Links der Elbe, Nr. 73

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Die Treuhand war eine Sturzgeburt Ex-Wirtschaftsministerin Christa Luft weist »falsche Vorwürfe« gegen die Modrow-Regierung zurück / Die Ökonomin war 1990 Wirtschaftsministerin der ModrowRegierung ND: Am 15. März 1990 beschloss die Ministerkammer der DDR das Statut einer Treuhandanstalt. Das Volkseigentum sollte treuhänderisch verwaltet werden und dadurch der Allgemeinheit bewahrt bleiben. Aktuell wird im Zuge der Einheitsjubiläen auf die Kritik an der Arbeit der Treuhandanstalt in der Bundesrepublik erwidert, diese sei Kind der ModrowRegierung. Trifft Sie dies? Luft: Dieser Vorwurf wird – offenkundig zur Bedienung bestimmter Interessen – immer wieder aufgewärmt. So jüngst in einer Fernsehsendung durch den letzten DDRMinisterpräsidenten Lothar de Maizière. Der Vorwurf ist so falsch wie perfide. Jeder Interessierte kann den Beschluss der Modrow-Regierung zur Gründung der Treuhandanstalt im Gesetzblatt der DDR nachlesen. Dort sind unsere Zielstellungen unmissverständlich formuliert. Perfide ist er deshalb, weil alles Negative der Modrow-Regierung angelastet werden soll. De Maizière kennt die Zusammenhänge besser. Er saß vier Monate neben mir auf der Regierungsbank. Ich kann mich allerdings nicht erinnern, dass er beim Beschluss zur Gründung der Treuhand in irgendeiner Form insistiert oder Änderungswünsche formuliert hätte. Er will offenbar ein Klischee bedienen. Die ursprüngliche Idee einer »treuen Hand« für das Vermögen der DDR war im Februar 1990 am Runden Tisch formuliert worden. Was waren die Intentionen, die die Modrow-Regierung dann aufgriff? Die Treuhand war eine Sturzgeburt. Sie war im Wirtschaftsreformgesetz unserer Regierung, das vom Runden Tisch und der Volkskammer angenommen worden war, als solche nicht vorgesehen. Dabei waren wir damals nicht davon ausgegangen, dass die Eigentumsordnung der DDR so »Knall und Fall« zu verändern sein würde. Wir hatten einen Eigentumsmix im Blick und zahlreiche Maßnahmen beschlossen. Einen totalen Wechsel hin zur kompletten Privatisierung war nicht in unserem Kalkül. Sturzgeburten haben Ursachen ... Da waren die vom Mai auf den 18. März vorgezogenen Volkskammerwahlen. Uns war klar, es würden andere, unter westdeutschen Einfluss geratene Mehrheiten folgen. Hinzu kam das nicht erst der DDR-Regierung, sondern gleich der Bevölkerung gemachte Angebot von Bundeskanzler Kohl, die D-Mark in der DDR einzuführen. Dafür wurde eine Gegenleistung erwartet – die Privatisierung des Volkseigentums. Vor diesem Hintergrund war Wolfgang Ullmann vom Bündnis 90 durch Berater aus der Schweiz ein Treuhandgedanke nahe gebracht worden. Unsere Gruppe, die sich mit den unausweichlichen Wirtschaftsreformen beschäftigte, hatte sich damit befasst, wie z. B. Großbritannien und Österreich nach dem 2. Weltkrieg mit dem großen staatlichen Wirtschaftssektor umgegangen waren. Die Modrow-Regierung machte sich schließlich den Kern der UllmannIdee zu Eigen. Spielte dabei nicht auch Taktieren vor den Wahlen am 18. März ein Rolle?

Für taktische Spielchen fehlte uns der Sinn. Die Modrow-Regierung hat während ihrer kurzen Amtsdauer der Eigentumsfrage eine prinzipielle Rolle beigemessen. Deshalb haben wir uns unter anderem an den damaligen sowjetischen Staatschef Gorbatschow gewandt, alles in seinen Kräften Stehende zu tun, um die Beschlüsse zur Bodenreform zu sichern. Hier hatten wir gewissen Erfolg. Bei den Wahlen im März signalisierte das Volk wenig Interesse am Erhalt des »Volkseigentums«. Es zog die schnelle D-Mark vor! Das muss zu denken geben. Ich habe daraus gelernt, Verstaatlichung von Produktionsmitteln und zentralistische Planwirtschaft machen nicht das Wesen des Sozialismus aus. Jenes Eigentum war anonym, es war nicht wirklich vergesellschaftet. Die Menschen sahen es deshalb kaum als schützenswert an – eine für mich bittere Erkenntnis, aus der Schlussfolgerungen zu ziehen sind. In einer linken Alternative muss nicht verstaatlichtes, sondern vergesellschaftetes Eigentum einen Kernpunkt bilden. Ein Buch, das die Resultate der Treuhand untersucht, spricht von »Verwalteten Illusionen«. Waren die 600 Milliarden D-Mark im Haben, von denen der spätere Treuhandchef Detlev Rohwedder ausging, eine fiktive Rechengröße? Ein Marktwert ist immer eine Schätzung. Der weitaus höhere Substanzwert des DDR-Vermögens ist damit nicht zu erfassen. Wer jedoch wie die Treuhand ab 1991 nach der Devise »Alles muss raus« negatives Marketing betreibt und sich kaum um neue Märkte kümmert, kann nicht mit hohen Erlösen rechnen. Wenn die zu privatisierenden Objekte zudem der Konkurrenz angeboten werden, die lediglich den Wettbewerber ausschalten will, sinkt der Marktwert weiter. Das Gleiche gilt bei der Treuhand-Devise, zuerst zu privatisieren und dann zu sanieren. Rohwedder war noch von einer umgekehrten Reihenfolge ausgegangen. Aus meiner Sicht ist aber nicht entscheidend, wie hoch das Vermögen der DDR-Wirtschaft geschätzt wurde. Ausschlaggebend ist, was Frau Breuel als letzte Treuhandchefin hinterlassen hat – ein Minus von 256 Milliarden D-Mark. Das war die größte Vernichtung von Produktivvermögen, die es je zu Friedenszeiten gegeben hat! Im Juni 1990 verabschiedete die de-MaizièreRegierung das Treuhandgesetz, das auf die rasche Privatisierung setzte. War damit der Ausverkauf der DDR besiegelt? In der Volkskammer haben die PDS-Fraktion und die von Bündnis 90 zahlreiche Versuche unternommen, an diesem Gesetz noch etwas im Interesse der DDRBürger zu verändern. Das ist nur marginal gelungen. Das Gesetz vom Juni, das von Beratern aus dem Bonner Finanzministerium formuliert wurde, annullierte den Ansatz der Modrow-Regierung, der die Wahrung des Volkseigentums zum Ziel hatte. Die Treuhand wurde zu einer »Verschleuderungsanstalt«. Das haben die deMaizière- wie auch die Kohl-Regierung zu verantworten, nicht die unter Hans Modrow. Fragen: Dieter Janke 11


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