Online-Ausgabe 12, ET 04.07.2020

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Corona-Tagebuch | 9. Mai 2020

Krise, Krieg, Katastrophe Die Begriffe, die in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gerne verwendet werden, offenbaren schon die Unsicherheit. Da ist eine Unschärfe, die davon abhalten soll, das wahre Ausmaß der Katastrophe ins Auge zu fassen. Von Michael Zäh

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as Wort „Krise“ impliziert, dass es vorbei gehen könnte. Man spürt dem Wort an, dass eine Dringlichkeit darin liegt, und dass es Unsicherheit darüber gibt, wie der richtige Weg aus der Krise denn aussehen soll. Denn im Grunde ist die „Krise“ erst im Rückblick als eine solche zu bezeichnen, wenn es nämlich einen Ausweg gab. Wenn es keinen gab, wurde die Krise nicht überwunden sondern endete in einer „Katastrophe“. Insofern ist es vielsagend, dass von der Corona-Pandemie als der „Corona-Krise“ gesprochen wird. Denn das Wort ist einerseits geeignet, Hoffnung zu machen, eben darauf, dass es vorbei gehen wird. Doch es offenbart sich darin auch jedwede Unsicherheit, weil „Corona-Krise“ sehr unbestimmt bleibt. Was meint der Begriff eigentlich? Meint er die gesundheitliche Krise der einzelnen Menschen, die von dem Virus krank wurden? Meint er die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen Folgen, die nicht direkt durch das Corona-Virus entstehen, sondern durch die Maßnahmen, die dagegen ergriffen werden (müssen)? Meint er die Angst der Leute ? Oder meint er alles gleichermaßen? In seiner Unschärfe scheint der Begriff der „Corona-Krise“ alle zu vereinen. Quasi: Zusammenhalt zur Überwindung der Krise. Doch ein unscharfer Begriff bringt nunmal keine scharfen Einblicke. Da ist das Los desjenigen, der sich jahrzehntelang etwas aufgebaut hat (sei es eine Kneipe oder sonst was) und nun vielleicht alles verliert, weil der Staat ihm die Bude zuschließt. Und da ist derjenige, dessen Leben noch gerettet werden konnte, weil es noch ein Bett mit Beatmungsgerät für ihn gab, und zwar eben weil der Staat durch herbe Einschnitte in das Recht des Einzelnen dafür gesorgt hat, dass die Ausbreitung des Virus so verlangsamt wurde, dass das Gesundheitssystem in Deutschland (bisher) nicht zusammen brach. Dies alles und millionenfach noch weitere persönliche Umstände sind derzeit unter dem Begriff der „Corona-Krise“ miteinander verbunden. Wenn man denn „Krise“ als einen entscheidenden Wendepunkt versteht, der dann zum Besseren

führt, dann geht es eine Weile gut, weil na klar: die Hoffnung stirbt zuletzt. Wenn aber später unzählige wirtschaftliche, existenzielle oder psychische Krisen nicht mehr überwunden werden konnten, sondern zu lauter persönlichen Katastrophen führten, wird der Sammelbegriff „Corona-Krise“ millionenfach auseinander fallen. Zwischenzeitlich wurde ja auch gerne mal der Begriff „Krieg“ gebraucht, von Macron in Frankreich und Trump in den USA, in dem man sich gegen das Virus befinde. Was soll uns das sagen? Da man ein Virus nicht erschießen, nicht wegsprengen und auch nicht einschüchtern kann (von wegen psychologische Kriegsführung), bleibt eigentlich nur der dem Begriff „Krieg“ implizite Gedanke der „Mobilisierung“ übrig. Dies wiederum ist aber nur eine Steigerung der Unschärfe, die schon im Begriff „Krise“ steckt. Wenn im „Krieg“ gegen das Corona-Virus alle Kräfte (also Leute) mobilisiert werden sollen, dann soll das ebenfalls auf den Zusammenhalt abzielen. Da werden aber natürlich persönliche Unterschiede der jeweils Betroffenen weggewischt, in diesem Falle ist sogar der Begriff des „Opfers“ mit integriert, welche im Krieg ja Einzelne zu erbringen haben. Wenn Begriffe wie „Krise“ und „Krieg“ einen Zusammenhalt in der Gesellschaft herstellen sollen, dann sind es andere, negierende Begriffe, die noch deutlicher werden. So sagte etwa Markus Söder kürzlich, dass es sich beim Corona-Virus „NICHT um ein Gewitter“ handele. Damit nahm er folglich der „Krise“ das Optimistische, dass es bald vorbei sein könnte. Noch krasser war hier die Wortschöpfung von Österreichs Kurz, sowie Scholz und Spahn, die sagten, dass man sich an eine „neue Normalität“ gewöhnen müsse. Fast so, als sei dieser Begriff ansteckend. Sprich: Tschüss Freiheit. Das hört sich schwer nach Katastrophe an. Doch wie soll man auch zu einer Sache sagen, von der nur eines klar ist: Sie ist da! „Krise“ heißt, das es kritisch wird. Und das ist es auch, was wir alle sein sollten. Denn die Kritik schaut auch nach vorne. Nach der Krise ist vor der Krise.

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