"die beste Zeit", Oktober-Dezember 2018

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Grit Sensen, Obstschale blau, 2016, Öl auf Leinwand, 80 x 80 cm

weg, bis Schwarz dominiert, aber doch so delikat, dass man den Malprozess hinter der schwarzen Fassade ahnen kann. Oftmals drückt er während des Arbeitsprozesses in geometrischen Reihen Finger oder Daumen auf die schwarze Leinwand. So ergeben sich reliefartige Punkte, die Licht und Schatten einfangen und die Fläche lebendig werden lassen. Irgendwann hat auch Grit Sensen zu zeichnen und zu malen begonnen. Auf meine Frage, ob sie den Zeitpunkt und den möglichen Anlass für ihre Malerei noch wisse, gab es zwei verschiedene Antworten. Eine kam von Ehemann Wil, die andere von ihr selbst. Wil Sensen erinnert sich an einen Galeriebesuch, bei dem der Galerist bei Arbeiten von Frauen ein wenig abfällig von Hausfrauenkunst redete – wobei Grit nicht gemeint war. Da aber habe sie beschlossen,zu zeigen, dass sie keine Hausfrauenkunst mache. Grit Sensen selbst erinnert sich ganz anders an den Funken, der übergesprungen sei und sie zum Malen gebracht habe: eine Ausstellung von holländischen Künstlern des 17. Jahrhunderts – diese herrlichen Stillleben mit all den Früchten, Blumen, Tieren, toten wie lebendigen, mit Gläsern, Vasen, Krügen.

Es waren diese holländischen Stillleben-Maler, die nicht mehr, wie die Porträt- und Gesellschaftsmaler, nach Aufträgen arbeiteten. Sie wählten frei die Gegenstände ihres Geschmacks, ihrer Vorlieben und ordneten sie auf den Tischen so an, wie es ihnen gefiel. So wurde – Zitat des großen Kunsthistorikers Ernst H. Gombrich – „die Bildgattung Stilleben zu einem wunderbaren Experimentierfeld für malerische Probleme.“ Denn der Gegenstand wurde Mittel zum Zweck, etwa zum genauen Beobachten und Malen der Reflexe und Brechungen des Lichts auf den Gläsern, der Kontraste, Klänge und Harmonien von Farben und Formen. Ohne es zu wissen und ohne Vorsatz begannen diese Stillleben-Maler zu beweisen, dass die Gegenstände der Malerei viel weniger wichtig sind, als man denken sollte. Auch bei Grit Sensen sind sie Anlass für Malerei. Ihre Themen hat sie in ihrem großen Garten in Frankreich gefunden und auf den französischen Märkten: Gemüse, Obst, Fisch, Brot – Spargel, Artischocken, Zitronen, Hummer oder Baguette, „Essbares“ (so auch der Titel ihrer Bilder), das sich auf den Leinwänden zu übergroßen Gebilden verwandelt und ein Eigenleben führt. Ebenso wie auf den 37


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