Spiegel vom 10.10.2011

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Wirtschaft

WÄ H R U N G

Profite abschöpfen Der ehemalige Staatssekretär Walther Otremba über seinen Plan zur Eindämmung der Euro-Krise Otremba, 60, war bis März dieses Jahres nacheinander Staatssekretär im Wirtschafts-, Finanz- und Verteidigungsministerium.

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* Giulio Tremonti (Italien); hinten: Elena Salgado (Spanien), Jan Kees de Jager (Niederlande), Luc Frieden (Luxemburg) am 11. Juli in Brüssel.

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WIKTOR DABKOWSKI / ACTION PRESS

DOMINIK BUTZMANN / WIRTSCHAFTSWOCHE

ie aktuelle Krise im Euro-Raum wurde ausgelöst durch steigende Zinsen auf griechische, spanische oder italienische Staatsanleihen. Ursache dafür war die Erkenntnis, dass Euro-Anleihen entgegen der bisherigen Einschätzung nicht risikofrei sind. Gemeinsame Kredite der Euro-Länder („Euro-Bonds“) könnten die Lage vielleicht stabilisieren, würden aber wichtige Anreize für eine Begrenzung der staatlichen Kreditfinanzierung zerstören. Der europäische Stabilitätsmechanismus wiederum, der nach IWF-Muster aus Krediten, Bürgschaften und Stabilisierungsvorschriften besteht, ist hoch regulativ und Ex-Beamter Otremba mit der grundsätzlichen Eigenverantwor- Sicherheit für Staatsfinanzierer tung souveräner Staaten kaum in Überes zwei entscheidende Unterschiede. Zwar einstimmung zu bringen. Eine andere Möglichkeit, die Krise ein- haftet am Ende die Gemeinschaft aller Euzudämmen, wäre der Aufbau einer staatli- ro-Länder für alle versicherten Staatsschulchen europäischen Kreditversicherung. Sie den. Aber es zahlen nicht alle Staaten die würde die Anreizfunktion von Risikoauf- gleichen Zinsen, sondern jeder zahlt entschlägen auf nationale Anleihen erhalten, sprechend seinem Standing an den FinanzSicherheit für die Staatsfinanzierer schaf- märkten beziehungsweise entsprechend fen und die stabilen Länder nicht mehr als der Stabilität der jeweiligen Staatsfinanzen. unbedingt erforderlich belasten. Die Basis- Der zweite Unterschied ist ebenso bedeuidee besteht darin, die Risikozuschläge für tend: Schuldner und Gläubiger zahlen die Staatsanleihen in eine europäisch garan- (potentielle) Insolvenz im Voraus selbst. tierte Anleiheversicherung zu lenken. KonGegenüber der heutigen Situation könnkret: Wer einen Italien-Bond kauft, würde te dauerhafte Sicherheit für die Finanzaus seiner Rendite von 5,6 Prozent jähr- märkte gewonnen werden. Solange Eurolich eine Versicherungsprämie von 3,6 Pro- pa die Kraft für die Rückzahlung aller zent zahlen. Dafür erhielte er ein sicheres Staatsanleihen im Währungsraum zugeWertpapier mit einer leicht höheren Ren- billigt wird – und davon ist bis auf weitedite als diejenige der deutschen Anleihe. res auszugehen –, sind Spekulationen Ein solches Modell wäre, anders als die gegen einzelne Länder, deren Anleihen vielfach geforderte Wirtschaftsregierung, auch kurzfristig realisierbar. Es würde die Profite der Anleihekäufer abschöpfen und die Rettungsstrategie von denjenigen bezahlen lassen, die sie durch unsolide Finanzpolitik und unvorsichtige Kreditengagements verursacht haben. Das könnte die politische Akzeptanz in den Hilfe leistenden Ländern spürbar verbessern. Das Konstrukt sieht nur auf den ersten Blick aus wie der vielzitierte Euro-Bond in komplizierterer Gestalt. Tatsächlich gibt Finanzminister Schäuble, EU-Kollegen*

Schuldner und Gläubiger zahlen selbst D E R

S P I E G E L

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versichert sind, sinnlos. Ständige Diskussionen über die ausreichende Ausstattung eines Rettungsfonds, die Werthaltigkeit von Banken mit hohen Anleihebeständen oder die Eigenkapitalausstattung der Banken wären ausgestanden. Die Wirksamkeit des Modells hängt natürlich von der Glaubwürdigkeit des Garantieversprechens ab – aber diese Voraussetzung muss bei allen Hilfekonstruktionen erfüllt sein. Deshalb sind auch hier Anpassungs- und Konsolidierungsanstrengungen unverzichtbar, aber sie werden vom Druck der Finanzierungskosten geleitet und vorangetrieben. Der Verkauf solcher Anleihen könnte erhebliche Einnahmen generieren. In den vergangenen drei Jahren haben die Anleger im Euro-Raum schon über 100 Milliarden Euro an Risikozuschlägen eingenommen – genug, um zum Beispiel eine Umschuldung Griechenlands mit 30 Prozent Abschlag zu finanzieren. Allein Italien hat im nächsten Jahr eine Bruttokreditaufnahme von über 300 Milliarden Euro. Die Differenz zu deutschen Anleihen beträgt zurzeit über 3,5 Prozentpunkte. Die Versicherung brächte nur auf dieses eine Land bezogen schon im ersten Jahr Einnahmen von rund zehn Milliarden Euro. Wäre im Endzustand die gesamte öffentliche Kreditsumme im Euro-Raum versichert, würde ein Prozent Kreditversicherung pro Jahr rund 80 Milliarden Euro an Einnahmen erzeugen. Diese Mittel könnten zur Entschädigung der Stabilitätsländer, zur Reservebildung und schließlich auch für Ausschüttungen an Länder genutzt werden, die nachweislich bei der Gesundung ihrer Staatsfinanzen schnell vorankommen. Die Finanzanleger könnten natürlich weiter auf die staatliche Absicherung verzichten. Das wäre aber nur für diejenigen eine Option, die bewusst auf Risikostrategien setzen. Vor dem Hintergrund staatlicher Absicherungsangebote wäre klar, dass die ungeschützten Papiere im Fall von staatlichen Zahlungsschwierigkeiten als erste betroffen wären. Das Modell ist vergleichsweise einfach zu administrieren. Man brauchte eine Institution, die die Preise für die Versicherungspolicen ermittelt und die Gewährleistungen ausstellt. Eine eigene, die nationalen Parlamente entmündigende Kreditaufnahme wie bei Euro-Bonds wäre nicht erforderlich. Insofern würden auch die verfassungsrechtlichen Risiken verringert. Der entscheidende Vorteil des Vorschlags liegt in der Umwandlung der unausgesprochenen Garantien für Staatsanleihen in eine kostenpflichtige, explizite Versicherung. Die Staatsversicherung nähme die Restunsicherheit aus dem Markt, indem sie explizit verspricht, was aus Gründen des Euro-Zusammenhalts und der Finanzmarktstabilität ohnehin erforderlich wäre: Mitglieder des Euro-Raums nicht in die Insolvenz gehen zu lassen.


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