mache es für mich und dann, wann ich will.“ Tagsüber nutzt er das schöne Wetter aus und am Abend setzt er sich an den Computer. Das ist Lebensqualität für ihn. David ist der unsteteste von den WG-Kollegen. „Ich habe mehr Lücken im Lebenslauf als Inhalte“, erzählt er. Der Pädagogikstudent wollte als Wirtschaftsingenieur Karriere machen, dann fing er an zu reisen, arbeitete am Oktoberfest und baute PV-Anlagen in Entwicklungsländern. Diese Arbeit hat ihm wirklich gefallen, aber die Firma strukturierte um und schickte ihn in die europäische Zentrale zum Däumchendrehen. Seine Hausärztin diagnostizierte „Boreout“ („ausgelangweilt sein“, sich nutzlos fühlen) und schickte ihn in den Krankenstand. In einer Firma mit wirtschaftlichem Leistungsdruck will er nicht arbeiten. Jetzt kellnert er Teilzeit in einer Bar. „Ich bin extrem sparsam. Wenn es hart auf hart kommt, wohne ich im Auto und kann mich von zwei Euro am Tag ernähren.“ Ob er für seinen Lebensstil manchmal auch Kritik einstecken muss? „Aus dem Dorf, aus dem ich komme, finden die einen das saucool, die anderen sagen, ich bin ein Sandler, aus dem eh nix wird. Aber ich habe ein tolles Leben und das ist das Wichtigste.“ „KEINEN MOMENT BEREUT“. Dem tollen Leben wollen auch die Chefitäten der 2012 gegründeten Innsbrucker


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