orte Verlag Leseprobe
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Leistung Texte der Kolumination 2021 auf dem Säntis
LEISTUNG Texte der Kolumination 2021 auf dem Säntis
© 2021 by orte Verlag, CH-9103 Schwellbrunn Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Radio und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten. Gestaltung: Janine Durot/Brigitte Knöpfel Umschlagbild/Bilder im Inhalt: Carmen Wueest Gesetzt in Minion Pro Regular und Gotham Narrow Herstellung: Verlagshaus Schwellbrunn ISBN 978-3-85830-305-9 www.orteverlag.ch
INHALT
7 Vorwort 15 Rainer Hank
Kolumnen 29 Eleonore Büning 35 Birgit Schmid 41 Tanja Maljartschuk Poetry Slams 47 Gregor Stäheli 61 Mieze Medusa 71 Marvin Suckut Kolumnen 87 Jan Fleischhauer 93 Monika Helfer 101 Tamara Wernli «Preis der Kolumination» 107 Beat Kappeler (Laudator) 116 Anhang
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Wolfgang Heyer führte als Moderator durch das Programm der 2. Kolumination.
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Vorwort
DER KOLUMNIST IST IMMER IM DIENST, AUCH WENN ER IM URLAUB IST Die besten Kolumnistinnen und Kolumnisten sowie Slammerinnen und Slammer trafen sich am 22. und 23. Okotber 2021 auf dem Säntis zur zweiten Kolumination. Sie lasen Beiträge zum Thema «Leistung». Axel Hacke, Kolumnist des Magazins der Süddeutschen Zeitung wurde mit dem «Preis der Kolumina tion» ausgezeichnet.
Hans Höhener, Präsident des Vereins Kolumination, bezeichnete die zweite Kolumination als ein Erlebnis und gleichzeitig als eine grosse Leistung. Gesprochen wurden grosse Worte über dem Nebel auf dem 2502 Metern hohen Säntis. Hans Höhener würdigte in seinen Begrüssungsworten auch den Bau der Schwebebahn vor bald 90 Jahren. Zu jener Zeit sei dies ebenfalls eine grossartige Leistung gewesen.
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Ein Kolumnist darf alles, muss aber nicht Rainer Hank, Kolumnist der FAZ Frankfurt und Mitglied der Jury «Preis der Kolumination» überraschte die Zuhörenden mit einer Reflexion darüber, was die Kolumne kann und was sie darf. Laut Hank darf der Kolumnist alles. Doch er soll sich überlegen, ob er alles schreiben soll, was er frei ist zu dürfen. Geschickt übernahm Moderator Wolfang Heyer anschliessend die Führung durch das Programm – teils mit eigenen Slam-Einlagen. Von Rainer Hank wollte er wissen, ob es in zehn Jahren noch die gedruckte Tageszeitung geben wird. Dieser war sich sicher, dass Kolumnen vom Netz profitieren werden. Die Worte würden sich einfach vom Papier ins Internet verschieben.
Verschiedene Ansichten zur Leistung Gespannt warteten die Teilnehmenden auf den Auftritt der fünf Kolumnistinnen und einem Kolumnisten, gehören doch einige zu grossen Namen in der Kolumnisten-Szene. Diesmal waren dabei: Eleonore Büning aus Deutschland (früher FAZ), Brigit Schmid aus der Schweiz (NZZ), Tanja Maljartschuk aus Österreich (früher FAZ und Zeit), Jan Fleischhauer aus Deutschland (Focus), Monika Helfer aus Österreich (Vorarlberger Nachrichten) und Tamara Wernli, aus der Schweiz (Weltwoche). Sie alle hatten einen Text zum Thema Leistung mitgebracht.
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Pflichtarbeit, während die andern schliefen Die Kolumnisten teilten sich die Bühne mit drei Slammern, Marvin Suckut aus Deutschland, Mieze Medusa aus Österreich und Gregor Stäheli aus der Schweiz. Sie brachten das Thema «Leistung» auf ihre, spezielle Art zum Ausdruck, sei es in einem Bewerbungsgespräch, musikalisch oder im Überlebensmodus. Damit nicht genug. Als Hausaufgabe mussten sie über Nacht einen Text schreiben zu einem Thema, das ihnen die Teilnehmenden am Vorabend gestellt hatten. Auch diese Aufgaben lösten sie mit Bravour und wurden mit grossem Applaus belohnt. Marvin Suckut befasste sich mit dem Thema Restlaufzeit und somit mit dem Leben in einer partnerschaftlichen Beziehung. Mieze Medusa versuchte mit Rasenkantenmäher und Zahnseide Berge zu versetzen. Gregor Stäheli wechselte nach vier Stunden nochmals sein Thema und entschied sich für «Moor und Mohr». Für ihn sei es Zeit, sowohl das im Moor zu versinken drohende Pferd als auch das andere Wort loszulassen und beide gehen zu lassen.
Letztjähriger Preisträger ehrt den neuen Ein weiterer Höhepunkt des Abends war die feierliche Übergabe des Preises der Kolumination an Axel Hacke. Der letztjährige Preisträger, Beat Kappeler, hielt die Laudatio für seinen Nachfolger. Bei der Vorbereitung hat Beat Kappeler eine neue Person, eine ungewohnte Redneraufgabe und völlig andere Inhalte entdeckt. Axel Hacke sei so anders, schreibe anders,
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dass es fasziniere. Kappeler wies auf Hackes Fleiss hin – dieser sei ein Autor mit Millionenauflagen, gut 30 Bücher mit Sammlungen seiner Kolumnen seien erschienen. Hackes Worte spiegeln den Alltag. Hinter dem Kunterbunten der Texte, die sich gerne unerwartet wegdrehen vom Thema, sei oft ein pädagogischer Wink versteckt, so Kappeler. Seine Analyse war klar: Axel Hacke hat Ausserordentliches geleistet, er verdient diesen Preis.
Schaurig-schöne Geschichten in der Seilbahn Auf der Rückfahrt auf die Schwägalp las Matthias Flückiger, Schauspieler, Regisseur und Leiter des Theaters «parfin de siècle» in St. Gallen, eine schaurig-schöne Gutenachtgeschichte von Franz Hohler. Er begrüsste auch am nächsten Morgen die Teilnehmenden auf dem Säntis mit einer historischen Kolumne der grössten brasilianischen Schriftstellerin des 20. Jahrhunderts, Clairie Lispector: «Fünf Erzählungen – ein Thema – wie bringt man Kakerlaken um». Als am Samstagmittag das Festival der Worte verstummte, waren sich alle einig, dass der Anlass «Kolumination» auf keinen Fall verstummen darf und nächstes Jahr eine Fortsetzung finden muss. Dem ist auch so: Die 3. Kolumination findet am 28. und 29. Oktober 2022 statt. Bis es so weit ist, bietet das Büchlein, das Sie in Händen halten, Gelegenheit, die Texte der 2. Kolumination nachzulesen.
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Matthias Flückiger.
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Rainer Hank
«IN IHRER BADEWANNE SIND SIE KAPITÄN» Kleine Reflexion darüber, was die Kolumne kann. Und was sie darf.
1. Wäre es nicht längst fällig, die beiden Länder Österreich und Schweiz als eines zu behandeln? Die Frage kann man sich an diesem wunderbaren Ort auf dem Säntis stellen, weil aus der Draufsicht hier oben die Welt nicht in Staaten, Nationen, Kantone oder Bundesländer getrennt erscheint, sondern als ohne politische Grenzen wohlgeformte Alpenlandschaft. Vieles deutet darauf hin, dass auch dem Kolumnisten Max Goldt die Idee hier oben gekommen sein könnte, Österreich und die Schweiz «künftig in einem Aufwasch» zu behandeln. Was zusammengehört, dürfe nicht getrennt werden, schreibt er, so wie man auch «mit entsprechenden
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Gebirgen angefüllte Kugelhälften nicht hätte trennen können: Man kann Österreich und die Schweiz nicht auseinanderbrechen wie ein Löffelbiskuit beim Five-oClock-Tea der Herzogin von Kent». Goldt gilt unter Kolumnisten – Sie verzeihen die Albernheit – als Goldstandard. Die Kolumne über «Österreich und die Schweiz», nachlesbar im schönen Band «Schliess einfach die Augen und stell Dir vor, ich sei Heinz Kluncker» (wer Heinz Kluncker war, wusste man 1994 noch), liefert erste Anhaltspunkte für meine kleine Reflexion über Kolumnen und Kolumnisten. Das Bauprinzip der Stücke von Max Goldt lautet: Stelle eine verrückte These auf und treibe sie ins Absurde – jedoch mit Argumenten, die den strengen Gesetzen der Logik folgen. Ein Beleg dafür, warum wir Österreich und die Schweiz künftig in einem Aufwasch behandeln sollen, hört sich bei Goldt so an: «Dass so unterschiedliche Gestalten wie Mahatma Gandhi, Leo Tolstoi und Miriam Makeba weder aus Österreich noch aus der Schweiz kommen, ist ein weiteres Indiz dafür, dass die beiden Länder einander sehr ähneln.» Das vorangegangene Indiz war, «dass aus einem der beiden Länder Hitler stammt, welcher Unheil noch und nöcher im Reisegepäck führte. Man sollte das den Bewohnern dieser beiden Länder aber nicht nachtragen, denn aus einem der beiden Länder stammt ja andererseits auch wieder Gottfried Keller, der mit seinen interessanten Schriften das Unheil des anderen zu einem guten, wenn auch kaum messbaren Teil wiedergutmachte, und das sogar schon, was bemerkenswert ist, im Voraus.» So langsam dämmert es: Goldts These, die beiden Länder «künftig in einem Aufwasch zu behandeln», ist
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alles andere als absurd, sie führt uns nämlich ex negativo vor, dass – anders als es von hier oben scheinen mag – zwei Länder kaum verschiedener sein könnten als die Schweiz und Österreich. Die einen hatten bis vor kurzem Sebastian Kurz als Bundeskanzler, den inzwischen die halbe Welt kennt. Die anderen haben einen Bundespräsidenten, dessen Namen – falls überhaupt – lediglich den Schweizern geläufig ist. Für welches Land Goldts Herz schlägt – Keller versus Hitler – ist offenkundig. Es ist eben gerade nicht einerlei, wer die einen und wer die anderen sind. Da zeigt sich: «Der Dichter Max Goldt ist ein bekennender Moralist» (so Heinrich Detering in einer Lobrede auf Goldt). Der Kolumnist ein Moralist, dann und gerade, wenn und weil er nicht moralisiert. Der Moralismus Goldts ist dem Moralismus von Michel de Montaigne näher als dem Moralisieren von Margarete Stokowski. Heute, so scheint es mir, gibt es immer mehr Kolumnisten, die reflektierenden Moralismus mit politisch-kämpferischem Aktivismus verwechseln. Nennen wir es, wie wir es wollen, was wir bei Max Goldt finden: kontradiktorische Logik, Prinzip der Absurdisierung mit dem Ziel des Erkenntnisgewinns. Jedenfalls enthalten die Texte eine eigene Komik, die man weder mit Satire noch mit Humor verwechseln sollte. Lustig ist da gar nichts. «Jaja, Humor. Humor kann man haben. Muss man aber nicht», lesen wir in einem anderen Text bei Max Goldt, der den Titel trägt «Ein nicht verwendeter Kolumnenanfang» (abgedruckt in «Ä: Kolumnen» rororo). Abermals offenbart die Spiegelung am Gegenteil die Pointe: Was als «ein nicht verwendeter Kolumnenanfang» überschrieben ist, ist in Wirklichkeit – kontradiktorisch – eine fertige Kolumne.
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2. «Kolumnieren» nennt Max Goldt die Tätigkeit des Kolumnisten (und natürlich auch der Kolumnistin). Weil allenthalben um uns wie wild kolumniert wird, gibt es Leute, die behaupten, wir lebten inzwischen schon im «Zeitalter des Kolumnismus» (Knut Cordsen, Bayern 2, 26. Juni 2020). Kein Wunder, dass wir uns hier auf dem Säntis auf Initiative von Gerhard Schwarz, Reinhard Frei und ihren Mitstreiter nun schon zur zweiten «Kolumination» treffen. Der Begriff lädt zu allerlei Spielereien ein, nicht zuletzt wegen seiner phonetischen Nähe zum Kommunismus. Da gibt es Axel Hackes «Kolumnistisches Manifest», in dem ein Gespenst sein Unwesen treibt, das dem Kolumnisten im Nacken sitzt und ihm Woche für Woche aufs Neue lustvoll-perfide einflüstert: «Hast du schon eine Idee?». Oder: «Findest du nicht auch, dass die Kolumne, die du heute Morgen geschrieben hast, ausserordentlich schwach ist?» Dass Leute wie Hans Zippert oder Franz-Josef Wagner, die Kolumnen gefühlt schon schrieben, als ich noch Theologie studierte, bis heute von diesem Gespenst geschreckt werden, spricht weder gegen das Gespenst noch gegen die, die von ihm heimgesucht werden. Es spricht dafür, dass Routine der Tod der Kolumne ist. Und dass Selbstzweifel, womöglich sogar ein gewisses Mass an Melancholie zur Stimmung des Kolumnisten gehören, gerade dann, wenn seine Stücke frech, polemisch oder satirisch daherkommen und in ihrer Leichtigkeit nirgendwo an die Qual der Fertigung erinnern. Wie viele Kolumnisten und Kolumnistinnen es gibt, weiss in Wahrheit niemand, weil das keine ge-
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