WBGU Hauptgutachten: Der Umzug der Menschheit: Die transformative Kraft der Städte

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9 Handlungsempfehlungen

die Pfadabhängigkeiten in diesem Bereich sehr hoch. Die Vermeidung solcher Pfadabhängigkeiten und die Förderung von Gesundheit als Teil einer nachhaltigen Stadtentwicklung sind daher essenziell. Gesundheitsförderung ist zudem ein wichtiges Querschnittsthema; eine ganzheitliche Betrachtung und Bearbeitung kann viele Synergien erzeugen.

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Kernempfehlungen Zur Förderung der Gesundheit in Städten aus einer salutogenetischen Perspektive (Entstehung von Gesundheit) empfiehlt der WBGU folgende prozedurale und sektorale Ansatzpunkte: >> Stärkung integrativer, holistischer und partizipativer Planungsansätze: Aufgrund der Komplexität urbaner Systeme sind sektorale, lineare oder zyklische Planungsansätze für die Verbesserung urbaner Gesundheit ungeeignet (Rydin et al., 2012). Gesundheit als Querschnittsthema muss holistisch und integrativ betrachtet werden, da es in nahezu alle sektoralen Themen wie Mobilität, Wohnen oder Wasserversorgung hineinreicht. Die Planungskompetenz für Städte liegt in vielen Ländern vor allem auf nationaler oder regionaler Ebene und sollte daher stärker auf kommunaler Ebene verankert werden, um der Diversität und Heterogenität der jeweiligen lokalen Herausforderungen gerecht zu werden. Dazu bedarf es auch der Integration und Interaktion verschiedener Akteursgruppen. Dies betrifft zum einen die Einbindung von Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Privatwirtschaft in Planungskonzepte. Dazu sollten diese Gruppen auch angemessen über gesundheitsrelevante Themen (z.  B. Luftoder ­Wasserbelastung) informiert werden und Klagerechte, z.  B. bei Überschreitung von Grenzwerten, innehaben. Aber auch auf der Ebene der lokalen Regierungen sind die Vernetzung verschiedener Planungsbehörden und die sektorenübergreifende Kommunikation zu gesundheitsbezogenen Problemfeldern zentral. Dies bedarf neuer Formen des Kommunikationsmanagements, um auch Experten aus anderen Fachbereichen für die Gesundheitsförderung zu sensibilisieren. Aufgrund der nicht immer vorhersehbaren Emergenzen bei gesundheitsbeB. Nutzungsarten von zogenen Interventionen (z.   Erholungsflächen) ist es wichtig, viele kleinräumige Maßnahmen, die auch durch die Selbstorganisation der Bürger entstehen können, auszuprobieren und bei erfolgreicher Anwendung weiter auszubauen (Glouberman et al., 2006). Zudem sollten Maßnahmen aufgrund der hohen Fluktuation und Nichtlineariät urbaner Systeme veränderbar sein. >> Zielgruppenspezifische Interventionen und Förderung urbaner Armutsgruppen: Die Bevölkerung einer

Stadt ist in der Regel durch eine hohe Heterogenität gekennzeichnet, die mit der Größe der Stadt zunimmt; für Maßnahmen müssen daher die religiösen, ethnischen, alters- oder geschlechtsbedingten sowie sozioökonomischen Hintergründe und sich daraus ergebenden divergierender Bedürfnisse und Vulnerabilitäten der spezifischen Zielgruppen identifiziert und adressiert werden. Städte sind durch sozioökonomische Ungleichheit geprägt, die unterschiedliche Risikoexpositionen und einen ungleichen Zugang zu Ressourcen zur Folge haben. Daher gilt es im Interesse der urbanen Armutsbekämpfung sowie einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, sozioökonomische Disparitäten durch eine integrierte Stadtentwicklung abzubauen. Denn hohe Disparitäten wirken sich negativ auf die gesamte urbane Bevölkerung aus. >> Gesundheitswissen und -handeln fördern: Die Bereitturen stellung gesundheitsfördernder Infrastruk­ (z.  B. öffentliche Sportplätze, Gesundheitsvorsorge) allein reicht nicht aus, um die gesamte Stadtbevölkerung zu erreichen. Sicherzustellen ist zunächst eine hohe Transparenz der Möglichkeiten und Angebote und eine Senkung der Zugangsbarrieren (z.  B. Kosten für Vorsorgebehandlungen oder Nutzung von Sportstätten). Es sollten gezielt dezentrale Orte und Gelegenheiten zur Vermittlung von Gesundheitswissen und Wissen zum Umgang mit Krankheit sowie der vorhandenen Möglichkeiten und Angebote geschaffen werden (z.  B. Stadtteilläden oder Nachbarschaftszentren, stadtteilbezogene Mitmachaktionen und Kampagnen), um die Bevölkerung zu motivieren, gesundheitsfördernde Strukturen aktiv zu nutzen und ungesunde Lebensstile und Gewohnheiten zu reflektieren und zu verändern. Dezentrale Lösungen unter Einbezug bestehender sozialer Netzwerke ermöglichen zudem, das Potenzial lokalen Gesundheitswissens zu aktivieren und zu nutzen. >> Förderung der Ernährungssicherung und gesunder Ernährungsstile: In Anbetracht der zunehmenden Gefährdung der globalen Ernährungssicherheit und der durch ungesunde Ernährungsmuster bedingten Krankheitslast sollte ein gleichberechtigter Zugang zu gesunden Nahrungsmitteln in Städten durch Veränderung der Versorgungssysteme gesichert werden. Dazu sollten Preissteigerungen und -schwankungen, vor allem in Städten der Schwellen- und Entwicklungsländer, durch eine bessere Regulierung der Märkte abgefedert werden. Auch kann die lokale Nahrungsmittelverfügbarkeit durch die Förderung urbaner und periurbaner Landwirtschaft verbessert werden. Die Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit gesunder Nahrung in der Nachbarschaft muss durch Bedarfsplanung sichergestellt werden. Dies beinhal-


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