GEZIMMERTE HÖHLENQUARTIERE UND BLÜHENDE STADTLANDSCHAFTEN
Unsere Jugend packt an!
Mähgerät einfach höher einstellen
Wenn die Mähgeräte auf die Wiese kommen, dann gibt es für die dort lebenden Tiere nur noch ein Motto: Wer kann, der flieht. Singzikaden, Schmetterlinge, Raupen, Käfer, Bienen, Frösche, Salamander, Schlangen und Kleinsäuger überleben diesen Tag nicht. Robert Nesensohn aus Vorarlberg ist das nicht egal. Er stellt einfach sein Mähgerät höher und lässt damit viele Tiere am Leben. LESEN SIE MEHR AUF SEITE 15.
Liebe Leserinnen und Leser!
In der Familie, am Wirtshaustisch oder in Arbeitskreisen reden, argumentieren und fordern viele, dass am Zustand unserer Natur etwas verändert werden muss. Im Hintergrund dieser „Plausch-Wolke“ gibt es Menschen, die dort, wo sie leben, konkret beginnen, Handlungen zu setzen.
Einer Jugendgruppe aus Leibnitz ist eine große, versiegelte Asphaltfläche ein Dorn im Auge. Die jungen Menschen möchten daraus eine lebendige Naturfläche machen, die sie nach Umgestaltung auch für ihre Freizeit nutzen können. Sie verhandeln ihre Idee mit dem Bürgermeister. Es gibt technische Rahmenbedingungen, die von der aufgeschlossenen Gemeinde vorgegeben werden. Die Jugendlichen geben aber nicht auf, adaptieren ihre Idee und haben bereits begonnen, den Asphalt zu beseitigen.
Eine Gruppe anderer engagierter Jugendliche aus Salzburg baut in Eigenregie Fledermauskästen, weil es im Wald mittlerweile viel zu wenige Baumhöhlen und in den Siedlungen viel zu wenige offene Dachstühle gibt. Nun verteilen sie die Kästen an viele interessierte Grundeigentümer:innen.
Für viele Menschen ist es auf den ersten Blick gar nicht so einfach, etwas für die Natur zu tun. Sie bewirtschaften keine Flächen, sitzen in keinen Gemeinderäten oder Behörden und sind nicht in der Politik, wo maßgebliche Entscheidungen getroffen werden. Etliche Projekte, die wir in dieser Ausgabe vorstellen, zeigen auf beeindruckende Weise, wie die Jugend die Mauer der Inaktivität mit Phantasie und Beharrlichkeit einfach durchbricht.
Viel Freude an dieser Ausgabe!
MEHR AB SEITE 12
Wolfgang Suske Landschaftsökologe & HerausgeberWir sind auch auf Instagram!
Impressum
Herausgeber: Suske Consulting, Hollandstraße 20/11, 1020 Wien
Redaktion: Kathrin Horvath, Wolfgang Suske, Barbara Rems-Hildebrandt, Julia Schuster, Jolanda Tomaschek
Layout: agenturschreibeis.at
Druck: Druckerei Sandler, Marbach/Donau
Auflage: 14.000 Stück · Erscheinungsdatum: September 2023
Die Zeitung erscheint 4x/Jahr und wird kostenlos zugestellt.
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Gedruckt nach der Richtlinie „Druckerzeugnisse“ des Österreichischen Umweltzeichens, Johann Sandler GesmbH & Co KG, UW-Nr. 750
Jugendliche machen sich auf die Suche nach der DNA von Elritzen
Hecken begeistern
Hecken sind mein Lieblingsthema! Danke für den spannenden Beitrag zur Vermehrung regionaler Gehölze. Seit Jahren mache ich kulinarische Spezereien, kosmetische Auszüge und dieses und jenes für die Hausapotheke in meiner „Wildkräuter und Fruchtwerkstatt“. Nicht nur für unseren Bedarf ist hier der Mehrfachnutzen zu entdecken. Auch für Insekten, Kleinsäuger, Vögel usw. bietet die Hecke Nistmöglichkeiten, Nahrung und Schutz. Aber alles aufzuzählen, was eine Hecke kann, da könnte man Seiten füllen. Ich kann nur
sagen: „Legt euch eine Hecke an und ihr werdet begeistert sein.“
Aber Achtung! Bitte nur regionales Pflanzenmaterial von zertifizierten Baumschulen einkaufen!
Viel Spaß beim Entdecken!
Thekla Raffezeder, Biodiversitätsvermittlerin
Minioasen: Am Land viel zu selten
Die Lektüre Ihrer Sommerausgabe hat mich begeistert: Was da im 12. Wiener Gemeindebezirk abgeht, ist schon erstaunlich. Wie da mitten in der Stadt durch die vielen kleinen Pflanzflächen Oasen für die so wichtigen Insekten geschaffen werden, die auch noch gut aussehen! Ich gehe jetzt mit einem etwas anderen Blick durch die Stadt, beginne diese Biodiversitätsoasen zu erkennen und weiß sie jetzt zu schätzen. Schade übrigens, dass man solche Beispiele am Land viel zu selten sieht, obwohl es dort auch viele Pflanzenrabatte und Baumscheiben gibt, die sich für solche Vernetzungsprojekte anbieten würden. Vielleicht inspiriert das Beispiel von Herrn Etl in Wien ja engagierte Gemeinderätinnen und Bürgermeisterinnen, auch bei ihnen was zu versuchen. Es wäre ein schöner Kontrapunkt zum aktuellen Negativimage vieler Gemeinden, die in letzter Zeit eher durch ausufernde Bodenversiegelungen Schlagzeilen gemacht haben.
Eva Schmeiser-CadiaKleine Flächen könnten auch Oasen werden (siehe Bild unten)
LESER-ECKE
Platz für Ihre Meinung
Liebe Leserinnen und Leser!
Wir freuen uns über Ihre Meinung, Ideen oder Fragen. Schicken Sie uns uns ein Mail an
LESERMEINUNG@WIRTUNWAS.NET
Mehr davon!
In Ihrem Artikel zum Thema „Der Fluss schreit nach mehr Platz“ in der Ausgabe 01/2023 stellen Sie die negativen Folgen der Gewässerregulierungen der letzten Jahrzehnte bzw. Jahrhunderte gut dar. Insbesondere der dramatische Rückgang der Fischbestände durch die diversen menschlichen Belastungen wie Regulierungen, Kraftwerke usw. betrifft uns als Fischereiverein natürlich sehr stark. Gerade in den letzten Jahren hat es zum Glück aber etliche große Revitalisierungsprojekte an Österreichs Flüssen gegeben, z.B. an der Traisen, welche dadurch ihre Funktion als natürliche Lebensräume für Menschen, Tiere und Pflanzen wieder besser wahrnehmen können. Die Fischfauna reagiert sehr schnell und nachweislich auf die verbesserten Lebensraumbedingungen. Es bleibt zu hoffen, dass in den nächsten Jahren noch viele weitere Revitalisierungsprojekte umgesetzt werden, damit wir auch in Zukunft noch unserem Hobby nachgehen können!
DI Christian Frangež Sportfischereiverein Korneuburg © Kathrin HorvathNATÜRLICHE VERJÜNGUNG IM QUELLENSCHUTZWALD
Wald & Wild im Gleichgewicht
Wien ist für sein besonderes Trinkwasser weltbekannt. Das kristallklare Hochquellwasser stammt aus den niederösterreichisch-steirischen Kalkhochalpen. Ein gesunder Waldboden, Baumartendiversität und eine natürliche Verjüngung sorgen für die nachhaltige Sicherung des Wiener Wassers. Dazu gehört auch eine konsequente Regulierung der Wildbestände.
Über 33.000 Hektar große Quellenschutzwälder der Stadt Wien erstrecken sich in den Regionen Rax, Schneeberg und Hochschwab, die vom Forst- und Landwirtschaftsbetrieb der Stadt Wien bewirtschaftet werden. Die Forstverwaltung hat es sich zum Ziel gesetzt, die Bergwälder besonders naturnah zu bewirtschaften. Zentrale Rollen in der Waldbewirtschaftung spielen dabei die Erhaltung aller Funktionen des Waldbodens sowie eine natürliche und standortgerechte Waldgesellschaft. Manfred Arrer ist seit 35 Jahren Revierleiter im Quellenschutzwald am Hochschwab.
Der Wald offenbart sein Potenzial Ausschlaggebend für die Weiterentwicklung war eine Standortskartierung, die Anfang der Neunzigerjahre in den Quellenschutzwäldern durchgeführt wurde und unter anderem zum Ergebnis kam, dass „die Natur in unserem Wald alles bietet, was man für einen gesunden Waldboden braucht“, so Arrer. Kurz gesagt: die potenzielle natürliche Waldvegetation mit Baumarten auch abseits der Fichte waren in der Krautschicht noch immer vorhanden. Und das, obwohl die Wälder über Jahrhun-
derte vom Menschen „zurechtgeschnitzt“ und aus dem biologischen Gleichgewicht gebracht wurden. Die Abholzung während der Köhlerzeit, die intensive Beweidung der Schlagflächen, die Ausrottung von Bär, Wolf und Luchs, Schalenwildhege und Aufforstungen mit nicht autochthonem Saatgut haben dem Quellenschutzwald zugesetzt und ihn entfremdet. „Alles, was gegen die Natur ist, hat auf Dauer keinen Bestand. Deswegen treffen wir Maßnahmen, die mitunter unüblich sind. Wir zeigen, wie der Wald sich selbst verjüngt und mit welcher Pracht und Vielfalt das möglich ist.“
Basis der Naturverjüngung
Die Naturverjüngung ist ein Prozess, bei dem sich ein Wald durch natürliche Aussaat von selbst „erneuert“. Sie ist ein entscheidendes Element
für die Vitalität unserer Wälder und erfordert das richtige Zusammenspiel von Licht, Wasser und Nährstoffen. „Wir lichten vor und leiten so die Naturverjüngung ein. Licht kommt auf den Waldboden, daraufhin bildet sich eine Krautschicht, in der gleichzeitig die Samen der Mutterbäume keimen können“, so Arrer. Ein natürlicher Wald ist mehrstufig aufgebaut und sichert somit durch dauerhafte Überschirmung den Schutz des Waldbodens. Die natürliche Verjüngung ist nur dann erfolgreich, wenn die Standortsbedingungen stimmen. Das bedeutet nicht nur, dass die richtigen Lichtverhältnisse vorherrschen müssen, sondern auch ein gesunder Waldboden vorhanden sein muss. Ist ein Waldboden intakt, ist er angereichert mit unzähligen Mikroorganismen, nährstoffreich, über mehrere Humushorizonte durch-
wurzelt, belüftet und unverdichtet. „Wir nutzen natürlich auch Holz, aber wir vermeiden Harvestereinsätze. Bei der Holzernte befahren wir besonders sensible Waldböden erst dann, wenn der Boden gefroren ist, damit wir die Schwammfunktion des Waldbodens erhalten“. Doch auch der beste Waldboden garantiert kein Gelingen wenn die Schalenwilddichte zu hoch ist. Sie ist maßgeblich dafür entscheidend, wie erfolgreich sich eine natürliche Verjüngung entwickeln kann.
Mit Feingefühl und Wissen arbeiten Rehe, Hirsche und Gemsen können ein ökonomisches und ökologisches Problem in unseren Wäldern darstellen, da sie unter anderem Jungpflanzen verbeißen und so den Verjüngungsprozess im Wald stören. „Wenn die Populationsdichte nicht auf das Angebot der Pflanzen abgestimmt ist, kommt es zu selektivem Verbiss wobei sich die Fichte durchsetzt , weil sie vom Geschmack her nicht so attraktiv ist“, erklärt Arrer. Im Vergleich zur saftigen Tanne ist
die Fichte eher wie ein hartes Stück Brot und wird gemieden. Im Salzatal, in dem sich Arrer’s Revier befindet, ist es beispielgebend, wie die Naturverjüngung funktionieren kann, wenn
die Wilddichte an das Pflanzenangebot angepasst wird. „Man kann den Wald nicht mit einem Schalter in den Urwaldzustand zurückversetzen. Man muss mit Feingefühl und Wissen arbeiten und dazu gehört für mich auch, dass ich im Umgang mit den Wildtieren im Einklang mit der Natur agiere.“ Im Quellenschutzwald steht die Bereitstellung von kristallklarem und hochwertigem Trinkwasser in reichhaltiger Menge im Vordergrund. Dazu gehört auch „das Wild wild sein lassen“ und ein Zugang zur Jagd, der ein Gleichgewicht zwischen Wild und Wald anstrebt. „Wir überlegen uns ganz genau, wo und wie wir eingreifen“, sagt Arrer. Bei jedem Standort
beurteilt er unter anderem die Lichtverhältnisse und Baumartenzusammensetzung sowie den Verbissgrad. „Wenn ich bei Tanne und Buche ablese, dass die Leittriebe über Jahre immer wieder verbissen wurden, weiß ich, ich habe hier einen zu hohen Wilddruck. Ich richte mich beim Wildmanagement nach dem Nahrungsengpass im Winter, also wie viele Triebe überstehen den Winter.“ Nur Rotwild wird ausschließlich mit Heu gefüttert, also so natürlich wie möglich. Denn Winterfütterung verursacht durch Wildkonzentration einen unnatürlich großen Druck auf die Vegetation. Die natürliche Selektion in strengen Wintern fällt aus, da es ein Nahrungsangebot gibt, das von Natur aus nicht vorhanden wäre.
Wildtiere kennen keine Reviergrenzen Arrer beobachtet das Wild über alle Jahreszeiten hinweg, liest unter anderem dessen Fährten und greift dann im Sinne ökologischer Gesichtspunkte ein, um ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen Wilddichte und Pflanzenangebot herzustellen. Mit der Zeit hat sich ein attraktiver Lebensraum entwickeln können, der auch gerne von Wildtieren aus den angrenzenden Revieren angenommen wird. „Wenn wir unsere Wilddichte drücken und sich dadurch in unserem Wald Leckereien wie die Tanne entwickeln können, dann wechseln Wildtiere aus den umliegenden Wäldern in unser Revier ein. Die Tiere kennen ja keine Reviergrenzen“, schmunzelt Arrer. Damit das natürliche Gleichgewicht trotz neuer Gäste weiterhin besteht und eine natürliche Verjüngung möglich ist, muss anhaltend jagdlich eingegriffen werden. Das Bestreben der Forstverwaltung, eine ausgewogene Balance zwischen Wild und Wald herzustellen, garantiert nicht nur kostbares Trinkwasser, sondern auch ein nachhaltiges Erbe für nachkommende Generationen.
„Alles, was gegen die Natur ist, hat auf Dauer keinen Bestand.“Tannen werden besonders gerne verbissen, im Quellenschutzwald passiert das heute nur noch selten. © Kathrin Horvath
Bestandteil
Gregor Rinesch aus Hohentauern hat den Dachstuhl seines Wohnhauses mit Holz aus seinem Wald ausgebaut. Sein Wirtschaftswald und die Holznutzung sind für ihn untrennbar mit Biodiversität verbunden. Mit kleinen Maßnahmen kann jeder Waldbesitzer und jede Waldbesitzerin viel bewirken.
Der gelernte Tischler und Förster
Gregor Rinesch aus Hohentauern bewirtschaftet 30 Hektar Wirtschaftswald. 2019 hat er sich dazu entschlossen seinen Dachstuhl mit Holz aus seinem Wald auszubauen. „Ich weiß ganz genau, wo die Bäume in meinem Wald standen. Ich habe den gesamten Prozess vom Wachsen der Bäume bis zum Schlägern, Transportieren und Zimmern begleitet“, erzählt er stolz. Insgesamt wurden 200 Festmeter geschlagen und daraus in Handarbeit neuer Wohnraum geschaffen. „Für mich ist die Holznutzung ein wichtiger Bestandteil des Waldes, aber genauso wichtig ist
auch, dass man das komplexe System Wald mit all seinen Funktionen erhält. Da ist die Biodiversität vorrangig.“
Bäume und Tiere im Gleichgewicht
In seinem derzeit fichtendominierten Wald halten Tanne, Buche und Birke Einzug. Bei Neuaufforstungen
WIR TUN WAS MITMACH-TIPP
Mithilfe des BIMUWA-Leitfadens ist es jedem Waldbesitzer und jeder Waldbesitzerin möglich, einen individuellen Beitrag zur Förderung der Biodiversität im eigenen Wald zu leisten. So kann z.B. in Bereichen wie Totholz, Strukturvielfalt oder der Schaffung von Kleinstrukturen, im unterschiedlichen Ausmaß viel getan werden. Aber auch für spezielle Lebensräume wie seltene Waldbiotoptypen und Moore oder seltene Tier- und Pflanzenarten
gibt es Vorschläge, die in das jeweilige Betriebskonzept eingebettet werden können. BIMUWA bewertet die angeführten Maßnahmenvorschläge hinsichtlich deren Aufwand, Ressourceneinsatz sowie Kosten und informiert auch über verfügbare Fördermöglichkeiten, Finanzierungsansätze und spannende Folgeprojekte. Der Handlungsleitfaden kann kostenlos auf der Webseite der Österreichischen Bundesforste heruntergeladen werden:
auf Windwurfflächen werden sie gezielt aufgeforstet. Besonders angetan haben es dem Forstberater der Landwirtschaftskammer Steiermark Birken. Die Pionierbaumart ist schnellwüchsig und für den Bodenaufbau wichtig, da ihre Blätter schnell verrotten. Rinesch setzt in
„Holznutzung ist ein wichtiger
meines Waldes, aber auch die Biodiversität“
seinem Wirtschaftswald auch gezielt auf die Unterstützung tierischer Bewohner. „Wichtige Borkenkäferjäger, die bei mir stark vertreten sind, sind der Schwarzspecht und der Ameisenbuntkäfer. Für mich sind Wald, Holznutzung und Biodiversität untrennbar verbunden. Ohne Biodiversität bringe ich nicht so eine Holzqualität zusammen.“ Im Gegenzug bietet Rinesch alte Veteranenbäume, sowie stehendes und liegendes Totholz seinen Helfern an. Doch da geht noch mehr: „Mit der richtigen Waldrandgestaltung kann man eine gute ökologische Nische schaffen. Das möchte ich in nächster Zeit angehen“, verrät er.
Das 1x1 der Waldbiodiversität Strukturreiche Waldränder sind wahre Schatzkammern der Biodiversität. In der Verzahnung von Waldmantel, Strauchgürtel und Krautsaum finden eine Vielzahl an Tieren und Pflanzen ihren Lebensraum. „Und wenn ich Beerensträucher setze, dann profitiere ich auch davon“, lacht Rinesch. Bei der Gestaltung setzt er auf neue fachliche Unterstützung. Im Handlungsleitfaden „Biodiversität und multifunktionale Bewirtschaftung im Wald“, herausgegeben von den Österreichischen Bundesforsten, findet er nützliche Informationen und konkrete Maßnahmen zur Umsetzung. Rinesch erkennt als langjähriger Forstberater, dass der Wille zur Förderung der Biodiversität im Wirtschaftswald generell vorhanden sei, doch fehle es oft am kleinen 1x1 für die Waldbewirtschafterinnen und Waldbewirtschafter. „Wie kann ich was umsetzen und vor allem, was kostet das? Selbst mit kleinen Maßnahmen, die nicht mit großen Investitionen verbunden sind, kann man bereits viel erreichen. Der Handlungsleitfaden gibt eine gute Orientierung, allerdings ist er derzeit nur für die PEFC-Region 6 ausgerichtet. Aber es finden sich auch viele Maßnahmen und Informationen darin, die
auch in deren Regionen umgesetzt werden können.“ Nicht nur Wissen, sondern auch eine konsequente Planung am Papier ist für Rinesch ein wichtiger Schritt zur erfolgreichen Biodiversitätsförderung. „Man muss sich die Ziele, die man setzen möchte, am Tisch niederschreiben und sich dann draußen bei der Umsetzung strikt daran halten. Man kann unter Umständen in eine schwierige Situation kommen, wenn man eine Baumart priorisiert und daneben wächst, dann doch eine andere Baumart recht gut. Dann muss man sich entscheiden, welche Baumart stehen bleibt, und da hilft mir meine Planung ganz gut dabei konsequent zu bleiben“, verrät er. Mit der Verbindung von Holznutzung und dem Erhalt der Biodiversität zeigt Gregor Rinesch, dass es nicht nur um das Nutzen, sondern auch um das Bewahren geht. Ein Beispiel, das inspiriert und zeigt: Im Einklang mit der Natur kann Wachstum und Vielfalt in jedem Wirtschaftswald florieren.
Tierische Hilfe bei der Naturverjüngung im Stiftswald Altenburg
Der Eichelhäher ist nicht nur durch sein markantes, bunt gefiedertes Erscheinungsbild in unseren Wäldern bekannt, sondern auch dafür, dass er Nahrungsvorräte anlegt, indem er Nüsse und Samen vergräbt. Damit unterstützt er die Verbreitung von Bäumen und trägt zur Waldverjüngung bei. In den Wäldern des Stifts Altenburg im niederösterreichischen Horner Becken hat man sich diese Fähigkeit beim Eichen- und Buchennachwuchs zu Nutze gemacht. Seit 2014 sind die helfenden Vögel bei uns im Einsatz“ sagt Hr. Schmid von der Forstverwaltung des Stifts. „Wir haben auf etwa 300 Hektar rund 100 Futtertische aufgestellt, bereits im ersten Jahr wurden mehr 800 kg Samen versteckt. Ein Jahr später haben wir 28.000 Keimlinge von Eiche und Buche markiert“. Wissenschaftliche Untersuchungen ergaben, dass mehr als die Hälfte des Jungpflanzenbestands im Altenburger Stiftswald dem Eichelhäher zu verdanken sind.
Mit neuem Wissen zum vielfältigen Waldrand © Stift Altenburg Forstabteilung © Adobe Stock/ harriJUGEND
Vom Schotterparkplatz zur blühenden Stadtlandschaft
Inmitten der Stadt Leibnitz wandelt sich ein grauer Schotterparkplatz zu einem grünen Treffpunkt für Jugendliche, Anrainer:innen und die Natur. Die Jugendlichen des Jugendzentrums Wave sind in der Planung und Umsetzung tatkräftig involviert und demonstrieren eindrucksvoll, dass selbst im urbanen Raum Biodiversität einen verdienten Platz findet.
In der Klostergasse 25 in Leibnitz wird auf dem Vorplatz des Jugendzentrums Wave, der einst zu einem Kaffeehaus gehörte, Stein für Stein umgedreht. Seit dem Einzug des Jugendzentrums 2019 wird die Fläche von den Schüler: innen und Lehrer:innen des benachbarten Gymnasiums als Parkplatz genutzt. Nach 15:00 Uhr wurde der Platz nicht mehr genutzt und bei Regen stand über die Hälfte der Fläche unter Wasser. Angesichts dieser wenig einladenden Atmosphäre überlegten die Jugendlichen, wie sie den Bereich
sowohl für sich selbst als auch für ihre Umwelt aufwerten könnten. Bei der Planung der Neugestaltung spielte die Natur eine zentrale Rolle.
Vom Verhandeln zur Vision
Bevor die Flächenneugestaltung in Angriff genommen werden konnte, mussten Verhandlungen mit der Stadtgemeinde geführt werden. Hierbei erhielten die Jugendlichen Unterstützung sowohl vom Naturpark Südsteiermark als auch vom Jugendregionalmanagement der Region Südweststeiermark. Die Stadtgemeinde hat die Hälfte der Schotterfläche für Parkzwecke und einen Spielbereich vorgesehen. Durch die erfolgreichen Verhandlungen gingen die verbleibenden 750 Quadratmeter in die Hände der Jugendlichen über. „Rund 300 Jugendliche im Alter zwi-
schen 14 und 21 Jahre besuchen das Jugendzentrum im Jahr. Für sie wird unsere neue biodiverse Naturparkanlage eine große Bereicherung“, sagt Max Pratter, Leiter des Jugendzentrums Wave, „das sieht man bereits an den vielfältigen Gestaltungsideen, die von ihnen vorgeschlagen wurden.“ Mit Elan und Kreativität starteten die Jugendlichen ihre Planungen direkt auf dem Reißbrett.
Jugendvisionen für städtischen Wandel
Es entstanden einige beeindruckende Ideen. Eine dieser visionären Vorschläge war eine Brücke, die den Vorplatz des Jugendzentrums direkt mit der nahgelegenen Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule verbindet. „Dieser Vorschlag sprengte den finanziellen Rahmen. Aber das hat die Jugendlichen nicht entmutigt oder
ihren Enthusiasmus gedämpft.“ Im Gegenteil – sie entwickelten weitere innovative Konzepte. In ihrer Vision sollen Bäume für Schatten sorgen, in einem solchen Abstand gepflanzt, dass Hängematten dazwischen Platz finden. Geplante Hochbeete und ein Naschgarten werden das Leben der Jugendlichen bereichern, während Blühflächen mit Wildblumen Insekten und anderen Tieren Zuflucht bieten. „Eine Idee der Jugendlichen zur Umsetzung der Hochbeete war es, fertige Betonringe zu kaufen und diese dann herzurichten und zu bepflanzen“, erinnert sich Pratter.
Changemaker: Von Ideen zu Taten Mit ihren kreativen Ideen stach das Jugendzentrum Wave im Projekt „Changemaker #Nature – Youth Lead the Change“ deutlich hervor. Unter den 43 Einreichungen zählte ihr Projekt zu den prämierten Siegerprojekten. Dieser Erfolg schenkte den Jugendlichen nicht nur zusätzliches Selbstvertrauen, sondern sorgte ebenso für einen willkommenen finanziellen Zufluss. „In der heutigen Klima- und Biodiversitätskrise ist es für unsere Jugendlichen besonders wichtig, dass sie ernstgenommen werden, natürlich mit ihren Sorgen, aber vor allem auch mit ihren Ideen.“, sagt Pratter. Im August wurde mit der konkreten Umgestaltung begonnen, erste Früchte der Visionen sind
bereits sichtbar. Die Schotterfläche wurde erhöht und entlang beider Längsseiten mit einer Drainage versehen, um das Regenwasser gezielt abzuleiten. Jetzt stehen Absteckarbeiten an, um Wiesenflächen und Zugangswege lagegenau festzulegen. Anschließend werden sich die Jugendlichen einem Herzstück des Projekts widmen: der Schaffung einer Blühfläche. Mit der erfolgreichen Anlage einer solchen Fläche hat das rund 20-köpfige Kernteam, unterstützt von engagierten Schüler:innen, bereits Erfahrungen sammeln können.
Die Jugendlichen zeigen auch Weitsicht in ihrer Planung. Ganz im Sinne der Biodiversität wurde beschlossen, die Blühfläche insektenschonend mit der Sense zu mähen – und das erst dann, wenn die Samen der Wildblumen ausreifen konnten. Doch nicht nur Jugendliche und die heimische Flora und Fauna sollen von dieser neuen städtischen Oase profitieren: „Unser Leitspruch lautet: Gemeinsam für unser Umfeld.‘“, sagt Max Pratter. „Wir möchten, dass die neu geschaffenen Flächen in Leibnitz zu einem zentralen Ort des Zusammenkommens werden. Dabei sollen nicht nur wir und die Natur, sondern auch die Anwohner:innen profitieren. JedeR ist herzlich eingeladen, die Flächen zu nutzen, und so den Jugendlichen und der Natur wieder etwas näher zu kommen.“
WIR TUN WAS MITMACH-TIPP
Changemaker #Nature –Youth Lead The Change
Die BILLA-Stiftung „Blühendes Österreich“ ruft erneut engagierte junge Changemaker auf, die Zukunft aktiv zu gestalten!
Mit „Changemaker #nature“ könnt ihr nicht nur eure Stimme erheben, sondern auch an vorderster Front bei Entscheidungs- und Entwicklungsprozessen dabei sein. Egal ob ihr Teil von Jugendinitiativen seid, als Junglandwirt:innen arbeitet, Lehrkräfte oder Kindergartenpädagog:innen seid - jeder von euch kann ein leuchtendes Beispiel für Biodiversität und nachhaltige Entwicklung sein. Träumt dabei groß! Personen zwischen 14 und 27 Jahren sowie Jugendorganisationen sind herzlich eingeladen, ihre innovativen Biodiversitätsprojekte einzureichen. Eine dynamische Jury, bestehend aus jungen Mitgliedern im Alter von 14 bis 27, wartet gespannt auf eure Ideen. Und das Beste? Eure visionären Projekte können mit bis zu € 10.000 gefördert werden. Lasst diese Chance nicht vorübergehen! Reicht eure Projektvorschläge bis zum 29. November 2023, 24:00 Uhr, auf www.bluehendesoesterreich.at ein.
Zeigt der Welt, was in euch steckt!
Aus der tristen Parkfläche soll bis Ende 2024 eine blühende Stadtlandschaft entstehen.LANDJUGEND QUARTIERE FÜR SELTENE SÄUGETIERE
Heimliche Untermieter willkommen
für Holzer klar, dass er für diese besonderen Tiere etwas tun möchte. „Da ich schon selbst lang bei der Landjugend Mitglied bin, war mir klar, wen ich dafür ins Boot holen möchte: Meine Kollegen und Kolleginnen der Landjugend Unternberg-Thomatal. Wir mögen alles, was mit handwerklichem Geschick zu tun hat und noch mehr Spaß macht es uns, wenn wir damit seltene Arten in der Heimatregion unterstützen.“
Zimmern für den Artenschutz
Der Fund eines Baumschläfers im Salzburger Lungau hat die Jugend hat die Jugend motiviert, zum Schutz nachtaktiver Kleinsäuger selbst aktiv zu werden. Thomas Holzer und seine Kollegen und Kolleginnen der Landjugend Unternberg-Thomatal haben sich der Förderung seltener Säugetierarten gewidmet und gemeinsam gezimmert. 60 Quartiere sind dabei für Baumschläfer und Fledermäuse entstanden.
Das Interesse für seltene Säugetiere entwickelte Thomas Holzer bereits während seines Zoologiestudiums.
Im speziellen haben es ihm damals Fledermäuse angetan, ihre nachtaktive und verborgene Lebensweise hat ihn fasziniert. In einer Vorlesung erfuhr er, dass es in seiner Heimatregion, dem Biosphärenpark Lungau, kaum Wissen und Daten über das Vorkommen von Fledermäusen gibt. Diese Tatsache hat Holzer keine Ruhe mehr gelassen. „Wie sollen wir in einer Region seltene Tiere schützen, wenn wir kaum etwas über ihr Vorkommen wissen?“ Als dann noch ein seltener Baumschläfer in einem Holzkasten der Österreichischen Bundesforste gefunden wurde, war
In Österreich kommen 28 Fledermausarten und vier Schlafmausarten vor. Letztere werden auch „Bilche“ genannt, ihr bekanntester Vertreter ist der Siebenschläfer. Optisch sind Bilche und Fledermäuse sehr unterschiedlich, sie haben dennoch viele Gemeinsamkeiten: Sie sind nachtaktive, seltene Säugetiere, streng geschützt und sie brauchen Verstecke zur Erholung und Aufzucht ihrer Jungen. Fühlen sich Fledermäuse je nach Jahreszeit in Dachstühlen, Kirchtürmen und Höhlen wohl, sind Bilche, im konkreten Fall der Baumschläfer, in älteren Nadel- und Mischwäldern mit lückigem Kronendach zu Hause. Eine weitere, aber traurige Gemeinsamkeit ist, dass beide Tiergruppen vorwiegend von Lebensraumverlust und Habitatverschlechterung bedroht sind. War früher der Totholzanteil in Wäldern üppig, finden sich heute vielerorts nur noch ausgeräumte Monokulturwälder mit wenig Strukturvielfalt. Doch es gibt Hoffnung: Die Anzahl der Projekte zum Schutz seltener Säugetiere ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Eine effektive Methode kleinen Säugern wie Bilchen und Fledermäusen unter die Arme zu
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greifen ist die Installation von Holzquartieren. 20 Jugendliche der Landjugend Unternberg-Thomatal haben es sich deswegen zum Ziel gesetzt, 60 Holzquartiere für Fledermaus und Baumschläfer zu zimmern.
Unterstützung vom Sägewerk
Bevor es losging, war noch etwas Aufklärungsarbeit nötig. „Was allerdings einige Runzeln auf unserer Stirn verursacht hat, war das Wort Baumschläfer“, erzählt der 23-jährige Matthias Zehner. „Thomas musste uns diesbezüglich erst mal aufklären, damit wir überhaupt wissen, für wen genau wir etwas bauen“, lacht Zehner und fährt fort: „Es war sehr spannend zu hören, welche besonderen Tiere bei uns leben, von denen wir im Alltag gar nichts mitbekommen.“ Das ambitionierte Ziel 60 Holzquartiere, davon 40 Fledermausbretter und 20 Baumschläferkobel zu zimmern, erforderte nicht nur viele geschickte Hände, sondern auch Material und Werkzeug. Eine gut ausgestattete Werkstatt war bei Zehner zum Glück vorhanden, geeignetes Lärchenholz konnte über ein regionales Sägewerk
bezogen werden. „Die Landjugend hat bei uns in der Region einen sehr guten Ruf, der uns auch beim Sägewerk geholfen hat. Das Werk hat unsere Idee mit einem niedrigen Holzpreis gerne unterstützt. Im Frühjahr dieses Jahres konnten wir die meisten Kästen fertigstellen und mit der Anbringung an geeigneten Plätzen beginnen“, so Holzer. Geeignete Standorte waren rasch gefunden, die Fledermausbretter wurden in den Heimatorten Neggerndorf und Thomatal angebracht, die Baumschläferquartiere in angrenzenden Wäldern.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser Die Hoffnung ist groß, dass die neu geschaffenen Quartiere von den Zielarten angenommen werden. Ist bei Fledermäusen viel Erfahrung über die Standortauswahl von Quartieren vorhanden, gibt es für den Baumschläfer aktuell noch wenig Informationen, wo und wie es ihm im Wald am besten passt. „Geplant ist auf jeden Fall eine regelmäßige Kontrolle aller Quartiere, um mehr wissenschaftlich fundierte Daten
über diese Tiere bei uns im Lungau zu erhalten“, erklärt Holzer. „Unterstützt wird das Vorhaben durch die Zusammenarbeit mit der Koordinationsstelle für Fledermausschutz und Forschung Österreichs, die alle gesammelten Daten von uns erhalten werden.“ Um auch die Öffentlichkeit über das Vorkommen der seltenen Tiere zu informieren und zahlreiche Nachahmerinnen und Nachahmer für den aktiven Artenschutz zu gewinnen, hat Holzer eine besondere Idee entwickelt, die im Rahmen der Initiative Changemaker #nature ausgezeichnet wurde und unterstützt wird: Er und sein Team haben sich professionelle Hilfe geholt und ein spannendes Bildungsvideo über den Baumschläfer und konkrete Schutzmaßnahmen, inklusive einer Bauanleitung für Quartiere, gedreht. Das Video wird demnächst auf Youtube veröffentlicht.
Mehr Infos
Wer sich für den Baumschläfer engagieren möchte, findet auf der Citizen Science Plattform www.baumschlaefer.at nützliche Infos und Anleitungen zum Bau eines Baumschläferkobels.
Für Fledermausfreunde wartet auf www.fledermausschutz.at viel Wissenswertes über alle heimischen Fledermausarten.
TU WAS Tipp
Handwerkerinnen und Handwerker aufgepasst! Auf unserer Webseite gibt es die Bauanleitung für ein Fledermausbrett zum Download.
www.wirtunwas.net
Landjugend Mitglieder haben beim Bau der Kästen mitgeholfen und zahlreiche Freizeitstunden investiert. © Barbara Rems-HildebrandtNACHWUCHSWISSENSCHAFTLER:INNEN UNTERSTÜTZEN BIODIVERSITÄTSFORSCHUNG
Auf der Suche nach Elritzen-DNA
Während die Wissenschaft lange Zeit annahm, dass es in Europa nur eine Art von Elritzen gibt, enthüllte die moderne genetische Forschung vor einigen Jahren, dass es zumindest 13 verschiedene Arten gibt. Welche Arten davon tatsächlich in Österreich vorkommen, wird derzeit am Naturhistorischen Museum Wien mit Unterstützung zahlreicher Nachwuchswissenschaftler:innen untersucht.
„Elritzen kann man auf Basis äußerlicher Merkmale kaum unterscheiden, sie sind aber genetisch unglaublich divers“, erklärt Anja Palandačić, Leiterin des Projekts „Biodiversität der Elritzen“ und Forscherin am Naturhistorischen Museum Wien.
Durch genetische Forschung wurde in den letzten Jahren festgestellt, dass mindestens 13 verschiedene Elritzenarten in Europa vorkommen. Vier davon wurden bereits in Österreich nachgewiesen, wobei eine Art
davon keine heimische Art ist. Die bis zu 14 Zentimeter großen Süßwasserfische sind äußerlich selbst für Expertinnen und Experten schwer zu unterscheiden. „Diese Schwierigkeit führt sogar dazu, dass wir bei Revitalisierungsprojekten nicht heimische Arten festgestellt haben, die in das Ökosystem eingetragen wurden. Wenn alle Arten gleich aussehen, dann kann solch ein Fehler schon mal passieren“. Die genetische Vielfalt der Arten ist ein wesentlicher Bestandteil der Biodiversität. Um die derzeitigen Wissenslücken über die in Österreich vorkommenden Elritzenarten und deren Lebensräume zu schließen, wurde das Citizen-Science-Forschungsprojekt, gefördert durch Sparkling Science 2.0, unter Beteiligung von fünf Schulen aus verschiedenen Regionen gestartet. Auch Angelfischerinnen
und Angelfischer, Landesfischerei verbände und Angelvereine können sich am Projekt beteiligen. „Besonders gefreut hat uns die Eigeninitiative des Fischereivereins Neustift, der sich mit einer Klasse der Volksschule Neustift im Stubaital mit großem Enthusiasmus am Projekt beteiligt hat.“
Sammeln, analysieren und interpretieren
Die Schülerinnen und Schüler haben eine große Rolle bei der Datensammlung und Forschung übernommen. „Sie sind beim gesamten Forschungsprozess involviert und zeigen sehr viel Interesse an dem Projekt. Mehr, als ich erwartet habe“ lacht Palandačić. Sammeln, analysieren und interpretieren – die Schülerinnen und Schüler erkunden die Welt der Wissenschaft und bringen ihre Ideen und Sichtweisen in das Projekt ein. An ausge-
wählten Bächen, Flüssen und Seen, zu denen aktuell noch wenig Daten vorhanden sind, werden Elritzen behutsam mit einem Kescher oder einer selbstgebauten Reuse gefangen und anschließend von den Nachwuchswissenschaftler:innen DNA-Proben genommen. Bei der Probenentnahme kommen Tupfer zum Einsatz: „Man nimmt den Fisch und streicht mit dem Tupfer ein paar Mal vorsichtig von Kopf bis Fuß. In dem gesammelten Schleim befinden sich dann die Zellen.“
Ein genetischer Zeitsprung
Die DNA-Proben werden gesammelt an das Forschungsteam des Naturhistorischen Museum Wien und deren Kooperationspartner, dem Forschungsinstitut für Limnologie Mondsee der Universität Innsbruck, geschickt und untersucht. Anschließend werden die Proben mit mit historischem Museumsmaterial verglichen. Mehr als 50 Gläser, mit Elritzen gefüllt und aus verschiedenen Orten in Österreich stammend, befinden sich in der rund eine Millionen Exemplare großen Fischsammlung des Naturhistorischen Museum Wien.
„Wir können mit unserem, bis zu 200 Jahre alten Museumsmaterial den damaligen Stand mit den nun gesammelten Proben vergleichen und die
Verteilung der genetischen Linien bewerten. Daraus entstehen dann Verbreitungskarten“, erklärt Palandačić.
Dazu wird auch der Zustand der Lebensräume der Elritzen von den Kindern und Jugendlichen unter die Lupe genommen und in einem Protokoll festgehalten, um den Zustand ihres Lebensraums zu evaluieren. „Auch die Informationen zum Lebensraum sind für uns wichtig. In Tirol gab es einen starken Rückgang und man weiß nicht, warum“, so Palandačić.
Die Schüler:innen und Jugendlichen der Mittelschule Mondsee haben starke Sympathien für Elritzen entwickelt. Neben der Probenentnahme haben sie eine Podcastsendung aufgenommen und einen Logowettbewerb veranstaltet. Die Schülerinnen und Schüler sind ein inspirierendes Beispiel für engagierte Nachwuchswissenschaftler:innen und Naturschützer:innen. Ihr Einsatz für die kleinen Fische trägt zur wissenschaftlichen Forschung und zum Biodiversitätsschutz bei.
EIN BISSCHEN HÖHER MÄHEN IST GUT FÜR INSEKTEN UND GUT FÜR DEN BODEN
Eine Fausthöhe für die Biodiversität
Wenn auf den Wiesen mit der Mahd die Ernte beginnt, tobt bodennah für viele Tiere ein Kampf ums nackte Überleben. Wer kann, flieht – aber die wenigsten können das. Es gibt allerdings einfache Methoden, um die Mahd tierschonender anzugehen. Robert Nesensohn aus Vorarlberg setzt einige davon erfolgreich um.
Wenn die Mähgeräte auf die Wiese kommen, dann gibt es für die dort lebenden Tiere nur noch ein Motto: Wer kann, der flieht. Je schneller, kraftvoller und großflächiger die Mahd erfolgt, umso mehr Wanzen, Webspinnen, Singzikaden, Schmetterlinge, Raupen, Käfer, Bienen, Fliegen, Frösche, Salamander, Schlangen und Kleinsäuger überleben den Tag nicht. Bis zu 97 % der Grashüpfer und Schmetterlinge werden bei der Mahd „kassiert“.
„Das ist mir nicht wurscht“
Robert Nesensohn in Vorarlberg macht sich darüber bereits länger Gedanken. „Das ist mir nicht wurscht. Es macht für mich keinen Sinn, dass ich mit dem Mähwerk alles niedermetzle.“ Er lässt schon lange Zeit auf naturschutzfachlich wertvollen Wiesen Rückzugsbereiche bis zur zweiten Mahd Ende Juli stehen. Streuwiesen, das sind sumpfige Wiesen, deren Pflanzen und Tiere sich verzögert entwickeln, mäht er im Herbst, damit sich die Insekten entwickeln können. „Das heißt, dass dort das Gras alt und dürr werden darf, Samen reif zu Boden fallen und unzählige Kleintiere wuseln, fressen, sich verstecken oder paaren, werben oder einfach nur in der Sonne dösen können“, schildert Nesensohn. Er mäht diese Wiesen meistens von innen nach außen, dann können die
Tiere in die Umgebung flüchten. „Und wenn wir doch von außen nach innen mähen, lassen wir einfach in der Mitte eine Insel für Selige stehen“, erklärt er.
Nur acht Zentimeter
Nesensohn hat neben Mahdzeitpunkt und Mähroute ein weiteres Prinzip, das einfach umzusetzen ist und für die Tierwelt viel bringt. „Wir haben die Schnitthöhe einfach auf acht Zentimeter angehoben. Da bleibt ca. eine Faust hoch an Stängeln und Halmen stehen und damit bewahren wir einen Teil des Lebensraumes für viele Laufund Kriechtiere.“ Voraussetzung für einen guten Erfolg ist aber auch, dass die weiteren Arbeitsschritte, wie das Wenden und Zusammenharken des Schnittgutes, ebenfalls mit diesem Bodenabstand von acht Zentimetern erfolgen. Auch in anderen Bundesländern haben sich die acht Zentimeter Schnitthöhe als insektenschonende Mähmethode herauskristallisiert. So wurde von einer „im positiven Sinn explodierenden Tierwelt“ berichtet. Gerade Heuschrecken sind deutlich mehr geworden und davon profitieren letztendlich auch Vögel und Fledermäuse. Die höhere Mahd wirkt sich aber nicht nur auf die Tierwelt positiv aus: Bei höherem Bodenabstand mähen die Messer über den Großteil von
© Jolanda Tomaschek © Jolanda TomaschekSteinen und Erdhaufen hinweg. Vor allem, wenn es längere Zeit geregnet hat und Maus- und Ameisenhaufen in die Höhe wachsen, wird auf diese Weise das Mähwerk geschont. Und weiters: „Eine höhere Vegetationsdecke schützt den Boden vor Austrocknung. Die Vegetation regeneriert sich schneller und verbrennt bei Hitze nicht bis auf die Wurzeln.“ Damit werden Ertragsverluste, die das Höhermähen verursacht, ausgeglichen.
Auch die Art der verwendeten Geräte entscheidet, wie es nach der Mahd bei den Insekten aussieht. Nesensohn besitzt verschiedene Mähwerke. Ein Scheibenmähwerk, das auf den Traktor montiert wird und einen Handmäher mit Doppelmesserbalken. Das Scheibenmähwerk war zuerst da. Es kommt bei größeren, ebenen Flächen zum Einsatz: „Weil‘s schneller geht und ich nicht laufen muss“, lacht Robert. Doch seitdem er sich für die buckeligen und steilen Wiesen in Hanglage einen hydraulischen Balkenmäher mit Stachelwalzen zugelegt hat, mäht er immer mehr Flächen mit dem Doppelmesser. „Der Balkenmäher führt vorne zwei gegenläufige Schienen aus dreieckigen Messerspitzen. Der untere Balken bleibt starr, während der obere eine
pendelnde Bewegung ausführt. Das Mähen dauert zwar etwas länger, aber das mache ich anderswo wieder wett.“, erklärt er. Zwei Reihen an scharfen Messern schneiden Halme und Stängel sauber auf einer Linie ab. Das Schnittgut fällt dabei flächig um, nicht in Schwaden wie beim Scheibenmähwerk, das durch Rotation das Schnittgut zur Seite schleudert. Die klare Schnittlinie, ohne Sog- oder Zugwirkung ist ein entscheidender Vorteil für Wiesenbewohner. Auch wenig mobile Tiere, wie Raupen und Schnecken, die auf Halmen und Blättern über bzw. unter dieser Schnitt-
linie sitzen, überleben den Mähvorgang. Die Wiesen und deren Mahd sind wesentlichster Bestandteil der Futterbereitstellung für die Tiere am Hof. „Wir sind ein Milchbetrieb und ich brauche gutes, nahrhaftes Futter für unsere Kühe. Wir produzieren Lebensmittel und brauchen dafür unser Grünland.“ Aber das hindert ihn nicht daran, seine besonders wertvollen Wiesen so zu bewirtschaften, dass die Vielfalt an Tieren dort erhalten bleibt. Ein fausthoher Schnitt sorgt für einen entspannten Mähtag und eine bessere Zufriedenheit vieler Wiesenbewohner.
Höher mähen schützt Laufkäfer
Großlaufkäfer sind wichtiger Bestandteil des bodennahen Ökosystems der Wiese. Ihr Speisezettel ist groß und reicht von anderen lebenden Insekten und Gliederfüßern bis hin zu Schnecken. Sie haben ein hervorragendes Verteidigungssystem gegen insektenfressende Fressfeinde entwickelt, indem sie Sekrete aus Mund und Analdrüsen abgeben können. Gegen die Mähmesser haben sie jedoch kein Rezept. Höher mähen lässt Laufkäfer in Ruhe weiterleben.
© Jolanda Tomaschek © Jolanda Tomaschek Goldglänzender LaufkäferIM GESPRÄCH MIT HERBERT CHRISTIAN WAGNER, AMEISENFORSCHER
„Ohne Ameisen gibt es keine Krokusse“
gegen die Biomasse betrifft, wissen wir bei Ameisen so gut wie nichts. Wir können nur spekulieren. Ich denke, sie geht wahrscheinlich zurück. Aber für diese Art von Forschung sind Ameise eine weniger dankbare Tiergruppe, weil sie nur träge auf Umweltveränderungen reagiert.
Was bedeutet das konkret, wenn eine Tiergruppe träge auf Umweltveränderungen reagiert?
Manchmal finden die größten Wunder der Natur in den kleinsten Kreaturen statt. Ameisen sind architektonische Genies, soziale Meister und ökologische Wunder. Sie spielen eine Schlüsselrolle in unseren Ökosystemen. Herbert Christian Wagner ist Ameisenforscher und beschäftigt sich seit seiner Kindheit mit Ameisen. In unserem Gespräch erklärt er, warum man sich über einen Ameisenhügel im Garten freuen kann und warum es ohne Ameisen einige Frühjahrsblüher gar nicht gäbe.
Herr Wagner, wie viele Ameisenarten gibt es in Österreich?
Wenn man alles zusammenzählt, inklusive eingeschleppter Arten, dann sind wir jetzt bei 147 Arten. Die meisten Arten kommen in Niederösterreich, aufgrund der Seehöhe und dem pannonisch trockenwarmen Klima, vor, wo dann aus dem Süden
und Osten Arten dazukommen. Im hochalpinen Raum hingegen nimmt die Artenzahl stark ab. Es gibt knapp zehn Arten, die jenseits der Baumgrenze leben und da sind dann auch sehr seltene Arten darunter. Es ist sehr spannend im Hochgebirge. Es ist möglich, dass mache Arten für Österreich noch gar nicht entdeckt wurden. Ein paar spannende Funde sind hier noch zu erwarten.
Wie sehr sind unsere Ameisen vom Insektensterben betroffen?
Bei den Ameisen ist die Datenlagen sehr viel schlechter als bei populären Gruppen wie Schmetterlingen, gerade wenn es um das Insektensterben geht. Aus den Untersuchungsergebnissen von Bernhard Seifert, einem Ameisenforscher aus Görlitz, kann man allerdings ganz klar sagen: Ja, es gibt eine dramatische Veränderung, die Artenzahl geht zurück. Was hin-
Viele Insekten sind einjährig, wenn wir zum Beispiel an Heuschrecken, Wanzen, Zikaden und einige Käfer denken. Das bedeutet, wenn es in einem Jahr einen Populationseinbruch gibt, dann werden wir im nächsten Jahr die Folgen davon erkennen. Bei Ameisen ist das anders. Ameisenkolonien können über Jahrzehnte bestehen. Ein Ameisennest kann über Jahrhunderte an einer Stelle überdauern. Eine Kolonie, die mehrere Hügel hat, kann ihre Königinnen immer wieder selbst nachproduzieren. So ein Ameisennest ist theoretisch unsterblich. Ameisen investieren im Verhältnis zu anderen Insekten wenig in ihre Nachkommen und viel in den Erhalt ihres Nestes. Das heißt, auch wenn sich die Umweltbedingungen verschlechtern, kann das Nest noch mehrere Jahre weiter existieren. Umgekehrt bedeutet das aber auch: Wenn gute Bedingungen geschaffen werden, also ein neuer Lebensraum entsteht, dann dauert es ein paar Jahre bis sich Ameisen dort etablieren. Da werden zunächst einmal Spinnen, Fliegen,
Heuschrecken kommen und erst später werden Ameisen sich ansiedeln.
Es kommt im privaten Bereich immer wieder vor, dass Ameisenhaufen stören und umgesiedelt werden sollen. Wie sollte man hier vorgehen?
Meistens ist es so, dass sich die betroffenen Personen gestört fühlen. Entweder lautet das Argument, dass man von Ameisen gebissen wird oder die Ameisen im Haus stören. Es wird dann ein Ameisenheger kontaktiert, der den Ameisenhügel umsiedeln soll. Die Hauptaufgabe der Ameisenheger ist in erster Linie zu vermitteln und die Leute über Ameisen aufzuklären. Erst wenn es keine andere Möglichkeit gibt,
wird der Ameisenhaufen übersiedelt. Ein guter Ansatz ist es, den Leuten zu ihrem Ameisenhügel zu gratulieren und ihnen zu zeigen, wie wichtig und spannend so ein Hügel sein kann. Da kann man schöne Beobachtungen machen. Je nach Ameisenart kann man den Schwarmflug zwischen Mai und Juni beobachten, oder wie Insekten in den Hügel eingetragen werden. Im Herbst kann man vielleicht Löcher im Ameisenhaufen erkennen. Da hat sich der Specht eingegraben und Ameisen gefressen.
Warum sind Ameisen wichtig?
Eine besonders ökologisch relevante Ameisensart ist die Gelbe Wiesenameise, weil sie die höchste Biomasse hat. Sie lebt unterirdisch und hat auf einer mageren Wiese oder Weide eine Nestdichte von einem Nest pro Quadratmeter. Neben ihrer Funktion als Nahrung für andere Tiere sind Ameisen aber auch wichtige Schädlingsbekämpfer. Waldameisen halten Bäume frei von Schädlingen. Ameisen sind
nach den Regenwürmern die zweitbesten Bodendurchlüfter. Sie bringen weit mehr Erdmaterial an die Oberfläche als sie selbst wiegen. Ameisen schaffen auch Strukturen. Ihre Hügel sind oft die ersten Stellen, wo zum Beispiel ein Holunderstrauch aufgeht. Durch die Strukturveränderung eines Ameisenhügels gibt es eine sonnenbegünstigte, trockene Stelle und eine schattige, feuchtkühlere Stelle. Ameisen sind aber auch wichtige Samenverbreiter. Knapp 100 Pflanzenarten haben sich darauf spezialisiert, ihre Samen von Ameisen vertragen zu lassen. Sie produzieren schmackhafte Anhängsel voll mit Vitaminen, Proteinen, Fett und Kohlehydrate, die an den Samen haften. So gut haften, dass die Ameisen sie nicht an Ort und Stelle ablösen können, sondern in ihr Nest eintragen. Waldameisen oder Rossameisen gehen dann bis über 30 Meter mit diesen Samen zu ihrem Nest zurück. Dort speicheln sie das Anhängsel ein, fressen es ab und werfen den Samen aus ihrem Nest. Diese Strategie kommt vor allem bei Frühblühern zu tragen, wenn andere Nahrungsressourcen wie Honigtau und Insekten noch rar sind. Wir können also davon ausgehen, dass ohne diese Kooperation zwischen den Ameisen und Pflanzen es auch keine Krokusse, Frühlingsknotenblumen und Lerchensporn gäbe.
WIR TUN WAS EXPERTENTIPPS
Für einen ameisenfreundlichen Garten
Magere Wiesen kommen nicht nur Schmetterlingen, Heuschrecken und Zikaden zugute. Auf mageren Wiesen befindet sich die höchste Ameisen-Diversität mit bis zu 20 verschiedene Arten. Wichtig ist, dass die Wiesen nicht gedüngt und das Schnittgut abtransportiert wird.
Steinstrukturen wie Trockensteinmauern oder kleine Steinhaufen sind für Ameisen interessant, da die Steine die Wärme speichern. Am besten sind Steine, die direkt auf dem Boden liegen. Die meisten Ameisen leben in der Erde, oft unter Steinen.
Wichtig sind auch alte Bäume mit Totholzanteil . Einige Ameisenarten leben auf alten Eichen, Ahornbäumen, Kiefern und sogar Walnussbäumen.
Offene Bodenstellen nehmen die Wärme der direkten Sonneneinstrahlung auf. Ameisenpuppen brauchen für ihre Entwicklung etwa 31 Grad.
Hecken mit heimischen Gehölzen wie Holunder, Weißdorn und Hartriegel werden von Blattläusen besiedelt, deren Honigtau Ameisen besonders gerne fressen.
Rossameisen – die Giganten der Ameisen
Sie leben in Nadel- und Mischwäldern und sind häufig zu beobachten. Die Rossameisen, bei denen die majestätischen Königinnen eine Körperlänge von bis zu 18 mm und die fleißigen Arbeiterinnen bis zu 14 mm erreichen, tragen den Titel der größten Ameisen Mitteleuropas.
Ameisenhügel sind theoretisch unsterblich.„Ameisen sind nach den Regenwürmern die zweitbesten Bodendurchlüfter.“
So entsteht Profi-Kompost
In Alberndorf im Mühlviertel ist Kompostieren eine Familienangelegenheit: Die Familie Huemer betreibt hier eine der größten Kompostieranlagen in Oberösterreich und versorgt die Region mit Kompost und Bodensubstrat. Die Arbeit im Naturkreislauf und die Liebe zum Boden motiviert die Familie seit Jahrzehnten ihr gemeinsames Ziel zu verfolgen: Bei dem, was sie tun, immer besser zu werden.
Angefangen hat alles in den 90er Jahren, als im Bezirk Freistadt Betriebe gesucht wurden, die Grünschnitt von Gemeinden verarbeiten wollen. Rudi Huemer, damals Milchviehbauer, kompostierte bereits Mist aus dem Schlachthof in Linz und daher war das Interesse, ihn als Abnehmer zu gewinnen, groß. „Ausgestattet mit einem hohen Qualitätsbewusstsein war für mich damals schon klar, dass ich nur hochwertigen Kompost auf meinem Betrieb herstellen möchte. Ich habe mich auf die Suche nach Weiterbildungsmöglichkeiten gemacht, das Angebot war allerdings ernüchternd.“ Irgendwann stieß er auf eine Aus-
schreibung für einen Kompostkurs bei Familie Lübke: „Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich etwas über Mikroorganismen im Boden gehört und wie wichtig sie für Pflanzen und für den Kompostierprozess sind. Die Liebe zur Natur und mein neu gewonnenes Wissen über die Mikroflora im Boden hat mich angespornt, irgendwann den besten Kompost in Österreich herzustellen.“ Dieses Jahr war es dann soweit und die Familie Huemer hat beim KompOskar 2023 den 1. Platz erreicht.
Lebendiger Boden
Humus ist jener Teil des Bodens, wo die höchste Biodiversität zu finden ist. Eine gut ausgebildete Humusschicht ist für die Gesundheit und Ertragssicherheit von Böden verantwortlich. Bodenverdichtung, Erosion und zu starke Düngung setzen dem Boden zu und können den Humusanteil
reduzieren. Es gibt unterschiedliche Methoden, die Humusschicht im Boden zu verbessern, die Anreicherung mit Kompost ist eine davon. Qualitativ hochwertiger Kompost enthält viele gebundene Pflanzennährstoffe, hat eine hohe Wasserspeicherkapazität und Milliarden von Mikroorganismen. Beim Kompostieren werden Abbauprozesse genutzt und beschleunigt, die normalerweise in gesunden Böden ganz natürlich vorkommen. In nur wenigen Wochen wird organischer Abfall in fruchtbare Erde verwandelt. Diese Art von Kreislaufwirtschaft hat Huemer so gut gefallen, dass er damals seine Milchviehwirtschaft aufgab, um sich ganz der Kompostierung zu widmen.
Die Ausgangsmaterialien für den Kompost sind vielseitig: Strauchund Grasschnitt, Biotonne und auch Mist kommen je nach Verfügbarkeit
in 130m langen Mieten. Auch etwas tonhältige Erde für die Bildung von Ton-Humus-Komplexen wird verwendet. „Diese stabilisieren den Kompost und fördern die mikrobielle Vielfalt“ erklärt Huemer. „Einen Großteil der Materialien bekommen wir von den Gemeinden, die Biotonne ist dabei besonders heikel. Sie enthält viel Plastik und anderen Unrat, das hat in unserem Kompost nichts zu suchen. Man kann sich nicht vorstellen, was für Zeugs bei uns landet: Batterien, Besteck, tausende Schraubverschlüsse, ja sogar einen Rehschädel haben wir schon mal angeliefert bekommen“.
Kompostieren ist wie kochen Passt die Qualität der Ausgangsmaterialien, wird jede Miete wie eine Art Kochrezept aufgesetzt. „Damit der Umwandlungsprozesse korrekt abläuft und am Ende wertvoller Nährhumus entsteht, braucht es aber sehr viel Fingerspitzengefühl und Erfahrung“, so Huemer. „Parameter wie ein Feuchtigkeitsgehalt von 55-60%, Temperatur nicht über 65°C und Sauerstoff nach Möglichkeit nicht unter 5%, spielen in jeder Miete eine entscheidende Rolle und müssen von mir gelenkt werden.
Ganz wichtig ist auch, dass es den Mikroorganismen in den Mieten gut geht. Milliarden von ihnen arbeiten tagtäglich für uns und bringen Biodiversität in den Boden.
Neue Technik spart Zeit
Vom Erfindergeist getrieben kam Huemer vor 2 Jahren mit seinem Sohn Florian und dessen Schulkollege Julian die Idee, eine Wendemaschine zu bauen. Gemeinsam wurde monatelang recherchiert und getüftelt: „Bei diesem Vorhaben war uns wichtig, dass das tägliche Wenden am Kompostplatz effizienter wird und die Maschine zu unserer Kompostiertechnik mit kleinen Mieten passt“ erzählt Huemer. Entstanden ist schlussendlich eine komplett umgebaute Mähmaschine, der Big M. Er kann, statt nur einer Miete, drei Mieten gleichzeitig wenden und spart dadurch Zeit und Energie. Eine Miete braucht bei den Huemers ca. 8-10 Wochen, dann ist der Kompost fertig. Ihre Substratmischungen und das daraus entwickelte Bodensubstrat sind vielseitig gefragt: In der Landwirtschaft, im Straßenbau und auch bei zahlreichen Dachbegrünungen wie am Hauptbahnhof Linz sorgen sie für gesundes Pflanzenwachstum.
Im Boden tut sich was!
In einer Handvoll Bodenerde tummeln sich mehr Lebewesen, als es Menschen auf der Erde gibt. Auf einer Fläche von 0,3 Kubikmeter leben Billionen von Organismen.
In gesunden Böden ist die Biodiversität besonders hoch: Zahlreiche Tiere, Pflanzen, Pilze, Bakterien und Mikroorganismen kommen hier vor und verrichten unterschiedliche Aufgaben. Bakterien sind im Nährstoffkreislauf besonders gefragt: Hier gibt es abbauende Bakterien, sowie humusbildende Bakterien. Einige aerobe Bakterien, also jene, die sauerstoffreiches Milieu zum Überleben brauchen, besitzen die Fähigkeit, Ammonium, nicht in das klimaschädliche Gas Ammoniak, sondern in Nitrat und Aminosäuren umzuwandeln. Nitrat ist ein wichtiges Nährelement und ein Baustein von Eiweißen und Enzymen. In einem gut durchlüfteten Boden steigern aerobe Mikroorganismen die Bodenfruchtbarkeit, indem sie organisches Material in stabile Humusverbindungen verwandeln.
Unmengen an Plastik in der Biotonne. Mehr Achtsamkeit in den Haushalten würde das Problem lösen. © Barbara Rems-Hildebrandt Bakterien und Mikroarthropoden spielen in der Zersetzer-Kette eine bedeutende Rolle.