"die beste Zeit", Juli-September 2017

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sienstadt befragt wurde, gab sie eine andere Auskunft: „Sie (Antonie Römer, d. V.) war vom 20.7.1942-November 1944 in Theresienstadt inhaftiert und ist aus dem Grunde früher zurückgekommen, weil ihr Sohn bei der Wehrmacht anstelle beabsichtigter Ordensverleihung den Wunsch geäußert hat, man möge seiner Mutter die Heimkehr in die Heimat gewähren.“ Hier wird ein anderes Entlassungsdatum als in der ersten Aussage genannt - November statt Mai -, und das lässt Zweifel an der Zuverlässigkeit der Zeugin aufkommen. Was mag Antonie Römer zu diesen unglaubwürdigen und widersprüchlichen Angaben gebracht haben? War ihr etwas anderes wichtiger? Die Geschichte hat sich anders zugetragen. Aber stolz auf ihren Sohn durfte Antonie Römer trotzdem sein, denn der spielte dabei eine tragende Rolle: Vom 3.11.1936 bis zum 26.10.1938 hatte Alfred seinen Militärdienst ableisten müssen. Kurz vor Kriegsbeginn, am 22.8.1939, war er erneut einberufen, aber am 1. Februar 1941 entlassen worden mit der Begründung, ein „jüdischer Mischling“ zu sein. Seine Herkunft war bekannt geworden, weil sich Alfred um die Heiratserlaubnis mit einer „Arierin“ bemühte, mit der er am 19. Januar 1941 eine Tochter bekommen hatte. Mit der Mutter des Kindes, der evangelischen Seidenwenderin Edith Koch, war Alfred seit vielen Jahren befreundet. Um die Heiratserlaubnis nun doch zu bekommen, gelang es Alfred nach Nerven aufreibendem Briefverkehr und mit der Unterstützung des Polizeiinspektors Dreyling, glaubhaft nachzuweisen, dass seine Mutter unehelich geboren worden war, ihr Vater (sein Großvater) der Familie nicht bekannt und auch nicht auffindbar war. Auf dieser Grundlage beurkundete am 21. August 1942 das Reichssippenamt in Berlin, dass der „[...] Erzeuger der Mutter des Prüflings ein Mann deutschen oder artverwandten Blutes gewesen ist. Diese ist somit biologisch gesehen jüdischer Mischling I. (ersten) Grades. Somit ergibt sich die oben vorgenommene rassische Einordnung des Prüflings als jüdischer Mischling II. (zweiten) Grades.“ Die Folge war, dass Alfred Römer am 20. Oktober 1942 erneut zur Wehrmacht geholt wurde. Erst 1944 erhielten Alfred Römer und Edith Koch ihre Heiratsgenehmigung. Für die Mutter Antonie war die neue Einordnung als „Mischling 1. Grades“ lebensrettend: Alfred Römer bemühte sich nun unermüdlich, den „Irrtum“ aufzuklären, dass seine Mutter, obwohl doch „nur“ Mischling, überhaupt in 66

Das Gedicht der Berliner Jüdin Hedwig Harrwitz

Theresienstadt war. Tatsächlich kann es also stimmen, dass Antonie Römer seit November 1942 wusste, nicht mehr als „Volljüdin“, sondern als „Mischling I. Grades“ zu gelten. Nicht sicher ist, welche Rolle es spielte, dass Alfred nach einem Flugzeugabschuss über dem Mittelmeer einem Vorgesetzten helfen konnte, indem er ihm eine Holzplanke zuschob, an die er sich klammern konnte. Seine Witwe, Frau Edith Römer, erinnert sich, dass sich das 1942 abgespielte und dass ihr Mann dafür einige Tage Urlaub bekam. Am 12. Mai 1944 wurde Antonie Römer aus dem Ghetto Theresienstadt entlassen - zu dem Zeitpunkt wog sie 67 Pfund. In Elberfeld kam sie offensichtlich am 17. Mai 1944 an, wo sie bis März 1945 stationär im St.-Joseph-Krankenhaus behandelt wurde. Sie blieb bis zu ihrem Tod in Elber-


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