Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration

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2  Land als Schlüssel zur Nachhaltigkeit – ein systemischer Blick

schaffen und für Wirtschaft und Gesellschaft Anreize für mehr Nachhaltigkeit setzen (Kap. 4). Die globale Biodiversität steht massiv unter Druck – und doch ist sie durch ihre Ökosystemleistungen eine wesentliche Grundlage für ein stabiles Weltklima und Ernährungssicherung. Zur Bekämpfung der drei großen Krisen des Klimas, des Ernährungssystems und der Biodiversität ist ein neuer, nachhaltiger Umgang mit Land nötig (SCBD, 2020; Leclère et al., 2020).

2.3 Zukunftsvision für einen nachhaltigen Umgang mit Land Die Zukunftsvision des WBGU für einen nachhaltigen Umgang mit Land und terrestrischen Ökosystemen orientiert sich an den in der Agenda 2030 international vereinbarten SDGs, den Zielen des Übereinkommens von Paris sowie den Zielen der CBD und der UNCCD. Auch der normative Kompass des WBGU orientiert sich an diesen Zielen (WBGU, 2016a; 2019b; Kasten 2.3-1), die den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Ein nachhaltiger Umgang mit Land betrifft die unmittelbare Lebensumwelt der Menschen. Nicht nur die Erhaltung der Lebensgrundlagen (darunter die Versorgung mit Nahrungsmitteln und sauberem Trinkwasser oder die Reinhaltung der Luft und Erhaltung der a. Bodenfruchtbarkeit), sondern auch Teilhabe (u.   Zugang zu Land und Ökosystemleistungen) und Eigenart (biokulturelle Vielfalt) sind vielfach bereits heute schon nicht gewährleistet und werden zunehmend durch die Übernutzung und Zerstörung von Landökosystemen bedroht. Wie die vorhergehenden Kapitel zeigen, ist die Umkehr der Trends der Ökosystemzerstörung und der Landdegradation ein sine qua non für den Weg in eine nachhaltige Zukunft, wie sie sich die Weltgemeinschaft zum Ziel gesetzt hat. Die Nutzung terrestrischer Ökosysteme, vor allem in der Land- und Forstwirtschaft, muss grundlegend in Richtung Nachhaltigkeit umgelenkt werden. Der Umgang mit Land kann nur dann nachhaltig sein, wenn er (1) lokal die Bedürfnisse und Würde der dort lebenden Menschen und der nachfolgenden Generationen, (2) deren Kultur und Vielfalt respektiert und (3) planetarische Leitplanken und Ziele zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen berücksichtigt sowie vor diesem Hintergrund Landökosysteme und ihre Leistungen wertschätzt, erhält und wiederherstellt. Dazu ist es wichtig, die Multifunktionalität von Landschaften im Blick zu haben. Diese Perspektive ermöglicht es auch, vermeintliche Gegensätze zwischen Natur und Nutzung für alle Menschen zu überwinden. 40

2.3.1 Ein nachhaltiger Umgang mit Land: systemisch, synergistisch, solidarisch Der WBGU hat 2011 den Umgang mit Land – neben der globalen Energiewende und einer nachhaltigen Gestaltung der rapiden Urbanisierung – als wichtiges Transformationsfeld identifiziert (WBGU, 2011:  317ff.). Ohne eine Transformation unseres Umgangs mit Land – eine globale Landwende – werden die vielfältigen Nachhaltigkeitsziele nicht erreichbar sein. Dabei ist es notwendig, die Ziele – allen voran Ernährungssicherung, Klimaschutz und die Erhaltung von biologischer Vielfalt und Ökosystemleistungen – nicht isoliert und damit in Konkurrenz zueinander zu verfolgen, sondern ihre synergetische Verknüpfung zu suchen. Strategien zur Erreichung dieser Nachhaltigkeitsziele können in der Summe nur erfolgreich sein, wenn sie a priori auf die Erreichung mehrerer Ziele angelegt sind und die Rückwirkungen auf andere Ziele nicht ignorieren. Solche Mehrgewinnstrategien sollten auf allen Gestaltungsebenen angestrebt werden – von der globalen über die nationale bis zur regionalen und lokalen Ebene. Die Vision des WBGU lässt sich auf diesem Hintergrund mit drei Attributen zusammenfassen: Ein nachhaltiger Umgang mit Land erfordert erstens einen systemischen Blick: Die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Nutzungsansprüchen und biophysikalischen Parametern sind immens, und ihre Reichweite kann erheblich sein. Systemische Zusammenhänge reichen von der lokalen bis zur globalen Ebene und erfordern eine sektorübergreifende Betrachtungsweise. Zweitens sind die Probleme unseres Umgangs mit Land nur synergistisch zu lösen. Um Flächenkonkurrenzen zu überwinden und Übernutzung zu vermeiden, muss die Multifunktionalität von Landökosystemen ins Zentrum gestellt werden (Abb. 2.3-1). Es kann nicht darum gehen, verschiedene Nutzungs- und Schutzinteressen isoliert voneinander zu verfolgen, sondern es sollte ein konstruktives Miteinander angestrebt werden. Drittens kann eine globale Landwende nur solidarisch erfolgen. Alle Akteure stehen in der Verantwortung, wobei Potenziale und Leistungsfähigkeit ungleich verteilt sind. Ein nachhaltiger Umgang mit Land erfordert zugleich eine gerechte Verteilung von Lasten und Nutzen. Ein besonderes Augenmerk sollte dabei auf Gendergerechtigkeit gelegt werden (Kasten 2.3-2). Die Vision eines systemischen, synergistischen und solidarischen Umgangs mit Land lässt sich mit Hilfe von drei strategischen Perspektiven konkretisieren: der Integration von Schutz und Nutzung auf der Landschaftsebene, der Beachtung und Gestaltung von Fernwirkungen sowie der Verantwortungsübernahme auf allen Ebenen. Diese werden im Folgenden ausgeführt.


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