Programmheft »Tristan und Isolde«

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TRISTAN UND ISOLDE Richard Wagner


INHALT Die Handlung

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Synopsis in English

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Über dieses Programmbuch

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Als ich mit Mahler über Wagner sprach → Philippe Jordan

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Ein Traumgedicht → Calixto Bieito im Gespräch

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Abschiedsversuch → Laura Holder

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Handlung und Drama → Nikolaus Stenitzer

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Radikale Erotik → Andreas Dorschel

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Der Ursprung der Liebe → Platon

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Dynamik → Laura Holder

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Keine Sekunde → Péter Nádas

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Biolog → Laura Holder

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Wahnsinn und Verrat → Eva Illouz

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Innen und Außen: Tristan und Isolde → Melanie Wald-Fuhrmann / Wolfgang Fuhrmann

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Vorspiel zu Tristan und Isolde → Richard Wagner

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Träume → Mathilde Wesendonck

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Richard und Mathilde → Peter Wapnewski

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Was → Laura Holder

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Sympathie mit dem Tode → Jens Malte Fischer

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Über die Liebe → Gottfried von Straßburg

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Die Gestaltwerdung der Musik → Andreas Láng

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Letzter Versuch → Laura Holder

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Impressum

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Von ganz anderen Menschen spreche ich, die gleichzeitig in ihrem Herzen tragen: Ihre große Bitterkeit, ihr liebes Leid, ihre Herzensfreude und ihre Sehnsuchtsqual, ihr glückliches Leben, ihren traurigen Tod, ihren glücklichen Tod, ihr trauriges Leben. Gottfried von Straßburg: Tristan (Prolog)


TRISTAN UND ISOLDE → Handlung in drei Aufzügen Musik & Text Richard Wagner

Orchesterbesetzung 3 Flöten (3. auch Piccolo), 2 Oboen, Englischhorn, 2 Klarinetten, Bassklarinette, 3 Fagotte, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Basstuba, 3 Pauken, Schlagwerk, Harfe, Streicher Bühnenmusik 1. Aufzug: 6 Trompeten, 3 Posaunen 2. Aufzug: 6 Hörner, 1 Posaune 3. Aufzug: Englischhorn, Holztrompete Spieldauer 5 Stunden (inkl. 2 Pausen) Autograph Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung, Bayreuth Uraufführung 10. Juni 1865, Königliches Hof- und Nationaltheater München Erstaufführung an der Wiener Hofoper 4. Oktober 1883




DIE HANDLUNG

Erster Aufzug Auf See Die irische Prinzessin Isolde wird von Tristan und seinem Gefolge nach Kornwall gebracht. Dort soll sie König Marke heiraten, Tristans Onkel. So soll der Frieden zwischen Irland und Kornwall gesichert werden, die lange im Krieg lagen, nachdem das ursprünglich zinspflichtige Kornwall sich gegen die irische Herrschaft aufgelehnt hatte. Isolde verflucht ihr Schicksal. Die besorgten Nachfragen ihrer Vertrauten und Begleiterin Brangäne beantwortet sie nicht. Stattdessen verlangt sie, Tristan zu sprechen. Es sei ein Befehl an den Untertanen. Tristan, dem Brangäne diese Botschaft überbringt, lehnt mit Ausflüchten ab. Sein Getreuer Kurwenal dagegen stellt klar: Untertanin sei nun Isolde. Er erinnert auch spöttisch daran, dass Tristan Isoldes Verlobten Morold im Kampf erschlagen hat. Als Brangäne die Botschaft überbringt, eröffnet ihr Isolde ihr Geheimnis: Tristan sei jener »Tantris«, der einst schwer verwundet nach Irland gekommen war, um die Hilfe der für ihre Heilkunst bekannten Isolde zu suchen. Während sie ihn gesund pflegte, fand sie Indizien dafür, dass der Kranke der Mörder ihres Verlobten Morold sein musste. Sie beschloss, ihn zu töten, verschonte ihn aber schließlich aus Mitleid. Vor seiner Abreise habe der Wiedergenesene ihr ewigen Dank und Treue geschworen. Nun fühlt sie sich verraten. Sie schwört ihrer beider Tod. Von Brangäne fordert sie, den Todestrank zu bereiten, den ihre Mutter ihr zusammen mit anderen Heil- und Zaubermitteln mit auf die Reise gegeben hat. Dann verlangt sie nochmals, Tristan zu sprechen, sie werde vorher nicht von Bord gehen. Als Tristan erscheint, wirft Isolde ihm den Mord an Morold vor. Sie fordert ihn auf, den Sühnetrank mit ihr zu nehmen. Tristan, der andeutet, Isoldes Vorhaben zu durchschauen, trinkt mit ihr den Trank. Sofort verfallen beide in höchste Verzückung füreinander. Das Anlegen des Schiffes und König Markes Ankunft werden gemeldet. Auf Isoldes Nachfrage gesteht Brangäne, dass sie den beiden statt des Todeselixiers den Liebestrank verabreicht habe. DIE H A N DLU NG

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Zweiter Aufzug In Kornwall Marke und sein Gefolge sind auf eine nächtliche Jagd gegangen, Isolde erwartet Tristan. Auf ihr Drängen, endlich das Lichtzeichen für Tristan zu geben, warnt Brangäne Isolde. Sie vermutet, dass Melot den Liebenden eine Falle stellen wolle. Isolde wehrt ab. Melot sei Tristans bester Freund. Brangäne gibt widerstrebend das Zeichen, gleich darauf stürzt Tristan herein. Tristan und Isolde versinken in Liebesverklärung und imaginieren gemeinsam das Verlassen der Tageswelt und das Versinken in ewiger Nacht, den Liebestod. Kurwenal stürzt herein und drängt Tristan, sich zu retten. Zu spät: Melot führt König Marke herein und erklärt dem König triumphierend den Verrat. Marke verlangt eine Erklärung von Tristan, doch Tristan und Isolde lösen sich nicht aus ihrem Zustand der Vereinigung. Tristan nimmt Isolde das Versprechen ab, ihm dorthin zu folgen, wohin er gehen wird. Melot provozierend, der zum Zweikampf bereitsteht, fügt sich Tristan selbst eine tiefe Wunde zu.

Dritter Aufzug In Kareol Kurwenal wacht über den schwer verwundeten Tristan, während ein Hirte Ausschau nach Isoldes Schiff hält. Als Tristan erwacht, muss ihm Kurwenal die jüngste Vergangenheit in Erinnerung rufen: Er, Kurwenal, habe Tristan auf das Schiff getragen und zur Burg seiner Väter gebracht, wo er gesund werden soll. Tristan sieht sich zwischen Nacht und Tag, zwischen Tod und Leben. Nur der Gedanke an Isolde halte ihn in der Welt. Kurwenal berichtet, er habe nach Isolde schicken lassen, worauf Tristan in Begeisterung verfällt und schon ihr Schiff zu sehen glaubt. Der abschlägigen Antwort begegnet er mit Schwermut, er erinnert sich an seine Eltern, die bei seiner Geburt gestorben sind. Seine Qualen und Nöte bringt er mit dieser Prägung in Verbindung. Endlich lässt der Hirte sein Signal ertönen: Isoldes Schiff ist da. Die Nachricht ihrer Ankunft versetzt Tristan in Ekstase. Als Isolde tatsächlich eintrifft, stirbt Tristan. Isolde verzweifelt. Nun wird auch König Markes Ankunft gemeldet. Melot und Brangäne, die kurz nacheinander eintreffen, wollen den rasenden Kurwenal beruhigen, doch er tötet Melot und stirbt kurz darauf im Kampf mit Markes Gefolge. Marke beklagt Tristans Tod. Er erklärt, er sei gekommen, um Isolde mit Tristan zu vermählen. Isolde hört ihm nicht mehr zu, sie nähert sich mit wachsender Begeisterung Tristans Leiche und spricht in zunehmender Entrückung. Schließlich sinkt sie über dem toten Tristan zusammen.

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DIE H A N DLU NG


SYNOPSIS

Act 1 At Sea The Irish princess Isolde is being brought to Cornwall by Tristan and his entourage. There she is to marry King Marke, Tristan’s uncle. The marriage was arranged to seal the peace between Ireland and Cornwall, who had been at war ever since Cornwall, being taxed by Ireland, revolted against Irish dominion. Isolde curses her fate. She does not respond to the anxious inquiries of her confidante and companion Brangäne. Instead, she demands to speak to Tristan. This is an order to an underling. Brangäne delivers this message to Tristan, but he declines, making excuses. His confidant Kurwenal however clarifies the situation: it is now Isolde who is the underling. He mockingly reminds her that Tristan has slain Isolde’s fiancé Morold in Combat. When Brangäne delivers this message, Isolde reveals her secret to her: Tristan is in fact »Tantris« who had once come to Ireland, severely wounded, to seek the help of Isolde as she is famed for her powers of healing. As she nursed him back to health, she came to realize that the sick man must be the murderer of her fiancé Morold. She decided to kill him, but ultimately spared him out of pity. Before his departure, restored to full health, her patient had pledged his eternal thanks and loyalty to her. Now she considers herself betrayed. She swears that they both will die. She asks Brangäne to prepare the death potion that her mother gave her before her journey, along with other remedies and draughts. She then demands again to speak to Tristan, averring she will not leave the ship until she does. When Tristan appears, Isolde accuses him of murdering Morold. She invites him to drink a potion of atonement with her. Tristan, who indicates that he knows what Isolde’s intention is, drinks the potion with her. The two of them instantly fall passionately in love with each other. The ship berths, and King Marke’s arrival is announced. In response to Isolde’s inquiry, Brangäne admits that she gave the two of them a love draught instead of a death potion. SY NOPSIS

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Act 2 In Cornwall Marke and his entourage have gone on a nocturnal hunt, and Isolde awaits Tristan. When Isolde urges Brangäne to extinguish the torch as a signal to Tristan, Brangäne warns her against it. She suspects that Melot plans to set a trap for the lovers. Isolde counters that Melot is Tristan’s closest friend. Brangäne reluctantly gives the signal, whereupon Tristan rushes in. Tristan and Isolde are rapturously reunited and dream of leaving the brightness of the day and sinking into eternal night, a love death. Kurwenal bursts in and urges Tristan to save himself. Too late: Melot ushers King Marke in and triumphantly pronounces the betrayal to the king. Marke asks Tristan for an explanation, but Tristan and Isolde cannot wrest themselves from their state of harmony. Tristan makes Isolde promise that she will follow him wherever he goes. Provoking Melot, who stands ready to fight, Tristan allows himself to be badly wounded.

Act 3 At Kareol Kurwenal watches over the mortally wounded Tristan, while a shepherd keeps a look-out for Isolde’s ship. When Tristan awakes, Kurwenal must remind him of recent events: he, Kurwenal, carried Tristan to the ship and brought him to the castle of his fathers, where he can convalesce. Tristan envisions himself between night and day, between death and life. Only the thought of Isolde keeps him bound to the world. Kurwenal reports that he has sent for Isolde, whereupon Tristan becomes elated and believes he can see her ship. He reacts to the negative response with dejection and thinks of his parents, who died when he was born. He believes his anguish and hardships stem from this circumstance. Finally, the shepherd gives the signal: Isolde’s ship has arrived. The news of her arrival fills Tristan with ecstasy. When Isolde finally enters, Tristan dies. Isolde despairs. Now King Marke’s arrival is also announced. Melot and Brangäne, who arrive soon after, try to calm the raging Kurwenal, but he kills Melot and dies shortly thereafter in a struggle with Marke’s entourage. Marke laments Tristan’s death. He declares that he had come to give Isolde in marriage to Tristan. Isolde is no longer listening to him; she approaches Tristan’s body with growing ardour and speaks in growing rapture. Finally, she collapses over the lifeless Tristan.

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SY NOPSIS


ÜBER DIESES PROGRAMMBUCH

»Was Furchtbares« sei im Entstehen, schrieb Richard Wagner im April 1859 an Mathilde Wesendonck: »Dieser dritte Akt!!! ------ Ich fürchte, die Aufführung wird verboten…« Richard Wagner formulierte nicht gerne zurückhaltend, erst recht nicht in den Briefen an Mathilde Wesendonck. Die Schriftstellerin und Ehefrau seines Unterstützers Otto Wesendonck gilt als einer der Gründe, warum Wagner die Arbeit am Siegfried unterbrach, um Tristan und Isolde zu komponieren. Die Aufführung – nach mehreren gescheiterten Versuchen, dem legendärsten in Wien – wurde nicht verboten, die Nachwelt teilte Wagners eigene Faszination für das Werk. Im Rückblick auch mit sich veränderndem Fokus: »Eine der Ursprungsurkunden der musikalischen Moderne«, lautet etwa ein berühmtes Urteil des Musikwissenschaftlers Carl Dahlhaus über Tristan und Isolde. Die musikalische Sprache, die Wagner für das fand, was er ausdrücken wollte, veränderte das Schreiben und das Hören von Musik, das Nachdenken und das Sprechen über sie in unumkehrbarer Weise. Und was Wagner ausdrücken wollte, führte ihn zu einer musikdramatischen Konstruktion, die es so vorher nie gegeben hatte. Seine Gedanken zu dieser Konstruktion teilt Musikdirektor und Premierendirigent Philippe Jordan (S. 12); eine weitere Auseinandersetzung mit der Musik unter besonderer Berücksichtigung des »Tristan-Akkordes« findet sich in dem Text von Melanie Wald-Fuhrmann und Wolfgang Fuhrmann (S. 62). Überlegungen zur dramatischen Gestaltung mit Blick auf Calixto Bieitos szenische Umsetzung finden sich in dem Text von Nikolaus Stenitzer auf Seite 26. Calixto Bieito hat seine Inszenierung in wachem Bewusstsein um die Bedeutung des Werks für den romantischen Liebesgedanken gestaltet. Es ist die Idee einer Liebe, die dem Tod verwandt ist – rauschhaft, ekstatisch Ü BER DIE SE S PROGR A M MBUCH

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→ Folgende Seiten: Andreas Schager als Tristan, Martina Serafin als Isolde

und ungeeignet für geregelte Lebensverhältnisse. Im Gespräch ab Seite 18 macht sich Calixto Bieito unter anderem Gedanken über diese Idee der Liebe. Romantische Liebe in ihrer lebensfreundlicheren Variante, als Idee des Füreinander-Bestimmt-Seins, hat sich vor allem in westlichen Gesellschaften erhalten; zugleich waren Vorstellungen von Liebe historisch immer in Transformation und sind es weiter. In diesem Programmbuch finden sich theoretische und künstlerische Positionen, die den Liebeskomplex aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten, mit und ohne direkten Rekurs auf Tristan und Isolde. Der Essay des Philosophen Andreas Dorschel (S. 34) untersucht die »radikale Erotik« von Wagners Werk und erörtert das philosophische Programm, das zu genau dieser Gestalt des Werks führen musste. Die Soziologin Eva Illouz betrachtet die romantische Liebesvorstellung mit Blick auf ihre Alltagstauglichkeit und lenkt den Blick auf ein weniger beachtetes Liebesverhältnis in Tristan und Isolde (S. 56). Direkten Einfluss auf Wagners Werk hatten – neben der Philosophie Schopenhauers und der Lyrik Novalis’ – auch Platons Symposion und natürlich der Versroman Tristan von Gottfried von Straßburg. Schlüsselstellen aus beiden Werken finden sich auf den Seiten 42 und 92, ergänzt durch literarische Auseinandersetzungen des ungarischen Schriftstellers Péter Nádas (S. 48) und der Wiener Lyrikerin Laura Holder (S. 23, 45, 53, 78, 105). Die »literarischen Folgen« von Wagners Werk untersucht Jens-Malte Fischer (S. 80). Kurze Texte von Richard Wagner, Mathilde Wesendonck und Peter Wapnewski werfen Schlaglichter auf das Verhältnis Wagner-Wesendonck (S. 72 bis 76). Die gescheiterte Wiener Uraufführung von 1861 gehört in den Korpus der Tristan-Legenden. Ein erfreuliches Kapitel der Wiener Tristan-Geschichte steht im Zentrum von Andreas Lángs Beitrag ab Seite 98.

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Philippe Jordan

ALS ICH MIT MAHLER ÜBER WAGNER SPRACH

Mit Tristan und Isolde schuf Richard Wagner im Grunde fast so etwas wie eine neue Gattung. Gerade darum galt – und gilt – das Werk als Revolution. Eine Revolution in Bezug auf gleich mehrere Aspekte. Sie beginnt schon beim Untertitel: »Handlung in drei Aufzügen«. Wagner spricht hier nicht mehr von der »Romantischen Oper« wie beim Fliegenden Holländer oder dem Tannhäuser. Er nennt Tristan und Isolde kein »Bühnenfestspiel« wie den Ring des Nibelungen, schon gar kein »Bühnenweihfestspiel« wie im Falle des Parsifal. Nein, er spricht von einer »Handlung«. Warum? Weil die Oper ein PHILIPPE JOR DA N

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inneres Theater ist, ein Seelentheater. Das dramatische Geschehen verlagert sich von außen nach innen, es bietet im Vergleich etwa zum Ring wenig tatsächlich greifbare Aktion. Stattdessen aber eine Auslotung der sich verändernden Seelenzustände, eine Analyse der menschlichen Innenwelten. Der Blick verweist also unter die Oberfläche, hinter das tatsächliche Tun. Das lässt sich freilich gar nicht anders bewerkstelligen als durch eine Fokussierung auf das Psychologische: Exemplarisch ist das im 3. Aufzug zu entdecken, denken wir nur daran, wie Tristan in mehreren Monologen Schicht für Schicht in sein Unbewusstes hinabsteigt – so etwas hat es vor ihm im Musiktheater nicht gegeben. Und wenn man darauf achtet, wie genau Wagner ebendiese inneren Vorgänge seiner Figuren in Musik gießt, wie fein er diese ausführt, den Regungen der Seele nachspürt, dann ist das eben eine innere Handlung. Einen zweiten wesentlichen Aspekt stellt Wagners Umsetzung der Idee der »unendlichen Melodie« dar. Wurde bereits im Ring die Nummernoper aufgegeben – wenn auch die einzelnen Szenen zumeist noch deutlich voneinander abgesetzt sind –, so wird im Tristan das Konzept der einen Melodie, in der übergangslos eines zum nächsten führt, noch viel konsequenter durchgeführt. Wir erleben ein ewiges Schwingen und Wogen, Steigerungen, Bewegungen, die nicht für sich alleine stehen, sondern immer mit einem Davor und Danach verbunden sind. Ein drittes wesentliches Moment ist die Harmonik. Ist auch der Tristan noch ein absolut tonales Werk, so leitete er dennoch die »Krise« der Tonalität, die Auflösung des traditionellen harmonischen Systems ein und verweist auf einen Pfad, der rund 60 Jahre später zum Ende des bislang bekannten Gefüges führen wird. Nun muss man aber stets darauf verweisen, dass Wagner dies alles nicht tat, um einfach etwas Ungewohntes auszuprobieren oder zu provozieren. Ihm ging es darum, den inneren Kern des Geschehens musikalisch adäquat auszudrücken. Dieses »Zweckgebundene« der Neuerungen merkt man schon daran, dass Wagner im zeitlichen Umfeld auch an den Meistersingern arbeitete – und diese sind das Gegenteil von Tristan. Die beiden Opern verhalten sich wie zwei Seiten einer Medaille: Tristan ist das Nachtstück, Meistersinger das Tagstück, Tristan die Tragödie, Meistersinger die Komödie, Tristan die Harmonik und die Chromatik, Meistersinger der Kontrapunkt und viel Diatonik. Natürlich niemals absolut, auch Tristan ist kontrapunktisch, auch die Meistersinger sind harmonisch. Aber im Vordergrund stehen jeweils andere Aspekte. Also, warum diese Neuerungen, worum geht es im Tristan? Um Spannung und die Nichtauflösung dieser. Das ist das eigentliche Thema. Denn die Handlung von Tristan und Isolde dreht sich ja gar nicht um Liebe, sondern um die Sehnsucht nach Liebe, um die Sehnsucht nach dem Tod. Würde die Liebe erfüllt, wäre die Spannung dahin. Dieses unbefriedigte Wünschen, das zeigt sich ja bereits in der Einleitung. Sie ist in a-Moll geschrieben, die Vorzeichen, alles deutet darauf hin. Nur: Es kommt nicht zum a-Moll-Akkord. Wagner 13

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baut etwas auf, dessen Einlösung nicht stattfindet, und erzeugt so eine Dauerspannung. Mitunter gibt es Kadenzen in diesem Vorspiel, aber diese sind mit sogenannten Trugschlüssen versehen. Im besten Falle hört man A-Dur, also gewissermaßen einen Stellvertreter. Das Einlösen des In-der-Luft-Schwebenden erfolgt aber nicht. Was spürt man also? Sehnsucht. Das Thema der Oper. Die eigentliche Auflösung – auch wenn die einzelnen Akte dann doch ihre jeweiligen deutlichen Schlüsse haben – erfolgt erst ganz am Ende, im Schlussakkord in H-Dur. Da ist die Erlösung endlich erreicht, da kommt die Spannung endlich zu einem Ende. Ein Symbol für diese von Wagner so meisterhaft erzeugte Sehnsucht ist sicherlich auch der – inzwischen berühmt-berüchtigte – »Tristan-Akkord«. Dieser erklingt erstmals ganz zu Beginn der Oper und verlangt harmonisch nach einer Auflösung. Wobei Wagner diesen Akkord ja nicht erfunden oder als Erster verwendet hat, er kam schon zuvor immer wieder vor, etwa bei Beethoven im langsamen Satz seiner 5. Klaviersonate in c-Moll oder im Schumann-Cellokonzert. Nur mit dem großen Unterschied, dass Wagner den Akkord gleich zu Beginn des Stückes einsetzte und nicht irgendwo zwischendrin, als Übergang. Mit dieser Position bekam er eine Signalfunktion, eine besondere dramaturgische Bedeutung. Das Publikum fragte sich: Was meint Wagner mit dem Akkord? Wohin führt er? Später hat er ihn übrigens immer wieder gerne verwendet, in der Götterdämmerung etwa, wenn Siegfried als Gunther erscheint oder auch im Parsifal, wenn Kundry Parsifal küsst. Man könnte fast sagen, dass er zu Wagners neuem Lieblingsspielzeug wurde. Was mich aber am Beginn von Tristan und Isolde fast noch mehr beeindruckt, ist die Verbindung von zwei Motiven, die sich über diesem Akkord verknüpfen: das sogenannte »Leidensmotiv« mit der aufsteigenden Sext in den Celli und dazu das chromatisch aufsteigende »Sehnsuchtsmotiv« in der Oboe. Wir hören also im Grunde keine Melodie, sondern zwei Motive, die ineinander übergehen. Hier haben wir sie übrigens wieder, die unendliche Melodie: bereits ganz am Beginn der Oper! Nun ist das Wort Leitmotiv gefallen. Wie im Ring arbeitet Wagner mit Leitmotiven, nur mit dem Unterschied, dass Wagner im Ring viel deutlicher und konkreter agiert: da gibt es Motive für das Schwert, für Walhall und vieles andere. Im Tristan geht es mehr um Begriffe wie »Leidensmotiv«, »Sehnsuchtsmotiv«, »Verhängnismotiv«, es steckt viel mehr Symbolik dahinter. Darüber hinaus ähneln sich die Motive zum Teil, werden umgestellt, bekommen dadurch etwas Nebulöses, Atmosphärisches. Ich bin mir sicher, dass Wagner das genau so wollte: Das Unscharfe hervorheben, das Ungreifbare in den Vordergrund rücken. Zu dem ganzen großen Komplex des Tristan-Mythos gehört auch Wagners Beziehung zu Mathilde. Sie war die Ehefrau des reichen Kaufmanns Otto Wesendonck, der den Komponisten maßgeblich unterstützte und ihn und seine Ehefrau Minna unmittelbar neben seiner Villa wohnen ließ. Zwischen PHILIPPE JOR DA N

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Wagner und Mathilde Wesendonck entwickelte sich eine Liebesbeziehung, die in meinen Augen aber in keiner Affäre gipfelte. Ich denke vielmehr, dass sie in ihm sehr viel ausgelöst hat, es sich ohne Zweifel um eine Seelenverwandtschaft handelte, sie ihn inspirierte: Da war es, das Ausbrechen-Wollen aus der Konvention, aus Bindungen, aus Zwängen, all das, worum es im Tristan ja auch geht. Ich bin aber zutiefst davon überzeugt, dass, wäre die Liebe zu Mathilde in Erfüllung gegangen, der Sehnsuchts-Antrieb verloren gegangen wäre, der Wagner dazu brachte, diese Oper so zu schreiben. All das Nicht-Erlebte, das konnte Wagner in seinem Werk umsetzen – er konnte es allerdings nur so lange, solange es tatsächlich nicht-erlebt blieb. Apropos Mythen: Wagner war ja nicht nur ein einzigartiger Komponist, er war auch ein Marketinggenie, das es verstand, diverse Legenden rund um die Werke und die eigene Person zu erzeugen und zu vertreiben. Wir kennen seine Anmerkungen zu Tristan, etwa: »Wie ich so etwas habe machen können, wird mir immer unbegreiflicher. Ich habe da alles weit über­schritten, was im Gebiet der Möglichkeiten unserer Leistungen liegt.« Dieser Satz hat natürlich viel mit dem erwähnten Marketing zu tun. Andererseits glaube ich ihm seine Verwunderung zum Teil durchaus. Denn wie das Wunder der Kreativität passiert, das bleibt allen Künstlerinnen und Künstlern ein Geheimnis. Ich persönlich schätze in diesem Zusammenhang auch den Satz Gustav Mahlers – »Nicht ich komponiere, sondern ich werde komponiert« – sehr. Denn damit wird ausgedrückt, wie sich Prozesse verselbstständigen können und manches entsteht, was die Schöpferin oder der Schöpfer eines Werks sich kaum erklären kann. Demnach kann es also durchaus sein, dass Wagner mit einer Idee ansetzte und die Sache dann plötzlich (im besten Sinne) gänzlich aus dem Ruder geriet. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass er den Tristan zunächst als ein sehr kleines, leicht aufzuführendes Werk plante – dass aber stattdessen dieser Gigant herausgekommen ist. Aus dem Blickwinkel dieses Gewaltigen müssen wir übrigens die geplante, aber – nach angeblich 77 Proben – aufgegebene Uraufführung an der Wiener Hofoper betrachten. Heute rümpft mancher vielleicht die Nase, aber das Werk war damals einfach wahnsinnig schwierig. Es ist ja bis heute enorm herausfordernd! Alleine die Geigenstimmen – das sind Violinkonzerte, nicht leichter als etwa das SibeliusKonzert. Wenn man sich das in einer Zeit, in der man so etwas nicht erwartete, vorstellt, versteht man, wie fremd, neuartig und eben »unaufführbar« all das, von der Musik bis ins Technische, gewirkt haben muss. Und als 1865 der erste Tristan, Ludwig Schnorr von Carolsfeld, kurz nach der Uraufführung starb, entwickelte sich ein neuer Mythos, jener von der Lebensbedrohlichkeit dieser Oper. Viele denken jetzt an Joseph Keilberth, der während einer Tristan-Aufführung, genau an der Stelle »So stürben wir, um ungetrennt ewig einig ohne End’« an einem Herzanfall verschied. Ist der Tristan also gefährlich? Ist er etwas »Furchtbares«, wie Wagner an Mathilde Wesendonck schrieb? Kann er »die Leute verrückt machen«? Ich muss 15

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sagen, dass diese Oper einen emotional ungemein heftig packen kann. Auch ich hatte bei Tristan, wie bei Wagner allgemein, Momente, die mich zutiefst verwunderten und ich mich fragte: Was passiert gerade mit mir, in mir? Da muss man als Dirigent noch mehr als sonst versuchen, einen kühlen Kopf zu bewahren und wie ein Kapitän auf See den Durchblick haben, sonst läuft das Schiff unweigerlich auf Grund oder landet in einem Felsenriff. Als Abschluss eine letzte, ganz auf die Wiener Staatsoper zugeschnittene Anmerkung. Als ich vor vielen Jahren Daniel Barenboim bei Tristan und Isolde assistierte, meinte er: »Wenn du einmal in Wien an der Staatsoper bist, geh ins Archiv und schau dir Gustav Mahlers Tristan-Partitur mit seinen persönlichen Eintragungen an!« Nun endlich hatte ich die Gelegenheit dazu. Und es ist tatsächlich ungemein erhellend, wie klug Mahler in die Dynamik der – sicherlich laut und stark instrumentierten – Partitur eingegriffen hat. Viele der Retuschen, die er vornahm, gehören heute zur Tradition; in einzelnen Details erkennt man sehr genau, wie wissend er arbeitete. Wenn man sich zum Beispiel ein Crescendo bei Wagner anschaut, dann ist es zumeist gleichzeitig für alle Instrumente gesetzt. Mahler differenzierte: Er begann bei den Streichern, ließ dann die Holzbläser lauter werden und erst zuletzt das Blech. So ist der Verlauf besser aufgefächert und differenzierter. Dieses Durchblättern seiner Partitur, das Betrachten seiner Arbeitsweise war demnach nicht ein Rückblick in eine vergangene Interpretationswelt, sondern ein denkwürdiges und überaus spannendes, intimes Gespräch mit dem Genie Gustav Mahler.

→ Martina Serafin als Isolde

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EIN TRAUM­ GEDICHT

Regisseur Calixto Bieito im Gespräch


Beginnen wir mit dem Wasser, das unsere Bühne füllt. Wasser bietet so viele Assoziationsmöglichkeiten an – die »ozeanische Weite« versinnbildlicht Perspektiven, zugleich steht das Meer für die Unkon­ trollierbarkeit der Natur, etwas Bedrohliches. In Freuds Traumdeutung ist Wasser häufig mit Fruchtbarkeit konnotiert. Was waren die Gedanken, die Rebecca Ringst und dich zu der Entscheidung gebracht haben, die Bühne zunächst als Wasserfläche zu konzipieren? Niels Bohr sagte, dass »ein Teil der Ewigkeit in Reichweite derer liegt, die in der Lage sind, die schwindelerregende Weite des Meeres zu betrachten, ohne die Augen zu schließen«. Das ist ein sehr schöner Satz, aber Rebecca und ich wollten über das innere Meer sprechen, über das »Unterwasser«, das wir Menschen haben, um auf den Hintergrund der Figuren zu verweisen. Das Wasser auf der Bühne soll helfen, diesen Hintergrund zu denken, und es bietet den Zuschauerinnen und Zuschauern Raum für Assoziationen wie die, die du beschreibst. BIEITO

Richard Wagner sandte eine Beschreibung des Vorspiels zur Oper an Mathilde Wesendonck, in der er vor allem beschreibt, was Tristan und Isolde in ihrem Duett im zweiten Aufzug erleben: Sehnsucht, sich ineinander verlieren, sich ineinander auflösen. Er stellt damit sein Werk als ein Manifest der romantischen Liebe dar, einschließlich ihrer Nähe zur Nacht, zum Tod. Was assoziierst du mit der romantischen Liebesvorstellung? Romantische Liebe hat, wenn wir bis ins Mittelalter zurückgehen, wenig mit dem zu tun, was Wagner entwirft. In meinem Verständnis der romantischen Epoche ist es eine Liebe, die die Menschen, die sie leben, an einen Punkt bringt, an dem der Tod keine Rolle mehr spielt. Außerdem ist es eine Liebe, die ständig von der Entfernung, der Unmöglichkeit und dem Warten genährt wird. Es ist der Widerspruch zwischen sexuellem Begehren und der Moral einer monogamen Gesellschaft, die die Verwirklichung dieser Anziehung verhindert. Denn das hieße: immer weiter, weiter und weiter, bis die Körper im Tod verschmelzen. Der Tod ist Teil dieser Liebe. Es ist eine zärtliche, gewalttätige, wütende, viszerale Liebe, bei der es kein Zurück mehr gibt. Die Mauern müssen niedergerissen werden. BIEITO

Sprechen wir darüber, wo die Liebe herkommt. »Mir erkoren, mir verloren«, sagt Isolde im ersten Aufzug über Tristan. Wenn sie von dieser Art von »Erwähltheit« spricht, kann Schicksal gemeint sein, es kann aber auch ihre eigene, selbstbestimmte Wahl für Tristan bedeuten. Was ist deine Interpretation? Und wie stehst du zur Idee einer schicksalshaften Vorsehung? 19

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Das würde einen langen Vortrag erfordern, aber in meiner Vorstellung ist das Ziel der endgültige Ort, an den wir gelangen werden. Niemand kann mit Sicherheit wissen, was sein oder ihr Schicksal ist. Aber die Frage ist: Inwieweit sind wir Herr über unser Schicksal? Wie beeinflusst unser Schicksal unser Leben, unser Handeln und unser Umfeld? Tristan und Isolde konstruieren bewusst und unbewusst ihre letzte Reise. Der Tod ist Teil ihrer Art zu lieben, er ist ein Akt der Liebe. Es hat in der Geschichte viele, viele Beispiele gegeben, wo Tod und Liebe zusammenkommen und die Angst verschwindet, weil die Liebe so groß ist. Wie viele Paare haben sich aus unterschiedlichen Gründen gewünscht, gemeinsam zu sterben? BIEITO

Die Todesmetaphern sind allerdings so vielschichtig, dass man sich fragt, ob man sie nicht auch anders verstehen könnte. »Welten-entronnen, Welt-entrücken, das Sehnen hin zur ewigen Nacht, wo urewig, einzig wahre Liebeswonne ihm lacht« – wäre es denkbar, die Todesmetaphern als den Wunsch der Liebenden zu verstehen, sich der Welt, der Gesellschaft zu entziehen, um sich nur aufeinander zu konzentrieren? Man könnte das schon so interpretieren, aber ich denke, in Tristan und Isolde sind die Liebe, der Schmerz und die Sehnsucht so groß, dass der Todes- und Liebeswunsch in eins fallen. BIEITO

Gottfried von Straßburgs Versroman Tristan, der Wagner als Vorlage diente, ist voll von Geschichten. Entlang der Erzählungen über Liebe und Betrug erfahren wir viel über die Figuren, über Isoldes Wut, Tristans Listen, Markes Eifersucht. Wagner verwendet die meisten Erzählungen nicht, und er hat für seine Charaktere, wie wir bereits besprochen haben, eine ganz eigene Agenda. Du hast dir wiederum eigene Geschichten, eine eigene Atmosphäre für die Figuren der Oper ausgedacht. Es war für mich sehr interessant, den Roman von Gottfried von Straßburg zu lesen. Aber es sind nicht die mittelalterlichen oder pseudo-mittelalterlichen oder abstrakten Figuren, die mich interessieren. Ich glaube, Wagner nannte seine Opern »Musikdramen oder Gedichte«. Ich denke, wir arbeiten in Richtung eines musikalischen Gedichts. Wo eine kleine Gemeinschaft, verloren im Nebel, in der Nacht, in der Dunkelheit, versucht, weiterzumachen, weiterzumachen, weiterzumachen. Die von Wagner geschaffene Sprache hilft mir, einen Raum des Rätsels zu schaffen, in dem die Figuren träumen, denken und wieder träumen und wir hinter diesen Worten die Sehnsüchte, die Wünsche entdecken können. Ein schönes Traumgedicht. BIEITO

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Ein Traumgedicht – das erinnert an verschiedene Assoziationen aus der bildenden Kunst, vor allem der surrealistischen Kunst, die du bei den Proben öfter angesprochen hast. Ich liebe die letzten Gemälde von Goya und die Filme von Buñuel, den katalanischen Surrealismus. Mit all dem bin ich aufgewachsen. Es bedeutet für mich auch: Kunst ist eine Möglichkeit, Träume auszudrücken, die intimsten Wünsche, das Unbewusste, das Wasser, das in uns allen steckt und in dem alles möglich ist. Kunst. Liebe. Hass. Tod. BIEITO

Noch einmal zu den Figuren in der Oper. Isolde ist wohl der stärkste Charakter – sie revoltiert gegen die Ehe, die für sie vorgesehen ist, sie gibt Tristan nicht auf, fordert ihn auch heraus. Isolde ist eine unheimlich starke Figur, voller Liebe und Wut – fähig, Grenzen zu überschreiten, fähig, sich auf niemanden zu verlassen. Fähig zu vollem Engagement für das, was ihr wichtig ist. Die Energie unserer Premieren-Isolde Martina Serafin hat mich sehr inspiriert. BIEITO

Tristan, der Held, wirkt in der Inszenierung wie ein gebrochener Mann. Woher kommt dieser Zugriff? Bei der Figur, die Andreas Schager gestaltet hat, können wir sogar von einem Antihelden sprechen. Die Helden von heute sind für mich anonym. Tristan ist nicht so stark wie Isolde – er war lange Zeit im Nebel verloren, das ist meine Beschreibung von ihm. Er hat Angst, und das macht ihn zu einem menschlichen Helden. BIEITO

Auch Brangäne und König Marke bekommen in der Inszenierung ihre ganz eigenen Erzählungen. Ich habe zu Ekaterina Gubanova gesagt, sie soll bei Brangäne an Renata denken, aus Sergej Prokofjews Der feurige Engel. Generell hatte ich ein relativ klares Bild von Brangäne: Sie ist eine besondere, eine einzigartige Person, die am Rande der Gemeinschaft lebt. Sie betreut und bewacht den Leuchtturm an der Küste. König Marke wiederum ist eine Figur, deren stabiler und ausgeglichener Boden in Stücke zerbrochen ist. Er ist verloren, obwohl er sich sein ganzes Leben lang sicher gefühlt hatte. Seine Welt ist in tausend Stücke zerbrochen. BIEITO

In deinem Probenraum scheint manchmal eine gewisse Magie zu herrschen. Kannst du den kreativen Prozess beschreiben, den du zusammen mit den Sängerinnen und Sängern beschreitest? 21

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Nein. Ich versuche, mich gut vorzubereiten, wie ein Schwamm zu sein, der alles aufnimmt, und zusammen mit den Sängerinnen und Sängern die kreative Arbeit zu machen. Wenn ich arbeiten will, schreibe ich einfach schlechte Gedichte, male oder mache Installationen. Genau so. Darauf vertraue ich. Während der Proben versuche ich, kreative Großzügigkeit einzubringen und jede Probe ruhig zu erleben, aber zugleich so, als wäre es die letzte. Du siehst, das Geheimnis ist, dass es kein Geheimnis gibt. BIEITO

Von Richard Wagner hast du bis auf das Frühwerk fast alles inszeniert, Der Ring des Nibelungen ist nur noch ausständig, weil das Projekt durch die Corona-Pandemie aufgehalten wurde. Was ist deine persönliche Verbindung zu Wagner? Es ist eine Verbindung, die früh begann, als ich 14 oder 15 Jahre alt war. Mein erster Mentor Adan Kovasics hat mir Wilhelm Furtwänglers Aufnahmen gegeben. Ich hörte sie zusammen mit meinem kleinen Bruder. Wir hörten Wagners Opern und wir spielten Helden, wir kämpften, rannten durch das Haus mit den Papierrüstungen und Helmen, die wir gebastelt hatten. Manchmal spielten wir auch mit den Ritter- und Cowboy-Puppen, die wir hatten, kleine Spiele zu der Musik. Tristan und Isolde liebe ich. Der Text kann ein Märchen sein, wenn man will; aber wie Shakespeare spricht Wagner eindeutig von seiner Zeit und seinem Leben. BIEITO

Das Gespräch führte Nikolaus Stenitzer

→ Folgende Seiten: Andreas Schager als Tristan, Martina Serafin als Isolde

EIN T R AUM­G EDICH T

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Laura Holder → Abschiedsversuch

DU KOMMST UND GEHST IN WELLEN ICH VERSUCH MICH DAGEGEN ZU STELLEN STATTDESSEN TAUCH ICH EIN 23




Nikolaus Stenitzer

HANDLUNG UND DRAMA

Calixto Bieitos Arbeit mit Wagners dramaturgischen Herausforderungen


Eine »Handlung« war entstanden. Am Ende des Kompositionsprozesses war das die Bezeichnung, die Richard Wagner unter den Titel setzte. Wagner, der Gesamtkünstler und begabte Selbstvermarkter, pflegte nichts an seinen Werken beiläufig zu entscheiden, natürlich auch nicht einen solchen Titel. Er drückt aus, was sich vor allem im zweiten Aufzug des Werks zeigt: Wagner hatte hier einen weiteren Schritt in der Entwicklung seiner Dramatik gemacht und eine neue Idee dessen vorgelegt, was eine »Handlung« auf der Bühne sein kann. In Oper und Drama (1850/51) legt Wagner dar, in welchem Sinn er seine Musikdramen als »Kunstwerke der Zukunft« positioniert. In seiner teleologisch-dialektischen Kunstvorstellung ist Sprache aus einer »mütterlichen Urmelodie« entstanden, Lyrik aus Tönen. Lyrik und Musik im Musikdrama zu verbinden wäre eine Rückkehr zu den Wurzeln, allerdings nicht als Programm des Verstandes, sondern als eines des Gefühls: »Wollen wir daher den Ausdruck genau bezeichnen, der als ein einiger auch einen einigen Inhalt ermöglichen würde, so bestimmen wir ihn als einen solchen, der eine umfassendste Absicht des dichterischen Verstandes am entsprechendsten dem Gefühle mitzuteilen vermag. Ein solcher Ausdruck ist nun derjenige, der in jedem seiner Momente die dichterische Absicht in sich schließt, in jedem sie aber auch vor dem Gefühle verbirgt, nämlich – sie verwirklicht.« (Oper und Drama VI). Wichtig ist, dass das »wirkliche Drama«, das Wagner als Musikdrama entwickelt, sich »organisch« im Künstler entwickelt, dabei aber unbedingt in der Vergangenheit wurzelt, die im Künstler den »feinen Lebenssaft« sammelt, aus dem dann der Keim des Zukunftskunstwerks entstehen kann. Das bedeutet zweierlei: Der wahre Künstler – Wagner – hat die Verbindung zu der Vergangenheit, die ihn zum Zukunftskünstler werden lässt. Diese Geschichtsphilosophie mit ihrer notwendigen Verbindung zur »Urmelodie« machte es ihm unmöglich, etwa die Werke Meyerbeers gleichmütig als nicht gelungene oder historisch überholte Kunst zu verwerfen. Meyerbeers »Irrtum« muss »widerwärtig« sein – weil er diese »organischen Wurzeln« nicht aufweist. Was das bedeutet, ist hinlänglich bekannt. Zum Zweiten zeigt sich vor allem in Tristan und Isolde die Herausforderung dessen, was Wagner von sich selbst fordert: »So wird denn das wirkliche Drama durch nichts von außen her mehr beeinflusst, sondern es ist ein organisches Seiendes und Werdendes, welches sich aus seinen inneren Bedingungen an der einzigen, es wiederum bedingenden Berührung mit außen, an der Notwendigkeit des Verständnisses seiner Kundgebung – und zwar seiner Kundgebung als solchen, wie es ist und wird – entwickelt und gestaltet, seine verständliche Gestaltung aber dadurch gewinnt, dass es aus innerstem Bedürfnisse heraus sich den allermöglichenden Ausdruck seines Inhaltes gebiert.« (Oper und Drama VI). Die Anforderung an Tristan und Isolde war, »verständlich« die Verbindung der aus Gottfried von Straßburgs Versroman Tristan stammenden Fabel mit dem Gefühlsausdruck herzustellen, der allerdings auch wiederum 27

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in einem philosophischen Programm begründet war. Denn was Wagner in seiner »Handlung« vermitteln will, ist nicht die spannungsreiche Geschichte von Liebe und Intrige, die Gottfried von Straßburg niedergeschrieben hat, sondern die Idee jener »alles verschlingenden« Liebe, die er aus der Beschäftigung mit Schopenhauer, aber auch aus Einflüssen von Platon bis zum Buddhismus zusammenführt. Tristan und Isolde, die »Handlung«, in der sich Wagner »symphonisch ausraste«, ist an entscheidenden – und lang dauernden – Stellen eine Dramatisierung dieser philosophischen Gedanken. Das Duett zwischen Tristan und Isolde im zweiten Aufzug ist die Schlüsselstelle, deren inhaltlichem Anspruch nach den zu diesem Zeitpunkt gängigen Regeln der Dramenkunst tatsächlich nicht mehr beizukommen war. Darum musste Wagner etwas anderes schaffen – mit entsprechenden Konsequenzen für die szenische Umsetzung. In seinen drei Aufzügen zeigt Tristan und Isolde verschiedene dramatische Gestalten. Vor allem im ersten Aufzug operiert Wagner souverän mit der »äußeren Handlung«. Nach dem Vorspiel beginnt der Aufzug mit Atmosphäre und Spannung: Das Solo des Seemanns ist als archaische Weise codiert, der Sologesang ruft die einsame Szenerie auf See ab. Isoldes Einsatz führt in dramatisch großartiger Weise mitten in das Geschehen wie in den Charakter hinein: Die Prinzessin ist wütend, fühlt sich verspottet, flucht über ihr Schicksal. In Wagners komplexer, nach der »Urmelodie« greifenden Sprache finden sich sofort Versatzstücke von Isoldes Geschichte und zugleich Charakterisierungen der Figur an dieser bestimmten Stelle ihrer Biographie: Entartet Geschlecht! Unwert der Ahnen! Wohin, Mutter, vergabst du die Macht, über Meer und Sturm zu gebieten? O zahme Kunst der Zauberin, die nur Balsamtränke noch braut! Erwache mir wieder, kühne Gewalt; herauf aus dem Busen, wo du dich bargst! Isolde flucht über das, was sie als Verfall beschreibt – Machtverlust, in diesem Fall Verlust magischer Macht. Wenig später wird sie auch die machtpolitische Brisanz ihrer Lage beschreiben: Sie, Irlands Erbin, wird an den »zinspflichtigen Kornenfürsten« verheiratet, der außerdem als »müder König« beschrieben wird – ein interessantes Detail, weil Marke dadurch, lange bevor er auftritt, als unattraktiv für Isolde charakterisiert ist. N IKOLAUS ST EN ITZER

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Die irische Prinzessin ist also schnell in Worte und Töne gefasst. Mit ihrer hartnäckigen Forderung, Tristan zu sehen, baut Wagner Spannung auf. Außerdem stellen sich in der Auseinandersetzung weitere wichtige Partien vor: Brangäne, die sich um »ihre Frau« sorgt, aber mit einem gewissen Unverständnis für Isoldes Probleme auch zu erkennen gibt, dass durchaus nicht alle gesellschaftlichen Übereinkünfte außer Kraft sind – aus ihrer Sicht ist die Hochzeit mit Marke ein Gewinn und Tristan, dem Isolde Feigheit vorwirft, ein »Held ohne Gleiche«. Als solcher wird er auch von Kurwenal und der versammelten Mannschaft mit dem »Heldenmotiv« gefeiert, das zugleich ein Spottlied auf den besiegten Morold, Isoldes Verlobten – und damit auch auf sie – ist. Damit ist auch Kurwenal zumindest kurz eingeführt, als selbstbewusster Sieger, der Isolde zur Untertanin erklärt und damit auch die Zeitenwende zwischen Irland, der bisherigen Kolonialmacht, und dem aufständischen Kornwall repräsentiert. Und der Held selbst? Der gibt sich zurückhaltend und schlägt die Einladung zum Gespräch wie auch den Befehl zu demselben mehrfach aus; seine Zurückhaltung steht in direkter Verbindung zu Isoldes Drängen, das ist kaum zu übersehen. Die Auflösung wiederum kommt in Form einer gewissen Referenz auf Gottfried von Straßburgs Versroman Tristan; dies im weiteren Sinne, denn Wagner greift auch hier sinnverändernd ein. Nichtsdestoweniger ist die Rückblende, in der Isolde ihre erste Begegnung mit Tristan beschreibt, eine längere Erzählung, mit der Wagner die Vorgeschichte seines Werks gekonnt in die Handlung integriert. Der Unterschied ist die Liebesmetaphysik, die Wagner hinzufügt: Isolde wusste alles, doch tötete sie Tristan nicht wie geplant, denn »er sah mir in die Augen« – aus Mitleid verschont sie ihn, und doch hat sie bereits verraten, dass Tristan ihr »erkoren« gewesen sei, dass sie die Begegnung also für schicksalshaft hält. Damit ist auch ihre Wut erklärt: Nicht Standesdünkel, sondern Tristans vermeintlicher Liebesbetrug macht Isolde so rastlos und lässt Tristan auf der anderen Seite so hilflos erscheinen. Hier hat Wagner einen entscheidenden Unterschied zu Gottfrieds Tristan gesetzt: Dort wird ständig und leichtfertig zum eigenen Vorteil gelogen und intrigiert, auch zugunsten der Liebesaffäre zwischen Tristan und Isolde, die dort umstandslos und deutlich als sexuelle Beziehung beschrieben wird. Wagners Programm unterscheidet sich stark von anderen Bearbeitungen des Stoffes. Der Liebestrank ist für ihn die Folie, auf der er seinen Liebesbegriff entwerfen kann. Und dieser Entwurf, diese Philosophie kann nicht im Zwiegespräch entstehen, und auch nicht in szenischen Vorgängen. Im zweiten Aufzug steht die äußere Handlung mit Tristans Eintreten darum beinahe völlig still, die innere dringt in den Vordergrund. Nicht dialogisch zwischen den Figuren entwickle sich die Handlung, so Carl Dahlhaus, sondern »in ihnen, als gemeinsamer innerer Vorgang«. 29

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Ein »gemeinsamer innerer Vorgang« als »Handlung« ist nicht nur auf dem Papier ein dramaturgischer Parforceritt. Die beiden Hauptfiguren lösen sich im Aufeinandertreffen buchstäblich ineinander auf; noch ehe beide – nicht unisono, aber übereinstimmend – über die Zumutungen des Tages als Gegenbild zur »ewigen Liebesnacht« zu klagen beginnen, verschmelzen sie buchstäblich in ihrem Wechselgesang, dessen ekstatische Ausrufe letztlich austauschbar sind. Dass in einer der ersten Proben zur Wiener Neuproduktion im Frühjahr 2022 an dieser Stelle Tristan-Interpret Andreas Schager unwillkürlich und ohne es gleich zu merken Isoldes Stimme zu singen begann, fehlerfrei, wenn auch oktaviert, hätte den Autor und Komponisten wahrscheinlich begeistert. Wagner wollte hier ja gerade die innere Handlung als völlige symbiotische Vereinigung zweier Menschen komponiert haben. Unabhängig von der Anekdote: Das Duett im 2. Aufzug ist geeignet, »post­dramatische« Phantasien für das Musiktheater zu wecken. Die lange, entscheidende Szene, in der nicht Dialog und szenisches Geschehen, aber auch nicht etwa in einer Musiknummer »eingefrorene« Handlung, sondern gesungene Symbiose das Geschehen darstellt, könnte etwa Assoziationen zu Jean-François Lyotards Idee eines »energetischen Theaters« wecken, das ein Theater der »Kräfte, Intensitäten, Affekte in ihrer Präsenz« sein sollte, unterschieden von einem Theater der Bedeutung. Die Auflösung Tristans und Isoldes ineinander könnte so weitergedacht werden: Wenn der Autor und Komponist eine »Handlung« hinterlassen hat, in der ein wichtiger Teil das Ineinander-Aufgehen der beiden Hauptfiguren nachvollziehbar machen will – wäre es dann nicht vielleicht denkbar, die Charaktere auch gesanglich entsprechend aufzulösen? Die Stimmen auszuwechseln, zu transponieren, um sie neu aufzuteilen, vielleicht auch auf mehr als zwei Sängerinnen und Sänger? Tristan und Isolde gesungen von einem ganzen Chor von »Nachtgestalten«? Eine Inszenierung, die sich die Interpretation des Musikdramas vorgenommen hat, wie es in der Partitur steht, muss andere Lösungen für die schwierigste Stelle in der »Handlung« finden. Mit anderen Worten: Szenische Lösungen für ein Duett von vierzig Minuten, das aus einer zum Tode tendierenden Liebesphilosophie besteht. Calixto Bieito nimmt für seine Inszenierungen gerne visuelles Material zu Hilfe, das er zusammen mit seiner Bühnenbildnerin Rebecca Ringst sammelt: Bildende Kunst, Fotografie, Film. Als Anstoß, Bilder, aus denen weitere und andere Bilder entstehen sollen. Diese Bilder ergeben auf der Bühne abstrakte Formen, aber auch ganz konkrete Assoziationsmöglichkeiten. Die Wasserfläche auf der Tristan-Bühne etwa hat Bieito als »inneres Meer« seiner Figuren bezeichnet, als Symbolfläche für die Möglichkeiten und Transformationen der Psyche. Gleichzeitig spricht er aber auch von einer ganz konkreten Szenerie: Einer Gesellschaft an der Küste, am Meer, im Nebel. Vor allem die BrangäneFigur ruft diese Assoziationen ab. Lars von Triers früher Film Breaking the WaN IKOLAUS ST EN ITZER

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ves war hier ein Einfluss – auf atmosphärischer, nicht auf inhaltlicher Ebene. Und die Figuren haben Geschichten, Familien, Ehen, die scheitern oder gescheitert sind, Hindernisse für den Wunsch, zusammensein zu können. Bieito legt sich hier nicht immer fest und schätzt die Möglichkeit, den Zuschauerinnen und Zuschauern selbst Möglichkeiten der Interpretation zu lassen. Im Duett des zweiten Aufzuges, der potenziell »postdramatischen« Stelle, hat Bieito dramatische Lösungen gefunden. Sie stammen aus dem Material, das die Stelle anbietet – und letztlich sogar aus dem Umstand, der Tristan und Isolde in den Schranken der (Musik-)Dramatik hält. Die Stimmen der beiden Nachtgestalten können einander abwechseln, können sich überlagern, können das »und« in »Tristan und Isolde« beschwören: Sie bleiben zwei Stimmen, getrennt, solange sie am Leben bleiben. Diese Trennung und die Verzweiflung daran inszeniert Calixto Bieito in Rebecca Ringsts Raumbühne. Die beiden Räume, die sie trennen, tragen Spuren einer Vergangenheit oder Gegenwart, die beseitigt werden müssen; aber auch diese Veränderung reicht nicht, die Räume müssen überwunden werden. Diese Überwindung kann aber nur den Tod bedeuten, daran lässt auch Wagners Partitur keinen Zweifel. »Tristan ich, du Isolde« und umgekehrt ist keine Möglichkeit der polyidentitären Auflösung im freien Diskursraum, sondern eine Jenseitsphantasie. Eine Phantasie, die sich bekanntlich nicht gleich einlöst, nicht umsonst bleibt es beim Konjunktiv »So stürben wir, um ungetrennt…« – zunächst ist es nur Tristan, der dem Tod nahekommt. Die Trennung muss fortbestehen. Auch das inszeniert Calixto Bieito. Die »Handlung« besteht an dieser Stelle aus Fäden zwischen den Protagonisten, die sie zueinander hin und voneinander fortführen. Das funktioniert als Abstraktion ebenso wie als konkretes »Handeln« durch und zwischen Personen. Im Wasser, durch das die Figuren von Calixto Bieitos Tristan und Isolde waten, spiegelt sich beides.

→ Folgende Seiten: Daniel Jenz als Hirt, Andreas Schager als Tristan, Iain Paterson als Kurwenal, Komparserie der Wiener Staatsoper

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Andreas Dorschel

RADIKALE EROTIK

Ein Akt der Gewalt ist es, aus dem heraus Richard Wagner die Geschichte der Liebe Tristans und Isoldes entfaltet: Tristan ist der Mörder von Isoldes Verlobtem, Morold. In der Folge gerät Tristan in Isoldes Hände; sie könnte Morold rächen. Doch: »er« – Tristan – »sah mir in die Augen. / Seines Elendes / jammerte mich« (I.3). Der, dessen Elend einen jammert, ist Gegenstand von Mitleid. Arthur Schopenhauer, dessen Hauptwerk Wagner zur Zeit der Arbeit an Tristan und Isolde begeistert wiederlas, sagt: »Alle wahre und reine Liebe ist Mitleid, und jede Liebe, die nicht Mitleid ist, ist Selbstsucht.« (Die Welt als Wille und Vorstellung I.4) Doch an der Stelle, an der Isolde von Tristans Blick spricht, weiß Wagners Musik es besser als Schopenhauer und besser auch als das, was sein eigenes Wort des Jammers nahelegt: Sie ist Musik nicht des Mitgefühls, sondern eines verzückten Sehnens. Denn es ist nicht wahr, dass musikalischer Ausdruck stets vage oder dass er bloß Sache subjektiven Empfindens sei. Gerade Wagners Musik ist, wie hier auf dem Wort »Augen«, eindeutig, wo sie eindeutig sein will, und zweideutig nur da, wo sie zweideutig sein soll. A N DR EAS DORSCHEL

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Liebe und Tod Kraft seines Ausdrucks ist Tristan und Isolde das Werk einer radikalen Erotik. In seiner Radikalität kommt dem Drama Wagners unter den Werken des europäischen Theaters aus vier Jahrhunderten keines gleich. An Macht der Wirkung mag ihm allerdings eines gleichkommen, vielleicht es übertreffen: Romeo and Juliet von Shakespeare. Die Liebe Romeos und Julias scheitert an äußeren Widerständen; sie treibt der Streit der Capulets mit den Monta­ gues und ein fatales Missverständnis in den Tod. Denkt man beides hinweg, könnte ihre Liebe in Verona blühen. Die Politik, die Marke und Melot treiben und an der sich einst auch Tristan beteiligte, ist hingegen für Tristans und Isoldes Liebe nur ein äußerer Umstand. Ihre Liebe bezeichnet ein innerer Widerspruch, und ob sie an ihm scheitert oder sich vielmehr erfüllt, liegt in jenem Zwielicht, das entsteht, wo der Tag auf die Nacht trifft. Denn in innerem Widerspruch steht Tristans und Isoldes Liebe, weil und solange sie noch sowohl der Welt des Tages als auch der Welt der Nacht angehören. Einzig von diesem inneren Widerspruch her ist zu verstehen, weshalb das Drama, dessen vorletzter Vers aus dem einen Wort »unbewußt« (III.3) besteht und das im sogenannten Liebesduett das »Vergessen« (II.2) feiert, seine Protagonisten durch alle Tiefen und Untiefen bewussten Erkennens und schmerzvollen Erinnerns führt. Liebe, die an äußeren Widerständen scheitert, kann rühren und berühren; radikal aber ist ein poetisches Verfahren, das Liebe in dieser Weise dar­stellt, nicht. Denn so dürfte nur heißen, was aus der Wurzel, lateinisch radix, kommt und an die Wurzel geht. Von der Erotik des Tristan gilt beides. Sie steigt aus der Wurzel der Existenz des Individuums auf und greift diese zugleich an. Der erotische Drang verzehrt sich selbst, »da«, wie der Komponist in seiner Erläuterung des Tristan-Vorspiels formulierte, »jedes Erreichen nur wieder neues Sehnen ist«. Dieser Satz Wagners entspringt der Metaphysik, nicht der Psychologie. Wenn Liebe, ihrem inneren Anspruch nach, unbedingt sein soll und grenzenlos, dann vermag sie sich nicht in einem endlichen Leben, etwa in einer Ehe, zu erfüllen – und dies verweist sie aufs Sterben. Dass radikale Erotik in den Tod treibt, wird aber in der Tristan-Dichtung nicht vorausgesetzt, sondern auf einem an Windungen reichen Weg zu Bewusstsein gebracht, nicht zuletzt gegen Isoldes bohrenden Zweifel, ein Tod aus Liebe werde womöglich auch der Tod der Liebe sein (II.2). So fragt sie in jener dialektischen Argumentation, mit der Wagner, gegen alle Üblichkeiten des Musiktheaters, das sogenannte Liebesduett des zweiten Aufzugs unterbricht. Isoldes Zweifel verstummen, sei es vor Tristans Antwort auf sie oder im Gewahrwerden dessen, dass Liebe allen Gründen und Gegengründen entzogen bleibt. Am Ende führt im Tristan kein Weg daran vorbei, dass der Drang zur Auflösung nicht den Gegenpol zur Liebe darstellt, sondern ihren eigenen 35

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Kern. Dies empfand auch Wagner selbst als so ungeheuerlich, dass er sich nach Tristan, dieser Absage an die Gemeinschaft der Menschen zugunsten je eines einzigen Menschen, in seinem weiteren Œuvre erst wieder mit der Frage auseinandersetzen musste, wie ein Zusammenleben noch zu denken sei. Die beiden Formen, menschliche Gemeinschaft zu denken, heißen in Europa seit der Antike Politik und Ethik. Die Meistersinger von Nürnberg sind Wagners Politik, der Entwurf einer Ordnung zwischen Streit und Frieden in der polis, der Stadt Nürnberg. Am Ende steht Wagners Ethik, eine solche des Mitleids, im Parsifal. Beide Werke sind reich an Bezügen zum Tristan: Sie können dessen Radikalität nicht ignorieren, eben weil sie, weil insbesondere Hans Sachs und Parsifal, ihr entgehen müssen.

Lust und Schmerz Der radikalen Erotik entgehen zu wollen, ist auch dem Drama von Tristan und Isolde nicht fremd – es ist vielmehr das Thema des ersten Aufzugs. Die Grundfigur ist hier die des (in der fünften Szene von Isolde ausdrücklich so bezeichneten) Ausweichens: eines Ausweichens vor sich selbst, eines Ausweichens vor dem oder der anderen. Eben darum lässt Wagner diesen Aufzug auf einem Schiff spielen. In einer begrenzten Welt, die von Wasser umgeben ist, steht Menschen die Flucht vor einander, in die vier Himmelsrichtungen, nicht mehr frei. Zugleich liegen diese, auf dem Weg von West nach Ost, offen vor dem Blick. Und mit Schauen beginnt, was sich im Tristan als »Handlung« entfalten soll. Lyrisch hebt das Drama an, und fast ein wenig einfältig – so scheint es. »[A]us der Höhe, wie vom Mast her, vernehmbar« erklingt, ohne orchestrale Begleitung, das Lied eines jungen Seemannes: Westwärts schweift der Blick; ostwärts streicht das Schiff. Frisch weht der Wind der Heimat zu: mein irisch Kind, wo weilest du? Sind’s deiner Seufzer Wehen, die mir die Segel blähen? Wehe, wehe, du Wind! Weh, ach wehe, mein Kind! Irische Maid, du wilde, minnige Maid! (I.1) A N DR EAS DORSCHEL

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Das Lied wirkt, wie die Weise des Hirten im dritten Aufzug, naiv und ist doch subtil. T. S. Eliot wusste, warum er im Waste Land (1922) aus diesen Versen zitierte. Der Dichter folgt hier der Maxime des Wagner-Bewunderers Baudelaire, gerade dem scheinbar Beiläufigen, am Rand Stehenden (Wagners junger Seemann erscheint nie auf der Bühne) besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Was sich so harmlos ausnimmt, lotet in Wahrheit bereits in die Tiefe des Dramas. Das Schiff segelt ostwärts, der englischen Küste zu, vor dem Ostwind kreuzend, der nach Irland weht, wo der junge Seemann seine Geliebte zurückließ, und wohin er den sehnsüchtigen Blick schweifen lässt. Den Blick leitet das Gefühl, das Schiff ist ein Ding: Diese, Gefühl und Ding, haben die entgegengesetzte Richtung genommen. Und nun tritt eine Phantasie ein, eine Männerphantasie, wenn man so will: Sollten es nicht vielleicht ihre Seufzer sein, die ihm die Segel schwellen? In diesem Phantasieren ruft der junge Seemann dem Wind zu, tüchtig zu wehen, um darin den Hauch der Geliebten zu spüren. Doch wie alle Männerphantasien ist auch diese Vorstellung ein Widersinn. Im selben Augenblick fällt dem jungen Mann ein, dass er sich damit ja nur immer weiter von ihr entfernt, und sein »Wehe, wehe, du Wind!« schlägt in den gleichlautenden Klageruf »Wehe […]!« um, den er der immer weiter hinter ihm zurückbleibenden irischen »Maid« zusendet. In diesem Doppelsinn des Wortes »Wehe« ist bereits die Paradoxie der Liebe bezeichnet, welche Lust mit Leid, Beisammensein mit Trennung, schließlich Leben mit Tod zu unauflöslicher Einheit verschlingt. Und Isoldes Missverständnis, die letzten Worte des Liedes »Irische Maid, / du wilde, minnige Maid!« auf sich zu beziehen, ist in einem tieferen Sinne im Recht, weil sich gerade an ihr der innere Widerspruch der Liebe vollziehen wird. Zu Beginn der zweiten Szene des ersten Aufzugs ist das Lied des Seemanns noch einmal zu hören, doch ohne die letzten beiden Verse, sodass nun das »Weh, ach wehe, mein Kind!« direkt als Hinweis auf Isoldes Schmerz erscheint. In wenigen Versen durchmisst das Lied des jungen Seemannes eine Bewegung von außen, dem über den Horizont wandernden Blick, nach innen, zum »Wehe«, dem tief gefühlten Schmerz. Was die Erotik von Wagners Tristan radikal macht, wird im weiteren Verlauf des Dramas der Umstand werden, dass durch sie ihre Subjekte, um eine Wendung Friedrich Rückerts dem eigenen Kontext zu entreißen, »der Welt abhanden kommen«. Alles, was der Gesellschaft, der sie nurmehr scheinbar zugehören, als bedeutsam gilt, vergessen Tristan und Isolde, nachdem sie den Liebestrank genommen haben. Dieser ist freilich nicht die Ursache ihrer Liebe und insofern auch nicht, als Liebestrank, die Ursache ihres Vergessens der sozialen Konventionen. Denn Tristan und Isolde liebten einander schon vorher, seit ihrer Begegnung in Irland. Nicht als Liebesdroge wird der Trank bedeutsam, sondern einzig, weil Isolde und Tristan ihn für den Todestrank halten, und also, in der Überzeugung zu sterben, ihre Liebe, von der sie zuvor schweigen mussten, einander nun wechselseitig gestehen. 37

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Nacht und Tag Die Aussicht auf den Tod beraubt die Gepflogenheit ihrer Macht, und zwar in eigentümlicher Weise: Tristan fragt, nachdem er den Trank genommen hat, was ihm von seiner Ehre geträumt habe, worauf Isolde mit der Frage antwortet, was ihr von ihrer Schmach geträumt habe (I.5). Nicht die Nacht, sondern der Tag, welcher der Welt gehört, wird zur Sphäre eines täuschenden Traumes. Der Sinn der Jagdmusik zu Beginn des zweiten Aufzuges liegt auch darin, dass Tristan und Isolde umzingelt sind von Beziehungen zu anderen, von allgemein gesellschaftlichen Beziehungen ebenso wie von persönlichen, denen aber ihre Liebe jede Wirklichkeit abspricht zugunsten dessen, was für sie einzig noch bedeutsam ist: Tristan für Isolde, Isolde für Tristan. Darum nimmt Isolde die Jagdklänge so wenig wahr wie die warnenden Rufe Brangänes. Die Vorhaltungen Markes werden von Tristan nicht etwa in den Wind geschlagen – sie erreichen ihn gar nicht. In ihrer Nacht sind Tristan und Isolde jenseits von Gut und Böse, jenseits auch des Heiligen und des Profanen. Ihr Drama, das im christlichen Mittelalter spielt, ist unter Wagners Dichtungen die einzige, in der das Wort »Gott« nicht vorkommt. Und doch erhebt sich auch die atheistische Vision dieses Dramas, in Tristans und Isoldes Nachtgesang, zu einem Gebet: O sink hernieder, Nacht der Liebe, gib Vergessen, dass ich lebe; nimm mich auf in deinen Schoß, löse von der Welt mich los! (II.2) Wo das Vaterunser von Gott erbittet, uns vom Bösen zu erlösen (Matth. 6.13), begehren Tristan und Isolde von der »Nacht der Liebe« die Erlösung von der Welt. Zu dieser Erlösung gelangen heißt nichts anderes als: die Welt zu einem Phantom herabsetzen. Was für Marke, Brangäne, Melot, Kurwenal die Wirklichkeit ausmacht, nimmt sich für Tristan und Isolde als bloßer Schein aus. Am radikalsten vollzieht dies der dritte Aufzug: Kaum ein Wort sprechen Tristan und Isolde hier, das den anderen deutlich würde. Sie reden nur mehr vom Innersten; das Äußere, das ihre Worte zu bezeichnen scheinen, Tristans Rede von der »Weltennacht« etwa, oder Isoldes Schwärmen von »Duftwolken« und vom »Wonnemeer«, sind bloße Gleichnisse des Innersten. Dieses Verhältnis, scheinbar nur den Inhalt des Dramas betreffend, wird an diesem durchgängig Form. Nie war eine Bühnenhandlung derart in den A N DR EAS DORSCHEL

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Seelenraum der ohnehin kaum mehr Handelnden hineingezogen wie in Wagners Tristan und Isolde. Die äußere Handlung zieht der Autor zu Vorgängen zusammen, die in wenigen Worten wiedergegeben werden können. So verdichtend, schafft er der reichen inneren Handlung, als der eigentlichen, Raum. Deren Ausgreifen kehrt das Verhältnis beider, herkömmlicher Theaterdramaturgie gegenüber, nahezu um. Die innere Handlung unterbricht nicht die Aktion; vielmehr erscheint die Aktion, in jäher Entladung am Szenenschluss oder Ende eines Aufzugs, als kurzer Einschlag in den ausgedehnten Bewusstseinsstrom. Auf diese Weise treten subjektive und objektive Zeit, durchaus ungleich gewichtet, einander gegenüber. Allerdings ist auch die subjektive Zeit des individuellen Bewusstseins endlich und damit ungenügend vor dem Anspruch einer Liebe, die grenzenlos sein will. Und diese Einsicht führt auf die radikalste Konsequenz der radikalen Erotik von Tristan und Isolde.

Zwei und Eins Zwei Einsichten fordert Wagner in Tristan und Isolde seinen Protagonisten ab. Die »Welt«, der die Liebenden in ihrer Innerlichkeit abhanden kommen, ist vor allem ein Sammelsurium äußerlicher Dinge: Schiffe, Burgen, Türme, Waffen und Unzähliges mehr, das nützlich ist zu vielerlei, vor allem zum Erhalt der eigenen Macht und zum Gewinn von noch mehr Macht. Ruhm und Ehre gereichen solcher Macht zur Dekoration. »[D]er Liebe nur zu leben« (I.2) hingegen bedeutet – dies ist die erste Stufe des aufgegebenen Pensums –, dass einem an solchen Zielen nicht mehr liegt. Denn dem Liebenden, der Liebenden liegt einzig an der Geliebten, dem Geliebten – und damit sinken jene Zwecke und folglich ihre dinglichen Mittel in die Belanglosigkeit. Schon dies mag radikal sein, doch die Erotik des Tristan ist radikaler. Denn sie »stört« – Tristan selbst verwendet dies Wort (II.2) – sich nicht allein daran, dass sich ihr die Dinge als mehrere zumuten, sondern selbst noch an der Mehrzahl, der bloßen Zweizahl, die doch ihre absolute Bedingung zu sein scheint: Tristan und Isolde. Damit ist die andere Seite der metaphysischen Lektion des Dramas bezeichnet. Dass sie, Tristan und Isolde, diese beiden Individuen sind, gilt ihrer radikalen Liebe als Hindernis. Dieser zweite Gedanke befremdet weit stärker als der erste. Denn durch ihn wird, in den Worten von John Deathridge, Wagners Tristan und Isolde zur »love story to end all love stories«. Wenn Liebe eine Beziehung darstellt, wie alle Welt glaubt und sagt, dann ist eine Liebe, in der nicht mehr ein Individuum einem anderen Individuum gegenübersteht, schlechtweg nichts. Gelten aber die Maßstäbe der Welt nicht mehr, wie für Tristan und Isolde, dann ist eine solche Liebe – alles. Und so begehren sie, eins zu werden. Aus diesem Begehren ergibt sich die Handlung des Dramas, vom ersten über den zweiten zum dritten Aufzug: Denn zunächst sind Tristan und Isolde dies nicht, eins; sie tasten sich an die 39

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Einsicht heran, dass sie es sein müssten; sie kommen diesem Zustand nahe; sie werden wieder aus ihm herausgeschleudert, doch ohne die gewonnene Einsicht zu verlieren; sie erreichen jenen Zustand endlich in der Weise einer »Verklärung«, in der mit allen anderen Differenzen auch die Differenz zwischen Realität und Phantasmagorie untergeht. Der Wortlaut, in den Wagner diese »Verklärung« fasst, ersetzt darum am Ende auch Verben der ersten Person durch Infinitive, die, grammatisch gesprochen, das System der Personalpronomina, metaphysisch gesagt, das principium individuationis suspendieren: »ertrinken, / versinken« (III.3). »Mild und leise«: dieser Schluss gerät zu einer Lyrik ohne lyrisches Ich, und doch zu Lyrik, wie der Anfang, das Lied des jungen Seemanns, es war. In unauffälliger, weit ausholender Anspielung auf dessen Rede vom Wehen heißt es nun vom ganzen All, dass es »wehe«. Der zweite Sinn, den dieses Wort zu Beginn hatte: der des Schmerzes, ist hier jedoch gewichen, so wie Wagner dann den Schlussakkord ohne das Englischhorn, das Instrument der »traurigen Weise« des dritten Aufzugs, setzt. In dem wogenden Schwall, in dem tönenden Schall, in des Welt-Atems wehendem All –, ertrinken, versinken –, unbewußt –, höchste Lust! (III.3) Der Blick vom Mastbaum über die irische See, zu Anfang, hat sich nun zum Kosmos geweitet. Aber es handelt sich nicht um das sichtbare Firmament, ja überhaupt nicht um Sichtbares. Die beiden Perspektiven, von denen zuvor die Rede war, die weltliche und die weltlose, Tag und Nacht, treten am Ende des Dramas als die des Auges und die des Ohrs auseinander. Auf der Bühne sehen wir zwei tote Körper, die auf einander liegen: »Isolde sinkt, wie verklärt, in Brangänes Armen, sanft auf Tristans Leiche.« (III.3) Das aber ist, in der Sprache der Metaphysik, bloßer Schein. Das Wesen bleibt »dem tönenden Schall« vorbehalten. Einheit, nicht mehr Zweiheit, kündet die Musik in ihrem letzten Akkord.

→ Andreas Schager als Tristan, Ekaterina Gubanova als Brangäne

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Platon

DER URSPRUNG DER LIEBE Aus Symposion (Das Gastmahl)

Allerdings, habe also Aristophanes gesagt, habe ich im Sinne, ganz anders zu reden, als ihr beide, du und Pausanias, gesprochen habt. Denn mir scheinen die Menschen durchaus der wahren Kraft des Eros nicht innegeworden zu sein. Denn wären sie es: so würden sie ihm die herrlichsten Heiligtümer und Altäre errichten und die größten Opfer bereiten, und es würde nicht wie jetzt gar nichts dergleichen für ihn geschehen, dem es doch ganz vorzüglich geschehen sollte. Denn er ist der menschenfreundlichste unter den Göttern, da er der Menschen Beistand und Arzt ist in demjenigen, aus dessen Heilung die größte Glückseligkeit für das menschliche Geschlecht erwachsen würde. Ich also will versuchen, euch seine Kraft zu erklären, und ihr sollt dann die Lehrer der übrigen sein. Zuerst aber müsst ihr die menschliche Natur und deren Begegnisse recht kennenlernen. Nämlich unsere ehemalige Natur war nicht dieselbe wie jetzt, sondern eine ganz andere. Denn erstlich gab es drei Geschlechter von Menschen, nicht wie jetzt nur zwei, männliches und weibliches, sondern es gab noch ein drittes dazu, welches das gemeinschaftliche war von diesen beiden, dessen Name auch noch übrig ist, es selbst aber ist verschwunden. Mannweiblich nämlich war damals das eine, Gestalt und Benennung zusammengesetzt aus jenen beiden, PLATON

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dem männlichen und weiblichen, jetzt aber ist es nur noch ein Name, der zum Schimpf gebraucht wird. Ferner war die ganze Gestalt eines jeden Menschen rund, so dass Rücken und Brust im Kreise herumgingen. Und vier Hände hatte jeder und Schenkel ebensoviel wie Hände, und zwei Ange­sichter auf einem kreisrunden Halse einander genau ähnlich, und einen gemeinschaftlichen Kopf für beide einander gegenüberstehende Angesichter, und vier Ohren, auch zweifache Schamteile, und alles übrige wie es sich hieraus ein jeder weiter ausdenken kann. Er ging aber nicht nur aufrecht wie jetzt, nach welcher Seite er wollte, sondern auch, wenn er schnell wohin strebte, so konnte er, wie die Radschlagenden jetzt noch, indem sie die Beine gerade im Kreise herumdrehen, das Rad schlagen, ebenso auf seine acht Gliedmaßen gestützt sich sehr schnell im Kreise fortbewegen. Diese drei Geschlechter gab es aber deshalb, weil das männliche ursprünglich der Sonne Ausgeburt war und das weibliche der Erde, das an beidem teilhabende aber des Mondes, der ja auch selbst an beiden teilhat. Und kreisförmig waren sie selbst und ihr Gang, um ihren Erzeugern ähnlich zu sein. An Kraft und Stärke nun waren sie gewaltig und hatten auch große Gedanken, und was Homeros von Ephialtes und Otos sagt, das ist von ihnen zu verstehen, dass sie sich einen Zugang zum Himmel bahnen wollten, um die Götter anzugreifen. Zeus also und die anderen Götter ratschlagten, was sie ihnen tun sollten, und wussten nicht, was. Denn es war weder tunlich, sie zu töten und, wie die Giganten sie niederdonnernd, das ganze Ge­schlecht wegzuschaffen, denn so wären ihnen auch die Ehrenbe­zeugungen und die Opfer der Menschen mit weggeschafft wor­den, noch konnten sie sie weiter freveln lassen. Mit Mühe endlich hatte sich Zeus etwas ersonnen und sagte: Ich glaube nun ein Mittel zu haben, wie es noch weiter Menschen geben kann und sie doch aufhören müssen mit ihrer Ausgelassenheit, wenn sie nämlich schwächer geworden sind. Denn jetzt, sprach er, will ich sie jeden in zwei Hälften zerschneiden, so werden sie schwächer sein und doch zugleich uns nützlicher, weil ihrer mehr geworden sind, und aufrecht sollen sie gehen auf zwei Beinen. Sollte ich aber merken, dass sie noch weiter freveln und nicht Ruhe halten wollen, so will ich sie, sprach er, noch einmal zerschneiden, und sie mögen dann auf einem Beine fortkommen wie Kreisel. Dies gesagt, zerschnitt er die Menschen in zwei Hälften, wie wenn man Früchte zerschneidet, um sie einzumachen, oder wenn sie Eier mit Haaren zerschneiden. Sobald er aber einen zerschnitten hatte, befahl er dem Apollon, ihm das Gesicht und den halben Hals herumzudrehen nach dem Schnitte hin, damit der Mensch, seine Zerschnittenheit vor Augen habend, sittsamer würde, und das übrige befahl er ihm auch zu heilen. Dieser also drehte ihm das Gesicht herum; zog ihm die Haut von allen Seiten über das, was wir jetzt den Bauch nennen, herüber, und wie wenn man einen Beutel zusammenzieht, fasste er es in eine Mündung zusammen und band sie mitten auf dem Bauche ab, was wir jetzt den Nabel nennen. Die 43

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übrigen Runzeln glättete er meistenteils aus und fügte die Brust einpassend zusammen, mit einem solchen Werkzeuge, wie womit die Schuster über dem Leisten die Falten aus dem Leder ausglätten, und nur wenige ließ er stehen um den Bauch und Nabel, zum Denkzeichen des alten Unfalls. Nachdem nun die Gestalt entzweigeschnitten war, sehnte sich jedes nach seiner anderen Hälfte, und so kamen sie zusammen, umfassten sich mit den Armen und schlangen sich ineinander, und über dem Begehren zusammenzuwachsen starben sie aus Hunger und sonstiger Fahrlässigkeit, weil sie nichts getrennt voneinander tun wollten. War nun die eine Hälfte tot und die andere blieb übrig, so suchte sich die übriggebliebene eine andere und umschlang sie, mochte sie nun auf die Hälfte einer ehemaligen ganzen Frau treffen, was wir jetzt eine Frau nennen, oder auf die eines Mannes, und so kamen sie um. Da er­barmte sich Zeus und gab ihnen ein anderes Mittel an die Hand, indem er ihnen die Schamteile nach vorne verlegte, denn vorher trugen sie auch diese nach außen und erzeugten nicht eines in dem andern, sondern in die Erde wie die Zikaden. Nun aber verlegte er sie ihnen nach vorne und bewirkte vermittels ihrer das Erzeugen ineinander, in dem Weiblichen durch das Männliche, deshalb, damit in der Umarmung, wenn der Mann eine Frau träfe, sie zugleich erzeugten und Nachkommenschaft entstände, wenn aber ein Mann den andern, sie doch eine Befriedigung hät­ten durch ihr Zusammensein und erquickt sich zu ihren Geschäf­ten wenden und, was sonst zum Leben gehört, besorgen könnten. Von so langem her also ist die Liebe zueinander den Menschen angeboren, um die ursprüngliche Natur wiederherzustellen, und versucht aus zweien eins zu machen und die menschliche Natur zu heilen.

→ Folgende Seiten: Ekaterina Gubanova als Brangäne, Martina Serafin als Isolde

DER U RSPRU NG DER LIEBE

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Laura Holder → Dynamik

WENN DAS GESPRÄCH AN GESCHWINDIGKEIT ZUNIMMT UND MAN HÖRT NUR NOCH DAS RAUSCHEN VOM ZUGWIND ZUM ERWIDERN ZU AUFGEREGT WILL ICH DICH NUR NOCH ANSCHAUEN 45

KOLUMN EN T IT EL




Péter Nádas

KEINE SEKUNDE

Immerhin war ich zweimal am Balaton, flüsterte Gyöngyvér und verzog das Gesicht, das ist schon eine große Sache, das darfst du nicht vergessen. Mit ihrer Grimasse gab sie zu verstehen, dass sie sich schämte und zugleich stolz war. Ihrem Leben fehlte etwas, zugegeben, aber dieser Mangel machte ihr Dasein auch besonders. Beide fanden das auf einmal so lustig, dass sie lachend mit ihren Lippen zusammenstießen. Einmal, zweimal, schnell, ihre Zähne prallten zusammen. Es tat ein bisschen weh, mit der Zungenspitze linderten sie den Schmerz auf den Lippen des andern. Die fremde Sprache, weißt du, ist lähmend und lockend. Ich weiß, schrie Gyöngyvér. Woher solltest du das wissen, du weißt es nicht. Sie kann dich unbarmherzig schlucken, dich abweisen, er wollte mit dem Thema fortfahren, er war in Gedanken woanders, er rutschte im­mer noch unbeholfen auf dem schlüpfrigen Holzgitter des Duschraums herum. PÉT ER NÁ DAS

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Na, sei nicht so abweisend, Gyöngyvér kicherte in den unschlüssigen, belehrenden Satz hinein. Was wollte so ein verwöhnter Idiot sie belehren. Gib schon deine lähmende, fremde Zunge. Als würde sie von jeder Information gleichzeitig neugierig ge­macht und belästigt. Dann streckten sie sich gegenseitig die Zungenspitze in die Na­senlöcher, in die Ohren, die Augenhöhlen. Ágost folgte ihr dabei eher nur als braver Schüler, er hätte sich von Jean-Marie de Leclu­ses Gegenwart befreien müssen, von seinem nassen Körper. So, und jetzt wäschst du allen den Rücken. Er fand die Frau gewöhnlich, ihre Einfälle primitiv. Während sie sich immer mehr hineinsteigerte, deine lockende Zunge, noch mal, ächzte sie. Sie führte die Kehrseite ihrer Genüsse vor, war absichtlich grob, doch das machte sie interessant. Ach so, die kann sich auch über mich lustig machen, dachte Ágost überrascht. Sie sog und stieß mit der Zunge, womit sie eigentlich ihre Sentimentalität verbergen wollte. Wie um mit den Schlägen ihrer Zunge wiedergutzumachen, was mit dem Mann ge­schehen war oder hätte geschehen können und was ihr gar nicht so fürchterlich erschien. Daraus strömten eine solche Wärme und Unmittelbarkeit, dass er sich nicht entziehen konnte, so befremdet er auch war. Mit ihrem Gekicher füllten sie das kleine Zimmer, das laut und kalt widerhallte. Mit dem Bau der Häuser in der Pozsonyi-Straße war Ende der zwanziger Jahre begonnen worden, noch gemäß der hauptstädtischen Zonenplanung aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, die in diesem Stadtviertel Atriumhäuser vorsah. Gebaut wurde mit den neusten und manchmal teuersten Materialien, unter anderem mit Bauxitbeton. Das sich nicht nur als leicht zerstörbares, sondern auch äußerst kaltes Material erwies und in den Wohnungen ein unangenehmes Echo verursachte. Na schön, ich glaub’s dir ja, du hast die ganze weite Welt gesehen, rief Gyöngyvér in dieses kalt widerhallende Lachen hinein, aber ich bin sicher, dass du zum Beispiel noch nie in der Tisza ge­schwommen bist. Mit dieser Ruferei mussten sie doch ein bisschen achtgeben, wegen der Hauptmieterin. Sie änderte ihre Stimme in ein scharfes, mit allerlei lockenden Kräften aufgeladenes Flüstern, ließ sie gewissermaßen schleifen, als hätte das Flüstern einen scharfen Grat, über den sie sich zog und schleppte. In einer einzigen Stimmlage zwei, drei widersprüchliche Schat­tierungen. Mir kannst du gestehen, dass du noch nie, nie in der Tisza geschwommen bist. Nein, in der Tisza bin ich tatsächlich noch nie geschwommen. Dann weißt du nichts von Wasser. 49

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Du wirst mich auslachen, aber die Tisza habe ich noch nicht mal gesehen. Da hab ich aber Glück, jauchzte Gyöngyvér, ich nehm dich zur Tisza mit. Zu meinen Zieheltern. Auf den Hof hinaus. Ich bin im Mittelmeer geschwommen, in der Nordsee, in der Adria, Abbazia war unser Stammplatz. Das ist nichts, Kinkerlitzchen. Ich bin im Atlantischen Ozean geschwommen, und auch in der Bucht von Marokko. Ach was, Bucht, Ozean. Wenn ich dich einmal an einen solchen Ort mitnähme, würde dir der Mund schon offen bleiben. Du bist in einem kargen, trost­losen Land geboren, liebe Gyöngyvér, wenn ich dich aufklären darf. Beweg dich nicht, bitte, ich bitte dich. Was tust du, der Mann stöhnte. Wie kann in dir so viel Hass sein, ich verstehe das nicht, wie haben wir Ungarn dazu beigetragen, ich versteh’s nicht. Wieso Hass, überhaupt nicht, nicht im Geringsten. Beweg du dich auch nicht, wenn ich mich nicht bewege. Das sagte er nur, um sein eigenes Stöhnen offen genießen zu können. Sag, mein Lieber, erzähle, was du so, so sehr, von mir spürst. Auf Ungarisch habe noch nie so etwas gesagt, nein. Aber jedem französischen Flittchen hast du ins Ohr geflüstert, was du mit ihm machst, jetzt mache ich das, jetzt mache ich jenes. Oder was du zu machen vorhast. Warum hätte ich es nicht flüstern sollen, chuchoter, merk dir das schön, il me chuchote à l’oreille. Sag’s mir nach. Bitte erzähl es mir auch so genau. Ich muss ja Französisch lernen. Das verstehst du noch nicht. Das ist weit über die zehnte Lektion hinaus. Zwei kleine gedehnte, echte Ausrufe entfuhren ihr. Du täuschst dich, das ist das Einzige, was ich verstehe, stöhnte sie, als sie ein wenig zu sich gekommen war, denn ihre barbarischen Schreie störten sie selbst. Sie hatte Angst, dass Ágost sie abstoßend finden könnte. Während sie die harten Nägel in seine Rücken­muskeln grub, zwang sie ihre Stimme wieder zu einem Flüstern. Sie wollte auf alle Bedürfnisse des Mannes eingehen, und so sang sie gewissermaßen eine Lage höher oder tiefer, zeigte sich einmal roher, dann feiner, als sie eigentlich war. Aber auch das hatte ein Ende. Eine tödliche Stille legte sich auf das widerhallende kleine Zimmer oder auf die ganze Welt, und sie musste hinhorchen. Sie hörte nicht, ob Frau Dr. Szemzo noch weg war oder gerade nach Hause gekommen. In dieser tödlichen Stille zeigte sich die stumme Masse der verlorenen Zeit, auch wenn sie nicht wusste, an welcher Stelle sie sich gerade befanden, ob es vielleicht der voran­gegangene Abend oder der Nachmittag des nächsten Tages war. Irrtum, keuchte sie, bloßer Irrtum, alles Irrtum. PÉT ER NÁ DAS

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Es befreite sie, ihr eigenes Keuchen zu hören. Ihr dünner Körper zitterte, als würde sie geschüttelt. Nichts, du darfst nichts sagen. Als schlottere sie bei jedem ihrer Wörter. Dich auch nicht bewegen. Mein Irrtum. Jetzt schauspie­lerte sie nicht mehr mit ihrer Stimme, wollte keinem Bedürfnis mehr entsprechen und nach nichts aussehen. Er sollte sie viel­mehr weit weg von hier bringen, bitte, rasch, heb mich auf, bring mich weg. Eigentlich hätte sie sagen wollen, sie sollten zusammen sterben. Auf dem schmalen, bei jeder Bewegung quietschenden Sofa in Gyöngyvérs Untermieterzimmer lagen sie erhitzt und schweißglit­schig unter einer leichten Decke, von den Schenkeln des anderen in die harte Schere genommen, einander in die Arme geschmol­zen. Die Frau zitterte. Und als könnte der Mann tatsächlich ihren Wunsch erfüllen, presste er sie wenigstens mit beiden Armen an sich, nahm sie so mit sich. In ihrer Seligkeit drückten jetzt beide krampfhaft die Augen zu, atmeten einen Moment lang nicht. Unter der Decke war das Aufeinanderklatschen ihrer Bäuche und Lenden zu hören. Etwas vom rötlichen, schwülen Sommersonnenuntergang däm­merte noch in der unfreundlichen Atmosphäre des von den Hinter­trakten der Häuser und kahlen Brandmauern umgebenen großen Innenhofs. Lass uns so liegen bleiben, flüsterte Gyöngyvér in den Hals des Mannes hinein, nur so, beweg dich nicht in mir, bitte, und sie spürte, wie ihr eigener heißer Atem über die kühle Schweißschicht lief, als ergieße er sich auf ihre schaudernde Haut. Ihr schüttel­frostiges Zittern hörte nicht auf. Wenn du redest, nein, bitte rede nicht, denn dann habe ich das Gefühl, dass deine Stimme in mich eindringt. Sie hätte gern hinzugefügt, dass das schrecklich gut war. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie je die Kraft finden würde, hier wieder aufzustehen, um zur Arbeit zu gehen. In der Tiefe meines Körpers, in meinem Bauch fühle ich die Wellen deiner seidigen Stimme, sie dringt in mich ein, dringt ein, ich werde von ihr dauernd befriedigt. Das verschwieg sie lieber, weil sie sich fürchtete. Wie jemand, der etwas hamstert. Vielleicht wurde sie von Furcht geschüttelt. Die Dinge, die sie nicht aussprechen konnte, die nicht sagbar waren, vergrößerten ihre Spannung. Von unten waren das Quietschen von Dreirädern, Kinderrufe, das kurze Knallen von aufschlagenden Gummibällen zu hören und aus den offenen Fenstern der beleuchteten Küchen die Radios. Musik und Reden verflochten sich, ihre Körper schüttelten sich im Takt pulsierender, abgehackter Wellen. Das viel höher als üblich angebrachte Fenster dieses im sechsten Stock befindlichen Dienst­mädchenzimmers in der Neuleopoldstadt stand einen Spaltbreit offen; im durchdringenden Geruch des auf Zwiebeln gedünsteten Paprikas und der süßen Tomaten spürten sie auch den Duft ihrer schweißnassen Körper. Mit dem starken Geruch des brodelnden Wurstlecsós, der durch den Fensterspalt sickerte, vermischte sich ungehindert Gyöngyvérs 51

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Parfüm, was den Mann ein wenig abstieß. Während die Frau gerade dabei war, sich mit Ágosts unbekanntem Duft anzufreunden. Vielleicht hatte sein in der Stirn klebendes dunkles Haar diesen Geruch. Vielleicht alle seine Poren. Gyöngyvér bohrte sich für lange Minuten in seine Achselhöhle, leckte den vielen Schweiß ab, sog den Duft des nass verklebten lan­gen Haars ein. Bei jeder Berührung ihrer Zunge zuckte der Mann leicht zusammen und flehte kaum hörbar, nein, nein, das doch lie­ber nicht, was nicht unbedingt hieß, dass sie auf verbotenes Gebiet gelangt waren, aber natürlich auch nicht das Gegenteil. Seit vier Tagen hielten sie sich so umschlungen, schliefen kaum, aßen und tranken kaum, trennten sich nur auf ein paar Stunden und machten auf eine Art weiter, als müssten sie sich im nächsten Augenblick auf ewig trennen. Sie durften keine Sekunde ungenutzt lassen. Aus Parallelgeschichten (Párhuzamos történetek, 2005)

→ Folgende Seiten: Andreas Schager als Tristan, Martina Serafin als Isolde

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Laura Holder → Biolog

WENN WIR UNSERE KÖRPER SPRECHEN LASSEN WEIL BIS JETZT KEIN WORT SO SCHÖN




Eva Illouz

WAHNSINN UND VERRAT

Spielarten der Liebe in Wagners Tristan und Isolde


Die Geschichte von Tristan und Isolde ist eine der großen Liebesgeschichten der westlichen Welt. Ritter Tristan aus Cornwall soll die irische Prinzessin Isolde zu seinem Herrn, König Marke, bringen, damit dieser sie ehelichen kann. Aber die beiden trinken (halb mit Absicht, halb irrtümlich) einen Liebestrank, der sie dazu verdammt, sich ineinander zu verlieben und König Marke zu hintergehen. In manchen Versionen lässt der Effekt des Tranks irgendwann nach, die beiden kommen zu Sinnen und entscheiden sich frei für ihre Liebe. In anderen Fassungen wirkt der Liebestrank bis ans Lebensende. Wagners Oper hebt sich in zweierlei Hinsicht von diesen Versionen ab: Isolde hat sich bereits vor Beginn der eigentlichen Handlung in Tristan verliebt. Als er im Kampf gegen ihren Verlobten Morold tödlich verwundet wird, kommt Tristan, der sich »Tantris« nennt, hilfesuchend zu ihr, und sie heilt seine Wunden. Als sie Tristan nun erkennt, will sie ihn ermorden, verliebt sich aber beim ersten Blick in seine Augen in ihn (Isolde, 1. Aufzug, Szene I: Mir erkoren, mir verloren). Doch Tristan hat nicht nur ihren Verlobten auf dem Gewissen, er bricht auch sein Wort, als er zurückkehrt, um sie zur Eheschließung mit seinem Herrn und Onkel Marke zu bringen. Es ist kein Wunder, dass die Oper mit Isoldes überschäumender Wut beginnt. Tristan hat einem ihr lieben Menschen das Leben genommen, hat sie hinters Licht geführt und betrogen. Sie ist außer sich vor Verzweiflung und Zorn und will Tristan und sich selbst töten. Der berühmte Liebestrank sollte eigentlich ein Todestrank sein. Die Liebe der beiden nimmt also ihren Anfang in einer ganzen Kaskade widersprüchlicher Motive, herbeigewünschten und echten Toden, Isoldes Heilkräften und Fürsorge, mit denen sie Tristan wieder gesund pflegt, Isoldes Zorn und Rache. Zweiter Ausgangspunkt der Handlung ist Tristans Verrat. Im Grunde beginnt und endet die Oper mit Tristans doppeltem Verrat (wir können nur mutmaßen, ob Wagner, der das Libretto schrieb, nachdem er sich heftig in Mathilde Wesendonck verliebt hatte und wusste, dass er seiner Frau damit das Herz brach, hier seine Schuldgefühle zum Ausdruck gebracht hat). Der Trank ist damit zugleich Ermächtiger und Siegel eines stürmischen Schicksals. Isoldes Vertraute Brangäne versteht das, als sie zum Ausdruck bringt, dass der Liebestrank nicht sehr viel anders wirken wird als der Todes­ trank: Er wird »unabwendbar ew’ge Not« herbeiführen, wie sie sagt. Isolde und Tristan sind beide gefangen in Tristans Verrat an der höfischen Ordnung, die einen Ritter an seinen Herrn bindet. Der Liebestrank ist insofern dem Todestrank überraschend ähnlich und offenbart vielleicht, was Denis de Rougemont über romantische Liebe geschrieben hat: Dass eine Affinität zwischen dem Komplex der romantischen Liebe und dem Tod besteht. Warum ist das so? Isoldes Liebe ist zutiefst ambivalent – sie empfindet Hassliebe für Tristan, von Anfang an. Trotz der Demütigungen und Verletzungen, die er ihr zugefügt hat, kann sie nicht anders als ihn zu lieben. Aber zugleich verabscheut 57

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sie ihn, trotz aller Liebe. Je mehr sie ihn liebt, desto mehr hasst sie ihn. Für Sigmund Freud ist Gegensätzlichkeit die Grundbedingung der Liebe. Interessanterweise wirkt der Trank so, dass er diese Ambivalenz auslöscht und durch eine bedingungslose Liebe ersetzt, die zum größten Teil aus Verlangen besteht. Wie Wagner harmonische Spannung einsetzt, lässt uns, das Publikum, zusammen mit dem Paar die reine Lust der Liebe und den Schmerz ihrer nicht zu überwindenden Getrenntheit, die Sehnsucht nach Vereinigung erleben. Wagner beschrieb in einer Erläuterung zum Vorspiel der Oper, was nach dem Genuss des Liebes­tranks mit den beiden geschah: »Nun war des Sehnens, des Verlangens, der Wonne und des Elendes der Liebe kein Ende; Welt, Macht, Ruhm, Ehre, Ritterlichkeit, Treue, Freundschaft – Alles wie we­sen­­loser Traum zerstoben; nur Eines noch lebend: Sehnsucht, Sehn­­sucht, unstillbares, ewig neu sich gebärendes Verlangen, Dürsten und Schmach­ ten; einzige Erlösung: Tod, Sterben, Untergehen, Nichtmehrerwachen!« Der Liebestrank (und die Legende von Tristan und Isolde) macht damit die grundlegende Erfahrung der Ambivalenz zunichte. Damit löscht er auch die wahre Geschichte der Liebe aus: Die Tatsache, dass wir die Person vernich­ ten wollen, von der wir so abhängig, der wir so völlig ausgeliefert sind. Dass wir die Person hassen, die uns weh tun kann. Das Begehren (das heißt: der Liebestrank) ist der Weg, den unsere Psyche einschlägt, um die Abhängigkeit und grundlegende Ambivalenz jeder Liebesbeziehung zu vergessen. In vielen Liebesgeschichten und besonders in dieser Legende sind die Liebenden oft nicht mehr im Besitz ihrer Handlungsfähigkeit. Wer genau liebt eigentlich? Verliebte fühlen sich selbst wie auf einem höheren Planeten, doch in der westlichen (und arabischen) Tradition wird es seit Jahrtausenden so dargestellt, als sei den Liebenden ihr wahres Ich abhandengekommen. Sie verhalten sich demnach entweder nicht wie sie selbst oder vollkommen verrückt, als seien sie von einem fremden Geist besessen. In der Antike war es der Gott Cupido (oder Eros), der berüchtigt dafür war, die menschlichen Angelegenheiten durcheinander zu bringen, indem er seinen Pfeil wahllos auf die Menschen abschoss und sich so über Verstand und Selbstbeherrschung der Menschen lustig machte (wunderbar personifiziert in Shakespeares Puck). Seitdem scheint die Liebe ein großes Paradox in sich zu vereinen: Sie befreit den lebensnotwendigsten Teil des Ichs, sie vergrößert unsere gesamte Existenz, aber sie negiert unser Alltags-Ich. Deswegen füllt die Frage nach der Autonomie des liebenden Menschen auch so einen enormen Korpus dichterischer, philosophischer und literarischer Werke. Aber wo dieser Verlust der Vernunft und des eigenen Ichs im klassischen Altertum oft als komisch dargestellt wurde, zeigt der Wagner’sche Trank den tragischen Verlauf eines solchen Zustandes. Bei Wagner kennt das Liebespaar keine Freude, seine Liebe jubelt nicht, sie scheint im leeren Raum ihres Begehrens zu existieren. Philosoph*innen wie Simone de Beauvoir (in Das andere Geschlecht) und später Alain Badiou (in Lob der Liebe) verwarfen die Liebe des berühmten EVA ILLOUZ

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Paars in gewisser Weise, weil es eine symbiotische, verschmelzende Liebe ist. Alain Badiou führt aus, dass für ihn eine Liebe, die auf Verschmelzung und Symbiose abzielt, nur im Tod enden kann. Eine solche Liebe muss notwendigerweise die Außenwelt ausschließen; wenn die Außenwelt in die Beziehung einbricht, bedeutet das ihr Ende. Das ist allerdings bei Tristan und Isolde nicht der Fall, da die Trennung ihrer Liebe von Anfang an innewohnt und ihre Liebe eher eine der Getrenntheit als der Verschmelzung ist. Ihre Liebe ist nichts als ein anhaltender Zustand des Mangels, wie Jacques Lacan es nennt, eine Leerstelle im menschlichen Leben, die sich in einem Zustand des ständigen Begehrens äußert. Auch wenn sich Theoretiker und Dichter (und Wagner selbst) vor allem mit der todbringenden Liebe zwischen Tristan und Isolde beschäftigt haben, steht doch eine ganz andere, unterbewertete und oft übersehene Art der Liebe im emotionalen Zentrum der Oper und erzeugt ihren Sog: Die Liebe, auf der die Freundschaft zwischen Marke und Tristan basiert. Markes Worte sind erschütternd, als er das Paar überrascht: »Mir dies? Dies, Tristan, mir? – Wohin nun Treue, da Tristan mich betrog? Wohin nun Ehr’ und ächte Art, da aller Ehren Hort, da Tristan sie verlor?« König Marke (beziehungsweise Wagner) wird nicht müde, uns seinen Schmerz und seine Verzweiflung immer wieder vorzuhalten: »Wozu die Dienste ohne Zahl, der Ehren Ruhm, der Größe Macht, die Marken du gewannst; musst’ Ehr’ und Ruhm, Größ’ und Macht, musste die Dienste ohne Zahl dir Marke’s Schmach bezahlen?« Immer wieder hält Marke Tristan vor, auf welch verschiedene Arten er ihn geliebt und ihm sein Vertrauen, seinen Schutz, seine Liebe geschenkt hat. In einer Gesellschaft, in der die Ehre eine große Rolle spielte, wie es in Wagners Deutschland sicherlich noch der Fall war, verlor man mit der Ehre auch seine gesamte Existenz. Marke spricht nicht als Mann, den sexuelle Eifersucht quält; seine Worte sind die eines Mannes, dessen Liebe und Freundschaft hintergangen wurden. Tristan hat die eine Liebe für eine andere verraten. Und deswegen lässt uns das Ende von Tristan und Isolde heute fragen: Ist Liebe wirklich das rasende, wahnsinnig machende Gefühl, das uns nicht nur von unseren Pflichten und Aufgaben abbringt, sondern uns auch dazu veranlasst, uns selbst und alles, was uns wichtig ist, zu verraten? Wenn man es so formuliert, hat uns die Legende nach wie vor sehr viel zu sagen: Drastisch führt sie uns vor Augen, wie verführerisch Grenzüberschreitungen, wie erotisch die Phantasie einer individuellen Macht über gesellschaftliche und politische Normen ist, welch sublime, zerstörerische Macht nicht zweckgerichtete Leidenschaft entfalten kann. Diese Sublimität der Leidenschaft bedeutet, dass wir aus dem Alltagsleben ausgeschlossen und ganz wortwörtlich ein anderer oder eine andere werden. Mein Eindruck ist, dass wir uns kulturell bereits von diesem Narrativ der Liebe als Leidenschaft, die uns radikal verändert und unser Leben sogar zer 59

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stört, wegbewegt haben. Wir leben jetzt in der Ära, in der Liebe nicht mehr zerstörerisch oder sublim ist, sondern maßgeschneidert auf die Ökonomie unserer Psyche: Die Liebe muss uns beim Erreichen unserer Ziele helfen, damit wir dem König dienen und zugleich unsere sexuellen Bedürfnisse befriedigen können. Tristan und Isolde wirken wie das ferne Echo einer Ära, in der man sich aus Liebe duellierte oder Selbstmord beging. Mehr als je brauchen wir die Leidenschaft der beiden als Horizont, aber wir sollten nicht vergessen, dass Markes Liebe nicht weniger befriedigend und erfüllend als die von Isolde ist. Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger

→ Iain Paterson als Kurwenal, Martina Serafin als Isolde

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Melanie Wald-Fuhrmann/Wolfgang Fuhrmann

INNEN UND AUSSEN: » TRISTAN UND ISOLDE « » Das ausgesponnene musikalische Liebesgewebe « »Ich kann den Geist der Musik nicht anders fassen als in der Liebe«, schrieb Wagner 1851 in seiner Mitteilung an meine Freunde. Dass die Liebe sich musikalisch äußere – vor allem im Gesang –, gehörte zu seiner Privatmythologie. Nicht zufällig ist die Liebe in all ihren Schattierungen zwischen dem Seelischen und dem Libidinösen das Thema des Sängerwettstreits im Tannhäuser; nicht zufällig singt in den Meistersingern der Lenz »ein schönes Lied« für die »in holder Jugendzeit« stehenden Männer; nicht zufällig ist es der Wonnemond, der Siegmund in der Walküre zu seiner »Arie« inspiriert. Die Liebe ist verknüpft mit dem liedhaften oder ariosen Gesang – und mit dem Frühling. Wie aber steht es um das Musikdrama Tristan und Isolde, über das Wagner zu Cosima 1870 sagte, in ihm herrsche der Eros wie in Platons Symposion, und was in diesem die Philosophie sei, sei hier die Musik (Tagebucheintrag vom 9. April)? In dieser »Handlung«, wie die einzigartige Gattungsbezeichnung lautet, ist die Liebe weder frühlingshaft noch jugendlich, und sie inspiriert MELA N IE WA LD -F U HR M A N N/ WOLFGA NG F U HR M A N N

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auch nicht zu schönen Liedern. Dennoch ist der Tristan (um die gebräuchliche, wenn auch im Grunde missbräuchliche Abkürzung des Titels aufzugreifen) nicht nur dasjenige Werk Wagners, das geradezu obsessiv eine einzige Liebesbeziehung zum Thema hat, sondern er gilt auch als sein musikali­sch­s­­tes oder am stärksten symphonisches. Was diese verbreitete Einschätzung genau zu bedeuten hat, steht freilich nicht fest; fest steht jedoch, dass sie wie so viele Einschätzungen von Wagners Werk auf den Musikdramatiker selbst zurückgeht. 1878 sagte er zu Cosima über den Tristan: »Ich weiß nicht, welcher Teufel mich damals geritten, solches Zeug zu machen, es war die Musik, welche so aus dem Gegenstand quoll« (Tagebucheintrag vom 29. April). In dieser Darstellung scheint der »Gegenstand« – die zum Tode drängende Liebe, die Erfüllung als Auflösung – selbst schöpferisch produktiv zu werden. Freilich lief eine solche Deutung darauf hinaus, die Liebesbeziehung zu Mathilde Wesendonck als Inspirationsmoment des Tristan zu eliminieren, und war insofern unverkennbar auch von innerehelicher Diplomatie bestimmt. Nichtsdestoweniger, im Lauf desselben Jahres kam Wagner mehrfach auf diese Idee zurück: Es sei in ihm »ein Bedürfnis« gewesen, »sich musikalisch auszurasen, wie wenn ich eine Symphonie geschrieben hätte«, wie er wiederum zu Cosima sagte (Tagebucheintrag vom 28. April 1878). Und er rechtfertigte dieses Bedürfnis, »weil er in den Nibelungen durch das Drama gezwungen gewesen war, sehr oft den musikalischen Ausdruck einzuengen« (an derselben Stelle); später benutzte er in Erwiderung auf Cosimas Bemerkung, »dass gerade das ausgesponnene musikalische Liebesgewebe die Leute in die Verzauberung versetzt, welche sie unbewußt im Theater suchen«, ein weiteres Mal die Formel vom Bedürfnis, »sich ganz symphonisch gehen zu lassen, das habe ihn zum Tristan geführt« (Tagebucheintrag vom 11. Dezember 1878). Dieser gleichsam naturgegebene Bezug zwischen Musik und Liebe manifestiert sich aber gerade nicht, wie in Tannhäuser, Walküre oder den Meistersingern, in Gestalt eines Liedes, sondern eben in »symphonischer« Raserei. Damit ist nicht gemeint, Wagner habe hier »absolute« Musik komponiert. Die Musik des Tristan steht so sehr wie die jedes anderen von Wagners dramatischen Werken im Dienste des Dramas. Aber dieses Drama, die »Handlung« eben, spielt sich praktisch ausschließlich im Inneren der beiden Liebenden ab, und dieses Innere spricht sich im Orchester, und nur dort, aus. Äußere Handlungsmomente sind karg. Außer König Marke als »Träger der sittlichen Weltordnung und dadurch Todesverkünder« (Cosima im Juni 1874 in ihrem Tagebuch) gewinnt keine der übrigen Personen Profil. Im Tristan gibt es – was Adorno in seinem Versuch über Wagner (1939/1952) dem Gesamtwerk Wagners unterstellte – im Grunde keine dramatische Dialektik. Die Gegensphäre des Tages, der Vernunft, der ritterlichen Ehre ist kein Gegner oder Handlungsmotiv, das den Fortgang bestimmt, sondern ein Raum, aus dem sich die todessehnsüchtigen Liebenden nach und nach zurückziehen; zu dramatischen Konfrontationen zwischen Tag und Nacht, Leben und Tod 63

IN N EN U N D AUS SEN: » T R ISTA N U N D ISOLDE «


kommt es immer nur an den Akt-Enden, wo sich die äußere Aktion ballt, ohne doch auf das innere Geschehen bestimmenden Einfluss nehmen zu können. Tristans Handeln beschränkt sich in diesen Situationen im Grunde auf drei Selbstmordversuche: den Genuss des vermeintlichen Todestranks, das SichStürzen in Melots Schwert, schließlich die Entfernung des Verbands; und Isolde tut es ihm, wenn auch zunehmend in »weiblich«-passiver Haltung, gleich. Dieser Entschluss zum Liebestod aber, die eigentümlich Wagner’sche Variante der schopenhauerischen Verneinung des Willens, ist weitestgehend in das Orchester und sein »ausgesponnenes musikalisches Liebesgewebe«, wie Cosima es so treffend nannte, verlegt. Tristan ist, wie Wagner es selbst in Zukunftsmusik (1861) formuliert hat, ein Drama der »inneren Seelenbewegung«. »Mit voller Zuversicht versenkte ich mich hier nur noch in die Tiefen der inneren Seelenvorgänge, und gestaltete zaglos aus diesem intimsten Centrum der Welt ihre äußere Form. (...) Leben und Tod, die ganze Bedeutung und Existenz der äußeren Welt, hängt hier allein von der inneren Seelenbewegung ab. Die ganze ergreifende Handlung kommt nur dadurch zum Vorschein, dass die innerste Seele sie fordert, und sie tritt so an das Licht, wie sie von innen aus vorgebildet ist.« Das ist nur vom Text gesprochen, und doch gilt es ebenso für die Musik. Nirgendwo hat sich Wagner so eng an die von der Aufklärung her sich fortschreibende Idee angeschlossen, Musik sei die Sprache der Innerlichkeit, der Empfindungen und Leidenschaften. (Auch Arthur Scho­penhauers Musikästhetik ist eine ins Metaphysische gesteigerte Gefühlsästhetik.) Doch hat dies eine merkwürdige Konsequenz. Von sämtlichen Bühnenwerken Wagners macht es einem Tristan und Isolde am schwersten, Leitmotive musikalisch und in ihrer semantisch-dramaturgischen Funktion zu identifizieren. Im Gegensatz zum Ring tritt die Leitmotivik im Tristan weniger plastisch hervor und ist in ihrer Bedeutung weniger fassbar. Das liegt an der nächtlich verhangenen Innensphäre des Dramas, die kaum äußere Bezüge zulässt, aber es liegt auch an einer musikalischen Sprache, die die strikte Unterscheidung zwischen plastischer Motiv-Gestalt und umgebendem Hintergrund, wie sie zumindest bis zur Götterdämmerung weitgehend aufrechterhalten bleibt, nicht kennt. In der Nacht der Liebe scheinen alle Motive grau zu sein; jedenfalls besteht über die Bedeutung sogar zentraler Leitmotive des Werks ein selbst für die Wagner-Interpretation ungewöhnlicher Dissens. Nur zu einem Teil ist das der Sache selbst geschuldet: Da es im Grunde kaum für die Handlung wesentliche Gegenstände gibt, fehlen motivische Dingmarken weitestgehend. Ebensowenig lässt sich von durchgängigen Personenmotiven sprechen – obwohl das immer wieder versucht worden ist –; die Überwindung und Auflösung des Individuellen ist ja gerade der Fluchtpunkt des Werks. Einige Orientierung bieten lediglich die Erzählungen, aufgrund MELA N IE WA LD -F U HR M A N N/ WOLFGA NG F U HR M A N N

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Notenbeispiel 1: Motiv des siechen Tristan, Tristan und Isolde I, T. 610-613

Notenbeispiel 2: Der Beginn des Tristan-Vorspiels, T. 1-13

Notenbeispiel 3: Tonale Vieldeutigkeit des »Tristan-Akkords« Nach Tristans Liebesfluch, Tristan und Isolde III, T. 872-875

Notenbeispiel 4: Motive im Vorspiel zu Tristan und Isolde I Vorspiel, T. 16-21


derer sich ein Motiv des siechen Tantris/Tristan oder eines von Tristans Blick auf Isolde identifizieren lassen (Notenbeispiele 1 und 4). […]

» Im eigensten, unbeschränktesten Elemente der Musik « »Nun war des Sehnens, des Verlangens, der Wonne und des Elendes der Liebe kein Ende; Welt, Macht, Ruhm, Ehre, Ritterlichkeit, Treue, Freundschaft – Alles wie wesenloser Traum zerstoben; nur Eines noch lebend: Sehnsucht, Sehnsucht, unstillbares, ewig neu sich gebärendes Verlangen, Dürsten und Schmachten; einzige Erlösung: Tod, Sterben, Untergehen, Nichtmehrer­ wachen! Der Musiker, der dieses Thema sich für die Einleitung seines Liebesdramas wählte, konnte, da er sich hier ganz im eigensten, unbeschränk­testen Elemente der Musik fühlte, nur dafür besorgt sein, wie er sich beschränkte, da Erschöpfung des Themas unmöglich ist. So ließ er denn nur einmal, aber im lang gegliederten Zuge, das unersättliche Verlangen anschwellen, von dem schüchternsten Bekenntniß, der zartesten Hingezogenheit an, durch banges Seufzen, Hoffen und Zagen, Klagen und Wünschen, Wonnen und Qualen, bis zum mächtigsten Andrang, zur gewaltsamsten Mühe, den Durchbruch zu finden, der dem grenzenlos be­gehrlichen Herzen den Weg in das Meer unendlicher Liebeswonne eröffne. Umsonst! Ohnmächtig sinkt das Herz zurück, um in Sehnsucht zu verschmachten, in Sehnsucht ohne Erreichen, da jedes Erreichen nur wieder neues Sehnen ist, bis im letzten Ermatten dem brechenden Blicke die Ahnung des Erreichens höchster Wonne aufdämmert: es ist die Wonne des Sterbens, des Nichtmehrseins, der letzten Erlösung in jenes wundervolle Reich, von dem wir am fernsten abirren, wenn wir mit stürmischester Gewalt darin einzudringen uns mühen. Nennen wir es Tod? Oder ist es die nächtige Wunderwelt, aus der, wie die Sage uns meldet, ein Epheu und eine Rebe in inniger Umschlingung einst auf Tristan’s und Isolde’s Grabe emporwuchsen?« Dieser Text, den Wagner für die Erstaufführung des Tristan-Vorspiels in Paris am 25. Januar 1860 verfasste und an Mathilde Wesendonck sandte (vgl. die vollständige Fassung auf Seite 72), bringt noch einmal die Verbindung, ja Gleichsetzung von Musik und Liebesleidenschaft: Das »ewig neu sich gebärende Verlangen, Dürsten und Schmachten« ist im Grunde nur eine Metapher für typische musikalische Verfahren der Entwicklung und Fortspinnung. Durch Wagners Überspitzung dieser Verfahren aber erreicht die Tristan-Musik die, gestaltpsychologisch gesprochen, »Anmutungsqualität« eines unstillbaren Begehrens, das auf seinem Höhepunkt in die Auflösung im Tode übergeht, eine Todeserotik im Sinne der »mors osculi«, des TodesMELA N IE WA LD -F U HR M A N N/ WOLFGA NG F U HR M A N N

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kusses (vgl. Dieter Borchmeyers Ausführungen in Richard Wagner. Ahasvers Wanderungen, 2002). Wesentlich für Wagner – und der schärfste Gegensatz zu seinem vermeintlichen philosophischen Vorbild Schopenhauer – ist die Gleichsetzung von erotischem Begehren und Todessehnsucht, von Eros und Thanatos. Wieso – und vor allem: wie lässt sich dieses Begehren musikalisch darstellen? […] Auf eine Dynamisierung, eine zunehmende Prozesshaftigkeit bewegte sich die Entwicklung des musikalischen Materials in Europa seit dem hohen Mittelalter zu: Dissonante Zusammenklänge verlangen nach ihrer Auflösung in Konsonanzen, rufen also eine Strebewirkung hervor; innerhalb der harmonischen Tonalität schaffen auskomponierte Nebenstufen, Ausweichungen, Modulationen auf der Mikro- wie Makroebene des komponierten Zusammenhangs Spannungsverhältnisse, die nach Lösung drängen; unterschiedliche Tonartenniveaus – etwa das Gefälle zwischen Tonika und Dominante in der Sonatenhauptsatzform – etablieren solche »Dissonanzen« auf großformaler Ebene oder über mehrere Sätze hinweg. Die Tristan-Musik greift all diese Verfahren des Aufschubs auf durch die Strebewirkungen der oft chromatischen Stimmführung und einer von unaufgelösten Sept- oder Nonakkorden beherrschten Harmonik, deren tonale Grundlage sich ständig wandelt, zurückweicht, sich entzieht. Es entsteht der Eindruck eines ungefestigten, ruhelos vorantreibenden, scheinbar niemals einmündenden Flutens. Die Beruhigung der Kadenz, also das reguläre Einmünden der harmonischen Bewegung in den Grunddreiklang der tragenden Tonart, ist hier (im Gegensatz zur Tradition) ein seltenes Prinzip, meist wird sie nur suggeriert, angedeutet, dann aber verweigert, als Trugschluss in einen anderen Akkord als den des Grunddreiklangs abgebogen. Die Behauptung erscheint keineswegs übertrieben, der ganze Tristan bestehe »aus einer riesigen Kadenz von fast 6.000 Takten« (Horst Scharschuch). Damit ist der musikalischen Sprache die Struktur des Begehrens eingeschrieben. Begehren wird hier tatsächlich »im eigensten, unbeschränktesten Elemente der Musik« dargestellt, und wenn nach der Theorie Jacques Lacans das »objet petit a« das phantasmagorische Triebziel des ewigen Mangelwesens Subjekt darstellt, dann ist die Musik die Verkörperung des Begehrens schlechthin, weil ihr jedes begehrenswerte »Objekt«, jeder Mensch, Gegenstand oder Fetisch zu ermangeln scheint (wie Laurence Dreyfus 2010 in seinem Buch Wagner and the Erotic Impulse im Anschluss an Søren Kierkegaard ausführte). Über diese Tristan-Harmonik und ihre grundlegende Funktion für das Drama sind ganze Bücher geschrieben worden; in keinem anderen Werk Wagners ist die fast handlungsfreie »Handlung« so tief in die Musik eingesenkt. Und so scheint es denn auch erklärlich, dass ausgerechnet in diesem Werk ein einzelner Akkord, das simultane Erklingen vier unterschiedlicher Tonhöhen (im 1. Takt sind es f-h-dis1-gis1) so berühmt geworden ist, dass er 67

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unter dem Namen »Tristan-Akkord« seit beinahe 150 Jahren von den Musiktheoretikern immer neu gedeutet und interpretiert worden ist, ja, dass er als wohl einziger Akkord der Musikgeschichte einen eigenen Artikel in der Enzyklopädie Die Musik in Geschichte und Gegenwart gewidmet bekam. Der Akkord erklingt programmatisch zu Beginn des Vorspiels zu Tristan und Isolde (Notenbeispiel 2). Von einem kurzen Aufschwung der Violoncelli eingeleitet, in einer chromatischen Phrase der Oboe (bei der Wiederholung der Klarinette) fortgesetzt, wird der Akkord im abgedunkelten, aber spröden, nicht ganz verschmelzenden Klang in der mittleren bis tiefen Lage von Oboen, Klarinetten, Englischhorn und Fagotten Ereignis (wobei die Klangfarben bei den Wiederholungen stets neu abgemischt werden). Die den Akkord umrahmenden melodischen Figuren, die im Verlauf des Werks auch allein auftreten können, sind als Leitmotive benannt worden: Die aufsteigende (erst kleine, später große) Sext im Cello mit chromatisch absinkender Fortsetzung etwa als »Leidens-« oder »Sehnsuchts-Motiv«, die chromatisch aufsteigende Figur der Oboe oder Klarinette mit ähnlichen Termini, aber auch als »Liebestrankmotiv« (von Susanne Rößler in ihrer Dissertation zur Funktion der Motive in Tristan und Isolde, 1989). Hier schon wird das Problem der Benennungen deutlich – denn natürlich sind dies nicht die einzigen Motive, die für Sehnsucht oder Leiden stehen; das ganze Werk handelt ja davon. Ganz zweifellos aber ist das zentrale Ereignis dieser Einleitungstakte der »Tristan-Akkord«. Rein klanglich betrachtet, hat der Akkord gar nichts Mysteriöses. Es handelt sich einfach um das klangliche Äquivalent zu einem leitereigenen Septakkord der 7. Stufe in Dur (bzw. der 2. in Moll); ein Akkord, der in der musikalischen Literatur oft auftritt, und in der Musik des 19. Jahrhunderts gelegentlich durchaus herausgehoben wird – so etwa in Chopins g-Moll-Ballade op. 25 (1835–1836) oder im Notturno I aus Liszts Rêve d’amour (1850). Auch Wagner hat diesen Akkord vor und nach dem Tristan in ganz anderen Kontexten weiterverwendet (etwa im Meistersinger-Quintett, worauf u. a. wiederum Laurence Dreyfus hinwies). Dennoch steht die Art und Weise, wie dieser Akkord eingangs erklingt, für sich: durch die dunkel-melancholische und zugleich etwas heiser-belegte Klangfärbung des Bläsersatzes, vor allem aber durch die harmonische Klanglichkeit, deren Thomas Mann »am Klavier nicht satt« wurde, wie er Ende September 1944 in sein Tagebuch schrieb. Der in ihm enthaltene Moll-Dreiklang (auf gis) gibt dem Akkord etwas Melancholisches oder Verdüstertes, die übermäßige None f-gis1 als Rahmenintervall und der Tritonus als Basis des Gesamtklangs fügen dem dissonante Spannung hinzu; doch ist es von vornherein aussichtslos, die klangliche Faszination dieses Akkords in Worte zu fassen. Seine Eigentümlichkeit entfaltet der Akkord zu Beginn des Vorspiels auch durch die unvermutete und doch folgerichtig erscheinende Fortsetzung im nächsten Akkord. Das in der Musiktheorie vieldiskutierte Verhältnis zwischen beiden (auf f-h-dis1-gis1 folgt e-gis-d1-h1) definiert die Identität des »Tristan-Akkords« nur insofern, als es deutlich macht, dass dieser Akkord MELA N IE WA LD -F U HR M A N N/ WOLFGA NG F U HR M A N N

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nicht in einer klar definierten harmonischen Funktionalität aufgeht, aufgehen kann; schon dass der zweite Akkord, eigentlich ein seinerseits spannungsvoller Dominantseptakkord, hier als ›Auflösung‹ wirkt, spricht Bände. Das Ergebnis der sehr ausgedehnten musiktheoretischen Diskussion zur Deutung des »Tristan-Akkords« scheint darin zu bestehen, dass es eine befriedigende, umfassende Deutung nicht geben kann – schon gar nicht, wenn man sich nicht (wie üblich) auf die ersten 17 Takte des Vorspiels konzentriert, innerhalb derer er dreimal erscheint, sondern auf die vielfältigen Erscheinungsweisen innerhalb des gesamten Dramas, in denen dieser Akkord in den unterschiedlichsten Kontexten erscheint und auch die unterschiedlichsten Fortsetzungen bzw. »Auflösungen« erfährt: So münden dieselben Tonhöhen, enharmonisch zu f-ces1-es1-as1 umgedeutet, im dritten Akt in den Dominantseptnonakkord auf b, weisen also nach es-Moll statt nach a-Moll (Notenbeispiel 3). […] Die Vieldeutigkeit des Akkords ist seine wahre Signatur. Er vermag, so Heinrich Poos, »als eine wahre harmonische Sphinx auf jede Antwort propädeutischer Musiktheorie mit Kopfschütteln zu antworten. Jede Deutung des Tristan-­Modells im Sinne einer harmonischen Kadenz ist ihr im buchstäblichen Sinne gleich-gültig. (…) Einer ›real geordneten Welt‹ des Tages und ihrer erschlichenen Harmonisierungen führte [Wagner] ihre abgründige Gebrochenheit vor Augen« (Heinrich Poos: Die Tristan-Hieroglyphe, in: Musik-Konzepte S. 57-58, München 1957, 46–103). Folglich kann nicht eine funktions-, stufen- oder klauseltheoretische Einordnung des »Tristan-Akkords« für uns interessant sein, sondern sein Verständnis als für sich stehende, für sich bedeutende musikalische Klanggestalt: als Leitmotiv. Und zwar als Leitmotiv im strengsten Sinn, den Wagner im dritten Teil von Oper und Drama (1850/51) erläutert: Indem seine musikalische Gestalt »den wichtigsten Motiven des Dramas entblüht« ist, freilich nicht als »melodischer Moment«, sondern als ein einzelner Akkord, der für das einzige Motiv des Dramas steht – als dessen Konzentrat. Wagner zitiert ihn im Verlauf des Werks manchmal wie eine Beschwörungsformel mit den beiden melodischen Gestalten der Einleitung, im originalen Register und identischer (oder verwandter) Instrumentation, behandelt ihn aber auch isoliert, als Einheit oder Klangchiffre. Das sollte davor warnen, einen seiner Töne als unsubstanziell, als bloßen melodischen Vorhalt zu erklären. […] So, wie sich bei Wagner der Orchesterklang verselbstständigt gegenüber dem Tonsatz, so verselbstständigt sich auch die Klanglichkeit des »TristanAkkords« gegenüber allen Hoffnungen der Musiktheorie auf eine Erklärung, derzufolge er doch »ordentlich ein Gemässe« darstelle. Diese spröde und doch lockende, düstere und doch erotisierte Klanglichkeit steht in ihrer harmonischen Vieldeutigkeit und ihrer bei allem Wohllaut dissonanten, also weiterdrängenden, latenten Unruhe für das In-eins von Liebes- und Todesbegehren. Dies eben zeigt sich im Vorspiel wie im Brennglas, und wie bei den Meister­ singern lässt es staunen, dass dieses das Drama auf seine Essenz verdichtende 69

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Stück zu Beginn des Kompositionsprozesses entstanden ist. Denn die große Steigerungsdramaturgie des Vorspiels mündet in diesem »furchtbaren Ausbruch« ja wiederum in genau denselben Akkord, der an ihrem verhaltenen Ausgangspunkt stand. […] Wie die Skizzen zeigen, war sich Wagner über das Intervall des Auftaktmotivs lange im Unklaren. Dieses Schwanken hat er nicht gewaltsam festgezurrt, sondern als bedeutungstragende Ambivalenz in die Partitur hineingetragen. […] Adorno hat in Versuch über Wagner Siegfrieds Programm »Zu Spreu nun schuf ich die scharfe Pracht, im Tigel brat’ ich die Späne« im Tristan »am vollständigsten« befolgt gefunden. Die Motive sind keine in sich geschlossenen Gebilde, sondern melodisch profilierte Linien oder Fäden, die fortgesponnen, aufgefasert, neu verflochten werden und sich zu einem Gewebe entwickeln, in dem es kaum möglich scheint zu sagen, was bloße Ausfransung, was eine Variante, eine Neubildung, ein eigenständiges Motiv sei. Am Tristan bewahrheitet sich Nietzsches berühmte (und polemisch gemeinte) Formulierung aus einem Brief an Carl Fuchs (1886), Wagner komme es auf die »einzelne Gebärde des Affekts« an, in aller Schärfe.

→ Clemens Unterreiner als Melot, René Pape als König Marke

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KOLUMN EN T IT EL


Richard Wagner

VORSPIEL ZU » TRISTAN UND ISOLDE «

»Ein altes, unerlöschlich neu sich gestaltendes, in allen Sprachen des mittelalterlichen Europas nachgedichtetes Ur-Liebesgedicht sagt uns von Tristan und Isolde. Der treue Vasall hatte für seinen König diejenige gefreit, die selbst zu lieben er sich nicht gestehen wollte, die ihm als Braut seines Herren folgte, weil sie dem Freier selbst machtlos folgen musste. Die auf ihre unterdrückten Rechte eifersüchtige Liebesgöttin rächte sich: den der Zeitsitte gemäß für den nur durch Politik vermählten Gatten von der vorsorglichen Mutter der Braut bestimmten Liebes­trank lässt sie durch ein erfindungsreiches Versehen dem jugendlichen Paare kredenzen, das, durch seinen Genuss in hellen Flammen auflodernd, plötzlich sich gestehen muss, dass nur sie einander gehören. Nun war des Sehnens, des Verlangens, der Wonne und des Elen­des der Liebe kein Ende; Welt, Macht, Ruhm, Ehre, Ritterlichkeit, Treue, Freundschaft – Alles wie wesenloser Traum zerstoben; nur Eines noch lebend: Sehnsucht, Sehnsucht, unstillbares, ewig neu sich gebärendes Verlangen, Dürsten und Schmachten; einzige Erlösung: Tod, Sterben, Unter­gehen, Nichtmehrerwachen! R ICH A R D WAGN ER

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Der Musiker, der dieses Thema sich für die Einleitung seines Liebesdramas wählte, konnte, da er sich hier ganz im eigensten, unbeschränktesten Elemente der Musik fühlte, nur dafür besorgt sein, wie er sich beschränkte, da Erschöpfung des Themas unmöglich ist. So ließ er denn nur einmal, aber im lang gegliederten Zuge, das unersättliche Verlangen anschwellen, von dem schüchternsten Bekenntniß, der zartesten Hingezogenheit an, durch banges Seufzen, Hoffen und Zagen, Klagen und Wünschen, Wonnen und Qualen, bis zum mächtigsten Andrang, zur gewaltsamsten Mühe, den Durchbruch zu finden, der dem grenzenlos begehrlichen Herzen den Weg in das Meer unendlicher Liebeswonne eröffne. Umsonst! Ohnmächtig sinkt das Herz zurück, um in Sehnsucht zu verschmachten, in Sehnsucht ohne Erreichen, da jedes Erreichen nur wieder neues Sehnen ist, bis im letzten Ermatten dem brechenden Blicke die Ahnung des Erreichens höchster Wonne aufdämmert: es ist die Wonne des Sterbens, des Nichtmehrseins, der letzten Erlösung in jenes wundervolle Reich, von dem wir am fernsten abirren, wenn wir mit stürmischester Gewalt darin einzudringen uns mühen. Nennen wir es Tod? Oder ist es die nächtige Wunderwelt, aus der, wie die Sage uns meldet, ein Epheu und eine Rebe in inniger Umschlingung einst auf Tristan’s und Isolde’s Grabe emporwuchsen?« Von Richard Wagner für die Erstaufführung des Tristan-Vorspiels in Paris verfasst und am 25. Jänner 1860 an Mathilde Wesendonck gesandt.

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Z USA M MEN FAS SU NG DER OPER


Mathilde Wesendonck → Träume

Sag, welch wunderbare Träume Halten meinen Sinn umfangen, Daß sie nicht wie leere Schäume Sind in ödes Nichts vergangen? Träume, die in jeder Stunde, Jedem Tage schöner blühn, Und mit ihrer Himmelskunde Selig durchs Gemüte ziehn! Träume, die wie hehre Strahlen In die Seele sich versenken, Dort ein ewig Bild zu malen: Allvergessen, Eingedenken! Träume, wie wenn Frühlingssonne Aus dem Schnee die Blüten küßt, Daß zu nie geahnter Wonne Sie der neue Tag begrüßt, Daß sie wachsen, daß sie blühen, Träumend spenden ihren Duft, Sanft an deiner Brust verglühen, Und dann sinken in die Gruft. Richard Wagner vertonte dieses Gedicht 1857. Ebenso wie Im Treibhaus, ein weiteres seiner »Wesendonck-Lieder«, bezeichnete er Träume als Studie zu Tristan und Isolde.



Peter Wapnewski

RICHARD UND MATHILDE Als Wagner 1854 diesen Stoff konzipiert, hat er den Sommer und Herbst über am ersten und zweiten Akt der Walküre gearbeitet, und hat die Kompositionsskizze mit einer Feder aus Gold geschrieben, die ihm »Mad. Wesendonk«* geschenkt hat. Eine Feder »von unverwüstlicher Schreibkraft«, wie er in seiner Autobiographie Mein Leben schrieb. In die Kompositionsskizze des ersten Akts hat er nicht weniger als sechzehn verschlüsselte sich auf Mathilde beziehende Eintragungen hineingeheimnist, und über den Anfang die Sigle »G. s. M.!« gesetzt: Musenanruf »Gesegnet sei Mathilde!«. […] Die Liebe zu Mathilde als höchster Ausdruck der Bejahung des Willens zum Leben. Die voraussehbare Not, diese Liebe zu opfern, als höchster Ausdruck der Verneinung des Willens zum Leben. Der den Abschied vom »Asyl«, den Abschied von der vertrauten Gemeinsamkeit signalisierende Brief Wagners an Mathilde vom 6. Juli 1858 fragt rhetorisch: »Die ungeheuren Kämpfe, die wir bestanden, wie könnten sie enden als mit dem Siege über jedes Wünschen und Begehren?« Und er endet mit einem Hinweis auf seinen Holländer, auf dessen »Ruhe«, dessen »Heimat«, die ihm nur ein »treues, herrliches Weib« erringen konnte. »Laß uns diesem schönen Tode weihen, der all unser Sehnen und Begehren birgt und stillt! Laß uns selig dahinsterben, mit ruhig verklärtem Blick und dem heiligen Lächeln schöner Überwindung! Und – keiner soll dann verlieren, wenn wir – siegen! Leb’ wohl, mein lieber heiliger Engel!« Als Tristan und Isolde an Bord des an feindseliger Küste landenden Schiffes tapfer den Todestrank trinken (den vermeintlichen), da ist er nicht aus den Künsten der Stoffgeschichte, sondern durchaus von Wagners Kunst kompoPET ER WA PN EWSK I

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→ Folgende Seite: Andreas Schager als Tristan, Komparserie der Wiener Staatsoper

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niert. Ein vorweggenommener Tod, der ihr »eigentliches« Leben überhaupt erst eröffnen kann. Für Wagner und Mathilde freilich gab es keine Zukunft mehr, so wird die Frage zu einer Andeutung dunkler Zukunft, die Mathilde an Minna richtet (natürlich an Minna, sie hält sich an die Konvention): Was es denn auf sich haben möge mit dem Motto über der Sonate, die Wagner ihr am 20. Juni 1853 gewidmet hat: es sei schwer zu entschlüsseln. Das Motto aber lautete: »Wisst Ihr wie das wird?« Der Nornenvorklang war nicht deplaciert. Seit 1852 hatte die (damals dreiundzwanzigjährige) Tochter des Elberfelder Kommerzienrates Luckenmeyer Wagner interessiert, ihn gerührt, gereizt, fasziniert, und eines Tages war es mehr als das. Ihr Mann half Wagner in großmütiger Noblesse über seine finanzielle Misere hinweg, ließ ihm schließlich zu nominellem Mietzins das »Asyl« neben der üppigen Wesendonk-Villa – das ging nicht an, und weder Minna noch Otto Wesendonk vermochten den ménage à trois (oder quatre, aber Minna war doch weitgehend ausgeschlossen) lange zu ertragen. Das Idyll dauerte vom 28. April 1857 bis zum 17. August des darauffolgenden Jahres, und verwirrt-verworren war es lange Monate schon vor seinem Ende. Wesendonks bezogen 14 Tage nach Wagners Einzug im Asyl ihre Villa. Es bezeugt eine im besten Falle rührende Arglosigkeit Wagners, eher wohl einen tölpelhaften Versuch, vor der schreibenden Cosima zu verschleiern, was sie doch wusste, wenn er in seiner Autobiographie den staunenswerten Satz riskiert, der sich auf den Einzug im »Asyl« bezieht: »Sonderbarerweise traf der Zeitpunkt dieser nachbarlichen Annäherung mit dem Beginne der Ausführung meiner Dichtung von Tristan und Isolde zusammen.« (Wagner: Mein Leben, vollständige, kommentierte Ausgabe, 1976, S. 566.) Mit der Behauptung der »zufälligen« Gleichzeitigkeiten will Wagner den Kausalnexus verschleiern: Datum des Einzugs im Asyl: 28. April 1857. Prosaentwurf des Tristan: ab 20. August 1857. Endfassung der Dichtung: Ende August bis 18. 9. 1857. Gespielt auch die Naivität, mit der Wagner die Reaktion Mathildes kommentiert und die Cosimas hervorhebt (die Bülows waren auf ihrer Hochzeitsreise und machten Besuch in Zürich: es ist dieses Leben immer wieder bestimmt von den merkwürdigsten Bedeutsamkeiten): als er nämlich im September 1857 seine vollendete Tristan-Dichtung »mit viel Eindruck« zu Gehör bringt: »Da Frau Wesendonk von dem letzten Akte besonders ergriffen schien« … , – was Wunder; fast klingt es wie Hohn. Also: da »Frau Wesendonk von dem letzten Akte besonders ergriffen schien, sagte ich tröstend, dass man hierüber nicht zu trauern habe, da es im allerbesten Falle bei so ernsthafter Angelegenheit diese Art von Wendung nähme – worin mir Cosima recht gab« (Mein Leben, S. 567). Das wird sie gern gehört haben. Und gerne niedergeschrieben. * Zum Namen existieren verschiedene Schreibweisen.

R ICH A R D U N D M AT HILDE


Laura Holder → Was

WAS ICH IN DIR SEH ICH IN MIR FÜHLT ES SICH WARM AN



Jens Malte Fischer

SYMPATHIE MIT DEM TODE

Tristan und Isolde und die literarischen Folgen


Thomas Mann begann seine Betrachtungen eines Unpolitischen mitten im Ersten Weltkrieg 1915 und vollendete sie noch vor Kriegsende 1918. Als ein prekäres Bekenntnis zum deutschen Wesen im Gegensatz zum nichtdeutschen, speziell dem französischen (worin sich auch eine Auseinandersetzung mit dem Bruder Heinrich verbarg), hatten sie seinerzeit großen Erfolg, und viele Leser konnten nicht verstehen, dass sich der Autor dieser Betrachtungen wenige Jahre später von einem unpolitischen Konservativen zu einem politischen Verteidiger der Republik von Weimar wandeln sollte. In diesem umfangreichen Text findet sich ein Kapitel, das dem befreundeten Komponisten Hans Pfitzner und seiner Oper Palestrina gewidmet ist. Thomas Mann erinnert sich, dass man anläßlich der Uraufführung des Werkes durch Bruno Walter in München mit Pfitzner zusammensaß und über den Unterschied zwischen den Meistersingern und dem Palestrina sprach. Pfitzner habe dabei gesagt: »Die Meistersinger sind die Apotheose des Neuen, ein Preis der Zukunft und des Lebens; im Palestrina neigt alles zum Vergangenen, es herrscht darin Sympathie mit dem Tode.« Thomas Mann war sehr irritiert, ja erschüttert, denn diese Formulierung »Sympathie mit dem Tode« war seine eigene Prägung, was aber Pfitzner nicht wissen konnte. In dem großen Roman Der Zauberberg, an dem Mann gerade schrieb, war diese »Sympathie mit dem Tode« ein wiederkehrendes Thema, um nicht zu sagen ein Leitmotiv: »Ein Wort der Tugend und des Fortschritts ist das nicht. Ist es nicht vielmehr, wie ich sagte, Formel und Grundbestimmung aller Romantik?« Diese prekäre Sympathie mit dem Tode ist in der Tat ein Leitmotiv auch bei Thomas Mann, von den ersten Erzählungen bis hin zum Doktor Faustus, sie ist ein Leitmotiv seiner lebenslangen Beschäftigung mit dem Werk Richard Wagners und vor allem in seinem Verhältnis zu Tristan und lsolde. Aber bevor wir zu diesem Verhältnis kommen, wie es sich in seiner Novelle Tristan abbildet, soll pointillistisch die Wirkung dieses Musikdramas in der europäischen Literatur beleuchtet werden. Es ist eine Wirkung, die sich vor allem auf die Literatur der europäischen Décadence beschränkt, dort aber intensiv und ausgebreitet war. Schauen wir uns einschlägige Beispiele an, um besser beurteilen zu können, was die Literatur der Décadence an Tristan und lsolde so faszinierte. Auch wenn es sich um Autoren handelt, die heute kaum noch einer größeren Öffentlichkeit bekannt sind: Vor hundert Jahren waren es Namen von europäischem Rang. So veröffentlichte der englische Romancier George Moore 1898 einen Roman mit dem Titel Evelyn Innes (der deutsche Titel war Irdische und himmlische Liebe), der die Geschichte einer Wagner-Sängerin erzählt. Die Titelheldin stammt aus dem Londoner Bürgertum und ist von einer tiefen katholischen Religiosität geprägt, die mit dem Glamour des Opernlebens immer wieder in Konflikt gerät, ebenso wie die beiden Liebschaften der Sängerin mit einem reichen Kunstkenner und einem armen Dichter und Komponisten ihr nur Ungemach bereiten, so dass 81

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sie schließlich ins Kloster geht (die Wagner-Heroine als Nonne, eine aparte Vorstellung, die dann in einem Fortsetzungsroman Sister Teresa verwirklicht wurde). Diese Evelyn Innes ist auch eine Interpretin der Isolde. Aber schon bevor sie zum erstenmal die Partie singt, wird die Musik dieses Dramas für sie von entscheidender Bedeutung, denn ihr erster Liebhaber stimuliert sie erotisch, indem er ihr aus Tristan und Isolde auf dem Cembalo (!) vorspielt. Moore macht ganz deutlich, dass seine Heldin vom Kompositum »Liebestod« immer nur die erste Hälfte begreift; die Liebe ist ihr Elixier, Sympathie mit dem Tode jedoch hat sie überhaupt nicht, ja sie scheitert letztlich an der Bühnendarstellung der Isolde, weil sie die Bedeutung des Todes für Isolde nicht versteht. Man wird nicht sagen können, dass Ippolita Sanzio, die weibliche Heldin in Gabriele d’Annunzios Roman Trionfo della morte (1899, deutsch Triumph des Todes), eine Sympathie mit dem Tode besitzt, aber sie ist der von Wagner intendierten Problematik schon viel näher, auch wenn ihr Tod kein Liebestod im Wagner’schen Sinne ist. D’Annunzio ist uns heutigen nichtitalienischen Lesern noch am ehesten ein Begriff, weil er mit der großen Schauspielerin Eleonora Duse eine leidenschaftliche lang andauernde Affäre hatte, und weil Luchino Visconti nach einem seiner Romane einen Film gedreht hat. Vor hundert Jahren war er eine europäische Berühmtheit, ein skandalumwitterter Décadent, der dann im Ersten Weltkrieg mit spektakulären militärischen Einsätzen seine Berühmtheit noch einmal steigerte. Es gibt zwischen Wagner und d’Annunzio noch ein merkwürdiges Bindeglied: Die spleenige Villa des Dichters in Gardone am Gardasee (heute eine touristische Attraktion ersten Ranges) wurde nach seinem Tod von einem Schwiegersohn Wagners bewohnt, von dem Kunsthistoriker Henry Thode. D’Annunzio war ein überschwänglicher Wagnerianer, der engagierteste, den die italienische Kultur zu bieten hatte. In vielen seiner Werke spielen Wagner und seine Musik eine wichtige Rolle. Tristan und lsolde sind die Paten vom Triumph des Todes. Sie werden im Roman vertreten von Giorgio Aurispa, einem blasierten Jüngling aus bester römischer Familie, und Ippolita Sanzio, seiner Geliebten. Aurispa steigert sich, durch verschiedene Erlebnisse beflügelt, in einen Todeskult hinein, der auch den Selbstmord nicht ausschließt. Zweimal zieht er sich mit Ippolita in die Einsamkeit eines Dorfes zurück, verfolgt von Manifestationen des Todes in seiner Umgebung. In der letzten Einsiedelei der beiden Liebenden setzt Aurispa die Musik Wagners ein, um Ippolita für das gewünschte Endziel zu präparieren. Beide steigern sich am Klavier und vor dem Klavierauszug des Tristan in eine gefährliche Stimmung hinein: »Ganze Tage lebten so die beiden Einsiedler in der großen Illusion, atmeten diese schwüle Atmosphäre, sättigten sich an diesem todbringenden Verlangen. Sie glaubten sich selbst zu verwandeln, ein erhabeneres Lebensgebiet zu erreichen, sie glaubten den Personen des Dramas in der schwindelhaften Höhe ihres Liebestraumes zu gleichen. Schien es nicht, als hätten auch sie einen Liebestrank getrunken? J ENS M A LT E FISCHER

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→ Folgende Seiten: Andreas Schager als Tristan, Martina Serafin als Isolde, Iain Paterson als Kurwenal

Wurden nicht auch sie von einem Verlangen ohne Ende gefoltert? Umschlang nicht auch sie ein unauflösliches Band und empfanden sie nicht zuweilen in der Sinnenlust die Zuckungen des Todeskampfes, hörten sie nicht das Brausen des Todes?« Schon glaubt Aurispa, die Geliebte so weit zu haben, dass sie freiwillig mit ihm in den Liebestod geht. Siegesgewiss fragt er sie, ob sie nicht Isoldes Tod sterben möchte, muss aber zu seiner Enttäuschung hören, dass sie dies keineswegs vorhat, sondern gerne mit ihm weiterleben möchte. D’Annunzio wäre nicht einer der führenden Autoren des europäischen Fin de siècle, wenn er sich mit dieser Wendung begnügen würde. Von der Wollust und dem Tode heißt ein für die Décadence typischer Romantitel der Zeit. Die Wollust haben die beiden Liebenden genossen, jetzt ist die Stunde des Todes, und da Ippolita nicht freiwillig mitgeht, die Notwendigkeit des Doppelselbstmordes, der hier als Liebestod getarnt werden soll, keineswegs einsieht, muss sie zu ihrem Glück gezwungen werden: Aurispa stürzt sich mit der sich verzweifelt Wehrenden von einer Klippe hoch über dem Meer. D’Annunzio wendet das Liebestodmotiv der Wagner’schen Romantik ins Pervers-Dekadente: Durch das Rauschmittel der Tristan-Partitur bis kurz vor die Schwelle geführt, verweigert Isolde-Ippolita den Liebestod und wird ermordet. Hier hat man den Unterschied zwischen der Romantik und der Décadence in nuce; man imaginiere sich umgekehrt einen veränderten Schluss von Tristan und Isolde, in dem der todgeweihte Tristan der herbeigeeilten Isolde ein Schwert in die Brust stößt oder sich mit ihr von der Zinne von Kareol stürzt. Die Literatur der Décadence konnte sich mit dem quasi einfachen Liebestod nicht zufriedengeben, er musste noch eine Schraubendrehung erfahren, noch einmal gesteigert und durch ein Element der Gewalt pikant werden. Giorgio Aurispa war in Bayreuth gewesen, der »alten grauen Stadt, von den bayrischen Bergen umgeben, in einer mystischen Landschaft« (es ist nicht ganz das Bayreuth, das wir zu kennen glauben), und nennt das seine »Wallfahrt«. Dies ist der quasi offizielle Ausdruck für die Bayreuth-Besucher am Ende des 19. Jahrhunderts. Die französischen Wagnerianer nennen es entsprechend »pélérinage«, und in den Biographien fast aller bedeutenden französischen Komponisten um die Jahrhundertwende spielt diese »Wallfahrt« eine entscheidende Rolle. Kein Wunder, dass diese Wallfahrten auch ein wiederkehrendes Thema der Literatur der Zeit sind, und Tristan und Parsifal sind dabei, weit über dem Ring des Nibelungen, die entscheidenden Erlebnisse. So auch in Der Sieg des Gatten des französischen Romanciers Joséphin Péladan, eine der kuriosesten Figuren der französischen Literatur der Zeit. Dieser Roman ist Teil eines 21-bändigen Romanzyklus, Die lateinische Dekadenz, der zwischen 1884 und 1925 erschien. Péladan hatte starke okkultistische Neigungen, hielt sich für den Abkömmling eines alten babylonischen Magiergeschlechts und nannte sich entsprechend auch gerne Sár Mérodack. Das Liebespaar des Romans Der Sieg des Gatten, Adar und Izel mit Namen, fährt nach Bayreuth und besucht eine Vorstellung von Tristan und Isolde, wobei es

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Cosima Wagner in einer Loge sieht, »mit der Löwenmiene der Tochter von Liszt«, und sich fragt: »Hatte diese Frau mit Wagner die Wollust einer Isolde, einer Kundry erlebt? Hatte das Genie, dem sie, die gewöhnlichte Pflicht verletzend, folgte, als ein entflammter Tannhäuser sie den Venusberg toller Sensationen ersteigen lassen?« Diese interessanten Fragen werden im Roman nicht beantwortet, umso intensiver gibt sich Péladan der Verlockung hin, die Wirkung des Tristan auf ein junges leidenschaftliches Paar im Zuschauerraum zu beschreiben. Seitenlang paraphrasiert Péladan die Handlung des Musikdramas, wobei in seinem Falle ganz eindeutig das Drama die größere Wirkung entfaltet als die Musik, über die er nur Klischeehaftes zu sagen weiß, aber über die aphrodisierende Wirkung kann er sich nicht genug auslassen. Hatte d’Annunzio den Tod in den Vordergrund gestellt, so ist es für Péladan, den französischen Decadent, die Liebe in all ihren Aspekten, vor allem aber den sinnlichen, die ihn in seiner Darstellung der Wirkung von Tristan und Isolde interessiert. Der französische Wagnerismus war ja literarisch bedeutender als der deutsche. Während man den deutschen Wagnerismus vor allem weltanschaulich (in der bedenklichen Wirkung der reaktionären Linie der Bayreuther Blätter) und musikalisch (in der Fülle der Mittelalter- und Märchenopern) aufspüren kann, sind im französischen Wagnerismus (den es natürlich auch musikalisch und durchaus bedeutend gibt) mehr literarische und bildnerische Auseinandersetzungen zu finden. Tristan und Isolde nimmt dabei eine Sonderstellung ein als dasjenige Werk, dem kein ideologisches Gepäck aufgeladen werden kann. Es hat ja noch zu Lebzeiten Wagners keineswegs die Wellen geschlagen, die der Ring oder die Meistersinger oder Parsifal entfesselten, und es dauerte ein wenig, bis die europäische Décadence gerade dieses Werk als ihr »Erb und Eigen« entdeckte – man denke nur an die Spuren in den Zeichnungen Aubrey Beardsleys. Die früher vielbeschworene Schopenhauer-Wirkung im Tristan wird schon lange mit kritischen Augen betrachtet, und das hat nicht zuletzt ein deutscher Autor bewirkt, der, schon bevor es die Wissenschaftler merkten, feststellte: »In Wagners Tristan steckt mehr Novalis als Schopenhauer.« Dies schrieb Thomas Mann bereits 1905, und 1933 hat er in seinem großen Wagner-Essay, der der Auslöser für eine unerquickliche Kontroverse mit den reaktionären Kräften des Münchner Kulturlebens war und der unmittelbare Anlass, von einer Auslandsreise Anfang 1933 nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren, den Komponisten des Tristan in eine todes- und schönheitsverliebte Welt, eine Welt der Rauschmittel, der Überfeinerung der Sinne, der synästhetischen Spekulationen hineinversetzt, mit einem Wort: in die Welt von Baudelaire und Mallarmé, also in die der Décadence und nicht in die des deutschen Bayreuth-Kultes (auch das nahmen ihm seine deutschen Kollegen und ehemaligen Freunde übel). Auf eine wunderbar ironische und doch ernsthafte Weise hat der junge Thomas Mann in seiner Erzählung Tristan (1903) dem eigenen Erlebnis dieses J ENS M A LT E FISCHER

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Werkes, dieser Musik, aber auch der problematischen Wirkung des Ganzen ein virtuos gestaltetes Denkmal gesetzt. Auf den ersten Blick befinden wir uns in einer ganz anderen Situation als bei George Moore, d’Annunzio und Péladan. Der Ironiker Thomas Mann ist schon habituell nicht in der Lage, das Schicksal seiner Protagonisten Detlev Spinell und Gabriele Klöterjahn so ganz ernst zu nehmen, wie das die zuvor Genannten mit ihren Figuren taten; schon die Namensgebung läßt es vermuten. Detlev Spinell, dessen Namen an ein edles Metall erinnern soll, und Gabriele Klöterjahn, die eigentlich Eckhof heißt, aber einen vierschrötigen Kaufmann namens Klöterjahn geheiratet hat und ihm einen ebenso vierschrötigen gesunden Sohn geboren hat, sind zwei Kranke und deshalb in einem Sanatorium mit dem Namen »Einfried« (Wahnfried?), das von kuriosen Gestalten bevölkert wird wie der fast tauben Magistratsrätin Spatz und der Pastorin Höhlenrauch, die fünfzehn Kinder geboren hat und absolut keines Gedankens mehr fähig ist. Spinell, ein Schriftsteller ohne Werk, ist offensichtlich nur psychosomatisch krank, sucht vielleicht sogar nur Anregung für seine Arbeit. Gabriele hingegen hat ihr Weniges an Lebenskraft (sie ist die typische femme fragile des Fin de siècle) ihrem Mann und ihrem strotzenden Sohn geopfert und siecht an einer Lungenkrankheit dahin, auch wenn der Gatte dröhnend behauptet, dass sie es nur ein wenig an der Luftröhre habe. Sie ist aber außerdem eine gute Pianistin, der der Arzt die Aufregung des Spielens verboten hat (wir erinnern uns an E. T. A. Hoffmanns und Jacques Offenbachs sterbenskranke Sängerin Antonia). Die Patienten und die Belegschaft des Sanatoriums machen eine Schlittenpartie – Thomas Mann bildet subtil den Anfang des 2. Aktes von Tristan und Isolde nach, denn auch hier verliert sich wie der Hörnerschall bei Wagner der Klang der Schlittenglöckchen in der Ferne, und die platonisch Liebenden Detlev und Gabriele bleiben, bewacht von Brangäne alias Magistratsrätin Spatz, zurück. Thomas Mann ist zu raffiniert, um es jetzt zu einer veritablen Liebesszene kommen zu lassen. Während bei den anderen Autoren die Musik des Tristan als erotisches Stimulans benutzt wird, ist sie hier der Ersatz für alle Handlungen, die dem ungleichen Paar ansonsten verwehrt bleiben, ja nicht einmal in den Sinn kommen. Spinell stiftet Gabriele an, ihrem Arzt und ihrem Mann untreu zu werden, nicht indem sie sich dem gehemmten Dichterling hingibt, sondern indem sie Klavier spielt. Zunächst fängt es noch relativ harmlos mit Chopinschen Nocturnes an, dann aber geht es schnell zum Tristan über. Und hier liefert Mann ein Kabinettstück seiner literarischen Meisterschaft, indem er Text und Musik in einer Art sprachlichen Verdichtung zu verbinden weiß, die den Höhepunkt der literarischen Wirkung des Tristan darstellt. Nur ein Beispiel aus der Paraphrase des 2. Aktes sei gegeben, die beim Vergleich mit dem Original ihre Virtuosität schnell enthüllt: »O sink hernieder, Nacht der Liebe, gib ihnen jenes Vergessen, das sie ersehnen, umschließe sie ganz mit deiner Wonne und löse sie los von der Welt des Truges und der Trennung. Siehe, die letzte Leuchte verlosch! Denken und Dünken versank in heiliger 87

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Dämmerung, die sich welterlösend über des Wahnes Qualen breitet. Dann, wenn das Blendwerk erbleicht, wenn in Entzücken sich mein Auge bricht: das, wovon die Lüge des Tages mich ausschloß, was sie zu unstillbarer Qual meiner Sehnsucht täuschend entgegenstellte, – selbst dann, o Wunder der Erfüllung! selbst dann, bin ich die Welt. – Und es erfolgte zu Brangänens dunklem Habet-Acht-Gesange jener Aufstieg der Violinen, welcher höher ist als alle Vernunft.« (Der berühmt gewordene letzte Satz ist übrigens nicht, wie oft behauptet wird, ein Schopenhauer-Zitat, sondern wohl eine Anspielung auf Luthers Übersetzung von Philipper 4,7: »Der Friede Gottes, welcher höher ist denn alle Vernunft«.) Das ist sprachlicher Wagner, natürlich. Aber doch wieder auch nicht. Es ist Thomas Manns Kunst, durch winzige Verschiebungen und Abweichungen das Ganze in einen Mannschen Sprachstrom hineingleiten zu lassen, bis der Leser nicht mehr weiß: Ist das noch Wagner oder schon Mann? Die Grenzen verfließen durchaus absichtsvoll. Die noch größere Kunst Manns aber ist es, den Abstand zwischen Detlev Spinell und Tristan (Spinell wird im Sanatorium wegen seines Äußeren der »verweste Säugling« genannt und hat so gar nichts Heldisches an sich) und zwischen Gabriele Klöterjahn und Isolde (auch sie ist alles andere als ein sieghaftes Weib, sondern eine zarte, lungenkranke, etwas naive junge Frau, die den musikalischen Liebesakt nicht überstehen wird, denn die Klavierauszugraserei, von Spinell angestiftet, führt zum tödlichen Blutsturz) – Manns Kunst also ist es, den Abstand einerseits zu betonen, andererseits ihn aber nicht etwa dazu zu benutzen, die beiden Figuren in ebendiesem Abstand lächerlich zu machen. Thomas Mann lässt diesen beiden nicht sehr imponierenden Kranken doch ihre Würde. Seine Sympathie mit dem Tode ist es, die ihn zu der Seite der schwachen und dekadenten Figuren Detlev und Gabriele hinneigen lässt und nicht zu der Seite der primitiven, aber starken und gesunden Klöterjahns. Es ist eine Hinneigung, aber keine einseitige Parteinahme – darin manifestiert sich die Distanz des Ironikers. Nur die Décadents sind in der Lage, die hochdekadente Kunst Wagners, die Mann durchaus mit der Optik Nietzsches sieht, zu verstehen, sie zu genießen, sie in ihrer letzten Verfeinerung zu begreifen. Einen Liebestod stirbt diesmal Isolde-Gabriele, wobei gar nicht deutlich wird, ob sie diesen eher hässlichen, unproduktiven Literaten Spinell wirklich liebt; sie liebt ihn, wenn überhaupt, als Verkörperung einer Gegenwelt zu der ihres platt-bourgeoisen Mannes, als feinsinnigen Menschen mit dem Gespür für das Wesentliche großer Kunst, auch wenn er lächerliche Züge hat; vor allem aber liebt und stirbt sie für Tristan und Isolde, das eigentliche opus metaphysicum, das Werk der Nacht- und Todessehnsucht, das Mann immer besonders geliebt hat. Wenig bekannt ist, dass Thomas Mann nahe daran war, das Drehbuch für einen Tristan-und-Isolde­-Stummfilm zu schreiben. 1923 war das; leider ging die Filmfirma in Konkurs, und so zerschlug sich dieser Plan (im gleichen Jahr jedoch wurde ein Buddenbrooks-Film gestartet). J ENS M A LT E FISCHER

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Es ist die Thomas Mannsche Novelle, die am deutlichsten zeigt, worin die Faszination der Generation der Jahrhundertwende durch Tristan und Isolde lag. Für die besonderen Charakteristika der Musik hatte wohl außer Thomas Mann (der diese Partitur bis in die Details kannte) keiner der Autoren ein besonderes Organ. Es war der Abglanz der europäischen Romantik und ihrer Faszination durch die Verbindung von Eros und Tod, der sich für die Generation des Fin de siècle im Tristan konzentrierte. Zu überbieten war dieses Werk weder musikalisch noch literarisch, man konnte es nur einseitig zuspitzen, indem man entweder dem Eros einen Stich ins Pervertierte gab oder dem Tod ein Gran Gewalttätigkeit beimischte. Einzig Thomas Mann verfiel auf die gleichsam rettende Idee, mit dem Stilmittel der Ironie ohne völlige Distanzierung seiner ambivalenten Liebe zu Wagner Ausdruck zu geben. Als er älter wurde, wurde er immer stärker vom Parsifal angezogen. Aber noch der alte Thomas Mann schreibt 1949 an Emil Preetorius: »Der zweite Akt ›Tristan‹, finde ich jetzt, mit seinem metaphysischen Wonneweben, ist mehr etwas für junge Leute, die mit ihrer Sexualität nicht ein noch aus wissen. Aber als ich mir neulich den ersten in seiner realistischen Dramatik wieder einmal vorführte, war ich vollständig begeistert (...) – es schlägt an Ausdruckskraft schlechthin alles.«

→ Folgende Seiten: Iain Paterson als Kurwenal, Martina Serafin als Isolde, Ekaterina Gubanova als Brangäne, Andreas Schager als Tristan, René Pape als König Marke

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Gottfried von Straßburg

ÜBER DIE LIEBE Aus dem Versroman Tristan

Wann immer ich mir Liebe und Liebesschmerz vor Augen halte und über ihre Beschaffenheit im Inneren nachsinne, dann beflügeln sich meine Gedanken und mein Weggefährte, die Sehnsucht, als ob sie bis in die Wolken wollten. Wenn ich im einzelnen die vielen Wunder bedenke, die man in der Liebe finden kann, wenn man sie richtig zu suchen versteht, welche Freude für den in der Liebe liegt, der sie aufrichtig empfindet, dann wird mein Herz sogleich größer als Setmunt, und ich bedaure die Liebe aus tiefstem Herzen, weil die meisten Menschen an der Liebe hängen und kleben und ihr doch nicht gerecht werden. Wir alle haben Verlangen und wollen die Liebe erfahren. Nein, Liebe ist nicht so, wie wir sie miteinander betreiben Wir machen es falsch. Wir säen giftigen Bilsensamen aus und wollen dann, dass er für uns Lilien und Rosen hervorbringe. Das geht gewiß nicht. GOT T FR IED VON ST R AS SBU RG

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Wir müssen das ernten, was wir zuvor gesät haben, und hinnehmen, was die Saat uns bringt. Wir müssen schneiden und mähen, was wir ausgesät haben. Wir bauen die Liebe an mit gallebitterem Gemüt, mit Betrug und Falschheit, und dann erhoffen wir uns von ihr das Glück des Leibes und des Herzens. Sie trägt aber nichts als Schmerzen, Böses, faule Früchte und Schlechtigkeit, so wie sie angebaut wurde. Wenn es uns dann Kummer bringt, und im Herzen wehtut und uns im Inneren fast umbringt, dann schieben wir das auf die Liebe und beschuldigen sie dessen, woran sie völlig schuldlos ist. Wir alle säen Falschheit und ernten deshalb Schande und Kummer. Damit dieser Kummer uns nicht heftig schmerzt, sollten wir vorher bedenken, dass, wenn wir besser und besser aussäen, wir auch entsprechend ernten. Wir, die wir unsere Gedanken auf Weltliches richten (ob sie nun gut sind oder schlecht), wie vertun wir unser Leben, das wir uns vertreiben und schnell verbringen im Namen der Liebe, und finden doch nichts darin außer eben derselben Mühsal, die wir hineingelegt haben: Missgeschick und Unglück! Das Gute finden wir da nicht, nach dem jeder von uns strebt und das uns allen versagt ist: dauerhafte Freundschaft, die uns beständig erquickt, die neben Dornen Rosen trägt und Annehmlichkeiten neben Mühen, die stets in sich vereinigt Freude und Sorgen, 93

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die immer wieder beglückt, sooft sie überschattet ist. Die findet jetzt keiner. So gehen wir damit um. Es stimmt genau, was man sagt: »Die Liebe ist verjagt und vertrieben an den entlegensten Ort.« Wir haben von ihr nur noch den Begriff. Nichts als der Name ist uns geblieben. Aber auch den haben wir so zerredet, so abgenutzt und verbraucht, dass die Todmüde sich ihres Namens nun schämt und ihr das Wort zuwider ist. Sie ist voller Geringschätzung und Kummer über sich selbst auf Erden. Würdelos und verachtet schleicht sie bettelnd von Haus zu Haus und trägt schmachvoll einen buntscheckigen Sack, in dem sie ihr Diebesgut und ihre Beute ihrem Munde vorenthält und es auf der Straße feilhält. O weh! Den Markt stellen wir selbst. Wir treiben Unerhörtes mit ihr und wollen daran auch noch unschuldig sein. Die Liebe, Königin aller Herzen, die freie und einzigartige, ist käuflich zu haben. Wie haben wir sie gezwungen, uns tributpflichtig zu sein! Wir haben eine schlechte Nachahmung als Stein in den Fingerring eingesetzt und betrügen uns selbst damit. Es ist ein jämmerlicher Betrug, wenn man einen Freund so belügt, dass man sich selbst täuscht. Wir falschen Liebenden, wir Betrüger der Liebe, wie verrinnen uns unsere Tage, dass wir unser Leid so selten zu einem erfreulichen Ende bringen! GOT T FR IED VON ST R AS SBU RG

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→ Folgende Seiten: Andreas Schager als Tristan, Martina Serafin als Isolde

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Wie vertun wir unser Leben ohne Freude und ohne Gewinn! Trotzdem versetzt uns in Hochstimmung, was uns doch nichts angeht. Wenn einer eine schöne Geschichte erzählt, die von Freundschaft handelt, wenn wir von denen berichten, die dereinst lebten vor vielen hundert Jahren, dann erquickt uns das im Herzen, und wir sind so erfüllt von dieser Begebenheit, dass kaum jemand aufrichtig und ehrlich und ohne Falsch gegenüber seinem Freunde ist, der nicht auch solche Beglückung für sich selbst in seinem Herzen schaffen möchte, Und doch liegt uns immer jämmerlich unter unseren Füßen, wovon all das entsteht: die Treue, die aus dem Herzen kommt. Sie bietet sich uns vergebens an. Wir aber wenden unsere Augen ab und treten die Wertvolle geringschätzig mit Füßen. Wir haben sie verächtlich in den Boden getrampelt. Wenn wir sie suchen wollten, so wüssten wir in der Eile nicht, wo. Wenn Treue so wertvoll und segensreich unter Freunden ist, warum lieben wir sie dann nicht? Ein inniger Blick Aus den Augen des Geliebten stillt mit Sicherheit hunderttausend Schmerzen des Leibes und des Herzens. Ein Kuss von den Lippen des geliebten Menschen, der aus dem Grunde des Herzens kam, oh, wie kann der auslöschen Sehnsucht und Herzensqual!

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Andreas Láng

DIE GESTALT-­ WERDUNG DER MUSIK

Tristan und Isolde nach Mahler und Roller


So intensiv und unbestritten die Wiener Staatsoper an der internationalen musikalischen Interpretationsgeschichte seit jeher mitgeschrieben hat, so gering waren die hier ausgesandten Impulse an szenischen Reformlösungen, die kraft ihrer künstlerischen Potenz andernorts als beispielhaft aufgegriffen werden konnten. Nicht, dass es im Laufe der mehr als 150 Jahre ihres Bestehens nicht regelmäßig gelungene, ja sogar außergewöhnlich gelungene inszenatorische Umsetzungen auf dieser Bühne gegeben hätte, aber Stilbildendes, Revolutionäres, gänzlich Neues lässt sich selbst bei größter Voreingenommenheit kaum ausmachen. Gustav Mahlers und Alfred Rollers Tristan und Isolde-Produktion vom 21. Februar 1903 bildet eine der oft beschworenen Ausnahmen – so wie übrigens die meisten der von den beiden gemeinschaftlich kreierten musikalisch-szenischen Umsetzungen zentraler Werke des Opernrepertoires. Aber selbst angesichts der vielen nachfolgenden legendären Mahler-Roller’schen Innovationen, etwa der sogenannten Don Giovanni-Türme, die ein neues Kapitel im Umgang mit Szenenwechseln aufschlugen, nimmt ihr gemeinsames Opus 1, eben Tristan und Isolde, doch eine ganz spezifische, singuläre Stellung innerhalb ihres Œuvres ein. Mit dem Tristan wurde nicht nur ein Versprechen eines neuen Verständnisses von Musiktheater abgegeben, sondern dieses sogleich als ikonisches Beispiel einer Idealrealisation des betretenen Weges eingelöst. Musik und Szene waren gleichbedeutend und bedingten einander in einer bis dahin nicht erlebten Art und Weise. Mahler verlangte nach Räumen, die nichts weniger waren als Abbildungen realistischer Schauplätze, er verlangte nach Räumen, die der Musik die Möglichkeit gaben, Gestalt anzunehmen. Farbe, Licht und Formen mussten zum Resonanzkörper für die Musik werden. Max Graf bringt es in seinem »Roller’schen Tristan« schön auf den Punkt: »Der höchste Reiz der poetisch ersonnenen, neuartigen Dekorationen ist es, einen Grund-Akkord der Farbe zu variieren, auszubreiten, zu verändern: etwas von der sensiblen ›Tristan-Chromatik‹ in die Dekorationskunst umzuwandeln, mit Schwingungen der Luft und der Farbe musikalische Eindrücke zu erzielen. Die modernen impressionistischen Künste der Malerei ziehen zum ersten Mal auf der Opernbühne ein.« Oder, wie Roller es sinngemäß formulierte: Das Sichtbare musste für Mahler aus der Musik empfangen worden sein und lediglich andeuten, symbolhaft transzendieren und nichts ausformulieren. Für Richard Specht war an dieser Aufführung im positiven Sinne so erschütternd, dass sie in keinem Moment mehr etwas vom Requisit hatte. »Sogar der Liebestrank«, so Specht weiter, »wurde als solcher überflüssig und wirkte, wie es Wagner will, nur als Symbol, und ebenso wurde alles andere zum Symbol aufgehellt: die Musik in ihrer ungeheuren, überzarten, wehvollen, ins Sensibelste gesteigerten Intensität, die ganz ins Große und Geistige greifende und doch mit Lebenswahrheit angefüllte Darstellung und das von jeder Kleinlichkeit freie Bild, in jedem Augenblick malerisch von höchster Schönheit und in jedem Augenblick das sinnfällige Extrakt der dramatischen Situation. Es war der 99

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Tristan unserer Ursehnsucht; aus allem Schutt der Sitte und Übereinkunft schien der wahre Mensch ausgegraben, von aller Lüge, allem, was dieser Tristan den ›Tag‹ nennt, befreit, mit nackter Seele.« Den nämlichen Maßstab setzte Mahler auch für sich als Regisseur an und verzichtete oftmals auf jenes traditionelle, in Wien gern gesehene Zuviel an Betriebsamkeit, die der Dramatik des Moments entgegensteht. Brigitte Heldt zeigt in ihrer Tristan und Isolde-Monographie an einem kleinem Detail aus Mahlers Tristan-Regie anschaulich, worauf es Mahler ankam: »In der zweiten Szene des ersten Aufzugs geht Brangäne, Isoldes Befehl gehorchend, das Schiffsdeck entlang ›an den arbeitenden Seeleuten vorbei‹ auf Tristan zu, der am Steuerruder steht. Dabei erklingt in den Hörnern und Fagotten der Anfang der Weise des jungen Seemanns »Frisch weht der Wind der Heimat zu«, dazu wird im 3. Fagott und von Pauken und Streichern dreizehnmal nacheinander ein Motiv vorgetragen. Szenisch sei dieser Basso ostinato derart zu übersetzen, dass jeweils bei der wiederkehrenden halben Note ein Tau von den Seeleuten zu fassen bzw. nachzufassen, bei der nachfolgenden Viertelnote straffzuziehen sei – und zwar laut persönlicher Anweisung Richard Wagners. Mahler ließ die Matrosen hingegen bewusst unbeweglich dastehen; umso mehr verriet die Haltung trotz der äußeren Ruhe eine innere Anspannung.« Mahler trotzte mit anderen Worten den Vorgaben des überaus verehrten Komponistenkollegen, wenn dies dem inneren Gehalt des Werkes zugutekam. Übrigens auch im Notentext: Angepasst an die akustischen Verhältnisse des Hauses, experimentierte Mahler – vor allem im dynamischen Bereich – ganz frei und ohne falsch verstandene Hemmung vor einer womöglich verletzten Buchstabentreue, wie einige seiner Eintragungen in der in der Staatsoper gehüteten, von ihm verwendeten Partitur verdeutlichen. Wie groß war doch der Unterschied zum ersten realisierten Wiener Tristan von 1883 (der erste Anlauf im Kärntnertortheater war ja 1861 nach angeblich 77 Proben gescheitert). Zwar wurde bei der damaligen Premiere mit Hans Tetzlaff immerhin – und das erstmals in der Geschichte des Hauses – auf dem Abendzettel der Regisseur namentlich erwähnt, aber mehr als ein arrangiertes Rampensingen samt mehr oder weniger liebevoller Outrage der Darsteller in einem zum Teil üppig-farbenfrohen, nahezu Makart-stilartigen Ambiente hatte man nicht zu sehen bekommen. Außerdem fehlten in den ersten 20 Jahren der Wiener Tristan-Rezeption so manche Seiten der Partitur, die dem Rotstift der diversen Dirigenten zum Opfer gefallen waren (sehr zur Freude des Kritikerpapstes Eduard Hanslick übrigens, der frohlockte, dass »uns auf diese Weise eine gute Stunde erspart geblieben ist«). So mancher im Publikum wird daher am besagten 21. Februar 1903 überrascht einiges dieser Musik zum ersten Mal gehört haben, da Mahler in den Wagner-Opern bekanntlich sämtliche Striche öffnete. Die Besonderheit und Einzigartigkeit der Produktion von Mahler und Roller, ihre musikalisch-szenische Einheit war spätestens nach kurzer Zeit bei A N DR EAS LÁ NG

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allen maßgeblichen Personen so sehr über jeden Zweifel erhaben, dass sich über mehrere Jahrzehnte hinaus niemand an eine Neuinszenierung wagte. Keine der Produktionen aus der Mahler-Ära überdauerte ihre Schöpfer so lange wie dieser Tristan. Weder Mahlers Nachfolger Felix von Weingartner, der so manche Errungenschaft des Vorgängers zurückzusetzen trachtete, noch Clemens Krauss, der Selbstbewusstsein genug besaß, mit maßstabsetzenden Vorgaben in Konkurrenz zu treten, rührten die Produktion an. Erst die NS-Schergen, die jede Erinnerung an Mahler auslöschen wollten, erzwangen 1943 schließlich eine sogenannte Neuinszenierung, bei der Wilhelm Furtwängler als Regisseur fungierte. Die Roller’sche Bühnengestaltung blieb allerdings unangetastet und somit auch der Geist Mahlers letztendlich weiterhin lebendig (und wie sehr sich Furtwänglers Regie von jener Mahlers unterschied, sei dahingestellt). Auswirkungen des Mahler-Roller’schen Tristan sind außerdem zumindest noch in den ersten beiden Neuinszenierungen des Werkes nach der Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper zu erspüren. Die zwischenzeitliche Produktion, die 1946 im Ausweichquartier Theater an der Wien herauskam und 1955 ins Haus am Ring übersiedelte, sollte lediglich die Spielbarkeit des Stückes ermöglichen und »von jeder ideologischen Belastung lösen« (Kleines Volksblatt) – mehr nicht. Denn Herbert von Karajan und Emil Preetorius knüpften 1959 nicht nur an Neu-Bayreuth an, sondern in ihrer Farbsymbolik durchaus auch auf die Errungenschaften von 1903 – ohne sie allerdings zu überbieten oder in ihrer Gültigkeit abzulösen. Die in dieser Produktion zu erlebende geheimnisvolle Bläue der Liebesnacht kam dem Mahler-Roller’schen Ideal immerhin sehr nahe! Und auch August Everding übernahm gemeinsam mit Günther Schneider-Siemssen 1967 nach dem eher realitätsnah interpretierten ersten Aufzug vor allem im dritten den Gedanken des aus der Musik geborenen, fast schon mystisch-transzendentalen Raumes. Und im zweiten Aufzug gab es darüber hinaus – bewusst oder unbewusst – sogar ein schönes Sternenhimmel-Zitat: Schon Roller hatte 1903 mit einem entsprechenden »Gefunkel … eine symbolische Verherrlichung der Tristan-Nacht« (Neue Freie Presse) herbeigezaubert. Allerdings wollte Everding, wie die bereits erwähnte Brigitte Heldt herausgearbeitet hat, anders als Mahler und Roller nicht die Gegensätzlichkeit von Realität und Irrealität, von äußerer und innerer Wirklichkeit zeigen, sondern die Unvereinbarkeit des Gegensatzes selbst – was aber eher Theorie blieb und das stellenweise Abgleiten in biedere Konvention nicht verhinderte. Von Mahlers Musiktheater-Prämissen vollkommen unberührt schienen die nächsten beiden Produktionen: Jene von Günther Krämer (2003) verfolgte einen gänzlich unpoetischen Weg, der im Liebestrank eine Art Psychodroge sah, nach deren Einnahme den beiden Protagonisten die Wirklichkeit abhandenkommt und die Räume in der Innensicht der Liebenden in eine Art Trance gelangen und zu Assoziationsräumen wurden. Sir David McVicar hingegen 101

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präsentierte exakt zehn Jahre später eine von archaisch-ostasiatischen Einflüssen angehauchte, phantastisch anmutende, durchwegs dunkel gehaltene Märchenwelt, aus der Isolde am Ende mit einem symbolträchtigen langen roten Schal ins Nichts davonschritt. Vom szenischen Resonanzkörper für die Musik, von der Magie der Ursehnsucht war man hier vielleicht am entferntest möglichen Punkt angelangt.

→ Andreas Schager als Tristan, René Pape als König Marke → Folgende Seiten: Ekaterina Gubanova als Brangäne Andreas Schager als Tristan, Martina Serafin als Isolde Iain Paterson als Kurwenal, Andreas Schager als Tristan, Martina Serafin als Isolde

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KOLUMN EN T IT EL



Laura Holder → Letzter Versuch

MEERE WEINEN BIS DU WEGSCHWIMMST




Impressum Richard Wagner TRISTAN UND ISOLDE Spielzeit 2021/22 (Premiere der Produktion: 14. April 2022)

BILDNACHWEISE Coverbild: Gabriel Lester, Melancholia in Arcadia (2010) Alle Szenenbilder: Michael Pöhn / Wiener Staatsoper GmbH

HERAUSGEBER Wiener Staatsoper GmbH, Opernring 2, 1010 Wien Direktor: Dr. Bogdan Roščić Musikdirektor: Philippe Jordan Kaufmännische Geschäftsführerin: Dr. Petra Bohuslav Redaktion: Nikolaus Stenitzer Gestaltung & Konzept: Fons Hickmann M23, Berlin Layout & Satz: Irene Neubert Bildkonzept Cover: Martin Conrads, Berlin Druck: Print Alliance HAV Produktions GmbH, Bad Vöslau

Nachdruck nur mit Genehmigung der Wiener Staatsoper GmbH / Dramaturgie Rechteinhaber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.

TEXTNACHWEISE ORIGINALBEITRÄGE Nikolaus Stenitzer: Über dieses Programmbuch – Nikolaus Stenitzer: Die Handlung (englische Über­ setzung von Andrew Smith) – Philippe Jordan: Als ich mit Mahler über Wagner sprach – Nikolaus Stenitzer: Handlung und Drama – Andreas Dorschel: Radikale Erotik – Eva Illouz: Wahnsinn und Verrat (Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger) – Andreas Láng: Die Gestaltwerdung der Musik ÜBERNAHMEN Ein Traumgedicht. Calixto Bieito im Gespräch. Aus: Opernring No. 14/April 2022 – Laura Holder: Abschiedsversuch, Biolog, Dynamik, Was, Letzter Versuch, alle aus: Laura Holder: Versuch, dich abzuschreiben. Gedichte. Berlin: Mikrotext 2021 – Platon: Der Ursprung der Liebe, Auszug aus: Ders.: Symposion, in: Sämtliche Werke Band 3, Reinbek: Rowohlt 2002, S. 60-63 – Péter Nádas: Keine Sekunde, Auszug aus: Ders.: Parallelgeschichten, aus dem Ungarischen von Christina Viragh, Reinbek: Rowohlt 2013, S. 358-363 © 2012 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg – Melanie WaldFuhrmann/Wolfgang Fuhrmann: In Rücksprache mit dem Autor und der Autorin gekürzter und bearbeiteter Auszug aus: Dies.: Ahnung und Erinnerung. Die Dramaturgie der Leitmotive bei Richard Wagner, Kassel: Bärenreiter 2013, 104-116 – Peter Wapnewski: Richard und Mathilde, Auszug aus: Ders.: Der traurige Gott. Richard Wagner und seine Helden, Berlin: Berlin 2001, S. 37-42 – Jens Malte Fischer: Sympathie mit dem Tode. Tristan und Isolde und die literarischen Folgen, aus: Ders.: Richard Wagner und seine Wirkung, Wien: Zsolnay 2013, S. 193-203 © 2013 Paul Zsolnay Verlag GmbH, Wien – Gottfried von Straßburg: Über die Liebe, Auszug aus: Ders.: Tristan. Nach dem Text von Friedrich Ranke ins Neuhochdeutsche übersetzt von Rüdiger Krohn, Ditzingen: Reclam 2021, S. 139-149 © 1980 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Ditzingen.

AUTORINNEN UND AUTOREN CALIXTO BIEITO ist Regisseur und künstlerischer Leiter des Teatro Arriago in Bilbao. Er hat die Neuproduktion von Tristan und Isolde inszeniert. ANDREAS DORSCHEL leitet das Forschungsprojekt The Epistemic Power of Music sowie das Institut für Musik­ästhetik an der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz. JENS-MALTE FISCHER ist Kulturwissenschaftler und Publizist. Von 1989 bis 2009 war er Professor für Theaterwissenschaft an der Ludwig-MaximiliansUniversität München. WOLFGANG FUHRMANN ist Professor für Musiksoziologie und Musikphilosophie an der Universität Leipzig. LAURA HOLDER studiert afrikanische Literaturwissenschaften in Wien und arbeitet als Hebamme. 2021 erschien ihr Gedichtband Versuch, dich abzuschreiben. EVA ILLOUZ ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität Jerusalem sowie an der École des hautes études en sciences sociales in Paris. In deutscher Übersetzung erschien zuletzt u.a. Warum Liebe endet. Eine Soziologie negativer Beziehungen (2020). PHILIPPE JORDAN ist Musikdirektor der Wiener Staatsoper und musikalischer Leiter der Neuproduktion von Tristan und Isolde. ANDREAS LÁNG ist Dramaturg an der Wiener Staatsoper. PÉTER NÁDAS ist Schriftsteller und Fotograf. In deutscher Übersetzung erschien zuletzt der Essayband Leni weint (2018). NIKOLAUS STENITZER ist Dramaturg an der Wiener Staatsoper. MELANIE WALD-FUHRMANN ist Wissenschaftliches Mitglied und Direktorin am Max-Planck-Institut für Empirische Ästhetik in Frankfurt am Main. PETER WAPNEWSKI (1922–2012) war Professor der mediävistischen Germanistik und Gründungsrektor des Wissenschaftskollegs zu Berlin.

Die Produktion von Tristan und Isolde wird gefördert von



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Die OMV ist seit langem Generalsponsorin der Wiener Staatsoper und wir sind stolz, diese herausragende österreichische Kulturinstitution mit voller Energie zu unterstützen. Wir freuen uns mit Ihnen auf die bewegenden Inszenierungen. Alle Sponsoringprojekte finden Sie auf www.omv.com/sponsoring


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Foto: Bill Lorenz

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Generalsponsoren der Wiener Staatsoper


→ wiener-staatsoper.at

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