AUGENBLICK! Strassenfotografie in Wien

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1 Zur Differenz von „Straßenfotografie“ und „Street Photography“ siehe die Einführung in diesem Band.

Gibt es sie überhaupt, die Wiener Street Photography? Große Ausstellungen zum Thema gab es bisher keine. Und auch die Anzahl der Publikationen und Fotobände, die den Begriff „Wien“ und „Straßenfotografie“ oder gar „Street Photography“ im Titel tragen, ist verschwindend klein.1 Offenbar ist das Phänomen der Street Photography in der Stadt an der Donau nie so recht heimisch geworden. Das heißt aber keineswegs, dass es in Wien nicht ausgezeichnete Beispiele dieses Genres gibt. Die Bildstrecken dieses Bandes stellen das eindrucksvoll unter Beweis. Ganz anders als in Großstädten wie New York und auch Paris, wo es eine lange, selbstbewusste Tradition einer innovativen Straßenfotografie gibt, wo Gene­ rationen von Fotografinnen und Fotografen das städtische Alltagsleben in faszinierenden Schnappschüssen festgehalten haben, die sich zu einem regelrechten Stadtimage verdichtet haben, gibt es eine vergleichbare Tradition in Wien nicht. Es gilt also zunächst zu klären, warum die fotografischen Positionen, die in diesem Band versammelt sind, im Gesamten betrachtet nie zu einem kollektiv wahrnehmbaren ästhetischen Mainstream geworden sind. Wie kommt es, dass eine eigenständige, innovative Straßenfotografie das vorherrschende Wien-Bild nur punktuell beeinflusst, aber letztlich nicht entscheidend geprägt hat? Vorweg: Das liegt nicht etwa daran, dass die Wiener FotografInnen im Vergleich mit ihren New Yorker und Pariser KollegInnen weniger talentiert waren. Auch nicht daran, dass die Fotografie in der Herausbildung von Wien-Bildern eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Im Gegenteil: Seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und spätestens seit der Jahrhundertwende hat die Fotografie die populären Wien-Images entscheidend mitbestimmt – bis heute. Aber dieses fotografisch vermittelte WienBild ist, über zahlreiche gesellschaftliche Einschnitte und Brüche hinweg, bis heute auffallend rückwärtsgewandt und konservativ geprägt. In vielen fotografischen Positionen scheint eine nostalgisch angehauchte Grundstimmung durch. Die eingefangenen Alltagsbilder sind zwar häufig gegenwärtige, aber nicht selten sind sie mit vorgefertigten, oft klischeebefrachteten Sujets und Motiven aus der Vergangenheit grundiert. In besonderem Maße ist dies bei Themen der Fall, die als typisch „wienerisch“ gelten, etwa bei der Darstellung populärer Vergnügungen im Wiener Prater oder des ‚volkstümlichen‘ Lebens auf dem Naschmarkt (Abb. 1). Auch wenn einzelne Bilder und Serien sich in ihrem fotografischen Gestus sehr wohl an herausragenden Beispielen der internationalen Street Photography orientierten, blieben sie im Endergebnis, etwa im gedruckten Bildband, der sich häufig 37


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