Jahresbericht 2019

Page 1

Jahresbericht 2019


Inhaltsverzeichnis 04 06 08 10

35 Jahre XENIA Die Finanzen der Fachstelle und des Vereins Spendenverdankung Vorstand und Personal

Die Fachstelle 13 Jahresrückblick 17 Öffentlichkeitsarbeit 18 Statistische Angaben zu den Beratungen 20 Statistische Angaben zum Gesundheitsförderungs und HIV/STI-Präventionsangebot Der Verein 22 Bericht aus dem Vorstand

2


Lieber Leser*innen «Sexarbeit ist eine berufliche Tätigkeit und verdient als solche Anerkennung. Sexarbeitende verdienen Respekt, Anerkennung und die Achtung ihrer Würde unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer sexuellen Orientierung, ihrem Geschlecht, ihrem sozialen Status, ihrer Lebensform und ihrer Religionszugehörigkeit.» So ist es im Leitbild von XENIA festgehalten und dafür stehen wir im Alltag von XENIA ein. Im Jahr 2019 überliessen wir das Sprechen zum 35-jährigen Jubiläum für einmal anderen. Dafür waren wir 2019 nicht nur in Etablissements, auf der Strasse und in der Beratungsstelle unterwegs, sondern besichtigten auch Kirchen und Theater von innen. Zum internationalen Hurentag im Juni ergriffen in der Stadtkirche Thun die Pfarrerin Rebekka Grogg und PD Dr. Renate Ruhne und in der Heiliggeistkirche Bern Pfarrer Tobias Rentsch das Wort, um gemeinsam mit XENIA für die Rechte von Sexarbeiter*innen einzustehen. Mit viel Wort aber auch viel Performance taten dies in einer ganz anderen Form auch Daniel Hellmann und Anne Welenc. Als Traumboy und Traumgirl erzählten sie im Schlachthaustheater Bern die Geschichte zweier Sexarbeitenden und regten so das Publikum an, sich mit Sexarbeit und Zuschreibungen aufgrund von Gender, Stigma, Fiktion und Realität auseinanderzusetzen. Im Jahr 2020 werden wir von XENIA auch weiterhin den Sexarbeiter*innen unterstützend und beratend zur Seite stehen. Neu tun wir dies nicht nur in der Beratungsstelle in Bern, sondern einmal pro Woche auch in Biel und Thun. Den Verein XENIA gibt es seit 35 Jahren, seit zehn Jahren aber sind wir offiziell für die Beratung von Sexarbeiter*innen im ganzen Kanton Bern zuständig und passen unser Angebot an, um diesem Auftrag möglichst gut gerecht zu werden. Wir danken Ihnen für die Unterstützung und das Dabeibleiben und freuen uns auf ein weiteres spannendes Jahr XENIA. Eva Hauser Präsidentin Verein Xenia Fachstelle Sexarbeit

3


35 Jahre XENIA Nach den grossen Feierlichkeiten zum 30-jährigen Jubiläum im Jahr 2014 (Jubiläumskalender, Kummerbuben, Ausstellung im Kornhausforum, Kinoabend – erinnert ihr euch?) ergriff XENIA im vergangenen Jahr zum 35-­jährigen erneut die Gelegenheit, das Thema Sexarbeit und die Arbeit von XENIA bekannter zu machen. Anlässlich des internationalen Hurentags im Juni fanden in der Heiliggeistkirche in Bern und in der Stadtkirche Thun Gottesdienste zum Thema Prostitution statt. Pfarrer Tobias Rentsch und Pfarrerin Rebekka Grogg fanden klare Worte gegen das gesellschaftliche Tabu und für die Rechte der Sexarbeiter*innen: Nicht Empörung und Stigma, sondern ein differenzierter Blick auf das komplexe Thema und die Stärkung fairer und selbst­ bestimmter Arbeitsbedingungen dienen der Wahrung der Menschenwürde der Sexarbeiter*innen. An beiden Gottesdiensten stellten Mitarbeiterinnen der Fachstelle die Arbeit von XENIA vor – für diese Gelegenheit danken wir den beiden Pfarrleuten ganz herzlich. Zudem hielt die Soziologin Renate Ruhne im Kirchgemeindehaus Frutigenstrasse in Thun einen Vortrag zum Thema «Das ausgegrenzte Andere – Prostitution als soziales Problem». Sie beleuchtete dabei kritisch das gesellschaftliche Kontrollbedürfnis, Prostitution als «soziale Grauzone» räumlich zu regulieren. Und auch im Theater wurde vergangenes Jahr Sexarbeit zum Thema: Im Schlachthaustheater wurden im November an vier – fast allesamt ausverkauften – Abenden die Solo-Performances «Traumgirl» und «Traumboy» aufgeführt. In Zusammenarbeit mit Anne Welenc hat Daniel Hellmann anlässlich des Jubiläums von XENIA – und mit unserer finanziellen Hilfe – das von ihm geschriebene und geschauspielerte Stück «Traumboy» in ein OneWoman-Theater weiterentwickelt. «Traumgirl» Kim ist Schauspielschülerin in Bern – und sie ist auch Sexarbeiterin. Sie erzählt von ihren Erfahrungen im Grenzbereich zwischen «richtiger Arbeit», Performance und Puff. Die Performances bewegen sich zwischen Dokumentar-Theater und AutoFiktion – das Publikum bleibt ohne Antwort, wieviel des Erzählten den persön­ lichen Erfahrungen der Schauspielenden entspricht. Das «Traumgirl» und der «Traumboy» werden so zur Projektionsfläche für Ängste, Fantasien und Widersprüche. Am Premiereabend bot eine anschliessende Podiumsdiskussion die Gelegenheit, durch das Theater angestossene Fragen weiter zu besprechen. Moderiert von Claudine Esseiva und mit reger Teilnahme des Publikums diskutierten zwei Sexarbeiterinnen, Anne Welenc und Christa Ammann. 4


Während der Spieldauer von «Traumgirl» und «Traumboy» lief Tag und Nacht die Projektion «Sexwork on Screen» von Yoshiko Kusano und Michael von Graffenried aus dem Inneren des Theaterladens: Yoshiko Kusano präsentierte die Zimmer, in denen «das älteste Gewerbe der Welt» seine Dienste anbietet, und die für viele Sexarbeiter*innen gleichzeitig Wohnraum sind. Michael von Graffenrieds Aufnahmen zeigten Sexarbeiter*innen auf dem Strassenstrich im Bern der 1990er-Jahre sowie Porträts und Bilder vom Autostrich.

2. Juni der internationale Hurentag Am 2. Juni 1975 besetzten rund 100 Sexarbeiterinnen die Kirche Saint-Nizier in Lyon. Unterstützt von einer christlichen Solidaritätsbewegung wehrten sie sich damit gegen polizeiliche und steuerliche Repressalien. Der ausgerufene «Generalstreik» breitete sich auf verschiedene französische Städte aus und stiess eine internationale Diskussion über die Rechte von Sexarbeiterinnen an. Weltweit de­ mon­ strieren seither an diesem Tag Sexarbeitende gegen Unterdrückung und gegen die Diskrimi­ nierung ihres Gewerbes. Seit 2001 ist der rote Regen­schirm Symbol dieser Bewegung.

5


Die Finanzen der Fachstelle und des Vereins Bilanz Aktiven Flüssige Mittel Forderungen und Rechnungsabgrenzung Einrichtungen Total

31.12.2019 31.12.2018 182'866.86 198'040.17 20'982.85 13'150.80 14'000.00 17'600.00 217'849.71 228'790.97

Bilanz Passiven Verbindlichkeiten und Rechnungsabgrenzung Nothilfefonds Reserve aus Überdeckung Kapital Jahresergebnis Total

31.12.2019 31.12.2018 21'652.40 26'571.20 6'423.10 4'968.65 1.00 1.00 197'250.12 183'737.49 -7'475.91 13'512.63 217'849.71 228'790.97

Erfolgsrechnung 01. – 12.2019 Budget 2019 01. – 12.2018 Subvention Kanton Bern 407'268.00 407'268.00 405'000.00 Spenden 19'492.60 17'000.00 21'709.20 Spenden Jubiläum 907.10 10'000.00 0.00 Mitgliederfonds AHS 18'000.00 15'000.00 16'000.00 Beiträge Stiftungen Projekt Deutschkurs und WenDo 0.00 0.00 23'349.00 Beiträge Beratungen Thun und Biel 4'100.00 0.00 Mitgliederbeiträge 3'000.00 2'500.00 2'540.00 Vermietungen 4'225.00 5'000.00 4'984.00 Übrige Erträge 390.00 800.00 625.00 Personalaufwand -386'555.85 -389'697.80 -384'382.80 Davon Personalaufwand Deutschkurs- und WenDo 0.00 0.00 -8'078.50 Miete -13'276.40 -15'000.00 -13'506.70 Unterhalt, Reparaturen, Ersatz -2'834.41 -2'200.00 -1'149.00 Sachversicherungen -552.60 -552.10 -552.10 Elektrizität -1'313.25 -1'500.00 -1'580.45 Verwaltung und Informatik -28'056.45 -31'977.00 -28'476.45 PR -12'221.50 -6'000.00 -7'530.40 Übriger Aufwand Finanzaufwand -338.80 -300.00 -327.17 Abschreibungen -3'600.00 -6'800.00 -7'812.15 Ausserordentliches -7'305.40 0.00 54.05 Projektaufwand -1'664.30 0.00 -15'431.40 Jubiläum -6'035.00 -10'000.00 Beratungen Thun und Biel -1'104.65 Jahresergebnis -7'475.91 -5'782.90 13'512.63

6


Revisionsbericht

7


Spender*innen, Gönner*innen und Unterstützer*innen 2019 Auch letztes Jahr haben uns Privatpersonen, Organisationen und Insti­tutionen mit finanziellen Beiträgen oder Sachleistungen unterstützt. Die Beiträge werden für den Nothilfefonds, temporäre Stellenaufstockungen oder Projekte, die direkt den Sexarbeiter*innen zu Gute kommen, verwendet. Ein grosser Dank gilt Jürg Nietlispach, der unsere Webseite neu gestaltet hat. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge bedanken wir uns bei Ottilia Hänni. Sie hat sich auch im Jahr 2019 um Sponsor*innen für das XENIAApéro gekümmert. Ottilia Hänni hat entschieden, dass sie mit dem Apéro zum 35-jährigen Jubiläum ihre treue Unterstützung bei der Sponsor*innensuche aufgibt. Über viele Jahre und Apéros hat sie den Verein hierbei unterstützt und so viele tolle Begegnungen und Erinnerungen ermöglicht. Vielen Dank! Die Sponsor*innen des Apéros 2019 sind: Bärtschi Jürg, Gorgé Viktor, Heiz Therese, Jaun Lotty, Keller Regula, Lüscher Gisela, Messerli Maya, Schnyder Franziska, Stucki Junker Franziska und Stefan, Thomet Janine und Roth Brigitte.

Beiträge ab CHF 100 Abt Anneros Lauber Daniel Ammann Peter Durrer-Bosshard Dominik Schmalz Marco Parekh Payal Mühlemann Hans-Rudolf und Liselotte Motzer Renate Corbella Christa  Zeyno Altindal Liebi Corina König Adrian Olibet Edith Schlüter Werner 8


Lanzi Nina Bohnenblust Margrit Wegmüller Lukas Ev.-ref. Kirchgemeinde Kehrsatz Ev.-ref. Kirchgemeinde Jegenstorf-Urtenen Reformierter Fürsorgefonds, Kerzers Ev.-ref. Kirchgemeinde Muri-Gümligen Ev.-ref. Kirchgemeinde Hilterfingen Ev.-ref. Kirchgemeinde Bümpliz Ev.-ref. Kirchgemeinde Vechigen Ev.-ref. Kirchgemeinde Köniz Ev.-ref. Kirchgemeinde Petrus, Bern Ev.-ref. Kirchgemeinde Kirchberg Ev.-ref. Kirchgemeinde Münchenbuchsee-Moosseedorf Ev.-ref. Kirchgemeinde Wohlen Ev.-ref. Kirchgemeinde Kirchlindach Ev.-ref. Kirchgemeinde Ostermundigen Kirchgemeinde Heiliggeist Kirchgemeinde Paulus Kirchgemeinde Matthäus Bern und Bremgarten Ev.–ref. Kirchgemeinde Burgdorf Herzlichen Dank auch der Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern, die XENIA über einen Leistungsvertrag subventioniert, sowie der Aidshilfe Schweiz, bei welcher XENIA Aktivmitglied ist und die unsere Arbeit ebenfalls finanziell unterstützt. Beratungsangebot Thun und Biel Ein besonderer Dank geht in diesem Jahr an die Städte Biel, Nidau und Thun sowie an die reformierte und die katholische Gesamtkirchgemeinde Biel, welche Beiträge gesprochen haben, um das Beratungsangebot in Biel und Thun zu finanzieren. 9


Vorstand und Personal Vorstand Eva Hauser, Präsidentin Miriam Schwarz, Vizepräsidentin Andrea Schneider, Aktuariat Maria Schultheiss, Recht Meret Schindler, Politische Arbeit Kanton Myriam Stucki, Öffentlichkeitsarbeit (bis Mai 2019) Seit November 2019 neu dabei: Nadia Bisang, Anita Hauser und Stephanie Meyer Stellenleiterin Christa Ammann Beraterinnen der Fachstelle Fiona Fankhauser Sujaree Junbua Flück Jacqueline Suter Martha Wigger Mediatorinnen des Gesundheitsförderungs und Aidspräventionsangebotes Mathilde Bürgin-Ndo Paulina Estremadoyro Olga Vasiliuc Raumpflegerin Tukkata Srisomchai

Impressum Jahresbericht Redaktion: Fachstelle und Verein Illustrationen: Serafine Frey Gestaltung: Andrea Stebler Druck: Vögeli AG

10


Veränderungen im Vorstand Abschied von Myriam Stucki Nach sechs Jahren im Vorstand von XENIA hat sich Myriam Stucki im Sommer 2019 aus beruflichen Gründen entschieden, ihr Amt abzugeben. Myriam Stucki war im XENIA-Vorstand hauptsächlich für die Kommunikation des Vereins verantwortlich und gleichzeitig unterstützend tätig bei Fragen der Stellenleitung zu medialen Auftritten und der Kommunikation gegen aussen. Vor allem aber hat sie mit ihrem kritischen Geist, ihren vielseitigen Ideen und ihrer guten Vernetzung viel dazu beigetragen, XENIA weiterzudenken. Dein Humor, deine Kreativität und dein Pragmatismus werden uns fehlen liebe Myriam – vielen Dank für deinen Einsatz bei XENIA!

Diese drei Frauen sind im Jahr 2019 neu zum Vorstand gestossen und stellen sich an der Hauptversammlung am 13. Mai 2020 zur Wahl: Nadia Bisang Nadia Bisang hat ein Studium in Sozialer Arbeit und ein MAS in Sexueller Gesundheit absolviert. Von 2012 bis 2018 arbeitete sie bei Caritas Schweiz als Projektverantwortliche in der Prävention weiblicher Genitalbeschneidung. Momentan ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Amt für Jugend und Berufsberatung des Kantons Zürich tätig. Neben beruflichem und familiärem Engagement sieht sie die ehrenamtliche Tätigkeit bei XENIA als perfekten Ausgleich. Anita Hauser Anita Hauser ist Juristin und Ökonomin und arbeitet seit 12 Jahren in der Bundesverwaltung. In ihrer Freizeit interessiert sie sich für Musik und Tanz und fährt gerne Ski. Es ist ihr ein Anliegen, die Bevölkerung für die Sexarbeit zu sensibilisieren, sich für die Rechte der Sexarbeiter*innen einzusetzen und 11


einen Beitrag zur Akzeptanz zu leisten. Sie freut sich, die Herausforderungen im Spannungsfeld zwischen Politik, Sozialem und Gesundheit gemeinsam anzugehen. Stephanie Meyer Stephanie Meyer hat 2019 ihr Masterstudium der Psychologie abgeschlossen. Danach war sie ein Jahr bei der Fachstelle fßr Gleichstellung der Stadt Bern tätig und arbeitet zurzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Berner Fachhochschule fßr Gesundheit. Sie ist im Frauen*streik Kollektiv Bern aktiv und praktiziert leidenschaftlich Yoga. Mit ihrem Engagement bei XENIA will sie dazu beitragen, der Stigmatisierung von Sexarbeiter*innen entgegenzuwirken.

12


Jahresrückblick der Fachstelle Zur wertvollen alltäglichen Arbeit der Beraterinnen und Mediatorinnen gehören die aufsuchende Arbeit und Gespräche auf der Fachstelle. Daneben gibt es jeweils spezielle Jahresereignisse und Schwerpunkte, welche zum Ziel haben, das Angebot der Fachstelle bekannt zu machen, weiterzuentwickeln und so den Zugang für Sexarbeiter*innen möglichst niederschwellig und bedarfsgerecht zu ermöglichen.

Neue Webseite erfolgreich gestartet

Die Überarbeitung scheint ein voller Erfolg zu sein: Die Webseite von XENIA wurde im Vergleich zum Vorjahr um ein Zehnfaches häufiger besucht (fast 10‘000 Besucher*innen im Vergleich zu 1000 Besucher*innen im Jahr 2018). Die Webseite wird am häufigsten auf Deutsch abgerufen, was aber auch damit zu tun haben könnte, dass die Startseite Deutsch ist und erst danach die Sprachwahl erfolgt. Weitere häufig gewählte Sprachen sind Englisch, Französisch, Italienisch und Ungarisch. Aber auch die neun anderen Sprachen werden genutzt. Wir sind gespannt auf die weitere Entwicklung der Besucher*innenzahlen. Die Rückmeldungen, die wir zur Webseite erhalten, sind durchs Band positiv: Gelobt werden vor allem der einfache Aufbau und die Illustration der Webseite sowie die ansprechende Art und Weise, wie der Inhalt präsentiert wird, welche allesamt «Lust machen» würden, uns zu kontaktieren.

13

fachstelle

Wir haben es schon im letzten Jahresbericht angekündigt und im April 2019 war es so weit: Die neue Webseite von XENIA ging online! Die neue Webseite macht das Angebot von XENIA einfach verständlich und leicht bedienbar zugänglich – in vierzehn Sprachen. Die Abdeckung vieler Sprachen soll sicherstellen, dass uns Sexarbeiter*innen auch dann finden, wenn sie sich online in anderen Sprachen als Deutsch erkundigen, was sie im Kanton Bern berücksichtigen müssen, wenn sie im Sexgewerbe arbeiten wollen und wohin sie sich mit Fragen wenden können.


Grundsteine für Beratungsangebot in Biel und Thun gelegt

fachstelle

Die Mobilität von Sexarbeiter*innen, insbesondere von migrantischen, hat in den letzten Jahren zugenommen. Oft arbeiten sie nur während weniger Tage bis ein, zwei Wochen am selben Ort. Dies ist für uns bei komplexeren Beratungen, die nicht während der aufsuchenden Arbeit möglich sind, eine neue Herausforderung: Die kurze Arbeitsdauer an einem Ort in Kombination mit hohen Fixkosten für Miete, Inserate, etc. führt dazu, dass Sexarbeiter*innen mit einem weiteren Reiseweg das Beratungsangebot in unseren Räumlich­ keiten in Bern weniger in Anspruch nehmen. Ein Beratungstermin bedeutet für sie, einen halben Tag oder länger nicht arbeiten zu können. Es sind nicht die Reisekosten, sondern die Einkommensausfälle durch die Abwesenheit, welche dazu führen, dass Beratungstermine oft erst im Notfall vereinbart werden. Der Zugang zu spezialisierten Beratungsangeboten ist für Sexarbeiter*innen aber wichtig, da die Informationen zu ihren Rechten und Pflichten sie bei konkreten Fragestellungen unterstützen und auch ihre Position stärken. Im Rahmen der Strategieplanung hat der Verein XENIA entschieden, dass er mit seinem Beratungsangebot auch andere Städte im Kanton Bern abdecken will, um die Niederschwelligkeit besser zu gewährleisten. Die Topografie des Kantons Bern soll nicht Grund dafür sein, dass Sexarbeiter*innen aus anderen Regionen des Kantons erschwerten Zugang zu professionellen Beratungen haben. Als Startpunkt für ein vorerst vierjähriges Pilotprojekt in den Städten Biel und Thun wurde das Jahr 2020 festgelegt. Somit war das Jahr 2019 geprägt durch die Suche nach geeigneten Räumlichkeiten und finanzieller Unterstützung für die Infrastruktur sowie durch die Bekanntmachung des Angebotes bei Sexarbeiter*innen und auch bei den Behörden in diesen Regionen. Bei Benevol in Biel an der Bahnhofstrasse 30 und beim Sozialdienst der reformierten Gesamtkirchgemeinde Thun an der Frutigenstrasse 4 haben wir schliesslich geeignete und sehr zentrale Räumlichkeiten gefunden. Vorerst ist geplant, je einmal wöchentlich Beratungen anzubieten. Die Fachstelle hat für die neuen Standorte nicht mehr Stellenprozente zur Verfügung; die Arbeitseinsätze der Beraterinnen finden einfach neu an verschiedenen Standorten statt. Dank der finanziellen Unterstützung der Städte Thun, Biel und Nidau sowie der reformierten und katholischen Gesamtkirchgemeinde Biel können wir nun seit Anfang 2020 zusätzlich zum Angebot in Bern je einmal pro Woche Beratungen in Thun und Biel anbieten.

14


Jubiläums- und Vernetzungsapéro von XENIA Alle zwei Jahre lädt XENIA zu einem Vernetzungsapéro ein. Erneut fand das Apéro im Jahr 2019 bei schönstem Wetter statt. Die zahlreichen Be­ su­ cher*innen konnten sich bei viel Sonnenschein vernetzen, Gespräche führen und mit den Mitarbeiterinnen und den Vorstandsfrauen auf 35 Jahre XENIA anstossen! Das nächste Apéro wird voraussichtlich später im Jahr 2021 in den neu renovierten Räumlichkeiten stattfinden – die Fachstelle wird im Herbst 2020 für ein Jahr umziehen müssen, damit das XENIA-Häuschen einer Gesamtrenovation unterzogen werden kann.

fachstelle

Kommission Prostitutionsgewerbegesetz: Grünes Licht für die Evaluation des Gesetzes Nach der Budgetdebatte im Grossen Rat im November 2019 war klar: Der Auftrag zur Evaluation des Gesetzes kann von der Sicherheitsdirektion SID (ehemals POM, Polizei- und Militärdirektion) ausgeschrieben werden. Somit wird im Verlauf des Jahres 2020 überprüft, ob die Auswirkungen des Gesetzes auch dem Zweckartikel entsprechen oder ob es allfällige Anpassungen und Veränderungen braucht. XENIA begrüsst diese Evaluation, hat sie diese doch von Beginn an gefordert. 15


Engagieren Sie sich für einen guten Zweck Wollen Sie Mitglied von einem Verein werden, der sich seit 35 Jahren für die Rechte der Sexarbeiter*innen einsetzt und sich in den Beratungen und durch Öffentlichkeitsarbeit für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Sexarbeiter*innen im Kanton Bern stark macht? Für nur CHF 50 im Jahr treten Sie als Person und für CHF 100 als juristische Person dem Verein XENIA bei. Selbstverständlich freuen wir uns auch über Gönnerbeiträge und Spenden! Für jeden Betrag bedanken wir uns herzlich. PC 30-37914-2.

Anmeldung als Vereinsmitglied Privatperson Juristische Person Institution Name / Vorname Adresse PLZ / Ort

Talon ausschneiden und senden an XENIA, Langmauerweg 1, 3011 Bern. Sie können sich auch via Mail anmelden: info@xeniabern.ch. Besten Dank! 16


Öffentlichkeitsarbeit Die Anfragen sind im Vergleich zum Vorjahr stabil geblieben. Ein Teil der Medienarbeit aber auch der Vorträge und Podien stehen in Zusammenhang mit dem 35-jährigen Jubiläum von XENIA. Im Frühjahr 2019 nahm die Stellenleiterin an einer Tagung zur Besteuerung des Sexgewerbes an der Universität von Essex teil. Es wurden Steuerpraktiken aus verschiedenen Ländern vorgestellt und verglichen sowie aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Mitarbeiterinnen von XENIA führten erneut ein Modul zum Thema Sexarbeit an der Berner Fachhochschule für Soziale Arbeit sowie drei Unterrichtseinheiten im Rahmen eines Seminars zum Thema Sexarbeit an der fhnw für Soziale Arbeit durch.

Kategorie 2019 2018 Medien 24 27 Student*innen und Schüler*innen 23 19 Politiker*innen 2 7 NGO/Behörden 7 7 Podien/Referate/MK 12 9 Privatpersonen 0 3 Absagen 39 39

17

fachstelle

Der grösste Teil der Absagen betraf in diesem Jahr Student*innen und Schüler*innen. Die zeitlichen Ressourcen von XENIA sind begrenzt und so übersteigt das Interesse von Student*innen und Schüler*innen am Thema Sexarbeit leider die Kapazitäten unserer Mitarbeiterinnen.


statistische angaben zu den beratungen

fachstelle

Bei der Beratungsstelle ist im Jahr 2019 ein Rückgang an Kontakten zu Sexarbeiter*innen festzustellen. Dieser ist vermutlich auf längere krankheitsbedingte Abwesenheiten im Beratungsteam zurückzuführen und nicht auf tatsächliche Veränderungen im Sexgewerbe im Kanton Bern – im Gesundheitsangebot sind die Kontakte im Vergleich zum Vorjahr nämlich deutlich angestiegen. Aufgrund der erhöhten Mobilität hat die Bedeutung der aufsuchenden Arbeit und der damit verbundenen aufsuchenden Beratungen zugenommen. Die Kontakte der Beraterinnen bei der aufsuchenden Arbeit sind, wenn Sexarbeiter*innen Fragen haben, deutlich länger als noch vor einigen Jahren. Gleichzeitig sind dies oft Momente, in denen mehrere Sexarbeiter*innen gleichzeitig Informationen und Beratungen erhalten. Die Vielsprachigkeit der Beraterinnen war auch im Jahr 2019 gefragt und geschätzt. Den Sexarbeiter*innen fällt es leichter, ihre Fragen und Probleme in ihrer Muttersprache oder einer Sprache, die sie gut beherrschen, zu formu­lieren. Vor diesem Hintergrund fanden die Beratungen in Thailändisch, Spanisch, Rumänisch, Französisch, Englisch, Italienisch und Deutsch statt. Die häufigsten Themen in den Beratungen mit Falleröffnung betrafen die Bereiche Finanzen, Arbeit, psychische Gesundheit, Familie und Recht. Bei den Beratungen ohne Falleröffnung, die in erster Linie aufsuchend, aber auch telefonisch oder per Mail erfolgen, waren Arbeit, Finanzen, Recht und sexuelle Gesundheit die häufigsten Themen.

18


Anzahl Kontakte mit Falleröffnung Anzahl Kontakte ohne Falleröffnung Anzahl Sexarbeiter*innen 2019 2018 Anzahl Sexarbeiter*innen 2019 Sexarbeiter*innen 129 160 Sexarbeiter*innen 1535 davon neue 46 79

2018 1956

Verwaltungsregionen 2019 2018 Verwaltungsregionen 2019 2018 Bern-Mittelland 88 108 Bern-Mittelland 706 898 Oberland 17 25 Oberland 222 316 Emmental-Oberaargau 5 4 Emmental-Oberaargau 236 259 Seeland 18 22 Seeland 359 468 Berner-Jura 1 1 Berner-Jura 12 15 2019 2018 1 2 12 15 23 35 26 34 18 29 49 45

Alter bis 20 20  – 29 30  – 39 über 40 unbekannt 50 +

2019 2018 5 29 594 647 470 521 246 350 136 295 84 114

Nationalität 2019 2018 Nationalität 2019 2018 CH 20 24 CH 109 109 CH/Osteuropa 0 1 CH/Osteuropa 7 30 CH/Afrika 3 3 CH/Afrika 24 27 CH/Asien 21 21 CH/Asien 27 58 CH/Lateinamerika 1 1 CH/Lateinamerika 5 24 CH/EU 7 7 CH/EU 21 18 EU 41 65 EU 1017 1240 Drittstaaten 1 36 38 Drittstaaten 1 325 450

1. Sexarbeiter*innen mit einem ausländischen Pass, ohne EU-Bürger*innen

19

fachstelle

Alter bis 20 20  – 29 30  – 39 über 40 unbekannt 50 +


Gesundheitsförderungsund HIV-/STI-Präventions­ angebot

fachstelle

2019 erreichten die Mediatorinnen 4’141 Sexarbeiter*innen verschiedener Nationalitäten und an unterschiedlichen Arbeitsorten. Sie informierten diese u. a. über HIV/Aids, andere sexuell übertragbare Krankheiten (STI), Voluntary Counselling and Testing (VCT), Gesundheitsrisiken, Schwangerschaftsverhütung und rechtliche Themen. Viele Sexarbeiter*innen sind auf Informationen von XENIA angewiesen. Sie freuen sich auf die Besuche der Mediatorinnen und schätzen deren Arbeit sehr. Zugenommen haben die Kontakte u. a. wieder mit Sexarbeiter*innen aus Latein­amerika, insbesondere mit Personen aus Venezuela. Diese Entwicklung ist eine Folge der politischen Unruhen im Land: Jede Möglichkeit Geld zu verdienen wird ausgeschöpft, um Angehörige in der Heimat finanziell zu unterstützen. Es handelt sich sowohl um Personen, die nicht mehr in der Sexarbeit tätig waren und diese nun wieder aufgenommen haben, als auch um Personen, die neu in der Sexarbeit tätig sind. Die Geschichten gleichen sich: Enteignung oder Zwangsverkauf ihres Landes und Hauses zu Dumping-Preisen, wodurch sie alles verlieren – ihre Altersvorsorge, ihren Zukunftsplan – und wieder bei Null anfangen müssen. Das setzt die Sexarbeiter*innen stark unter Druck. In solchen Situationen liegt der Fokus der Mediatorinnen in der Regel auf der Stärkung des Selbstbewusstseins der Sexarbeiter*innen, der Unterstützung in ihrer Professionalität und der Gesundheit am Arbeitsplatz. Neu konnten die Mediatorinnen Sexarbeiter*innen auch über die LEXI App von ProKoRe 1 informieren. Die App bietet in 14 Sprachen die wichtigsten Informationen zu Arbeit, Sicherheit, Gesundheit, Steuern und Sozialversicherungen für Sexarbeiter*innen in der Schweiz, ist gratis und braucht keine Registrierung.

1. ProKoRe ist das nationale Netzwerk von Organisationen und Einzelpersonen, welches die Interessen der Sexarbeiter*innen vertritt.

20


Arbeitsort Strassenstrich 0 58 0 0 0 58 Salon 1'210 809 0 603 0 2'622 Night-Club 92 90 0 136 0 318 Bar-Sauna-Club 171 208 0 254 0 633 Privat 27 62 0 92 0 181 Weitere Orte 99 58 0 172 0 329 Total 1'599 1'285 0 1'257 0 4'141 1. Kontakt / Neu

952

715

0

21

756

0 2'423

fachstelle

Herkunft Bern- Oberland Emmental- Seeland Berner- Total Mittelland Oberaargau Jura Osteuropa 5 22 0 10 0 37 Afrika 373 295 0 448 0 1'116 Asien 122 62 0 80 0 264 Lateinamerika 330 257 0 238 0 825 EU 714 585 0 436 0 1'735 Schweiz 49 64 0 45 0 158 Andere 6 0 0 0 0 6 Total 1'599 1'285 0 1'257 0 4'141


Bericht aus dem Vorstand Das Jahr 2019 stand für den Vorstand von XENIA in erster Linie unter dem Motto «Jubiläum»: 35 Jahre gibt es den Verein XENIA bereits!

fachstelle

Die Arbeit der Vorstandsfrauen war aber nicht nur an den Jubiläumsanlässen gefragt: Im Mai wurden an der jährlichen Mitgliederversammlung Miriam Schwarz, Meret Schindler und Maria Schultheiss in ihrem Amt bestätigt. An einem heissen Tag im Juni sorgten die Vorstandsfrauen am XENIA-Apéro dafür, dass die Gläser nicht leer blieben. Zusammen mit dem Team der Fachstelle waren sie im August am Teamausflug zu Gast bei der FIZ (Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration) in Zürich. Und wie immer läutete XENIA die Festtage im Dezember mit einem gemütlichen und fröhlichen Weihnachtessen im XENIA-Häuschen ein. «Geng wie geng» und doch anders: Der Rücktritt von Myriam Stucki, unserer langjährigen Kommunikationsfachfrau im Vorstand, hinterliess eine Lücke, die es zu füllen gab. Bei der Suche nach einer Neubesetzung für das Ressort stellten wir mit Freuden ein grosses Interesse an der Vorstandsarbeit von XENIA fest: Viele gute Bewerbungen füllten den Posteingang. Weil die XENIAVorstandsfrauen in der Vergangenheit in ihrem ehrenamtlichen Engagement ressourcentechnisch immer wieder an ihre Grenzen stiessen, entschlossen wir uns, den Vorstand zu erweitern. Das Vorstandsjahr 2020 wird nun also mit einigen neuen und einigen bisherigen Frauen und viel Motivation gestartet. Beherbergte das XENIA-Häuschen für die Sitzungen im Jahr 2019 noch sechs Vorstandsfrauen, werden im Jahr 2020 bis auf Weiteres acht Frauen am Tisch Platz nehmen. An der Mitgliederversammlung am 13. Mai 2020 werden sich Stephanie Meyer, Anita Hauser und Nadia Bisang zur ordentlichen Wahl stellen. Im Februar nahm sich der Vorstand an der Retraite Zeit, die Vorstandsaufgaben zu besprechen und neu zu verteilen. Wir freuen uns darauf, in neuer Formation in die XENIA-Zukunft zu blicken!

22



www.xeniabern.ch www.facebook.com/xeniabern