KW 20-2019

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Mitdenken

125 Liter Wasser Mittwoch, 15. Mai 2019 | Nr. 20

... verbraucht ein Einwohner in Deutschland durchschnittlich am Tag. Das ist fast eine ganze Badewanne voll.

„Ja, es tut sich was!“ Katharina Habersbrunner über eine nachhaltige Stadt und Wegweiser, über hohe Emissionen und explodierende Mieten München · Katharina Habersbrunner ist im Vorstand bei WECF (Women Engage for a Common Future). Sie ist als Bereichsleiterin für Klima und Energie für sozial- und gendergerechte Klima-und Energieprojekte zuständig. Außerdem ist sie eine der Sprecher von MIN (Münchner Initiative Nachhaltigkeit), die im Februar den ersten Münchner Nachhaltigkeitskongress veranstaltet hat. Anja Kroha sprach mit ihr über diesen Startschuss und seine Folgen.

„Wir müssen umsteuern“ Sie haben den ersten Nachhaltigkeitskongress in München organisiert. Nachhaltigkeit ist für viele Bürger ein immer größeres Anliegen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Katharina Habersbrunner: 2015 verabschiedeten die Vereinten Nationen die „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ mit den 17 SDGs, den Sustainable Development Goals. Sie gelten universell, im Norden wie im globalen Süden. Sie sind eine neue Basis für die nötige Zusammenarbeit verschiedener Akteure, was beispielsweise mit dem Ziel, die riesige Menge an Lebensmitteln, die tagtäglich weggeworfen werden, mindestens einmal zu halbieren, deutlich wird. Die Universalität der Agenda 2030 ist ein großer Fortschritt. Sie ruft zur gemeinsamen Verantwortung auf und setzt auf Rechtsstaatlichkeit, Frieden und Partnerschaften und verbindet das mit der Würde des Menschen in ökologisch intakten Lebensgrundlagen. 11 Jahre haben wir noch bis 2030 für die ehrgeizigen, manchmal utopistisch erscheinenden Ziele. Selbst in einem wohlhabenden Land wie Deutschland sind die meisten davon noch nicht erreicht und auch hier an der Isar nicht. Zwar verfügt München z. B. über eine sehr gute Trinkwasserqualität, aber für nachhaltige Energien, emissionsarme Mobilität und soziale Gerechtigkeit ist auch in München viel Luft nach oben. Als München die Agenda im Jahr 2016 unterzeichnete, gründete sich MIN, um diesen Prozess mitzugestalten.

Katharina Habersbrunner: „Noch immer sind die Anreize, sich nachhaltiger zu verhalten, zu schwach, damit Menschen sich umorientieren.“ Bild: ak

– zusammen gedacht werden. bilität, unseren verschwenderischen Umgang mit Energie Das leisten die SDGs. und Ressourcen, für klassenunabhängigen Zugang zu Bil„Es existieren kaum dung und Gesundheit und wie Konzepte“ mehr Nachhaltigkeit für alle Wo ist ein Handeln beson- auch finanziell gestemmt werders dringend erforderlich? den kann. Können sich alle Münchner ein MVV-JahrestiKatharina Habersbrunner: cket oder gesunde LebensWir haben alle relevanten In- mittel leisten? formationen, es gibt Pilotpro- Daher braucht es ernst gejekte. Aber es existieren kaum meinten politischen Willen Konzepte mit verbindlichen und Rahmenbedingungen, d.h. Vorgaben seitens der Politik, einen verbindlichen und konan denen sich alle orientieren kreten Stadtratsbeschluss, und die auch dauerhaft Wir- eine ambitionierte Nachhalkungen entfalten können. Zu tigkeitsstrategie und letztendwenig Unterstützung für in- lich eine SDG-konforme Steunovative Ansätze, die über er- und Haushaltspolitik. „Alle Themen Modellprojekte selten hinauszusammen denken“ kommen. Noch immer sind „Das kann schnell Was waren Ihrer Meinung die Anreize, sich nachhaltiger ausgebaut werden“ nach die drei wichtigsten zu verhalten, zu schwach, daThemenfelder beim Kon- mit Menschen sich umorien- Sehen Sie Maßnahmen, die gress? tieren. Dringlich brauchen wir man unkompliziert und züneue Lösungen für unsere Mo- gig umsetzen kann? Katharina Habersbrunner: MIN hat von den Nachhaltigen Entwicklungszielen die für die Stadt dringlichsten herausgearbeitet und unter Berücksichtigung gewachsener Strukturen 8 politikfeld-übergreifende Manufakturen (Arbeitsgruppen) initiiert. Die Themen Mobilität, nachhaltige Stadtentwicklung und Energie- und Klimaschutz brennen uns unter den Nägeln. Aber genau darum geht es bei den SDGs, dass wir diese Themen nicht einzeln betrachten, sondern zusammendenken mit Armutspolitik, Geschlechtergerechtigkeit, Ernährung, Bürgerbeteiligung und Bildung. Wohnen kann in München ein „Die Universalität ist ein Armutsrisiko sein. Um eine nachhaltige Entwicklung zu großer Fortschritt“ erreichen, müssen alle TheWorum geht es in der Agen- men wie – hohe Emissionen, da 2030? Was sind die nach- explodierende Mieten, Staus, Katharina Habersbrunner: „Es braucht mehr beherzte haltigen Entwicklungsziele überfüllte Bahnen, soziale Pioniere, engagierte Menschen, klare Ziele und nicht zuSDGs? Spaltung, Kinderarmut, etc. letzt, ein mutiges Infragestellen des Status Quo.“Bild: ak Katharina Habersbrunner: Ja, das Interesse am ersten Münchner Nachhaltigkeitskongress war groß. Der Kongress hat mehr als 400 Akteure aus verschiedenen Bereichen zusammengebracht, neben engagierten Bürgern und Organisationen auch Schlüsselpersonen aus Verwaltung und Politik, die München nachhaltiger machen wollen. Und ja, es tut sich was! Der heiße Sommer, das Insektensterben, die Demonstrationen der Schüler machen vielen Menschen bewusst, dass wir umsteuern müssen. Der Erfolg des bayerischen Volksbegehrens hat nicht nur Naturliebhaber begeistert, die bayerische Staatsregierung hat noch nachgebessert. Die Zeit ist reif für klare Handlungskonzepte – das zeigt aktuell auch die breite Unterstützung für das Münchner Radbegehren. Auch international ist der Rückenwind spürbar, nicht zuletzt durch die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs), zu denen sich der Stadtrat 2016 bekannt hat und dafür eine Nachhaltigkeitsstrategie erarbeiten muss. Die Münchner Initiative Nachhaltigkeit – MIN – trägt als Partner dazu bei, dass die ökologischen und sozialen Interessen Berücksichtigung finden. Es gibt viele gute Projekte und Einzelbeispiele – aber wir brauchen Strukturen, die nachhaltiges Handeln fördern und verankern.

Katharina Habersbrunner: Die Erzeugung von erneuerbarem Strom auf kommunalen Gebäuden kann schnell ausgebaut und gefördert werden. Die Bürger können sich an Energiegenossenschaften beteiligen. Ökologisches und gesundheitsverträgliches Baumaterial (Holz, Ziegel) und nachhaltige Beschaffungsrichtlinien sollten nicht nur für Kitas und Schulen (z.B. keine Böden aus PVC in Schulen und öffentlichen Einrichtungen) gelten. Nachhaltigkeitskriterien sind in Bebauungsplänen zu verankern. Private und kommunale Unternehmen erstellen Gemeinwohl-Bilanzen. Ausreichend Freiflächen für Biodiversität und Erholung sind dringend erforderlich.

„Tansparente Verfahren nötig“ Da München eine immer weiter wachsende Stadt ist, sind die Felder „Nachhaltige Stadtentwicklung“ und „Mobilität und Verkehr“ wichtige Themen, die Sie auch beim Kongress diskutiert haben. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen? Katharina Habersbrunner: Wachstum ist ein zentrales Thema und wird kontrovers diskutiert. Wohnen muss als Grundbedürfnis auch für Personen mit geringem Einkommen bezahlbar sein, lebenslang. „Wohnen für Alle“ ist mit sozialem Wohnungsbau weiter zu fördern, fordert die Manufaktur „Stadtentwicklung“. Die Neubebauung der Prinz-Eugen-Kaserne wird als positives Beispiel gesehen. Die in der Stadt angelegten „Extensiv-Wiesen“, auf denen sich Biodiversität auf kleinen

Flächen entwickeln können, sollen ausgebaut, bestehende Biotopstrukturen erhalten werden. Neben strategischen Vorschlägen zur Freiflächenplanung (Grünflächenerhaltung, Grünflächenverbund, Baumschutz) braucht es transparente Entscheidungsverfahren: Der Umgang mit der begrenzten Ressource „Fläche“ muss von der Öffentlichkeit nachvollzogen werden können. Es muss den Bürgern die Gelegenheit zur rechtzeitigen und ehrlich gemeinten Mitwirkung gegeben werden. Ein Ergebnis der Manufaktur „Mobilität und Verkehr“ ist, dass München ein verbindliches, vom Stadtrat beschlossenes Mobilitäts-Leitbild braucht, dem alle zukünftigen Entscheidungen und Strukturen folgen. In dem Leitbild sollen u.a. ein klares Bekenntnis für eine Strategie der Verkehrsminderung, die starke Reduzierung des Motorisierten Individualverkehrs (MIV) in der Stadt sowie eine prioritäre Behandlung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), Fuß- und Radverkehr wie auch Sharinglösungen verankert sein. Weitere Ergebnisse können auf unserer Homepage unter www.m-i-n.net nachgelesen werden.

„Ein erfolgreicher Startschuss“ Sie führen Ihre Zusammenarbeit in den Manufakturen weiter. Was genau wird dann in Zukunft passieren? Wie geht es weiter? Katharina Habersbrunner: Der erste Nachhaltigkeitskongress war ein erfolgreicher Startschuss. Ergebnisse und Möglichkeiten zur Mitarbeit finden Sie auf unserer Homepage. Am Donnerstag, 22. Mai, findet das nächste Treffen mit allen Interessierten statt. Es braucht mehr beherzte Pioniere, engagierte Menschen, klare Ziele und nicht zuletzt, ein mutiges Infragestellen des Status Quo. Die Schüler und Scientists for Future machen es uns vor: Schließen wir uns an mit Mut und Optimismus für eine lebenswerte Zukunft - und überzeugen wir Politik und Wirtschaft, dass es sich lohnt umzusteuern hin zu einer Normalität der Nachhaltigkeit. Das vollständige Interview finden Sie im Internet unter www.mehr-wissen-id.de mit der Nummer 2664.


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