227. Ausgabe, ET 08.07.2017

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FREIBURG

INTERVIEW

Samstag, 8. Juli 2017

Vom Blatt bis zur Wurzel Esther Kern kocht mit dem Grün der Karotten und Wassermelonenschalen. Darüber hat sie ein Buch mit Rezepten geschrieben. Ein Interview.

ZaS: Sie sind der Überzeugung, das man von einer Gemüsepflanze alles essen kann? Esther Kern: Man kann nicht ganz alles verwenden, beziehungsweise man kann alles essen, aber es ist eine Frage der Menge. Beispielsweise von Tomatenblättern oder Kartoffelkeimen sollte man nicht zuviel essen. ZaS: Aber Sie sagen, man sollte Melonenschalen nicht wegschmeoißen, sondern etwas daraus machen. Was denn? Kern: Genau. Bei Wassermelonen hat man ja immer diesen riesigen Berg Schale übrig. Aber auch die ist in ganz vielen Ländern ein Lebensmittel. In Korea macht man daraus Kimchi, in den USA verwendet man sie für Pickles und auch in Deutschland wurde die Melonenschale in früheren Zeiten verwertet. Ich habe für das Buch „Leaf to Root“ ganz viel historisch recherchiert. Und ich habe ein deutsches Rezept aus dem vorletzten Jahrhundert für gepickelte Melonenschale gefunden. ZaS: Wo haben Sie denn diesen alten Kochbücher gefunden? Kern: Ich selbst habe eine große Sammlung historischer Kochbücher. Außerdem habe ich weitere alte Bücher von einem Kollegen bekommen. Und dann hat mir noch ein Antiquar sehr geholfen und viele Bücher beschaffen können. ZaS: Hat Sie der Gedanke, mehr als das Übliche beim Gemüse zu ver-

wenden gereizt? Oder war es eher der Wunsch weniger wegzuschmeißen? Kern: Das war schon beides. Essen nicht zu verschwenden ist die Basis. Aber es soll auch gut schmecken. Vor allem aber gibt es dem Gemüse eine neue Wertigkeit. Man kann bei einem Gemüse mehrere Komponenten nutzen und alle schmecken total unterschiedlich. Es ist spannend so mit Gemüse zu kochen. ZaS: Sie haben auch eine spezielle Food-Website… Kern: Die betreibe ich seit 15 Jahren unter www.waskochen.ch. Ich bin selbst leidenschaftliche Köchin, aber kein Profi. Ich bin eher die,

nössische Kochbücher studiert. Und ich sammle weiter. ZaS: Sie sagen man könne auch das Grün der Gelberüben verwenden? Kern: Mit Gelberüben meinen Sie die normalen Karotten? Immer wenn ich Karotten verwendet habe, fragte ich mich, warum ich dabei die Hälfte wegschmeiße. Ich habe dann viele Köche gefunden, die mit dem Kraut arbeiten. ZaS: Heißt das, man kann auch von

ter von Bohnen essen kann. In Afrika werden sie als Gemüse geerntet. ZaS: Wie verarbeiten Sie denn bitte die Radieschenblätter? Kern: Das einfachste ist, sie in einen Salat mit hinein zu machen, als ganze Blätter oder zerhackt. Man kann

Alle Fotos: Sylvan Müller, AT Verlag

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ie Schweizer Food-Journalistin und Gastro-Kritikerin Esther Kern hat zusammen mit dem Koch Pascal Haag und dem Fotografen Sylvan Müller ein ungewöhnliches und schönes Kochbuch herausgebracht: „Leaf to Root“. Darin präsentiert sie Rezepte und Hintergründe zu Gemüseteilen, die wir normalerweise wegschmeißen. Man kann vom Gemüse fast alles essen, sagt sie im Gespräch mit Barbara Breitsprecher.

einen Bauern kennen oder einen Marktfahrer. Man sollte die Leute näher zum Feld bringen. ZaS: Sind Sie mit Ihren Rezepten auch auf Ablehung gestoßen? Kern: Als ich anfing, wurden mir oft die Türen vor der Nase zugeschlagen. Viele haben das überhaupt nicht verstanden. Aber bei denen, die die saisonale und regionale Küche pflegen, stoßen diese Rezepte sofort auf fruchtbaren Boden. Viele Spitzenköche bringen inzwischen längst solche Gemüseteile auf den Tisch. ZaS: Der einzig Leidtragende ist also eigentlich der Komposthaufen, der nicht mehr wächst? Kern: (Lacht) Genau. Aber wenn man beim Gemüse mal etwas nicht mag oder es zäh ist, dann kann man es ja mit gutem Gewissen auf den Kompost werfen. Man muss ja nicht immer das hinterletzte Teil vom Grün verspeisen. Interview: Barbara Breitsprecher

Avocadokerne in der Frühlingszwiebelsuppe

Die Schalen von Wassermelonen werden zu Chutney

Fenchelkraut im Safranrisotto

die das Kochen übersetzt. Ich schaue den profi-Köchen in den Topf und überlege, wie man dieses Essen in die Alltagsküche übertragen kann. ZaS: Haben Sie die Rezepte im Buch alle ausprobiert? Kern: Ich habe ganz viel experimentiert. Ich habe zuhause einen Garten, mit dem Gemüse habe ich die historischen Rezepte nachgekocht und etwas dem Heute angepasst. Dafür habe ich natürlich auch viele zeitge-

Steckrüben das Kraut verwenden? Kern: Das kann man verwenden, sollte aber nicht zuviel davon essen. Botanisch sind diese Rüben mit dem Rhabarber verwandt und bei beiden sollte man nicht zu große Mengen roh essen. Ich habe aber auch historische Rezepte für fermentierte Blätter der Zuckerrübe gefunden. ZaS: Was war das Exotischste, was Sie dabei entdeckt haben? Kern: Schwierige Frage. Überrascht hat mich, dass das Radieschenblatt so gut schmeckt. So etwas einfaches, jeder kennt es und fast jeder schmeißt es weg. Dabei ist es so lecker. Ich wusste auch nicht, dass man die Blät-

aus ihnen aber auch Pesto oder Suppe machen oder sogar Chips. Da sind die Möglichkeiten fast unbegrenzt. ZaS: Ich könnte mir vorstellen, dass ein solches Essen, bei dem alles von einem Gemüse verwendet wurde, ein besonders wohliges Gefühl auslöst? Kern: Das finde ich eben auch. Eine der Köchinnen, die ich für das Buch interviewt habe, arbeitet oft mit Asche. Sie sagte: Wenn man so kocht, wird etwas zu Ende gedacht. Es entsteht ein Kreislauf. ZaS: Soll Ihr Buch auch zum eigenen Gemüseanbau animieren? Kern: Das ist ja schon ein richtiger Trend, auch mit dem Urban Gardening in den Städten. Jeder der gerne kocht, sollte idealerweise irgendwo ein Stück Erde haben und eigenes Gemüse anbauen. Oder er sollte

■ „Leaf to Roof“. Gemüse essen vom Blatt bis zur Wurzel, Esther Kern, Sylvan Müller, Pascal Haag, AT Verlag, 19,90 Euro; Esther Kern kommt am 21. Juli, 18 Uhr in die Kantine Vauban, Eintritt inkl. Essen und Weinen: 45 €, www.kantinefreiburg.de; Außerdem wird Esther Kern beim Agrikultur-Festival vom 21. bis 23. Juli im Eschholzpark dabei sein.


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