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60 Jahre Südost-Kurier

Nr. 38 Mittwoch, 19. September 2012

Ein Satz über den Satz Am Anfang des Südost-Kuriers waren die Bleilettern – heute entsteht die Zeitung am Bildschirm

Sie nennen sich »Jünger Gutenbergs« – und so wie der Erfinder des Buchdrucks haben sie selbst bis vor nicht allzu langer Zeit auch noch gearbeitet, zumindest nach dem gleichen Prinzip. Die »beweglichen Lettern« Gutenbergs waren bis ins 20. Jahrhundert natürlich verfeinert worden. Fragile Buchstaben aus Metall – so sah der Fortschritt bis zum Bleisatz aus. Auf diese Art und Weise ist der Südost-Kurier in den ersten Jahren seines Bestehens auch noch hergestellt worden. Eigentlich unvorstellbar. Heute kann jeder mit dem Computer ganz einfach druckreife Schriften herstellen. Unzählige Schriftarten stehen zur Verfügung, jeder kann ganz nach seinem Geschmack Texte verfassen und auf Papier verbreiten – obwohl Letzteres für Privatleute mit dem Web 2.0 eher uninteressant geworden ist. Im Internet lassen sich Schriftwerke noch viel leichter und schneller verbreiten. Wer bis vor wenigen Jahrzehnten drucken wollte, der brauchte einen Schriftsetzer und eine Druckerei. Der Schriftsetzer hat den Text zeilenweise, Buchstabe für Buchstabe gesetzt. Dafür hatte er weniger Schriftarten als heute zur Verfügung, auch verschiedene Schriftgrößen gab es kaum. Klar, für die Schlagzeile brauchte man große Typen – aber viel mehr war kaum möglich. Texte zu setzen war im Prinzip einfach, in der Praxis sehr anspruchsvoll. Die Bleilettern wurden in den Winkelhaken eingelegt. Damit jede Letter richtig ausgerichtet war, gab es an einer Seite eine Kerbe, die Signatur.

Wie in dieser frühneuzeitlichen Druckerei ging es beim Südost-Kurier zwar nie zu, aber große Ähnlichkeiten gab es in den grundsätzlichen Abläufen der Arbeit durchaus. Fotos gab es zu dieser Zeit zwar durchaus in den Zeitungen, allerdings nur in den größeren. Im Südost-Kurier sollte es noch eine Weile dauern. Noch in den 60er-Jahren war der Bleisatz der Stand der Technik. Doch man darf sich das nicht ganz so starr vorstellen. Der Bleisatz kannte auch Linien und andere grafische Elemente. Geschickte Setzer konnten auf diese Weise auch grafikähnliche Zeilen bauen (Foto rechts). Aber das war natürlich die Ausnahme. Schon der Satz einer einzigen Zei-

Jede Seite spiegelverkehrt Während der Arbeit hatte der Schriftsetzer kaum eine Möglichkeit zu prüfen, ob er einen Schreibfehler gesetzt

In den Winkelhaken wurden die Lettern (rechts vorne; oben: Detailaufnahme) Stück für Stück eingesetzt. hatte. Die Lettern mussten zügig gesetzt werden, da blieb keine Zeit, mögliche Fehler sofort zu korrigieren. Jeder Setzer musste sich auf seine Routine verlassen und in aller Regel hat das auch sehr gut funktioniert.

le nahm genügend Zeit in Anspruch. Erfahrene Setzer konnten mehrere Zeilen in ihrem Winkelhaken erstellen. Das Problem war das Umheben aufs Schiff. Auf dem Schiff entstand durch zeilenweises

Umheben der Texte die Zeitungsseite – immer noch spiegelverkehrt natürlich. War der Setzer nicht vorsichtig genug beim Umheben, konnte es passieren, dass die Lettern herausfielen. Mit einem Schlag war die Arbeit verloren. Da gab es nur eins: von vorn beginnen!

Bloß keine Druckfehler! War die Seite fertig, musste sie auf Schreibfehler überprüft werden. Auch dem erfahrensten Setzer ist hin und wieder ein Fehler unterlaufen. Den Weg in die Zeitung sollte dieser aber nicht finden. Also wurde die Zeitungsseite mit der Nudel eingefärbt. Die Nudel war eine Gummiwalze, mit der Farbe auf die Lettern gebracht wurde. Anschließend wurde ein Blatt Papier aufgedrückt und so ein Abzug erstellt, den der Korrekturleser bearbeiten konnte. Fehler, die er gefunden hatte, musste der Setzer korrigieren. Dann konnte die Seite in großer Auflage gedruckt werden. Es war eine mühsame Arbeit, gleichzeitig war es ein ehrenwertes Handwerk. Wer heute das Zehn-FingerSchreiben beherrscht, wandelt auf den Pfaden der Bleisetzer. Was die Arbeit damals wirklich bedeutete, kann er heute nicht mehr ermessen. Zwölf bis 20 Seiten umfasste der Südost-Kurier in dieser Zeit. Das war der Aufwand, der innerhalb einer Woche gestemmt werden musste. War die Zeitung gedruckt, wurden die Lettern wieder gereinigt und an ihren Platz zurück in den Setzkasten. Buchstabe für Buchstabe musste einsortiert werden. Zum Vergleich: Im Computer

steht jedes Schriftzeichen in endloser Menge zur Verfügung. Ist eine Seite gedruckt, wird sie digital gespeichert. Wird der Text nicht mehr gebraucht, wandert er in den virtuellen Papierkorb und mit ihm alle

lich an den Bleisatz. Der technische Fortschritt war dem Verleger des Südost-Kuriers, Wilhelm Schmid jun. immer wichtig gewesen. Er führte den Fotosatz ein, als selbst große Tageszeitungen noch zögerten. Beim Fotosatz wurde zwar ebenfalls Zeile für Zeile hergestellt, aber jetzt am Schriftsatzgerät Diatype. Ab sofort standen alle Lettern in unendlicher Zahl zur Verfügung. Durch die Fototechnik konnte man auch alle Schriftzeichen in unterschiedlichen Größen aufs Papier bringen. Zuvor aber kamen die Buchstaben auf Film, der anschließend in der Dunkelkammer entwickelt wurde. Die Anzahl der Schriftarten wurde mit dem Fotosatz erhöht. Außerdem war die Arbeit viel sauberer geworden, da der Schriftsetzer keinen direkten Umgang mehr mit der Farbe hatte. Mit Beginn der 80er-Jahre hielt die Filmmontage beim Südost-Kurier Einzug. Die

benutzten Lettern. Es sind ja noch genügend da.

Der Fotosatz: eine saubere Sache Dass der Bleisatz nicht die schnellste Methode war, mit der man eine Zeitung bauen konnte, wusste man damals auch schon. Und es gab findige Tüftler, die den Fortschritt suchten und fanden. Ein Quantensprung war der Wechsel zum Fotosatz. Die Technik war anspruchsvoll und erinnerte nur oberfläch-

Seiten wurden nach wie vor im Fotosatz erstellt. Mit der Großraumkamera wurden die Vorlagen abfotografiert und der Film entwickelt. Mit diesem Verfahren war nun erstmals auch die Vervielfältigung von Fotos möglich. Man musste sie auf der gebauten Seite in der richtigen Größe platzieren. Dann wurden sie mit abfotografiert und fanden so den Weg in die Zei-

tung. Heute ist das alles in dieser Form nicht mehr vorstellbar. Vor allem der Aufwand von einst steht in keinem Verhältnis mehr zum Ergebnis. Heute wird digital fotografiert, das Bild direkt im Rechner bearbeitet und in den Text eingepasst, der ebenfalls direkt am Rechner eingegeben wird. Kein Papier, keine Farbe, kein Film. Nur Strom und Licht und natürlich die entsprechende Hardund Software dazu. Der ganze Südost-Kurier könnte heute am Bildschirm entstehen. Natürlich gibt es zwischendurch immer wieder Schritte, bei denen auch Ausdrucke benötigt werden. Aber es besteht theoretisch die Möglichkeit, ganz darauf zu verzichten.

Fachkräfte selbst ausgebildet Beim Südost-Kurier gab es ein ganz probates Mittel, wie die Lücken zu füllen waren, die ausscheidende Mitarbeiter hinterließen. Die Fachkräfte wurde selbst ausgebildet. Wilhelm Schmid jun. konnte als Buchdrucker-Meister die Ausbildung selbst leiten. Für den Job kamen nur Lehrlinge infrage, die ausreichend qualifiziert waren. Eine 2 im Schulfach Deutsch war schon das Minimum. Aber auch wer das eine oder andere Defizit hatte, konnte seinen Weg noch machen. Auf die Frage, wer denn die Buchdruckkunst erfunden habe, antwortete ein Lehrling seinerzeit beherzt: »Gutendorf!« Der hatte aber gerade erst seinen Job als Trainer des Fußball-Bundesligisten Meidericher SV (MSV Duisburg) verloren. Aus dem Jungen ist trotzdem ein ausgezeichneter Setzer geworden. An einer solchen Banalität sollte der Berufswunsch einfach nicht scheitern!

Satzarbeit findet heute am Rechner statt. Mit dem erlernten Schriftsetzerhandwerk von einst ist sie nicht mehr zu vergleichen.


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