Schaffhauser POST Juli 2010 -

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Juli 2010

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Ausgabe 7 | 27

Ratgeber Recht: Sicheres Bauen

Bauen ist immer gefährlich

Seien wir ehrlich: Bauen ist immer gefährlich! Leib und Leben sowie grosse Sach- und Vermögenswerte stehen auf dem Spiel.

Die menschliche Gesundheit ist beim Arbeiten besonders gefährdet. Jahr für Jahr sterben weltweit 1,1 Mio. Menschen infolge Unfällen am Arbeitsplatz und arbeitsbedingten Erkrankungen. Hinzu kommen jährlich weltweit 160 Mio. zusätzliche berufsbedingte Krankheitsfälle. Bauarbeiten und Bauwerke bilden eine besonders grosse Quelle für schwere, auch tödliche Bauunfälle und für ebenfalls oft schwere Berufskrankheiten, die durch Bauarbeiten verursacht worden sind. Heute wohl am bekanntesten sind die fatalen, oft tödlich verlaufenden Asbesterkrankungen. Von den rund 3000 Unfällen mit Arbeitsgerüsten (zu 75%

mit Fassadengerüsten), die sich jährlich in der Schweiz ereignen, führen rund vier Prozent zur Invalidität oder zum Tod des Verunfallten und zu einem gerichtlichen Nachspiel.

Was geht dies uns alle an? Das Bauen überlassen wir als Bauherren oder Käufer (z.B. eines Hauses oder einer Eigentumswohnung) den Baufachleuten. Die Antwort: Es geht uns alle an! Der erste Satz ist an ein Epigramm angelehnt, das Erich Kästner im Jahr 1950 schrieb: «Seien wir ehrlich: Leben ist immer lebensgefährlich.» Das Leben ist auch in der Bauphase gefährlich, wenn wir nicht selber Bauarbeiten ausführen, sondern bloss – mit oder ohne Berechtigung – eine Baustelle besuchen oder an einer Baustelle vorbeikommen mit dem Risiko, von einem umstürzenden Kran oder von durch eine Explosion weg-

Sicheres Bauen und sichere Bauwerke – Wer haftet? Alle! Mehr Informationen zum Thema «Sicheres Bauen» finden Sie im Buch «Sicheres Bauen und sichere Bauwerke – Wer haftet? Alle!» (erschienen im Schulthess Verlag). Dieses Buch soll Baufachleuten, Juristen und interessierten Laien als Wegweiser dienen, um im Dickicht der Normen die anwendbaren Schutzvorschriften zu finden, anstatt vor der Normenfülle zu resignieren. Erhältlich für CHF 95.— im Buchhandel (ISBN 978-37255-6058-5) oder direkt bei Schulthess Juristische Medien AG unter www.schulthess.com Powered by

geschleuderten Trümmern getroffen zu werden. Der Bauherr kann sich wegen fahrlässiger Tötung oder Körperverletzung strafbar machen, wenn er ein noch unvollendetes Bauwerk teilweise in Betrieb nimmt und die Sicherung eines unverschlossenen Schachtes versäumt.

Was heisst gebrauchstauglich? Für uns alle wichtig, ja existenziell ist die Gebrauchstauglichkeit des Bauwerks (z.B. eines Wohnhauses) nach Abschluss der Bauarbeiten. Dazu gehört unbe-

Es lauern auch juristische Risiken dingt auch die sichere Beschaffenheit des Bauwerks. Zahlreiche Vorschriften – insbesondere Verordnungen des Bundesrats, Regeln der Baukunde, Merkblätter der Suva und SIA-Normen – wollen die Bewohner und andere Benutzer, Nachbarn, Passanten usw. gegen Unfälle und auch gegen Erkrankungen wirksam schützen. Einige wenige Beispiele: Art. 21 Abs. 1 VUV (Verordnung des Bundesrats über die Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten vom 19. Dez. 1983) schreibt vor, dass bestimmte Gebäudeteile, Arbeitsplätze «gegen den Absturz von Personen, Gegenständen, Fahrzeugen und Material durch Abschrankungen oder Geländer zu sichern» sind. Jeder Lift darf keine Sicherheitsmängel aufweisen (vgl. ESBA-Richtlinie zur Erhöhung der Sicherheit bestehender Aufzüge, herausgegeben vom SAV, Schweizerischer Verein für Aufzugssicherheit). Ein Gebäude muss die genügende Tragfähigkeit nach den tech-

nischen Baunormen aufweisen und deshalb auch erdbebensicher sein (vgl. SIA-Merkblatt 2018 Überprüfung bestehender Gebäude bezüglich Erdbeben, Ausgabe 2004). Gebrauchsuntauglich ist ein Gebäude, insbesondere ein Wohnhaus, für das gesundheitsschädliche Baustoffe (sogenannte Wohngifte) verwendet worden sind.

Der Grundeigentümer haftet Für Mängel des Bauwerks, insbesondere für Unfälle zufolge Sicherheitsmängel, haftet der Grundeigentümer und zwar vertraglich (beispielsweise gegenüber seinen Mietern oder Arbeitnehmern) wie ausservertraglich (gegenüber Nachbarn, Passanten usw.). Besonders hart kann sich die sogenannte Werkeigentümerhaftung nach Art. 58 OR (Obligationenrecht) auswirken: Sie ist eine reine Kausalhaftung, was bedeutet, dass der Werkeigentümer, häufig der Grundeigentümer, auch ohne eigenes Verschulden haftet, also auch wenn der Sicherheitsmangel von Fachleuten wie Architekten oder Bauunternehmer verursacht worden ist. Dabei handelt es sich um eine «ewige» Haftung: Sie besteht, selbst wenn der haftbare Werkeigentümer keinen Rückgriff mehr auf die Schuldigen nehmen kann, weil seine Regressrechte gegenüber Architekt oder Bauunternehmer schon längst verjährt sind. Zudem kann ein ursprünglich mangelfreies Gebäude später mangelhaft im Sinne des Art. 58 OR werden, weil es schlecht unterhalten oder nicht an die heutigen Sicherheitsstandards angepasst worden ist. Es lauern somit nicht nur Gefahren

Der Autor: Rainer Schumacher, Dr. iur., Rechtsanwalt und Titularprofessor an der Rechtsfakultät der Universität Freiburg (Schweiz); Referent an den Schweizerischen Baurechtstagungen (seit 1977) sowie ständiger Mitarbeiter an der Zeitschrift Baurecht/Droit de la construction (seit 1979); zahlreiche Publikationen mit Schwergewicht privates Baurecht, u.a.: Mitautor am Kommentar zu SIA-Norm 118 Art. 36-156; Vertragsgestaltung. Systemtechnik für die Praxis (2004); Das Bauhandwerkerpfandrecht. Systematischer Aufbau (3. Auflage 2008). für Leib und Leben, sondern auch juristische Risiken, die häufig unbekannt sind. Eine Orientierungshilfe Die Baunormen zur Vorsorge gegen Unfälle und Krankheiten sowie die gesetzlichen Bestimmungen, welche die Haftung bei der Missachtung der einschlägigen Schutzvorschriften regeln, sind hochgradig komplex. Sie bilden ein beinahe undurchdringliches Dickicht. Die Normenflut ist fast unüberblickbar, zumal die Bestimmungen in verschiedenen Rechtsgebieten wie Strafrecht, Verwaltungsrecht und Privatrecht zerstreut sind. Zudem gilt teilweise sogar ungeschriebenes Recht. Um die Komplexität mittels einer systematischen interdisziplinären Übersicht zu reduzieren, erschien kürzlich als Band 19 der Beiträge aus dem Institut für Schweizerisches und Internationales Baurecht der Universität Freiburg (Schweiz) bei Schulthess Juristische Medien AG das umfassende Buch mit dem Titel: «Sicheres Bauen und sichere Bauwerke – Wer haftet? Alle!» Rainer Schuhmacher ■


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